Hersteller folgen dem Handel

Häppchenweise mit IT wachsen

19.06.2006 von Gudrun Weitzenbürger
Die Nahrungsmittelbranche erwirtschaftet knapp 120 Milliarden Euro Umsatz im Jahr. Und doch arbeiten Nahrungsmittelhersteller wie in keiner anderen Branche mit veralteten Methoden. Zu RFID und anderen neuen Technologien treibt sie höchstens der Handel.

Mit dem Ernährungsgewerbe geht es stetig aufwärts. So will es zumindest das Statistische Bundesamt wissen. Schwankungen sind hier deutlich geringer als etwa im Maschinenbau, der Zuwachs liegt bei einem Prozent jährlich, und für das Jahr 2006 werden Umsatzsteigerungen von 1,5 Prozent erwartet. Gerade auf dem Markt der Tiefkühlkost ist durch die steigende Anzahl der Single-Haushalte noch keine Sättigung erreicht.

Jeder Vierte modernisiert

Während das Management satte Gewinne einfährt, denkt die IT über Modernisierungen nach. Die Studie „IT in der Konsumgüterbranche 2006“ der in Frankfurt herausgegebenen „Lebensmittelzeitung“, kurz LZ, unterstreicht den Drang nach Veränderung in den IT-Abteilungen der Nahrungsmittelindustrie: 26 Prozent der Manager planen das Warenwirtschaftssystem in den nächsten zwei Jahren zu modernisieren und auch Waren nicht mehr manuell und auf dem Papier zu bestellen. Man gehe dazu über, meint Jochen Kuhnert, Partner beim Beratungshaus Deloitte, Standardlösungen einzusetzen. Diese werden von großen Systemhäusern wie SAP oder Oracle angeboten.

End-to-End-Lösung entscheidend

Doch die Nahrungsmittelindustrie hat einen wunden Punkt: Das ist ihre Abhängigkeit von den Preisen für Rohstoffe und deren kurzer Haltbarkeit. „Eine Banane kann ich heute essen, aber morgen ist sie verdorben“, sagt Andrew Thorndike, Geschäftsführer im Bereich Konsumgüter und Handel des Beratungshauses Accenture in Kronberg. Die größte Herausforderung für den CIO in den kommenden Jahren sei es denn auch, eine optimale „End-to-End-Lösung“ zu finden, erläutert der Analyst Thorndike, „die vom Kunden des Kunden bis zum Lieferanten des Lieferanten greift. Jeder Hersteller von Nahrungsmitteln hat eine drei- bis vierstellige Anzahl von Artikeln. Da ist die Transparenz in der Lieferkette sehr wichtig.“

Ein Kontrollinstrument bei der Beschaffung von Rohstoffen und dem Vertrieb der Produkte ist das Absatzprognosesystem. Damit kann das Unternehmen flexibel auf Kundenwünsche eingehen und das Herstellen von Joghurt, Kartoffelchips oder Tiefkühlpizza planen, steuern und optimieren. Wie in keiner anderen Branche entscheidet der Produktionsprozess über die Höhe des Umsatzes. Deshalb planen hier 28 Prozent der IT-Entscheider Ersatzbeschaffungen und Erstinvestitionen, so ein weiteres Ergebnis der LZ-Studie.

Es sind weitestgehend mittelständische Unternehmen, die Nahrungsmittel produzieren und damit insgesamt – Handel und Industrie zusammengenommen – einen Umsatz von 117,8 Milliarden Euro erwirtschaften, wovon 9,7 Prozent auf die Produzenten fällt. Angeführt wird das Ranking von der Fleischindustrie, den milchverarbeitenden Unternehmen, der Getränkeindustrie und den Süßwarenherstellern. Die Tiefkühlkost nimmt einen vergleichsweise geringen Teil ein, hat aber mit drei Prozent die höchsten Wachstumssteigerungen für 2006.

Die Umfrage der Lebensmittelzeitung ergab, dass der CIO die Entscheidungen über künftige IT-Lösungen oft zusammen mit den Fachbereichen trifft: Zu 80 Prozent ist die IT-Abteilung an der Planung neuer IT-Lösungen beteiligt, immerhin zu 60 Prozent die Fachabteilungen. Auch die Umsetzung ist oft Sache der Haus-IT (73 Prozent). Systemhäuser und Softwareanbieter sind jedoch mit 60 Prozent ebenfalls unterstützend dabei, an der Planung sind sie nur zu 38 Prozent beteiligt. Bei der Umsetzung sind Fachabteilungen nur in knapp jedem zweiten Projekt dabei. Ein Manko sehen die Befragten im unübersichtlichen Markt: 40 Prozent gaben an, keinen Überblick über die Anbieter von IT-Lösungen zu haben. Der Markt sei nicht transparent genug, bemängeln die IT-Verantwortlichen. Das Budget für die IT liegt zwischen einem und drei Prozent des Umsatzes, so die Einschätzung des Branchenexperten Kuhnert.

Lieblingsthema der Presse ist „RFID“, die künftigen Funketiketten in den Regalen der Supermärkte. „Der Handel forciert die Einführung, doch die Nahrungsmittelhersteller bremsen den Tatendrang“, kühlt Kuhnert die erhitzten Gemüter ab. Auch auf die Frage der Studienverfasser, ob und wo RFID-Technologien in Zukunft eingesetzt werden, gaben sich die befragten Unternehmen pessimistisch: Nur ein Prozent hat die neue Technik auf den Verpackungen umgesetzt, und lediglich bei den Transportpaletten haben elf Prozent der Unternehmen bereits umgerüstet.

Einfacher Grund für das „No“ der Branche sind die Kosten für die neue Technologie. Die soll sie nämlich alleine tragen und lässt sich deshalb Zeit mit der Umsetzung. Selbst von der EU lässt sie sich nicht unter Druck setzen.Die Politiker in Brüssel fordern die „Rückverfolgbarkeit“ beispielsweise des Steaks, das der Kunde aus dem Supermarkt nach Hause trägt.Auf dem Etikett kann man so „nachlesen“, wo das Stück Fleisch gekauft wurde, wer die Kuh geschlachtet und wo die Kuh gestanden hat. Für den Kaufmann der Zukunft sind dies leicht abfragbare Daten bei einer Reklamation – doch für Nahrungsmittelhersteller bedeutet dies hohe Zusatzposten auf der Kostenseite der Bilanz.