MTU Aero Engines

Kraft aus eigenem Antrieb

31.10.2005 von Rolf Roewekamp
Eigene Beurteilungskompetenz im Haus aufbauen ist die Kernaufgabe von CIO Erwin Pignitter. Damit stemmt MTU millionenschwere Software-Monolithen und macht sich unabhängig von Dienstleistern.

Viele hatten ihm abgeraten. Mehrere Monate lang reiste CIO Erwin Pignitter rund um die Welt, sprach mit IT-Verantwortlichen und evaluierte das Vorhaben. Trotz aller Bedenken startete er 2004 die Totalintegration aller Entwicklungsdaten beim Münchener Triebwerkhersteller MTU Aero Engines – ein 20-Millionen-Euro-Vorhaben. „Das Projekt ist vor allem wegen des Abschaltens von sechs Altsystemen eine große Herausforderung“, weiß auch Pignitter.

Doch vor drei Jahren musste Pignitter entscheiden, wie er die extrem variantenreiche IT-Landschaft standardisieren wollte. Bis dahin setzte MTU in die Konstruktions-Software Catia von Anbieter Dassault ein. Weil aber die Hauptkunden wie die Triebwerkshersteller General Electric und Pratt & Whitney mit Unigraphics von Anbieter UGS Solutions arbeiten, entschied sich Pignitter für UGS. Diese Wahl erforderte zugleich die Einführung des UGS-Produktdaten-Managementsystems (PDM) Teamcenter.

Rund 350000 Modelle und Zeichnungen überträgt MTU in das PDM-System und rüstet 1200 Funktion um. Nach drei Jahren will die MTU Ende 2006 die Migration abschließen. „Allein die Daten zu konvertieren, dauert netto ein Jahr Rechenzeit“, deutet er die Dimension des Projekts „PLM2“ an. Außerdem muss er noch 3000 Anwender schulen; davon gelten 1500 als Heavy-User. „Am Ende bekommen wir einen durchgängigen Software-Monolithen, dann sind wir von A bis Z standardisiert“, sagt der gebürtige Österreicher. Liegt der Standardisierungsgrad momentan bei gut 70 Prozent, so will er ihn auf 80 Prozent steigern.

Ob Ende 2006 alles wunschgemäß läuft, bleibt bis zum Schluss eine spannende Frage. Denn auf unvorhersehbare Probleme wie nicht integrierbare Datengräber stößt man erst während eines solch großen Projekts. Doch Pignitter entschied sich damals trotz der Ungewissheiten für den Projektstart, weil er nach langer Vorbereitung die Risiken kalkulieren konnte: Beurteilungskompetenz heißt deshalb die entscheidende Qualifikation.

Diese Kompetenz basiert auf dem hohen IT- und Prozesswissen, das sich MTU aufgebaut hat und ständig erhöht. Ohne dieses eigene Wissen wäre das Unternehmen bald im Hintertreffen, denn von vielen externen Beratern erwartet man wenig substanzielle Hilfe. Die Politik diverser IT-Dienstleister sei es noch immer, Berater zu schicken, die nur Tagessätze kassieren aber zu wenig Wissen mitbringen. „Beurteilungskompetenz muss in der eigenen Mannschaft sein, sonst laufen wir mittelfristig in die Kostenfalle und müssen unter Umständen überhöhte Preise bezahlen“, erklärt Pignitter.

Eigenes Wissen baut die MTU-IT durch Job-Rotation auf. Quer zu der in fünf Segmenten aufgebauten funktionalen Struktur existieren vier Querschnittsteams als eine Matrix-Organisation. Diese Mannschaften organisieren den Informationsaustausch zwischen Basistechnologie und Applikationsseite. Die Anwendungsseite verbindet Pignitter wiederum eng mit dem Business: Die IT saugt Mitarbeiter aus dem Business ab und schickt sie später wieder ins Business zurück. „Ich rotiere ja selbst zwischen IT und Business“, sagt der gelernte Betriebswirt und frühere Prozessberater.

Die daraus erwachsende Beurteilungskompetenz braucht die IT für ein weiteres Riesenproblem aller CIOs – das Sizing: „Wie groß muss die Struktur sein, damit wir 5000 Anwender auf SAP umsatteln können?“, nennt er ein aktuelles Beispiel. Berater halfen ihm auch hier bislang nicht weiter, weswegen erst kürzlich wieder einer nach unbefriedigenden Diskussionen sein Büro verlassen musste.

Von den Walldorfern führt MTU die Wartungs-Lösung SAP MRO (Maintenance, Repair, Overhaul) für die Luft-, Raumfahrt- und Verteidigungsindustrie und als Ramp-up-Kunde den R/3-Nachfolger ECC 5.0 (ERP Central Component) ein. Wie auf der Entwicklungsseite will Pignitter auch hier einen Software-Monolithen und damit ein durchgängiges und einheitliches System schaffen. Damit unterstützt er eines der beiden bis 2010 gesetzten Unternehmensziele: MTU will bis dahin die Position als weltweit größter unabhängiger Maintenance-Betrieb ausbauen. Mit dem Projekt „PLM2“ unterstützt die IT das zweite Geschäftsziel: Marktanteile gewinnen und unverzichtbarer Subsystemanbieter bleiben.

Auf technischer Seite lautet dabei das Ziel, sowohl den SAP- als auch den PLM-Monolithen auf das Betriebssystem Linux zu migrieren. „Wir wollen alle Vorteile von Linux bezüglich Schnelligkeit und Stabilität erzielen und dauerhaft Low-Price-Hardware für den Betrieb einsetzen“, begründet Pignitter. Diese Schritte zu gehen heißt, die Beurteilungskompetenz in der Mannschaft stetig zu erneuern um im Wettlauf zu Best-Practice und Kostenführerschaft zu bestehen.

Neue Wege geht die MTU auch bei der Aufstellung zuvor outgesourcter Bereiche. So holte er den Help Desk wieder zurück, den MTU inzwischen billiger und qualitativ besser betreibt. „Man muss immer in der Lage sein, nach aktueller Preislage am Markt, auch raus gegebene Dienste wieder zurückzuholen“, erklärt Pignitter.

Auch das zurzeit an T-Systems vergebene Rechenzentrum muss nicht immer in fremden Händen bleiben. Durch die starke Automatisierung sparen Unternehmen hohe Personalkosten und könnten die IT wieder selbst billiger als Dienstleister betreiben, argumentiert der MTU-CIO. Kontrolle und Wissen über die Prozesse im Rechenzentrum hat MTU nie ganz aus der Hand gegeben. Nur die hohen Investitionskosten für ein zu schaffendes eigenes Rechenzentrum sind zugegebener Maßen ein Problem.