Mobility-Messe 3GSM

In Barcelona funkt’s

13.02.2007 von Johannes Klostermeier
Derzeit blockieren Sicherheitsbedenken und gespitzte Bleistifte der IT-Manager den Markt für das Enterprise-Segment. Trotzdem erwarten Analysten zweistellige Wachstumsraten für Unternehmensanwendungen.

Auf dem 3GSM World Congress 2007 vom 12. bis 15. Februar in Barcelona wird ihnen wieder der rote Teppich ausgerollt werden: Mobile Geräte wie PDAs, Laptops, Handys und Smartphones stehen in der katalanischen Hauptstadt im Mittelpunkt. Der Zuspruch ist ungebrochen: 2004 musste der Kongress aus Cannes umziehen, weil der Veranstaltungsort, das Palais an der Croisette, wo auch die Filmfestspiele stattfinden, an die Grenzen seiner Kapazität gestoßen war. 2006 kamen über 50 000 Menschen. Doch trotz dieser Besucherzuwachsraten dämpfen Analysten in Europa noch ein wenig die allzu optimistischen Gefühle vieler Hersteller. „Mobile Enterprise Solutions bleiben auf absehbare Zeit ein Nischenmarkt“, sagt Arno Wilfert, Leiter des Bereichs TIME Practice bei Arthur D. Little (siehe Gastkommentar).

Mobility hat sich noch nicht so durchgesetzt, wie vor Jahren prognostiziert. Hieß es früher: „Sie können das Notebook wegschmeißen, alles geht auf den PDA“, sind die Marketingtöne jetzt etwas besinnlicher geworden. Denn Spielereien, die den Consumer beeindrucken, ziehen im Business-Bereich nicht. Es fehlt aus Sicht vieler Firmenchefs an sinnvollen Einsatzgebieten im Markt. „Wenn man die Unternehmen fragt, warum sie bisher nicht auf Mobility setzen, dann spielt eine große Rolle, dass sie die Anwendungssituation noch nicht sehen, dazu kommen die hohen Kosten, und dann ist das Thema Sicherheit ganz entscheidend“, sagt Frank Heuer, Senior Analyst bei TechConsult. Viele IT-Leiter sind nach wie vor verunsichert von den Sicherheitsdebatten der vergangenen Jahre. Sicherheit ist heute aber ein absolutes Muss-Kriterium. Viele, die es eigentlich besser wissen müssten, reagieren aber bei diesem Thema etwas kopflos. Von regelrechter „Paranoia bei CIOs“ berichtet Nick Jones, Mobility-Experte bei Gartner. Heuer: „Es gibt bei manchen sogar Befürchtungen, wenn WLAN über VPN abgesichert ist.“

Allerdings sehen wir im Markt noch längst nicht alles, was geht. Über die Themen Mobile E-Mail und Personal Information Management (PIM) für die Verwaltung von Kontakten, Aufgaben, Terminen und Notizen sind viele Firmen noch gar nicht hinausgekommen. Thomas Reuner von IDC nimmt die CIOs aber ausdrücklich in Schutz, wenn er sagt: „Wir hören oft, dass der CIO sich wandeln müsse. Doch sind IT-Chefs einfach vorsichtig geworden. Sie glauben nicht mehr allen Versprechungen, sondern warten ab, bis die Lösungen gereift sind, weil sie sich halt mit den Kinderkrankheiten nicht mehr herumschlagen wollen.“

Wolfgang Funk, Senior Advisor der Experton Group, nennt die aktuellen Zahlen aus einer noch unveröffentlichten Untersuchung der Beratungsfirma: 90 Prozent der mobilen Anwendungen in Deutschland entfallen auf PIM und das Abrufen von E-Mails von unterwegs, 16 Prozent verfügen über Mobile CRM, und nur zehn Prozent haben eine Anbindung an ihr ERP-System geschaffen. Zwar haben sich die Hersteller durch UMTS einen Schub versprochen, doch es bleibe, so Funk, immer noch die Frage nach dem Bedarf und dem Nutzen bei den Anwendern.

