Bundeswehr-Projekt Herkules

Marsch ins Ungewisse

06.09.2004 von Johannes Klostermeier
Unter dem beziehungsreichen Namen Herkules wollte die Bundeswehr ihre IT mit Kraft und Nachdruck reformieren. Doch nach zwei Jahren Verhandlung mit dem Konsortium um CSC, EADS und Mobilcom gab es keinen Vertragsabschluss über das 6,65-Milliarden-Projekt. Das ist bei der Bundeswehr kein Grund zur Unruhe.

Das Ziel ist schon drei Jahre alt: Die Bundeswehr wollte damals ihre veraltete und auf zahlreichen Insellösungen basierende nicht-militärische IT- und Kommunikationsstruktur auf den modernen und somit auch kostengünstigen Stand der Neuzeit bringen. Der erste Versuch, mit dem ISIC 21 genannten Konsortium aus CSC, EADS und Mobilcom innerhalb der vergangenen anderthalb Jahre eine Einigung zu erzielen, ist gescheitert. Über die Gründe will kaum jemand öffentlich reden, denn die neue Ausschreibung läuft. ISIC 21 könnte dann sogar wieder bevorzugter Bieter werden. Derzeit werden allerdings Gespräche mit dem zweitplatzierten Konsortium TIS, bestehend aus T-Systems, IBM und Siemens Business Services, aufgenommen.

Für die Industrie sind die Gründe für die gescheiterten Verhandlungen mit der Bundeswehr völlig klar: Die Bundeswehr habe immer mehr Leistung haben wollen, ohne bereit gewesen zu sein, dafür auch mehr zu bezahlen. Demnach ergeht es der Bundeswehr jetzt wie der Frau des Fischers im Märchen "Vom Fischer un sin Frau", die, bekanntlich unter Größenwahn leidend, nie genug bekam und ganz am Schluss der Geschichte wieder im Pisspott sitzt.

Seit der Entscheidung für ISIC im März 2002 haben alle Beteiligten des ISIC-Konsortiums viel Zeit und Geld investiert. Die Vertreter der Industrie, die nicht genannt werden wollen, sagen Sätze wie: "Wir konnten es uns nicht leisten, mit dem Projekt keinen Gewinn zu erzielen." "Wir konnten nicht ins Minus gehen." "Unsere Marge war bei diesem Projekt viel zu gering. Das haben die Vertreter der Bundeswehr aber nie verstanden." "Es fehlte die Einsicht, dass Privatunternehmen Geld verdienen müssen."

Zeitverzögerungen sind bei Herkules nichts Neues: Das Projekt, das Rechenzentren, Netze und Endgeräte grundlegend erneuern sollte, war bereits 2001 ausgeschrieben worden. Die neue Public-Private-IT-Gesellschaft (49,9 Prozent für den Bund, 50,1 Prozent für die Industrie) sollte ursprünglich bis August 2002 gegründet werden. Doch schon die Einigung über den Grundkonsens - Selbstständigkeit, Profitabilität und Kreditwürdigkeit der Gesellschaft - dauerte bis Ende 2003.

Noch im Juni dieses Jahres sah es so aus, als ob die gewünschte Kooperation möglich wäre. Am 27. Februar 2004 überreichte ISIC 21 den Business Case, in dem der Umfang der Leistungen der Unternehmen für den festgeschriebenen Betrag von 6,65 Milliarden Euro innerhalb von zehn Jahren aufgeführt wurde. Mitte April folgte eine überarbeitete Fassung. Nach der parlamentarischen Sommerpause sollte der Haushaltsauschuss des Bundestags den Ergebnissen im vierten Quartal zustimmen. Dazu kam es nicht.

