Fatale Cargo-Kulte

Falsche Strategien für die Digitalisierung

11.08.2017 von Jürgen Meffert
Viele Unternehmen erkennen zwar das Phänomen der digitalen Herausforderung, reagieren dann aber falsch. Aus meiner Sicht ein wesentlicher Grund sind die "Cargo-Kulte", denen viele Entscheider in Unternehmen anhängen.

Den Begriff Cargo-Kulte prägte der Physiknobelpreisträger Richard Feynman ursprünglich für schlechtes wissenschaftliches Arbeiten. Er erzählte seinen Studenten eine Anekdote von der Insel Samoa. Dort waren im Zweiten Weltkrieg regelmäßig US-Flugzeuge zwischengelandet, deren Besatzungen den Einheimischen die Segnungen der westlichen Zivilisation schenkten: Coca-Cola, Camel, Cadbury.

Nach Kriegsende blieben die Militärflieger aus, und die enttäuschten Samoaner beschworen in einem schnell entwickelten Kult die Rückkehr der inzwischen geliebten Fracht (»Cargo«): Sie bauten hölzerne Flugzeugmodelle und simulierten mit Bambuskopfhörern Funkverkehr. Vergebens, Coca-Cola und Co. kehrten nicht zurück. Die Samoaner hatten zwar das Phänomen erkannt - Flugzeuge brachten die begehrten Produkte -, aber die falschen Schlüsse gezogen.

Ganz ähnlich reagieren viele Unternehmen auf die digitale Herausforderung. Sie erkennen das Phänomen, reagieren aber falsch. Hier sind aus meiner Erfahrung als Unternehmensberater drei wichtigsten Cargo-Kulte in der digitalen Welt:

1. Digitale Startups

Man findet solche Alibi-Veranstaltungen sehr häufig - ein digitales Startup wird fernab der Unternehmenszentrale gegründet, mit etwas Geld und ein paar jungen Leuten, die vielleicht sogar Hoodie tragen und tätowiert sind. Vermeintlich eine gute Idee: Doch die Erfahrung lehrt, dass ein vom Gesamtunternehmen isoliertes Start-up kaum Einfluss auf das etablierte Geschäftsmodell nimmt. In der Wirtschaftsgeschichte ist kein Beispiel bekannt, wo sich ein Marktführer mit Hilfe solch eines Jungunternehmens neu erfunden hätte.

Klar, Unternehmen müssen Erfahrungen sammeln und sich mit solchen Strukturen aktiv auseinandersetzen. CEOs sollten nur nicht erwarten, dass diese Startups Ihre Digitalisierungsherausforderungen für sie lösen. Das müssen sie schon selber tun.

2. Digitaler Zuckerguss

Untauglich ist auch der Versuch, überall dort, wo es gerade opportun erscheint, einen digitalen Prozess anzuflanschen. Berühmt sind die Beispiele, wo ein Trupp Praktikanten mal eben beauftragt wird, sich um die Kommunikation via Social Media zu kümmern. Dies funktioniert höchstens so lange, bis der erste "Shitstorm" auf das Unternehmen niedergeht - und die Kommunikation zwischen Social-Media-Team, Produktverantwortlichen und Führungsebene im Chaos endet. Oder folgender Fall: Unternehmen erkennen den Wert ihrer Daten, sei es zu Kunden, Lieferanten oder zur Wertschöpfungskette, und sie beginnen, diese systematisch zu sammeln. Doch um das gesammelte Wissen in allen Prozessen einzusetzen, fehlt dann der Nachdruck, es entstehen Big-Data-Inseln, die das Gesamtunternehmen nicht weiterbringen.

3. Die Effizienzfalle

Eine andere Falle entsteht aus dem Erbe des tayloristischen Effizienzdenkens. Da konzentriert sich das Management in Sachen Digitalisierung ganz auf das Thema Automatisierung, um die nächsten 2 Prozent Produktivität herauszuholen - statt in ganzer Breite über alle Prozesse hinweg nach Wertsteigerungschancen zu suchen. Auch hier gilt: Natürlich sollten CEOs Wertsteigerungspotenziale durch die Digitalisierung nicht liegenlassen; aber sie sollten den Blick nicht allein auf diesen Teilbereich verengen.

Die Unternehmensführung muss Digitalisierung vorleben

Wie vermeidet man diese Cargo-Kulte? Die Antwort ist: Der CEO muss führen und das Unternehmen als Ganzes digital transformieren - Digital@Scale eben. Nur wenn die Unternehmensspitze die Veränderung vorlebt und sich nicht in Cargo-Kulten verzettelt, werden die nötigen tiefen Eingriffe in Strukturen, Prozesse, Führungsinstrumente sowie der Aufbau neuer Fähigkeiten und neuer IT-Systeme erfolgreich sein. Keiner sagt, dass das einfach ist. Aber es ist notwendig, wenn die digitale Transformation gelingen soll.

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