ENTERPRISE APPLICATION INTEGRATION

Keine Angst vor EAI

04.03.2002 von Johannes Klostermeier
Alle IT-Anwendungen, -Systeme und -Endgeräte müssen nahtlos zusammenarbeiten, egal ob uralt oder neu entwickelt, ob stationär oder mobil, ob intern oder extern. Ziel ist eine kostengünstige, mitwachsende IT-Architektur in einem voll vernetzten Unternehmen. Und der Weg dorthin heißt Enterprise Application Integration.

WILD SEHEN die grafischen Darstellungen aus, die Übersicht in die gewachsenen Systemlandschaften vieler Unternehmen bringen sollen. „Spaghetti-Architektur“ nennen die Leidtragenden das Wirrwarr aus unzähligen Systemen, die es zu verbinden gilt: historische Cobol-Applikationen aus dem EDV-Fundus der Old Economy mit brandneuen E-Business-Anwendungen; über dreißig Jahre alte Großrechner samt „dummer“ Terminals mit intelligenten Abteilungs-Servern; stationäre PCs auf dem Schreibtisch mit mobilen Endgeräten, die breitbandig angebunden sind und schlank genug für die Westentasche. Daten und Anwendungen stehen für immaterielle Firmenwerte, Systeme für hohe Investitionen, Endgeräte für den Zugriff auf Daten und Anwendungen. Sie alle zusammenzuführen gehört zu den Kernaufgaben der IT. Viele CIOs lässt die Spaghetti-Landschaft indes schier verzweifeln. Ganze fünf Minuten referierte Ricardo Diaz-Rohr, damals CIO der Lufthansa Passage, auf dem von der Computerwoche veranstalteten Kongress „IT meets Business 2001“ darüber, warum es so schwierig sei, die Kunden per SMS über Verspätungen zu informieren. „Auf den ersten Blick eine triviale Sache.“ Doch eine einfache Rechnung zeigt die Komplexität des Unterfangens: Sind auch nur 15 Applikationen in einem Unternehmen vernetzt, so entstehen über 100 Schnittstellen, die die Software-Inseln miteinander verbinden. Im Schnitt, so die Meta Group, hat ein Global-2000-Unternehmen jedoch durchschnittlich 59 Applikationen im Einsatz. Diese ständig zu pflegen und anzupassen bedeutet einen immensen Aufwand.

 Die Lösung dafür heißt EAI, Enterprise Application Integration, und wird derzeit als das „interessanteste Thema im IT-Umfeld“ gehandelt. Die intelligente Middleware leistet mehr als frühere Übersetzungsprogramme, so genannte Messenger-Systeme.

 Dank dieser neuen Art der Integration können die Systeme nicht nur miteinander kommunizieren. Die Verknüpfung erfolgt sogar – und das ist ganz wichtig – semantisch korrekt. Ein einfaches Beispiel: Wenn in der einen Datenbank die Daten in der Reihenfolge Name, Vorname, Adresse abgelegt sind und in der anderen als Adresse, Name, Vorname, dann erkennen Lösungen mit einem hohen Integrationsgrad den Unterschied.

 EAI-Software integriert spezialisierte, oft getrennt voneinander entwickelte Anwendungen nahtlos und geschäftsprozessorientiert. Das Kunden-Management (Customer Relationship Management), die Verbesserung der Lieferkette (Supply Chain Management) und das EBusiness sind in der Regel die Treiber der EAI-Entwicklung. Daten über Bestände oder die Verweildauer im Lager fließen dann direkt ins Kunden-Management ein. In Callcentern etwa können Berater den Kunden dann exakte Auskünfte über Lieferzeiten geben.

 Wurde die IT-Integration in der Vergangenheit oft als technisches Problem betrachtet, so stehen heute eindeutig die Geschäftsprozesse im Mittelpunkt. „Die erhöhte Flexibilität, Zentralisierung und Standardisierung der Schnittstellen sowie die einfache Anbindung von unternehmensexternen Partnern bergen außerdem ein enormes Sparpotenzial“, sagt Detlef Glatzel, Partner Insurance bei Pricewaterhouse-Coopers (PWC). Komplette EAI-Lösungen spezialisierter Anbieter sind nach Schätzungen der Gartner Group um dreißig bis vierzig Prozent billiger als selbst gebastelte Lösungen nach dem „Make-Ansatz“ – Schnittstellenlösungen, die überdies den Spaghetti-Knoten nur weiter verkomplizieren.