Meist wird dennoch das transparente und offene Klima der Verhandlungen gelobt, es sei geprägt von "intensiven Bemühungen beider Seiten und hoher Flexibilität von ISIC 21", heißt es in einer EADS-Presseerklärung. "Wir bedauern das Scheitern der Verhandlungen sehr", so ein Sprecher des Münchener Rüstungskonzerns. Und auch beim Systemhaus CSC hören sich die Stimmen der Beteiligten eher traurig an. "Wir hätten es gerne gemacht". Nur beim Büdelsdorfer Mobilfunkunternehmen Mobilcom ist niemand enttäuscht darüber, dass sich die Konsortialpartner nicht mit dem Verteidigungsministerium einigen konnten.

Der Einstieg von Mobilcom in das Konsortium stamme aus der Zeit, als der von vielen als größenwahnsinnig verschriene Unternehmensgründer Gerhard Schmidt die Geschicke lenkte. "Vor dem Hintergrund des Projektverlaufes in den letzten zwei Jahren" sei der Abbruch der Verhandlungen "keine Überraschung", teilte Mobilcom trocken mit. Auch hier fehlt nicht der Hinweis: Die zu erwartende Marge aus dem Herkules-Projekt habe in keinem vernünftigen Verhältnis zu den damit verbundenen Risiken gestanden.

Auch bei der Bundeswehr hat die Führung gewechselt. Herkules entstand in der Zeit, als Rudolf Scharping Verteidigungsminister war. "Vielleicht genoss das Projekt nicht mehr die oberste Priorität", rätselt ein Firmensprecher. Bei den entscheidenden Nachtverhandlungen vor Abbruch der Gespräche mit ISIC 21 lag der amtierende Verteidigungsminister Struck mit Kreislaufproblemen im Krankenhaus, sagt ein anderer.

Zuletzt ging es um mehrere hundert Millionen Euro, wie es in einer EADS-Mitteilung heißt. Eine genaue Zahl wird öffentlich nicht bestätigt. Jedenfalls ließ die Bundeswehr über das 2001 festgelegte Budget für die zu gründende IT-Gesellschaft nicht mit sich reden.

Vergaberichtlinien hemmen die Ziele

"Erst kommt das Budget, und dann kommt lange Zeit gar nichts." So kommentiert der Beschaffungsexperte Gerd Kerkhoff von der gleichnamigen Düsseldorfer Unternehmensberatung diese Haltung. Der Autor des Bestsellers "Milliardengrab Einkauf" wundert sich deswegen gar nicht über das Ergebnis der Herkules-Verhandlungen. Über die strenge Einhaltung der Vergaberichtlinien würden die eigentlichen Ziele vergessen. "Verkehrsminister Stolpe ist noch im Amt, weil er bei Toll Collect keinen Vergabefehler gemacht hat. Das funktionale Versagen der Technik und der Millionen-Euro-Einnahmen-Ausfall sind bei diesem kameralistischen Denken kein Grund für einen Rücktritt."

In der Privatwirtschaft, so Kerkhoff, sei es bei solch komplexen Projekten üblich, den Anforderungskatalog gemeinsam mit einem Partner aus der Industrie zu entwickeln. "Behörden haben aber viel zu viel Angst, dass das schon als vorweggenommene Kaufentscheidung gewertet werden könnte."

Aus dem Konsortium heißt es, die Beschreibung der Leistung, die vom industriellen Partner gefordert wurde, sei von Anfang an unklar gewesen: "Wir mussten uns unsere Aufgabe selber suchen." Auch seien einige kostspielige Probleme erst in der rechtlichen Feinprüfungsphase (Due Dilligence) ans Licht gekommen. Denn erst zu diesem Zeitpunkt konnten sich die Firmen über den Ist-Zustand der Bundeswehr-IT informieren.

So sehen die Beteiligten des Konsortiums im Vergaberecht die Hauptursache des Scheiterns. Das habe den Spielraum des Verteidigungsministeriums extrem eingeschränkt. Die SPD-Haushaltsexpertin und Berichterstatterin für Verteidigung im Haushaltsausschuss des Bundestages, Elke Leonhard, denkt bereits über gesetzliche Änderungen nach.

