Stadtwerke Würzburg

Geglückter Change auf neue Plattform

21.03.2019 von Christoph Lixenfeld
Wer Wartungsprozesse in unterschiedlichen Sparten über eine einzige Plattform steuern will, braucht die Unterstützung und Akzeptanz aller Mitarbeiter. Nach einem Fehlversuch gelang den Stadtwerken Würzburg das Change-Management.
  • Historisch gewachsen managte das Unternehmen vergleichbare Prozesse mithilfe unterschiedlicher Lösungen.
  • Auf Basis von SAP Plant Maintenance (SAP PM) werden die Abläufe jetzt schrittweise vereinheitlicht.
  • Besonders hilfreich für die Akzeptanz der Neuerung waren Design Thinking-Workshops.

Die Würzburger Versorgungs- und Verkehrs-GmbH (WVV) ist ein klassisches kommunales Multispartenunternehmen, das von der Energie- und Wasserversorgung über Schwimmbäder, Parkhäuser, öffentlichen Nahverkehr, Carsharing, Glasfasernetz und Entsorgung so ziemlich alles anbietet, was für einen funktionierenden Alltag der Menschen notwendig und angenehm ist. Dabei muss die WVV ganz unterschiedliche Maschinen und Anlagen managen, warten und reparieren. Bisher steuerte man diese Prozesse, deren Anzahl historisch mit der Vielfalt der Aufgaben stark gewachsen war, mit Hilfe vieler verschiedener, zum Teil von den Anlagen­herstellern stammender IT-Plattformen und Workflows.

Foto: Würzburger Stadtwerke

Von einheitlichen Prozessen konnte deshalb keine Rede sein, so Andreas Schliemann, der bei der WVV für Business Integration zuständig ist: "Wir hatten einen ganzen Strauß unterschiedlicher Lösungen und dadurch unnötige Aufwände und immense Reibungsverluste." Und das für im Kern immer dieselben Prozesse: Egal, ob es sich um die Chlorungsanlage eines Hallenbads oder die Turbine eines Kraftwerks handelt - eine Inspektion fängt immer mit dem Auftrag an, dann folgt die Planung, die Durchführung und schließlich die Dokumentation.

Foto: Würzburger Stadtwerke

Nur war die Art, wie Dinge dokumentiert wurden, oft unterschiedlich und auf eine nachteilige Weise individuell. Schliemann konstatiert: "Es gab handschriftliche Notizen, unterschiedliche Excel-Tabellen, dezentrale Datenbestände und dadurch auch unterschiedliche Stati bei den Daten innerhalb einer Utility. Ein einziger Wildwuchs."

Irgendwann war klar, dass es so nicht weitergehen konnte. Deshalb entschlossen sich die Verantwortlichen, ihre Instandhaltungslandschaft auf Basis von SAP Plant Maintenance (SAP PM) zu vereinheitlichen. Ziel dabei war, dass alle Servicemitarbeiter über Smartphones oder Tablets auf dieselbe Plattform zugreifen und dass vor Ort erhobene und dokumentierte Daten nicht nur den Weg in die technischen, sondern auch nahtlos in die buchhalterischen Systeme finden.

Foto: Würzburger Stadtwerke

Beträchtliche Widerstände

Doch bis dahin gab es viel zu tun - und vor allem eine Reihe von Widerständen zu überwinden. Denn die Botschaft, dass nicht jeder Job bei der WVV anders ist und deshalb auch nicht jeder eigenständige Strukturen braucht, leuchtete keineswegs jedem sofort ein. WVV-Geschäftsführer Thomas Schäfer: "Sie glauben gar nicht, wie schwer es ist, einen Elektriker mit einem Rohrmonteur zusammenzubringen."

Foto: Würzburger Stadtwerke

Allen Service-Mitarbeitern die Tatsache schmackhaft zu machen, dass ein - subjektiv - auf sie zugeschnittenes System durch eine standardisierte, für alle gleiche Plattform ersetzt wird, war und ist keine leichte Aufgabe. Dass es am Ende ein positives Ergebnis gab, lag weniger an der gewählten Technologie als an der Vorgehensweise. Klar war, dass man die vielen Gewerke nur schrittweise an die neue Plattform andocken konnte und wollte. Den Anfang machte das Straßenbahnnetz, weil es mit seinen unterschiedlichen Aufgaben - von Facility-Anlagen bis zu den Straßenbahnen mit ihren engmaschigen Inspektions- und Dokumentationsanforderungen - ausgesprochen komplex ist und sich deshalb viel daran lernen lässt.

