Klinikweites Steuerungssystem auf Basis einer Balanced Scorecard

Klinikum geht bei Controlling und Steuerung neue Wege

22.03.2006
Das Universitätsklinikum Aachen hat ein Business-Intelligence-System eingeführt, das medizinische, administrative, logistische und kaufmännische Daten zusammenführt und so eine krankenhausweite konsistente Informationsbasis schafft. Mit diesem System kann das Universitätsklinikum unter anderem die Kodierqualität steigern, das Mahnwesen verbessern sowie eine Leistungsprognose und -kontrolle vornehmen.

Die deutschen Krankenhäuser erleben einen rasanten Wandel der Rahmenbedingungen: Die Einführung des Fallpauschalengesetzes hat den stationären Sektor grundlegend verändert. Ambulante Operationen und stationsersetzende Maßnahmen bekommen eine neue Bedeutung. Angesichts beständig rückläufiger finanzieller Mittel sind die Krankenhäuser zu bislang nicht bekannten Veränderungen gezwungen. Dieser Entwicklung musste sich auch das Universitätsklinikum Aachen (UKA), mit etwa 6.300 Beschäftigten in 33 Kliniken und 21 Instituten eines der größten deutschen Krankenhäuser, stellen.

Daher entschied sich das UKA für den Aufbau einer Balanced Scorecard, die auf einem klinikweiten Business-Intelligence-System des Software-Anbieters SAS basiert. Die ersten Projekte im Rahmen des neuen Managementkonzepts waren der Aufbau des Fallpauschalen- und des Personalkosten-Controllings sowie Auswertungen aus dem SAP-Umfeld wie zum Beispiel die Investitionssteuerung oder Materialwirtschaftsanalysen.

Babylonisches Sprachgewirr

Die größte Schwierigkeit für das UKA lag früher in der fehlenden Konsistenz der Daten: Die Lösungen für das interne Berichtswesen im UKA waren ausgesprochen heterogen, denn neben den operativen Systemen, die bereits stark harmonisiert sind, gab es auch Access-Datenbanken, mit Excel oder selbst programmierten Anwendungen. Volker Lowitsch, CIO des UKA: „Früher hatten wir hier im Haus eine Art babylonisches Sprachgewirr. Die Anwender nutzten für die gleichen Informationen unterschiedliche Quellen, für Begriffe wie ‚Fallzahl’ oder ‚Notfall’ gab es je nach Anwendung und Abteilung unterschiedliche Definitionen. Dies hatte zur Folge, dass der Vorstand zum Teil mit widersprüchlichen Berichten versorgt wurde.“

Eine weitere Herausforderung ergab sich, als innerhalb kürzester Zeit ein Fallpauschalen-Controlling aufgebaut werden musste. Um dieses Berichtswesen von Anfang an auf eine solide und konsistente Datenbasis zu stellen, beschloss das UKA, ein Data Warehouse einzuführen. Im Vordergrund stand dabei die Zusammenführung der verschiedenen Daten in einem einheitlichen Auswertungssystem. In diesem Zusammenhang waren als weitere Punkte die Datenqualität und das schnelle Erstellen von Berichten von großer Bedeutung.

Ein wichtiges Kriterium bestand in der Fähigkeit, Daten aus den vorhandenen SAP-Modulen zu extrahieren und auszuwerten. Im Einsatz befinden sich unter anderem SAP-Module für Finanzwirtschaft, Controlling, Personalverwaltung und Materialwirtschaft. Das UKA legte Wert auf ein möglichst flexibles System, mit dem die Anwender Daten aus allen relevanten Quellen für Auswertungen heranziehen können. Hier spielt das KIS medico//s eine tragende Rolle. Da das UKA über SAP nur eingeschränkt auf das KIS zugreifen konnte, musste die neue Lösung in der Lage sein, mit beiden Systemen zuverlässig zu arbeiten.