Gelassenheit bei der Bundeswehr

Bei der Bundeswehr sieht man die weiteren Verzögerungen gelassen. "Das ist ein ganz normaler Vorgang, jetzt verhandeln wir eben mit dem anderen Konsortium", sagt ein ranghoher IT-Leiter. Die Verantwortlichen rühmen sich für ihre Flexibilität. "Wir wollten mit ISIC 21 abschließen", heißt es dort. Und: "Wir haben aus den Verhandlungen viel gelernt." Deshalb werde man mit TIS schnell zum Abschluss kommen. Neue Zeitpläne wolle man aber nicht nennen.

Nun rechnen einige damit, dass Herkules ganz scheitern wird. Die Machbarkeit von Public-Private-Partnership-Unternehmungen scheint sogar grundsätzlich in Frage gestellt. "Im Ergebnis dürfte Herkules - eines der großen Reformvorhaben - insgesamt gefährdet sein", heißt es im EADS-Schreiben.

Falls die Verhandlungen auch mit TIS zu keinem Abschluss führen sollten, sieht Leonhard nur zwei Möglichkeiten: dass Herkules in Tranchen wie Informationsnetze oder Rechenzentren aufgeteilt und neu ausgeschrieben wird oder dass die Bundeswehr die IT-Projekte selbst entwickelt. "Denn so kompliziert ist das gar nicht", so die Abgeordnete. Sie hatte schon mit einem "Vergabebrief an das ISIC-Konsortium dafür gesorgt, dass die Verhandlungen innerhalb einer Frist bis Ende Juni 2004 abgeschlossen werden mussten. "Das Bundesverteidigungsministerium muss endlich die strategische Führung übernehmen und Termine fristgerecht einhalten", so ihre Forderung, mit der sie Ende 2003 im Haushaltsausschuss eine "qualifizierte Sperre" bei den Ausgaben für externe IT-Berater durchboxte.

Mit einer Mängelrüge in der gesetzlichen Zweiwochenfrist haben CSC und EADS reagiert. "Das ist die schwächste Form der rechtlichen Möglichkeiten", so Leonhard. Weitere Schritte planen die ISIC-Partner aber nicht. Denn sie wollen es sich mit dem Großkunden Bundeswehr nicht verscherzen.

Für die 80 Prozent der zivilen Mitarbeiter, die in die IT-Gesellschaft übergehen sollen, bedeuten die ständigen Verzögerungen der Verhandlungen vor allem Ungewissheit. Doch jene 5000 Mitarbeiter der neu zu gründenden Gesellschaft waren auch eines der Probleme. "Wir sollten Fernemeldetechniker übernehmen, die Gespräche noch mit der Hand vermitteln. Wo wollen Sie die einsetzen?", spottet ein Insider. Auch wisse niemand, wie sich der Tarifvertrag entwickle, zu denen diese weiterbeschäftigt werden sollten.

Dass die IT der Bundeswehr dringend erneuert werden muss, steht außer Frage. Tatsache ist jedoch, dass sich die dringende Modernisierung der IT- und Netzwerkinfrastruktur der Bundeswehr weiter verzögert. Wenn Herkules nicht bald kommt, so hat der IT-Direktor im Bundesverteidigungsministerium, Gerhard van der Giet, stets betont, werden die verfügbaren IT-Haushaltsmittel der Bundeswehr ausschließlich für den Erhalt der Altsysteme eingesetzt werden müssen. Für Investitionen in neue Geräte und Programme ist dann das Geld schon aufgebraucht. Und in der Vergangenheit lautete der Standardsatz bei der Bundeswehr immer: "Das machen wir nicht mehr, bald kommt ja Herkules." Einziger Trost - Privatleute kennen das -: Computer, die heute noch nicht gekauft worden sind, können morgen auch noch nicht veraltet sein.

Johannes Klostermeier [redaktion@cio.de]