Analysten-Kolumne

IT-Architekturen richtig strukturieren

28.07.2005 von Jens Niebuhr und Andre Scholz
Das Business besser unterstützen und gleichzeitig die IT-Kosten im Griff behalten - dieser Spagat zwingt CIOs zu kontinuierlichen Anpassungen und Flexibilisierungen ihrer IT-Architekturen. Der Weg zur optimalen Zielarchitektur führt über ein strukturiertes Funktionsmodell.

Zu den wesentlichen Elementen einer IT-Strategie gehört neben der Governance und den Steuerungsmodellen die IT-Architektur. Ist sie nicht auf die Geschäftsanforderungen ausgerichtet, kann das Unternehmen massive Wettbewerbsnachteile erleiden oder ist sogar in seiner Existenz bedroht, wie das Beispiel des Flughafens Denver zeigt: Eine unzureichende IT-Architektur war einer von mehreren Faktoren, die den gesamten Abfertigungsprozess für 16 Monate zum Erliegen brachten und so einen Schaden von rund zwei Milliarden US-Dollar verursachten.

Hohe Anforderungen an die Flexibilität

Aufgabe der IT-Architektur ist es, die Kerngeschäfts- und Querschnittsprozesse wirksam zu unterstützen und dabei die unternehmerische Flexibilität und Effizienz der IT-Kostenstruktur zu wahren. Weil Unternehmensstrukturen heute durch Reorganisationen, Outsourcing oder Akquisitionen kaum länger als sechs Monate unverändert bleiben, sind die Anforderungen an die Flexibilität der IT-Architektur besonders hoch. Lang laufende IT-Transformationsprojekte sind bei organisatorischen und prozessualen Änderungen nicht mehr akzeptabel – sie müssen vielmehr in Echtzeit vorgenommen werden.

Darüber hinaus spielen IT-Komponenten auch bei den Endkundenprodukten eine immer wichtigere Rolle, zum Beispiel bei IP-basierter Telefonie oder Online-Banking. Deshalb muss eine leistungsfähige Architektur auch die Produkt-IT optimal in die Gesamtarchitektur einbetten und so zur Optimierung von Time-to-market und Kosten beitragen.

Allerdings reichen die traditionellen Architekturkonzepte nicht aus, um diesen Anforderungen gerecht zu werden. In den letzten Jahren kam es verstärkt zum Einsatz hoch integrierter Standard-Softwareplattformen. Sie erschweren jedoch wegen ihrer Starrheit schnelle Anpassungen der Funktionen und Prozesse und begrenzen damit den Spielraum für produktseitige Veränderungen. Die dafür erforderlichen flexiblen, Komponenten orientieren Architekturen sind bisher nur in wenigen Unternehmen zu finden.

Nicht mehr ohne integrative Konzepte

Kein Standardsoftware-Anbieter würde seine Produkte heute noch ohne Middleware-Technologien gestalten. Selbst das hoch integrierte SAP R/3 greift mit Erfolg darauf zurück. Alle diese Konzepte werden derzeit durch die Hersteller unter dem nicht normierten Label Service-orientierte-Architekturen (SOA) vermarktet.

Die verfügbaren Technologien sind jedoch in ihrer Leistungsfähigkeit nicht gleich und arbeiten auch unterschiedlich gut mit einzelnen Systemplattformen zusammen. Eine "One size fits all“ - Lösung für die gesamte Unternehmens-IT ist nicht in Sicht. Gezielt eingesetzte Middleware kann jedoch in vielen Architekturbereichen zu wesentlichen Kosteneinsparungen beitragen. Das trifft besonders in einem heterogenen, aber stark vernetzten Anwendungsumfeld zu, wie es beispielsweise für den Betrieb von Telekommunikationsnetzen erforderlich ist. Hier lassen sich Betriebsfunktionen wie Plattform-Monitoring, Trouble Ticketing oder Service Level Management flexibel miteinander verbinden. Starre Schnittstellen, die bei Prozessanpassungen hohe Kosten nach sich ziehen, entfallen dadurch.

