RFID im Handel

Lemmi geht funken

12.03.2007 von Johannes Klostermeier
Der Hersteller von Kindermoden Lemmi fashion ist Vorreiter beim Einsatz von RFID-Technik über die gesamte Supply Chain. IT-Chef Götz Pfeifferling berichtet, wie es dazu kam.

Götz Pfeifferling ist zurzeit ein sehr gefragter Mann auf allen RFID-Kongressen weltweit. Überall soll er erzählen, wie der Kindermodenhersteller seine Kleidung bereits bei der Fertigung mit RFID-Tags (Radio Frequenz Identifikation) ausstattet. Wie das Unternehmen jetzt bei Warenein- und -ausgang Geld und Zeit damit spart. Und wie schon bald Computer in den Geschäftsregalen den Kunden empfehlen sollen, was aus der Kollektion gut zu einzelnen Stücken passen könnte.

Dabei ist Lemmi fashion keiner jener Großkonzerne, die sonst bei jeder Technologie die Nase vorn haben. Es ist ein 1959 gegründetes mittelständisches Unternehmen aus dem nordhessischen Fritzlar, das rund eine Million Kleidungsstücke im Jahr in über 14 Ländern verkauft. „Wir lassen jedes Kleidungsstück in zwei bis drei verschiedenen Farben, zwölf verschiedenen Größen und Hosen in vier Bundweiten produzieren. 60 000 Varianten gibt es“, erzählt CIO Pfeifferling.

Ein großes Problem war, dass die Produktionsbetriebe in Ostasien nicht immer so zuverlässig gearbeitet haben, wie es sich Lemmi wünschte. „Wir verkaufen dem Handel immer komplette Kollektionen. Wenn auch nur ein Teil fehlt, können wir sie nicht mehr absetzen“, sagt Pfeifferling. Weil aber die Kindermodenfracht auf dem Seeweg ins deutsche Vertriebszentrum reist, vergingen immer fünf Wochen, bevor Kommissionierungsfehler und falsche Packlisten bemerkt wurden. Pfeifferling: „Wenn sich einer vertut, hat man ein Riesenproblem.“ Zudem mussten die Mitarbeiter die eine Million Stücke erst einmal zählen und einbuchen.

Dank RFID ist vieles viel einfacher geworden. Der Textilhändler lässt seit Juli 2005 alle Stücke in den asiatischen Produktionsstätten mit RFID-Tags versehen. In der Nacht werden die Daten ins ERP-System in Fritzlar eingespielt. „Wir wissen dadurch, welche Ware fertig verpackt ist. So merken wir schon beim Versand in Asien, wenn ein Stück fehlt. Das können wir dann nachproduzieren oder mit Luftfracht nachkommen lassen“, sagt Pfeifferling. „Wir können fünf Wochen früher reagieren. Das ist bei Saisonware viel Zeit.“

Per Hand zählen hat ausgedient

Aber es kommt noch besser: Die bisherigen Mitarbeiter am Eingang zählen die Waren nicht mehr Stück für Stück per Hand und schreiben Listen, die sie später abtippen. „Wir rollen die Ware am Eingang nach der Qualitätskontrolle und dem Aufbügeln durch ein großes Tor, wo sie automatisch von einem Lesegerät erfasst wird“, sagt Pfeifferling. Statt 3000 Teile per Hand können jetzt dank RFID 15 000 am Tag erfasst werden. Dazu besitzt Lemmi einen artikel-, farb- und größengenauen Überblick über den Bestand des Lagers. Die Lesequote liege laut Pfeifferling für Hängeware zwischen 99,3 und 99,7 Prozent.

Spätestens bei einem zweiten Durchschieben werden 100 Prozent garantiert. Inventur gibt es jetzt quasi nur noch fürs Finanzamt. Denn die Container sind auf den Schiffen verplombt. Das „Soll“ des ERP-Systems muss am Jahresende nur noch mit dem vom RFID-Lesegerät gemeldeten „Ist“ verglichen werden. „Wir haben bei einer Stichprobe mit 35 000 Teilen festgestellt, dass wir insgesamt nur zwei Fehler hatten, und die hatten Mitarbeiter bei uns manuell falsch erfasst“, freut sich Pfeifferling. Auch wenn die Kleidungsstücke das Haus auf dem Weg in die Geschäfte wieder verlassen, scannen Antennen dies präzise.

