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Gedanken zur Reform des deutschen E-Governments - Teil 1

12.10.2006 von Harald Lemke
Kein verantwortlicher Politiker ist damit zufrieden, dass in Bund, Länder und Kommunen ein bunter Flickenteppich inkompatibler Inselsysteme entstanden ist. Die Politik will ihre Verwaltung modernisieren und erwartet, dass Informationstechnik ihre Zielsetzung unterstützt. Die Erfahrung zeigt auch, dass Politik bereit ist, Informationstechnik mit Geld und Prioritäten zu fördern, wenn "die Story stimmt".

Auch das Regierungsprogramm der großen Koalition belegt das politische Interesse an Informationstechnik, dort heißt es:

"Die staatliche Zusammenarbeit soll auf der Basis der Informationstechnologie neu geordnet werden, um damit gezielt Bürokratiekosten zu reduzieren."

In diesem Satz steckt ein mutiger, aber notwendiger Paradigmenwechsel. Nach dieser programmatischen Aussage sollen Verwaltungsprozesse von Bund, Länder und Kommunen so gestaltet werden, dass sie das Rationalisierungspotenzial der Informationstechnik wirklich ausnutzen. Der digitale Flickenteppich unserer Verwaltung kann endlich konsolidiert werden. Ein sicherer und verbindlicher digitaler Informationsaustausch zwischen Bürgern, Wirtschaft und Verwaltung von Flensburg bis Garmisch wäre möglich. Deutschland kann im europäischen E-Government-Ranking auf einen Spitzenplatz aufrücken.

Trotz soviel politischen Wohlwollen hat die Informationstechnik noch immer nicht den Sprung in die politischen Disziplinen geschafft - im Gegensatz zur Wirtschaft, wo die IT längst als strategischer Wettbewerbsfaktor anerkannt ist. Konsequenterweise wird dort aus dem Vorstand heraus gesichert, dass sich die IT-Strategie an den Unternehmenszielen ausrichtet.

Gipfelgespräche als strategische Chance nutzen

Der von der Bundeskanzlerin Frau Dr. Merkel eingerichtete Rat für Innovation und Wachstum unter der Federführung von Prof. Dr. Pierer ist eine große Chance, dem Thema E-Government auf bundesweiter Ebene die notwendigen Impulse zu geben. Die Zielsetzung der Bundeskanzlerin zeigt strategischen Anspruch: "Wo sind Forschungs- und Innovationsentwicklungen, die wir bei dem, was wir politisch entscheiden, beachten müssen?"

Genau diese Fragestellung ist entscheidend, um die Rahmenbedingungen für den Einsatz von Technologie in Deutschland nachhaltig zu verbessern. Das gilt insbesondere für E-Government - es dürfte kaum ein Einsatzgebiet für Informationstechnik geben, das derart gesetzlich kodifiziert ist, wie die öffentliche Verwaltung Deutschlands. Hier scheitert immer wieder der Einsatz moderner IT, weil die bestehenden Gesetze, Verordnungen und Organisationsformen inkompatibel mit der Technik von heute sind. Daher ist es dringend notwendig, das politische Handeln von Heute auf die Technologie von Morgen auszurichten. Die von der Bundeskanzlerin initiierten Technologiegipfel sind daher eine strategische Chance, die Rahmenbedingungen für Verwaltungsmodernisierung in Deutschland nachhaltig zu verbessern.

Entscheidend für den Erfolg solcher Technologiegipfel wird sein, dass der Impuls, der von ihnen ausgeht, möglichst verlustfrei transformiert wird. Das wird aber nur dann gelingen, wenn sichergestellt ist, dass

Wenn es nicht gelingt, diese Kette sicherzustellen, wird unter den Gipfeln ignorante Ruhe einkehren und eine gute Chance vertan sein.

Die Wirtschaft wird es aufgrund ihrer Management-Strukturen relativ einfach haben, ihr Handeln in Entwicklung und Marketing an den strategischen Leitlinien solcher Gipfeltreffen auszurichten. Wie sieht es aber in der Politik aus? Haben wir in Politik und Verwaltung Management-Strukturen, die eine Transformation von strategischen Gipfelbeschlüssen sicherstellen? Zweifel sind mehr als angebracht.