 Die Integration spart langfristig nicht nur Kosten, sondern auch Zeit. In der Marktstudie „Softwaresysteme für EAI“, die das Fraunhofer-Anwendungszentrum Logistikorientierte Betriebswirtschaft in Paderborn zusammen mit Entory durchgeführt hat, stellen die Autoren fest: „Projekte, die bis dato eine Laufzeit von mehreren Monaten aufgrund der aufwendigen Integrationsproblematik hatten, sind mit EAI schon nach kürzerer Zeit fertig und marktreif.“

 Als Integrationsbeschleuniger dienen häufig Firmenzusammenschlüsse. Denn sie machen die Kommunikation ganz verschiedener Applikationen, Systeme und Datenbanken zwingend erforderlich. Auch wer mit immer mehr Partnern oder Lieferanten zu tun hat, ist glücklich darüber, wenn deren Programme mit den eigenen nahtlos und in Echzeit zusammenwirken.

 Allerdings fehlt oft eine geeignete Strategie. Bevor jedoch Unternehmen mit Kunden, Dienstleistern und Partnern in Kontakt treten können, müssen die Prozesse im eigenen Hause integriert werden. Viele Verantwortliche haben hier noch Nachholbedarf. Richard Nußdorfer, EAI-Experte und Geschäftsführer der Beratungsgesellschaft CSA-Consulting, sagt: „Viele kaufen Tools und überlegen sich dann, was sie damit anfangen können. Umgekehrt wäre es richtig.“

  „Die Unwissenheit der Firmen in Sachen EAI ist noch groß“, bestätigt auch Anita Liess, Analystin beim ITBeratungshaus Meta Group. Nur 15 Prozent der für die Studie „E-Business und Enterprise Application Integration: Der Schlüssel zum e-Erfolg“ befragten Untrenehmen konnten mit dem Begriff überhaupt etwas anfangen; nur 6 Prozent aller Firmen in Deutschland setzen bislang EAI-Software ein.

 „Viele lassen sich mit der Einführung Zeit und wollen kein Risiko eingehen“, sagt Nußdorfer, der die abwartende Haltung durchaus nachvollziehen kann. Denn EAI-Software und -Projekte gehen schwer ins Geld: Mit „Investitionen in Millionenhöhe“ für Software, Beratung (Implementierung) und Schulung müssen große Unternehmen (über tausend Mitarbeiter) laut Meta Group rechnen.

 Die hohe Marktdurchdringung von SAP R/3 ist ein weiterer Grund, warum EAI in Deutschland, verglichen mit den USA, ein bisher eher vernachlässigtes Thema ist. Rund siebzig Prozent der Unternehmen hierzulande setzen die ERP-Software aus Walldorf ein und sehen deswegen keinen Integrationsbedarf. „Irrtümlich wird angenommen, dass bei Verwendung von SAP-Produkten kein eigenständiger EAI-Ansatz nötig sei“, sagt PWCMann Glatzel. „Im Zeitalter von SAP haben viele Firmen ihre Geschäftsprozesse optimiert. EAI wäre jetzt der richtige nächste Schritt für die meisten“, sagt auch Liess.

 Der EAI-Markt ist stark in Bewegung, klare Gewinner gibt es noch nicht. „Die Produkte sind zum Teil noch recht jung, und es fehlen Erfahrungsberichte“, meint Nußdorfer. Doch die Zahl der Anbieter wird nach Expertenmeinung schrumpfen. Bis Anfang 2003 werden sich vier bis fünf Marktführer herauskristallisieren. Das ist eine gute Nachricht für CIO-Frühaufsteher: Weil alle EAI-Spezialisten um Marktanteile, wenn nicht gar ums Überleben kämpfen, sind Rabatte bis zu vierzig Prozent keine Seltenheit, weiß Meta-Group-Consultant Liess.

 Das Ende des Spaghetti-Zeitalters ist also eingeläutet. In den nächsten vier Jahren soll sich EAI in deutschen Unternehmen durchsetzen. Auch Lufthansa und Union Investment haben aus ihren Software-Inseln bereits so etwas wie Festland gemacht. Der Kitt, der die Inseln zu einem IT-Kontinent zusammenfügt, hat indes nie dieselbe Form und Farbe.

EAI-Beispiel Lufthansa Passage
EAI-Beispiel Union Investment