Nach einem intensiven Auswahlverfahren, bei dem insgesamt sechs Anbieter begutachtet wurden, entschied sich das UKA für SAS. Der Grund: Der Anbieter verfügt über ausgesprochen flexible Extraktionsprogramme und sehr gut nutzbare Schnittstellen zu anderen Systemen. Zwar wäre die Auswertung von SAP-Daten grundsätzlich auch mit dem SAP Business Warehouse möglich gewesen, doch hätte dies für die IT-Abteilung einen zu hohen Parametrisierungsaufwand bedeutet. Zudem hätte das UKA den Zugriff auf verschiedene Quellsysteme mit einer reinen SAP-Lösung nicht so effizient realisieren können.

Für den Business-Intelligence-Spezialisten sprach außerdem die Möglichkeit, mit Hilfe der Lösung Strategic Performance Management (SPM) die geplante Balanced Scorecard (BSC) auf eine tragfähige Informationsbasis zu stellen. Seit 2005 befindet sich im UKA eine strategische BSC im Einsatz, welche die Anwender aus dem Vorstand sowie die Klinikleiter mit Kennzahlen zur Steuerung ihres Aufgabenbereichs versorgt. „Da alle Kennziffern, etwa zu Fallzahlen oder zur Patientenzufriedenheit, aus SAS-Berichten stammen, haben wir mit der BSC ein hohes Maß an Integrität und Konsistenz erreicht“, sagt Lowitsch. Sämtliche Berichte werden in einem zentralen Informationsportal veröffentlicht, wo sie den Anwendern aus dem Patientenmanagement, dem Medizin- und Finanz-Controlling sowie den Fachabteilungen und Kliniken zur Verfügung stehen.

Lowitsch lobt die Geschwindigkeit, mit der sich selbst komplexe Abfragen durchführen lassen. „Während die Anwender vor der Einführung des Data Warehouse häufig Wochen oder sogar Monate auf Berichte warten mussten, braucht die IT-Abteilung jetzt für den größten Teil der Anfragen weniger als vier Stunden. Dies hat zur Folge, dass unsere Reaktionszeiten deutlich gesunken sind. Ein Oberarzt oder ein Klinikdirektor kann heute sehr viel früher steuernd in Prozesse eingreifen, wenn sich ungünstige Entwicklungen abzeichnen. Zum Beispiel, wenn die Operationssäle nicht wirtschaftlich sinnvoll ausgelastet sind“.

Prozessoptimierung im medizinischen Controlling

Dem Bereich „Medizinisches Controlling“ kommt bei der zunehmenden betriebswirtschaftlichen Orientierung des UKA eine entscheidende Rolle zu. Der Geschäftsbereich ist zuständig für das Controlling der Kodierung und der Dokumentation der angefallenen Leistungen, die nach umfassenden internen Kontrollen zur Abrechnung mit den Krankenkassen freigegeben werden. Je präziser und schneller die DRG-Kodierung durch das UKA erfolgt, um so frühzeitiger kann das Klinikum seine Leistungen mit den Krankenkassen verrechnen.

Ein konkretes Beispiel dafür, wie das UKA vom neuen Business-Intelligence-System profitiert, ist die Kontrolle der Kodierqualität. So wurden beispielsweise für eine große konservative Abteilung gezielt jene Patienten ermittelt, die in DRGs gruppiert worden waren, die durch Schweregrad-Splits unterteilt sind. Die Bewertung dieser DRGs ist von der Anzahl relevanter Begleiterkrankungen oder Komplikationen abhängig. Per Abfrage wurden jene Patienten ermittelt, deren DRG durch weitere relevante Nebendiagnosen steigerungsfähig waren. Nach Überprüfung und Korrektur durch das Medizinische Controlling konnte im exemplarisch untersuchten Monat ein Zugewinn von elf Casemix-Punkten erzielt werden. Auf das gesamte Jahr bezogen entspricht dies 132 Casemix-Punkten und damit bei einem Basisfallwert von 3.000 Euro einem Mehrerlös von 396.000 Euro.