Laut TechConsult stieg in Unternehmen ab 200 Mitarbeitern die Zahl der UMTS-Nutzer inklusive der Nutzer des neuen bis zu 14,4 Mbit/s schnellen UMTS-Übertragungsprotokolls HSDPA (High Speed Downlink Packet Access) von 112 000 im Jahr 2005 zwar auf 189 000 im Jahr 2006, doch erscheint diese Summe im Vergleich zu den potenziellen Anwendern und zu den „normalen“ Mobiltelefonbesitzern insgesamt immer noch verschwindend gering. Die Nutzung von WLANs schreitet allerdings unaufhörlich weiter voran. Hatten im Jahr 2004 erst 30 Prozent aller deutschen Firmen mit über 200 Mitarbeitern ein Funknetz in Betrieb, stieg die Zahl Ende 2006 auf rund 45 Prozent. WLAN und UMTS/HDSPA seien die beiden mobilen Technologien, denen die Zukunft besonders im Business-Sektor gehört, sind die Berater von TechConsult überzeugt.

Return on Invest ist ein Fremdwort

Die deutschen Unternehmen schneiden in einem europäischen Mobilitätsvergleich der Marktforscher von Coleman Parkes Research noch vergleichsweise gut ab. Doch die Studie kritisiert auch: „Zwar wird in europäischen Unternehmen immer öfter mit mobilen Geräten gearbeitet, eine richtige Strategie ist hinter dem ständigen Zukauf von Handhelds aber nicht erkennbar.“ Die Kosten für Laptops, PDAs und Co. werden in den Firmen selbst nämlich kaum gemessen, vom Return of Investment (RoI) ganz zu schwiegen. Tatsächlich konnte bei der Befragung jedes zweite Unternehmen nicht angeben, wie viel Prozent des IT-Budgets eigentlich für kabellose Technologien und Geräte ausgegeben wird. Das macht den IT-Verantwortlichen offensichtlich nicht viel aus. Denn trotzdem erklärten mehr als die Hälfte der von Coleman Parkes Befragten, sie wollten in den kommenden drei Jahren mehr Geld für Mobile Devices ausgeben. Das freut die Hersteller zwar, doch sie müssen auch Kritik einstecken.

Gerade die Mobilfunknetzbetreiber würden sich zu wenig um ihre Business-Kunden kümmern, kritisierten IT-Chefs großer Unternehmen bei einem Roundtable-Gespräch der „CIO“-Schwester-Publikation „Computerwoche“ 2006. Immer noch würde der Consumer-Markt angepeilt. Wo die Geräte zu viele sicherheitsrelevante Features aufwiesen, fehlt es auf der anderen Seite an firmenmäßig zugeschnittenen Paket-, Anwendungs- und Abrechnungslösungen. Thomas Reuner von IDC kann diese Haltung der Hersteller nicht verstehen: „Wenn etwa die Deutsche Bank sagt, wir führen für alle Mitarbeiter einen PDA ein, ist der Aufwand doch viel geringer als der, den man betreiben müsste, um diese Zahl privat zu erreichen. Vom Massenmarkt bietet der Unternehmensmarkt sehr viel mehr als der Konsumentenmarkt. Auch weil die Hersteller und Netzbetreiber damit gleich viele andere Lösungen verbinden könnten.“

Doch auch wenn der Angestellte als Consumer angesprochen, umworben und umschmeichelt wird, wird er in seiner Eigenschaft als Mitarbeiter zum Propagandisten für neue Technologien – auch die, die der CIO am liebsten nicht im Unternehmen sähe. Denn in vielen Firmen tragen die Mitarbeiter ihre Geräte ins Unternehmen und schließen sie einfach an. Die IT-Abteilung leistet auch noch „stillen Support“. Doch alles, was durch die Hintertür kommt, birgt bekanntlich ein hohes Sicherheitsrisiko und potenziell bedrohlich hohe Kosten. Etwa, wenn es dadurch zu Unkompatibilitäten mit den vorhandenen Systemen kommt.

Wie wird sich der Markt weiterentwickeln? Die Experten sind sich eigentlich einig: Mobility bleibt ein Thema. Doch für einzelne Branchen ist die Bedeutung unterschiedlich. Der Logistiksektor, öffentliche Hand, Pharma- und Technologiefirmen wollen viel investieren. Am unteren Ende stehen das Gesundheitswesen, Schulen und Hochschulen sowie Versicherungen. Die geplanten Investitionen hängen aber nicht von der Größe der IT-Abteilung oder des Unternehmens selbst ab. Der Markt für Mobile Enterprise Solutions wird, so Arthur D. Little, im Jahr 2009 766 Millionen Euro betragen, was einer durchschnittlichen Wachstumsrate von 18 Prozent entspricht (vgl. Gastkommentar Seite 50). Der Markt wächst langsam, aber stetig: Wurden in Jahr 2004 laut TechConsult in Firmen mit mehr als 200 Mitarbeitern 1,7 Millionen Notebooks eingesetzt, stieg ihre Zahl bis Ende 2006 schon auf 2,1 Millionen – ein Zuwachs um 24 Prozent. Nutzten 2004 nur zwei Prozent der Firmen UMTS, waren es ein Jahr später schon 27, und Ende 2006 will jede dritte Firma breitbandigen Mobilfunk verwenden. Die Player im Business-Markt für mobile Endgeräte im Handysektor sind dabei laut Gartner vor allem Nokia, Motorola und Samsung (sogenannte „Powerhouses“). Die Telecomindustrie befindet sich dabei mitten in einer massiven Umwandlungsphase. Grundlegende Veränderungen in der Benutzung der Infrastruktur zwingen sie dazu, sich in einem noch nie da gewesenen Tempo anzupassen. Dazu kommt der große Konkurrenzdruck während der gleichzeitigen Suche nach neuen Einkommensquellen.