Würzburger Stadtwerke
Foto: Würzburger Stadtwerke

Der dabei zunächst gewählte Ansatz erwies sich allerdings als nicht zielführend. Andreas Schliemann: "Wir haben auf der inhaltlichen Ebene abgefragt, wie wir bestimmte Prozesse oder Abläufe auf andere übertragen könnten, mussten dabei aber schnell feststellen, dass eigentlich jeder den bei ihm ablaufenden Prozess für optimal und übertragbar hält - einfach weil er ihn kennt und an ihn gewöhnt ist."

Deutlich besser funktionierte, sich über den Lebenszyklus einer Tätigkeit, eines Prozesses zu unterhalten. Die Inspektion fängt mit einer Idee an, dann kommt die Planung mit entsprechenden Experten, dann die Umsetzung, am Ende die Dokumentation. Diese Schritte dienten als Ankerpunkte, die auf andere Gewerke übertragbar sind.

Besonders herausfordernd dabei war, nicht nur Vorschriften standardisiert in einen Rahmen zu gießen, sondern auch das menschliche Erfahrungswissen. Beispielsweise besuchen Mitarbeiter der WVV im Herbst auch ohne konkreten Anlass die Trafostationen, um dort das anfallende Laub zu entfernen, bevor es Probleme bereitet. Auch solche Dinge müssen auf der neuen Plattform abgebildet werden und automatisiert Prozesse auslösen, damit das Laub auch dann noch in jedem Herbst verschwindet, wenn der 20 Jahre lang dafür Zuständige in Rente geht.

Noch ein Beispiel: Oberleitungen von Straßenbahnen tauscht man alle 15 Jahre aus, auf Bergstrecken allerdings schon alle fünf Jahre. Während Ersteres standardmäßig im (alten) System hinterlegt war, hatte sich der Zuständige die fünf Jahre am Berg individuell notiert. Scheidet er aus, hat die Organisation möglicherweise ein Problem.

Design Thinking schafft Akzeptanz

Ebenfalls lernten die Protagonisten beim ersten Fehlversuch, dass es keine gute Idee wäre, die Mitarbeiter unmittelbar mit der ganzen Wuchtigkeit des SAP-Systems zu konfrontieren. Stattdessen ließ man ein eigenes Frontend auf Basis der Low-Code-Plattform Planet 8 von Neptune Software programmieren, das den Zugang enorm erleichterte. Es bildet die Stati eines Vorgangs leicht verständlich ab, ohne dass sich Benutzer mit den Abläufen dahinter beschäftigen müssen.

Die Arbeit an dieser Benutzeroberfläche lief zum Teil in Design-Thinking-Workshops ab, zu denen auch die Mitarbeiter eingeladen waren, was hilfreich war für die Akzeptanz des Ganzen. Die Monteure hatten so schon vor der eigentlichen Umsetzung ein breites Wissen, waren alle auf demselben Stand. Wer über Design-Thinking-Workshops selbst in den Entwicklungsprozess eingebunden war, kann anschließend schwerlich die Neuerungen pauschal ablehnen. Stattdessen begriffen sich einige sogar als Botschafter und sagten "Ich war in dem und dem Workshop dabei und erkläre dir jetzt mal, warum wir das so gelöst haben."

Thomas Schäfer, Geschäftsführer WVV: "Sie glauben gar nicht, wie schwer es ist, einen Elektriker und einen Rohrmonteur zusammenzubringen."
Foto: WVV

Von 15 Sparten der WVV werden heute drei - Bäder, Stromnetz und Straßenbahnen - über die neue Plattform gemanagt, die übrigen zwölf sollen in den kommenden fünf Jahren folgen. Am Ende werden zirka 500 Menschen mit dem System arbeiten. Wie erhofft haben sich die Abläufe durch die neue Technik stark verbessert.