Doch so wichtig wie die kontinuierliche Justierung einer bestehenden IT-Architektur für den Erfolg eines Unternehmens ist, so häufig ist sie auch mit einer Reihe von Schwierigkeiten verbunden:

- Hohe Kosten für die Anpassung speziell ausgeprägter unternehmenskritischer Altanwendungen.

- Überlappung von Funktionalitäten zwischen den einzelnen Systemplattformen, zum Beispiel bei heutigen CRM- und ERP-Systemen.

- Ungesicherte Tragfähigkeit moderner Middleware-Technologien, insbesondere für die Übertragung größerer Datenmengen.

- Effektives Change Management innerhalb eines Unternehmens.

Auch wenn die Erneuerung der IT-Architektur mit vielen technischen Fragestellungen verbunden ist, so muss sie letztlich von der Business-Seite her initiiert werden. Angesichts der Größe der Aufgabe sind daher starke Sponsoren und ein systematisches Vorgehen zwingend erforderlich.

IT-Architektur systematisch aufbauen

Ein systematischer Ansatz geht von den relevanten Business-Anforderungen aus und schließt mit einer realistischen Migrationsplanung.

Im ersten Schritt sind die für das Unternehmen wesentlichen Markt- und Geschäftsentwicklungen zu strukturieren. Hier geht es darum zu verstehen, welche Geschäftsprozesse und Produkte zukünftig durch die IT unterstützt werden müssen. Davon sind die funktionalen, zeitlichen und sonstigen Implikationen auf die Architektur abzuleiten.

Dabei kann es sich etwa um die Berücksichtigung von Partnering-Schnittstellen oder den Aufbau von Mandantenkonzepten handeln. Anschließend wird die Zielarchitektur auf Basis eines systemneutralen, funktionalen Modells gestaltet. Hier sollte möglichst auf in-dustriespezifische Standardmodelle zurückgegriffen werden, zum Beispiel eTOM/ITIL im Telekommunikationsbereich. Ein solches Modell berücksichtigt alle durch die IT abzudeckenden Funktionen entlang der Geschäftsprozesse und auf den unterschiedlichen Funktionsebenen.

Der Weg zur Zielarchitektur muss über eine quantifizierbare Maßnahmenplanung mit konkreten Meilensteinen und Zwischenergebnissen aufgezeigt werden. Dabei sind Instrumente zur Architekturmigration stets im gesamten Projektportfolio zu führen, damit Synergiepotenziale gehoben werden können. Erfahrungsgemäß lässt sich nur über diesen Weg ein positiver Business Case für ein Gesamtprogramm zur Architekturerneuerung erreichen.

Besser heute als morgen handeln

Aktuelle Markt- und Produkttrends setzen die CIO-Organisationen massiv unter Druck. Unternehmen mit einem hohen IT-Anteil oder Unternehmen mit großen und starren Legacy-Anwendungen sind besonders betroffen. Bereits heute leiden diese Unternehmen unter Wettbewerbsnachteilen, wenn eine starre IT-Architektur das Abschöpfen von Kostensenkungspotenzialen und eine schnelle Reaktion auf neue Geschäftsanforderungen hemmt.

Da Veränderungen starrer Architekturen saubere Vorbereitungen erfordern und nicht im Handumdrehen umgesetzt werden können, sollten CIOs besser heute als morgen die Zukunftssicherheit ihrer IT-Architektur untersuchen.

Jens Niebuhr ist Mitglied der Geschäftsleitung bei der internationalen Management- und Technologieberatung Booz Allen Hamilton. Vor seiner Tätigkeit bei Booz Allen Hamilton war Niebuhr u.a. bei IBM Deutschland tätig.

Dr. André Scholz ist Senior-Projektleiter im europäischen Informationstechnologie-Team von Booz Allen Hamilton. Seine Beratungsschwerpunkte liegen im Bereich strategische IT-Transformation des Finanz- und Telekommunikationssektors. Vor seinem Beratungseinsteig bei Booz Allen Hamilton war er u.a. mehrere Jahre für Siemens Information and Communications tätig.