Angebote zu früh und unspezifisch

„Wenn man sagt, der Markt nimmt die Lösungen noch nicht ab, liegt die Betonung auf ‚noch nicht’“, meint Thomas Reuner. Und Frank Heuer ergänzt: „Das Thema hat seine maximale Reife noch nicht erreicht. Neue Technologien werden immer besser angenommen, der weitere Ausbau der Systeme und Netze ist angekündigt. So können Außendienstler, wenn Web-Conferencing auch auf mobile Geräte ausgedehnt wird, an internen Konferenzen teilnehmen. Es kommt Quadruple Play (Festnetz und Mobilfunk, Fernsehen und Breitband, Anm. der Red.), wo Videoübertragung integriert ist. Und es wird neue Anwendungen in Hinsicht auf die Virtualisierung der Arbeitsumgebung geben.“ Das kann aber noch etwas dauern: „Wenn wir aber über Lösungen reden, sind wir in einer viel jüngeren Entwicklungsstufe. Manchmal sind die Angebote einfach zu früh und zu unspezifisch“, meint Reuner.

Russel Green, unabhängiger Consultant für Mobility-Themen in Hamburg, war bei Microsoft mit der Entwicklung der Tablet PCs beschäftigt. Heute versucht er andere mit seiner Begeisterung auch für Mobilität anzustecken. Doch seine Arbeit umfasst mehr als das Marketing für die neue Technologie, gleichzeitig will er mit Mindmapping und Web-Conferencing neue Ideen und Werkzeuge für mehr Produktivität verkaufen. Die wahre Killerapplikation liegt nicht in E-Mails unterwegs, sondern in Lösungen, die Menschen in ihrer täglichen Arbeit wirklich gebrauchen können. Deshalb boomt Mobility in speziellen, ganz unspektakulärenBereichen wie bei der Bestellung im Restaurant, im Taxi oder im Bereich Salesforce-Automatisation. Und wenn Mobilität in der Praxis doch einmal noch ein wenig holpert, dann nimmt Green es zumindest mit amerikanischem Pioniergeist und Humor, wie bei der Web-Conference mit dem Autor dieses Artikels. Was in deutschen Firmen manchmal fehlt.

Anzahl mobiler Mitarbeiter wächst

Klar ist, dass der Anteil der mobilen Mitarbeiter immer stärker wächst, während der Back-Office-Anteil konstant bleibt oder sinkt. TechConsult-Mann Heuer macht die Bedeutung des Themas Mobility an einem Alltagsbeispiel aus dem Vertrieb klar. Es ist wichtig, dass man beim Kunden professionell auftritt. „Wenn ein Verkäufer mit einem dicken Katalog kommt und ein Wettbewerber per PC aktuelle Daten, Preislisten und Verfügbarkeiten abfragen kann, dann kann man sich leicht ausrechnen, wer beim Kunden die besseren Karten hat.“

Mobility sei insgesamt „ein wachsender Markt, vor allem in zeitsensitiven Märkten“, so Nick Jones von Gartner. Bei Befragungen unter CIOs („Gartner’s 2006 Survey“) aus dem Oktober vergangenen Jahres kommt es bei dem Beratungshaus derzeit unter die TOP 3 der wichtigsten Themen des Jahres vor BI und Sicherheit. „Als Nächstes sehen wir die Konvergenz zwischen mobilen Geräten und dem Internet. Auf jedem Handy wird man Zugriff auf das Internet haben; es wird sich zu einem PC in der Tasche entwickeln, kann ihn aber nicht ersetzen“, sagt Jones. Und auch die letzte gute Nachricht kommt von Gartner: „Bald werden sich auch die Mobilfunknetzbetreiber entscheiden, was sie werden wollen, wenn sie einmal erwachsen sind.“