Versprechen vs Realität bei BPM

Ein frustrierender Kreislauf

08.06.2011 von Sven L. Roth
Jeder versucht sein Bestes, doch keiner ist zufrieden. Damit BPM in der Praxis tatsächlich funktioniert, sollte das Business den Motorroller und die IT den Zug fahren, erklärt Sven L. Roth von Capgemini.
"Wenn die IT Zug und Bus fährt sowie den Hub zur Verfügung stellt, aber das Auto- und Motorrollerfahren dem Business überlässt, dann kann BPM erfolgreich sein", sagt Sven L. Roth von Capgemini.
Foto: Capgemini

Unternehmen ohne Geschäftsprozesse gibt es nicht. Kein Unternehmen wird jemals behaupten, dass es kein Business Process Management (BPM) hat. Dennoch sind die wenigsten mit dem Ergebnis ihres BPM zufrieden: die Prozesse sind nicht effizient (genug) und können nicht flexibel an neue Anforderungen angepasst werden; hinzu kommt, dass die Abbildung in der IT meist zu lange dauert und viel zu teuer ist. Im Ergebnis passen die eingeführten Prozesse und Lösungen nicht (mehr) zu den dann gültigen Anforderungen des Business.

Soweit zur Realität, die doch in einem gewissen Kontrast zu den Versprechungen vieler BPM-Anbieter steht. In deren Welt ist BPM flexibel, hochperformant, vom Business beherrschbar und so weiter und so fort.

So kommen und gehen neue Methoden und Technologien, die (unerfüllten) Anforderungen des Business bleiben jedoch. Wie ist dieser frustrierende Kreislauf zu durchbrechen?

Eine differenzierende Sicht auf Prozesse und Anwendungen ist unabdingbar. Nicht jeder Prozess muss flexibel sein, ein hohes Transaktionsvolumen schultern und höchste Qualitätsanforderungen erfüllen. Entsprechendes gilt für Anwendungen. Sie lassen sich in Analogie zu Verkehrsmitteln unterscheiden: Train, Bus, Hub, Car und Scooter Apps.

Train Apps bilden die Basis, sie sind zuverlässig, stabil und schultern eine hohe Transaktionslast. Sie sind aber wenig agil und lassen sich nur schwer beziehungsweise mit hohem Aufwand anpassen. Typische Beispiele sind die ERP- und Kern-Systeme, die über Jahre gewachsen sind.

Bus Apps sind ebenfalls stabil, aber etwas flexibler und bieten Möglichkeiten zur Differenzierung. Beispiele hierfür sind CRM, SRM oder SCM sowie sektorspezifische Applikationen.

Train und Bus Apps

Train und Bus Apps sind das Rückgrat für die Kernprozesse eines Unternehmens. Von diesen Systemen eine hohe Agilität zu erwarten, birgt - wie die Vergangenheit bewiesen hat - ein hohes Frustrationspotenzial; sowohl für das Business als Nutzer als auch für die IT als Eigentümer. Die teilweise geäußerte Schlussfolgerung, dass die ERP-Systeme dieser Welt daher tot sind beziehungsweise. keine Zukunft haben, ist allerdings stark übertrieben und schießt über das Ziel weit hinaus.

Die notwendige Agilität und Möglichkeit zur Wettbewerbsdifferenzierung kann durch Car und Scooter Apps geschaffen werden. Diese Apps gehören dem Business. Sie unterstützen kreative Prozesse (beispielsweise zielgruppenspezifische, individuelle Tarife und Angebote eines Mobilfunkanbieters) oder auch interaktive Prozesse (beispielsweise das Fallmanagement einer Versicherung oder Reklamationsmanagement eines Markenartiklers). Die Umsetzungszeiträume für diese Apps werden in Tagen oder Wochen, nicht aber in Monaten und Jahren gemessen.

Car Apps werden auf einer einheitlichen Plattform gebaut oder schlicht in der Cloud gekauft. Während sie noch technische Fähigkeiten benötigen und die IT daher bei der Erstellung unterstützt, werden Scooter Apps durch den Mitarbeiter oder die Abteilung direkt erstellt und weiterentwickelt. Zumindest die jüngere Mitarbeitergeneration kann diese Apps mit Visual GUI Builders, Do-It-Yourself Portalen, Mashup Kits oder Social Media Platforms auch ohne eine IT-Unterstützung erstellen.

Was nun noch fehlt ist die Verbindung zwischen den verschiedenen "Verkehrsmitteln". Diese Rolle übernehmen die Hub Apps. Ein Hub ist die Plattform, die auf der einen Seite Agilität und Time-to-Market ermöglicht sowie auf der anderen Seite die Daten- und Prozess-Integrität sicherstellt. Die neueren BPM-Tools wie BPM Suites oder Business Rule Engines gehören zu diesen Hub Apps.

Warum soll BPM nun funktionieren? Zum einen existieren die Grundlagen. Die Basis-Technologien wie SOA, EAI, Web Services und viele andere mehr sind erwachsen geworden. Sie werden in den ERP- und Kernsystemen verwendet. Zum anderen nutzen die Mitarbeiter heute mit aller Selbstverständlichkeit privat innovative Technologien im Web und auf dem Smartphone. Sie eignen sich so nicht nur die notwendigen Fähigkeiten an, sondern entwickeln auch entsprechende Erwartungen an ihr Arbeitsumfeld.

Erfolgreiches Business-IT-Alignment

Wenn nun also die Prozess- und Anwendungslandschaft wie oben beschrieben differenziert betrachtet wird und so die Stärken gestärkt, statt die Schwächen vermindert werden. Und wenn sich die IT auf ihre Kompetenzen zurück zieht und dem Business die Freiheit und Verantwortung gibt, die es braucht. Dann ist die Grundlage für ein erfolgreiches Business-IT-Alignment mit agilen wie auch stabilen Prozessen und Systemen machbar.

Dieser Idealzustand ist nicht von heute auf morgen erreichbar. Vielmehr erfordert es ein konsequentes aber schrittweises Vorgehen mit Fokus auf

BPM kann erfolgreich sein

Wenn also die IT Zug und Bus fährt sowie den Hub zur Verfügung stellt, aber das Auto- und Motorrollerfahren – mit Verkehrsregeln - dem Business überlässt, dann kann Business Process Management (BPM) erfolgreich sein. So kommt die IT auch ihrer Wunschvorstellung, "Partner des Business" zu sein, ein ganzes Stück näher.

Sven L. Roth ist Vice President Application Services bei Capgemini. Er verantwortet die Themen Business Process Management und Business Technology in Deutschland, Österreich und der Schweiz.