Bedenken von Datenschützern und Kunden zerstreut Lemmi fashion, indem es die Funketiketten nicht einnäht, sondern nur anheftet. „Unsere RFID-Etiketten kann jeder sehen und nach dem Kauf abschneiden.“ Auf möglichen Zusatznutzen verzichtet Lemmi so zugunsten höherer Kundenzufriedenheit und Sicherheit. Die Einführung der RFID-Lösung ging einher mit einem Wechsel des Bestell- und Finanzwesens zur Microsoft-Tochter Navision im Mai 2005. Im Juni 2005 wurde die RFID-Einführung beschlossen, im November 2005 die Lagerverwaltung auf Navision umgestellt. Dabei kam es zu unerwarteten Problemen des Softwarelieferanten bei der Implementierung des ERP-Systems. „Erst im März 2006 lief Navision rund“, berichtet der IT-Chef. „Wir sind da ein Jahr hinterhergehechelt. Die kannten unsere Branche einfach nicht gut genug. Das war das Hauptproblem der Einführung.“ Der erste Projektleiter des Dienstleisters hat inzwischen die Firma verlassen.

Neue Projekte mit Partnern

Partner für die RFID-Einführung waren die Dienstleister Checkpoint für die RFID-Tags, der österreichische Infineon-Spin-off RF-IT für Middleware und Antennen sowie Cabus als Systemintegrator. Seit kurzem laufen Projekte mit Handelspartnern, um RFID auch am Point of Sale zu nutzen. Nicht nur an Diebstahl- und Schwundkontrolle sowie RFID-Check-out-Systeme denkt Pfeifferling. „Wir wollen, dass Computer an den Regalen den Kunden Informationen zum Produkt geben und empfehlen, welche anderen Teile der Kollektion gut dazupassen.“

Angenehmer und nicht unerwünschter Nebeneffekt von Pfeifferlings RFID-Kunststück: Lemmi fashion ist plötzlich jemand im Handel und in der IT-Welt allgemein. Das Handelsfachblatt „Lebensmittel-Zeitung“ etwa schreibt, dass der nordhessische Hersteller vermutlich „als erster Textilist“ weltweit auf die Optimierung seiner Lieferkette durch RFID setzt. „Eine solche Aufmerksamkeit hätten wir mit keinem Marketing-Budget der Welt erzielen können“, zitiert die Zeitung die Chefin des Familienunternehmens Gerda Lehmann. Die Manager von Kaufhof, Breuninger und Metro Group und viele andere waren schon zum Besichtigen da – oder wollen noch kommen.

Anfangen auch ohne Standards

Doch IT-Chef Pfeifferling gibt sich weiter bescheiden: „Dass wir so einen großen Schritt gemacht haben, war uns gar nicht bewusst. Wir haben halt unsere Geschäftsprozesse analysiert und den Business Case gesehen.“ Weil es keine Standards gab, setzt Lemmi sie jetzt eben selber. Die Hessen arbeiten inzwischen in den maßgeblichen RFID-Standardisierungsgremien von EPCglobal mit. „Wenn Standards kommen, legen wir den Schalter um. Zunächst aber haben wir uns darum nicht weiter gekümmert. Es gab ja keine Partner“, sagt der IT-Leiter.

Über die Kosten des Projekts möchte Pfeifferling keine Angaben machen – „wir sind ein Familienunternehmen“. Das Beratungshaus TechConsult schreibt allerdings in einem Market Briefing, dass alles zusammen im „unteren sechsstelligen Bereich“ gekostet habe. Die Höhe der Chipkosten hat für Pfeifferling nur eine nachrangige Rolle gespielt: „Die gibt es für UHF mittlerweile für unter 15 Cent zu kaufen. Die Kosten für ein Tag sind nachrangig, solange das Gesamtkonzept den entsprechenden ROI aufweist.“

Lemmi profitiert von einer Effizienzsteigerung in der Lieferkette. Es kann viel schneller reagieren und hat eine bessere Qualität des Lagers erreicht. Lemmi hatte es allerdings bei der Umsetzung des Projekts leichter als große Unternehmen. „Die Integration in die ERPSysteme der Konzerne ist extrem schwierig und kostet viel Geld“, erklärt Pfeifferling. „Wir konnten dagegen alles von null an neu aufsetzen.“ Wichtig sei dabei vor allem die richtige Integration gewesen. „Es müssen alle an einem Strang ziehen, angefangen bei der Geschäftsführung“, rät Pfeifferling. „Denn bei einer RFID-Einführung geht es um eine Änderung der Prozesse.“