Ein erheblicher Mehrwert ergab sich bereits zu Beginn der Einführung durch die Hinterlegung eines eindeutigen Definitionskatalogs im Portal. Alle Kennzahlen (zum Beispiel Fallzahlen oder Notfälle) in den Berichten basieren daher auf denselben Grundlagen, und die Definitionen sind jederzeit einsehbar. „Ohne das neue System hätte das Management der DRG-Prozesse im UKA nicht so schnell und zielorientiert vorangetrieben werden können“, erklärt Prof. Dr. Walter Behrendt, Leiter des Geschäftsbereichs Medizinisches Controlling im UKA. „Wir rechnen täglich ein Volumen von rund einer Million Euro ab. Durch die schnellere Abrechnung sichern wir unsere Liquidität und senken unsere Zinsverluste deutlich.“

Schneller zur OP

Auch das Mahnverfahren ließ sich verbessern: Hier wurden Daten zum Patientenmanagement in medico//s und zur Finanzbuchhaltung in SAP mit der Software für das Mahnwesen verknüpft, so dass sich der Status der eingegangenen Zahlungen jetzt jederzeit nachvollziehen lässt. Durch einen automatisierten Bericht können die betroffenen DRG-Verantwortlichen der Fachabteilungen gezielt auf Verzögerungen aufmerksam gemacht werden. Damit hat das UKA erreicht, dass zum Jahresende 2005 von bisher ca. 40.000 stationär behandelten Patienten nur 200 Fälle (0,5 Prozent) nicht abschließend kodiert und in Rechnung gestellt sind.

Zudem erhält das medizinische Controlling tagesaktuell Berichte zu Kennziffern wie Fallzahlen, Verweildauer oder der mittleren Fallschwere der Patienten (Case Mix Index) und kann sich daraufhin ein Bild zur aktuellen Lage der erbrachten medizinischen Leistungen machen. Im „Daily Business“ des Krankenhausbetriebes wurden ebenfalls Verbesserungen erzielt – auch zum Wohle der Patienten. So zeigten Analysen Schwachpunkte bei der planbaren Auslastung der Operationssäle: Diese waren zum Teil überbelegt, andererseits gab es immer wieder Leerzeiten. Mit dem neuen System ließ sich die OP-Effizienz steigern, indem Wartezeiten minimiert und somit wirtschaftlich sinnvolle und patientenfreundliche OP-Belegungen sichergestellt wurden.

Für Behrendt liegen die Vorteile des einheitlichen UKA-Informationssystem klar auf der Hand: „Die Kodierungsprozesse und die Qualität der kodierten Daten wurden erheblich verbessert, was uns nachweisliche Kostenvorteile verschafft.“ Die Akzeptanz des neuen Berichtswesens beurteilt Behrendt als sehr gut: „Die Ärzte arbeiten gern mit dem System und sehen, dass es ihnen die ungeliebten Buchhalter-Aufgaben erleichtert.“ Woran Behrendt das festmacht? „Anfangs war ich der einzige, der mit dem System gearbeitet hat. Jetzt steigen die Zugriffsraten täglich.“



Mit der Einführung des Informationssystems spricht das UKA jetzt eine gemeinsame Sprache, alle Anwender und Abteilungen verwenden die gleiche Terminologie. Das System liefert absolut verlässliche Zahlen, die im ganzen Haus als nachvollziehbar und vertrauenswürdig gelten. Außerdem nimmt das Uniklinikum mit der Prozessoptimierung auf Data-Warehouse-Basis eine Vorreiterrolle unter den sechs Unikliniken Nordrhein-Westfalens ein: Diese haben sich für eine gemeinsame Koordination ihrer IT-Aktivitäten zusammengeschlossen – mit dem Ziel, Synergieeffekte zu nutzen, zum Beispiel, bessere Einkaufskonditionen zu erhalten und die Implementierungsgeschwindigkeit zu erhöhen.

Ralph Diermann, freier Autor aus München