IT-Strategie - Sache von Politik oder Verwaltung?

Auf den politischen Entscheidungsebenen in Bund, Länder und Kommunen wird Informationstechnik meist als Angelegenheit der Verwaltung betrachtet. Diese Delegation wirft die Frage auf, wer die Verwaltungen koordiniert. Natürlich wissen Politiker, dass die EU-Agenda i2010, Deutschland-Online, Hercules, Fiscus, Digitalfunk, Gesundheitscard, biometrischer Reisepass, elektronische Signatur, elektronische Steuererklärung, elektronischer Rechtsverkehr, INPOL, Schengen-Informationssystem, ZEUS, ALG II, Toll-Collect, Doppik, Kostenrechnung, Vorgangsbearbeitung, Bürgerportal, OSCI, Vorratsdatenspeicherung, Informationsfreiheitsgesetz, Melderechtsreform, e-Voting und Informationsfreiheit im Zeitalter des Internet und der Integration irgendwie etwas miteinander zu tun haben, aber offensichtlich gibt es eine konsensuale Hoffung, dass diese Themen sich allein koordinieren.

Die Erfahrung zeigt aber, dass der Wunsch nach selbstheilender Koordinierung nicht in Erfüllung geht. Und so bleibt allzu häufig politisch gut gemeinte Verwaltungsmodernisierung in einer digitalen Sackgasse stecken, wo eine unkontrolliert gewachsene Informationstechnik die Strukturentscheidungen von Gestern zementiert und Verwaltungen ihre Zuständigkeiten verteidigen.

Dabei ist die inkompatible Technik von Gestern nur ein Hindernis von vielen, wenn es darum geht, moderne Technologie für die Verwaltung nutzbar zu machen. Mindestens genau so hinderlich können Gesetze und Verordnungen sein, die häufig zu Zeiten entstanden sind, in denen die technischen Möglichkeiten von heute noch als utopisch erschienen. Und mancher, der Verwaltung reformieren will, steht unversehens vor gesetzlich bewehrten Schutzmauern, die hergebrache Organisation und Abläufe vor Veränderung bewahren.

IT-Strategie ist interdisziplinär

Doch selbst wo Technik, Organisation, Recht und Politik im Einklang sind, behindern häufig fehlende Ressourcen, insbesondere Geld und qualifiziertes Personal, die Einführung moderner IT-Systeme. Und wer für ebenen- oder ressortübergreifende Projekte verantwortlich ist, macht häufig die Erfahrung, dass das Geld zwar da ist, aber leider in den falschen Budgettöpfen gebunden ist. Daher sind IT-Strategien ohne tragfähige Geschäftsmodelle ohne Wert.

Diese Problematik macht deutlich, dass E-Government nicht auf Technik beschränkt ist, sondern auch Recht, Finanzen und Organisation umfassen muss und es ist Aufgabe der Politik, als fünfte Kraft für interdisziplinäre Zusammenarbeit zu sorgen.

Dabei kommt der Politik nicht nur eine koordinierende Aufgabe zu. Eine IT-Strategie in der öffentlichen Verwaltung muss mindestens einen Fünfjahres-Raum betrachten, um die unterschiedlichen Geschwindigkeiten von technischem Fortschritt und politischer Entscheidungsfindung zu synchronisieren.

Herausforderung Konvergenz

Jeder erlebt zurzeit das Zusammenwachsen der Kommunikations-, Informations- und Medientechniken, die so genannte Konvergenz, im privaten Bereich. Das multifunktionale Handy mit Internet, Fernsehen, Kamera und E-Mail markiert noch nicht das Ende der Entwicklung, verdeutlicht aber Rechtung und Potenzial der Konvergenz. Konvergenz betrifft nicht nur multifunktionale Endgeräte, sondern auch Infrastruktur und Organisation.