Dokumentation und Statusmeldungen werden sofort in der Anlage vom Techniker erfasst und ins System geschickt, das Anlegen irgendwelcher Kopien oder Notizen ist nicht mehr notwendig. Entsprechend sank auch die Zahl der Rückfragen deutlich, und die, die es noch gibt, werden innerhalb von Stunden anstatt von Tagen oder Wochen beantwortet, was zu deutlich kürzeren Durchlaufzeiten führt.

Wie in solchen Fällen üblich fragte der Betriebsrat sich und die Unternehmensleitung, inwiefern das neue System auch zur Leistungsmessung und Überwachung der Mitarbeiter dienen kann und soll. Die Frage sei ­natürlich berechtigt, so WVV-Geschäftsführer Thomas Schäfer. "Eine Antwort darauf ist, den Kollegen einmal klarzumachen, was in dieser Hinsicht bisher ohnehin schon alles möglich ist."

Andreas Schliemann, Business Integration, WVV: "Wir hatten einen ganzen Strauß unterschiedlicher Lösungen und dadurch unnötige Aufwände und immense Reibungsverluste."
Foto: WVV

Das sensibelste Sicherheitsthema durch die neue Technik ist seiner Meinung nach ihre Offenheit. Damit das System funktioniert, müssen viele im Unternehmen Zugang haben. Sicherheitsbeauftragte wünschen sich aber tendenziell das genaue Gegenteil, nämlich dass der Zugriff auf Daten so weit wie möglich beschränkt wird. Um mit diesem Dilemma klarzukommen, hat sich die WVV als Betreiber kritischer IT-Systeme zertifizieren lassen.

Die Lessons Learned

Stellt sich zum Schluss natürlich die Frage, was von den vielen Dingen, die das Würzburger Versorgungsunternehmen bei dem Projekt gelernt hat, auch für andere interessant sein könnte. Thomas Schäfer nennt als ersten Punkt die Design-Thinking-Workshops. Sie hätten nicht nur alle ins Boot geholt und auf denselben Stand gebracht, sondern den Projekt-Managern auch in Echtzeit demonstriert, welche Funktionen intuitiv verstehbar sind und welche nicht.

Wichtig war für ihn auch die klare Abgrenzung und Definition von Rollen: "Wer in dieses Thema zu Beginn Zeit und Mühe investiert, erspart sich in der Folge viele Diskussionen und Konflikte." Nächster Punkt: ein belastbares, aber dennoch flexibles Lastenheft, weil sich betonharte Bullet Points nicht mit dem Design-Thinking-Ansatz vertragen.

Für derlei Beweglichkeit braucht es Vertrauen, vor allem in den gewählten Implementierungspartner, und die Überzeugung, dass dieser nicht unabhängig vom Fortschritt des Projekts möglichst viele Stunden abrechnen will. Die WVV-Macher hatten an diesem Punkt nach eigenen Angaben ausgesprochenes Glück. Wobei, auch daran lässt Geschäftsführer Thomas Schäfer keinen Zweifel, man es mit dem Vertrauen auch nicht übertreiben sollte: "Was ich gelernt habe und jedem, der ein solches Projekt anschieben will, nur raten kann: Bleiben Sie misstrauisch gegenüber allzu ehrgeizigen Zeitplänen."

Kennzahl

Wert

Hauptsitz (Konzern)

Würzburg

Umsatz 2017 (Konzern)

434 Millionen Euro

EBIT 2017 (Konzern)

20,4 Millionen Euro

Mitarbeiter (Konzern)

1.457

CIO

Position im Konzern
nicht vorhanden

Bereichsleitung IT

Laura Giesübel-Sauer

IT-Mitarbeiter

33

IT-Anwender

1.050

IT-Budget

k.A.

Strategische Ausrichtung (Konzern)

Zentralisierung (1= sehr zentral, 5 = sehr dezentral)

3

Standardisierung (1= sehr standardisiert, 5 = best of breed)

2

Outsourcing (1= viel Outsourcing, 5 = wenig Outsourcing)

4

Digitalisierungsgrad (1= sehr digitalisiert, 5 = weniger digitalisiert)

4