Die Telefontechnik steht mit Einführung von Voice-Over-IP vor der größten Umwälzung seit Einführung der Selbstwahl. Mit Hilfe dieser Technik kann über die IT-Infrastruktur telefoniert werden, herkömmliche Telefonanlagen und eigene Telefonnetze werden in den nächsten Jahren der Vergangenheit angehören. Telekommunikation und Informationstechnik wachsen zusammen. Die Auswirkungen für die traditionellen Telekommunikationsunternehmen werden gravierend sein: wenn nur noch das Datennetz benötigt und nachgefragt wird, bricht 80 Prozent ihres herkömmlichen Geschäftes ein. Auch die IT-Organisationen der öffentlichen Hand werden betroffen sein, wenn die Telefonie über das Datennetz abgewickelt wird. Die klassischen Fernmeldetechniker stehen vor einer Perspektive wie einst das Fräulein vom Amt.

Voice-Over-IP wird aber nicht nur die IT-Organisation verändern, sondern auch die Anwenderprozesse. Für das programmatische Ziel der großen Koalition "Die staatliche Zusammenarbeit auf der Basis der Informationstechnologie neu zu ordnen, um damit gezielt Bürokratiekosten zu reduzieren." scheint Voice-Over-IP wie geschaffen, wie das Beispiel 311 aus den USA zeigt:

311 - Ein Beispiel für strategisches E-Government

In den USA haben viele Staaten eine Behörden-Telefonnummer eingerichtet: "311 - The Service-Line". Bürger dieser Staaten können unter 311 alle Behörden erreichen - ob auf Kommunal-, Kreis-, Landes- oder Bundesebene. Der Erfolg und die Akzeptanz dieser Service-Line sind beeindruckend, die alten (noch immer gültigen) Telefonnummern werden kaum noch genutzt. Ob Meldung einer wilden Müllkippe, eines offenen Kanaldeckels, Beantragung einer Drivers-License oder Sozialversicherungskarte - nur 311 wählen, eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter nimmt den Anruf entgegen - in New York geht das in ca. 50 Sprachen! - und leitet das Anliegen an die richtige Stelle der föderalen Verwaltung. Ein Musterbeispiel für Bürgerzentriertes E-Government, schließlich ist das Telefon nach wie vor das meistgenutzte Medium für
Behördenkontakte.

Möglich wird dieser verwaltungsübergreifende Service erst durch die Verfügbarkeit neuer Technologien, in diesem Fall das oben beschriebene Voice-Over-IP. Alle Telefonannahmestellen in Stadt, Land und Bund werden zu einem virtuellen Callcenter zusammengeschaltet, der anrufende Bürger erreicht immer den nächsten freien Platz, wo immer sich dieser befindet. An jedem Arbeitsplatz dieser virtuellen Telefonzentrale steht ein System zur Verfügung, mit dessen Hilfe die häufigsten Fragestellungen einfacher Natur, wie z.B. Öffnungszeiten, Adressen oder Fristen, direkt beantwortet werden können. Einfache Meldungen, wie z.B. wilde Müllkippen, technische Störungen o. ä. können erfasst werden und gelangen als elektronischer Auftrag an die verantwortliche Dienststelle. Darüber hinaus hilft ein elektronisches Zuständigkeitsregister, um Anrufe direkt an den zuständigen Sachbearbeiter weiterzuleiten.

Die Service-Qualität für den Bürger war aber nicht der einzige Grund für die erfolgreiche Einführung von 311, wie folgende Beispiele zeigen:

Diese Beispiele zeigen, dass die grundlegenden Anforderungen an E-Government international sind, sie könnten auch auf Deutschland übertragen werden. Das Beispiel 311 verdeutlicht aber auch die interdisziplinären Erfolgsfaktoren für bürgernahes E-Government:

Diese Erfolgsfaktoren zeigen umgekehrt auch beispielhaft, wie die wirkliche Adaption neuer Technologien in der Verwaltung verhindert wird, wenn sie nicht politisch und strategisch angegangen wird.

Harald Lemke ist Staatssekretär und Bevollmächtigter für E-Government und Informationstechnik im Hessischen Finanzministerium.