Unicredit, AXA, Bayer Schering, P&G

Merger - vom Umgang mit Seifenblasen

21.05.2007 von Johannes Klostermeier
Die meisten Fusionen platzen oder werden zu teuer. Trotzdem müssen CIOs sie umsetzen – so schnell wie möglich. Respekt und Gerechtigkeit dürfen dabei jedoch nicht auf der Strecke bleiben, denn mindestens die Hälfte der Beteiligten erlebt die Situation als unfair. Wie man Fusionen steuert und überlebt, berichten die IT-Chefs von Hypo-Vereinsbank (Unicredit), Winterthur Group (AXA), Bayer Schering und Procter & Gamble.
Klaus Rausch, Sprecher Geschätsführung, HVB Information Services: "Viele Zuhörer stellen sich wohl die Frage, ob nicht möglicherweise bei ihnen auch bald eine internationale Fusion ansteht."

Wenn CIOs über Unternehmensfusionen sprechen, dann kommt unweigerlich dieser Satz: "Einen Merger unter Gleichen gibt es nicht. Es ist immer ein Größerer, der einen Kleineren übernimmt." In diesem Satz steckt viel Tragik, denn er bedeutet, Abschied zu nehmen von Traditionen, einem Teil der Geschichte und einer Vielzahl von Entscheidungen, die man einmal nach längerem Nachdenken als richtig angesehen hat. Er klingt so wie ein Mantra, das sich CIOs vorsagen, wenn es schwierig und kompliziert wird. Und das ist öfter der Fall als öffentlich bekannt.

Klaus Rausch, der Sprecher der Geschäftsführung von HVB Information Services, genießt den Vorteil, dass er erst nach der Fusion von HVB und UniCredit von der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) aus Stuttgart nach München gekommen ist. Er konnte unbelastet an seine Aufgabe gehen, mit dem Blick von außen urteilen und musste nichts in Frage stellen, was er zuvor selbst aufgebaut hatte. Rausch: "Es ist eine Frage der Authentizität: Wenn man jahrelang eine bestimmte Strategie verfolgt hat und dann ab morgen eine andere fährt, nimmt Ihnen das keiner ab."

Andreas Resch, CIO und Geschäftsführer von Bayer Business Services, dessen Mutter, der Leverkusener Bayer-Konzern, gerade den Berliner Pharmahersteller Schering AG übernommen hat (jetzt: Bayer Schering Pharma AG), sieht sich und sein Unternehmen ebenfalls als Fusions-Profi. Man habe schon viele Carve- In- und Carve-Out-Prozesse erfolgreich abgewickelt. "Das ist bei uns Routine. Da gibt es eine Standardvorgehensweise wie bei einem SAP-Release-Wechsel", so der Bayer-Manager.

Resch ist jemand, der die Welt von oben betrachten kann. Er sagt: "Es muss immer gerecht zugehen." Auch wenn die Fusion, unter der zwei Gute zusammengehen, von einigen als ungerecht empfunden werde. Die Mitarbeiter sollen nicht das Gefühl haben, dass sie unfair behandelt werden. Bei Bayer hat man großes Interesse daran, dass die Mitarbeiter zufrieden sind und es keine Beschwerden gibt. Jedenfalls nicht deswegen. "Wir haben extra externe Personalfachleute eingebunden, die die Qualifikation der Mitarbeiter für die nach der Fusion zu besetzenden Management-Stellen neutral prüfen und Vorschläge machen", sagt Resch.

"Gebührende Sorgfalt", wie die Bestandsaufnahme Due Diligence wörtlich übersetzt wird, sollte nach Meinung von Fusionsberatern wie Martina Jung mehr bedeuten, als dass eine Bestandaufnahme in den zu fusionierenden Unternehmen gemacht und Kosten, Nutzen, Potenziale und Risiken ermittelt werden. Die Unternehmensberaterin Jung aus Brüssel hat hierzu ein empfehlenswertes kleines Buch geschrieben: "Erst Sein, dann Haben. Der spirituelle Weg zu einer Unternehmensintegration" heißt es. Sie empfiehlt, Due Diligence auch auf die Menschen und die spezifischen Kulturen in den beiden Firmen auszuweiten.

Andreas Resch, Geschäftsführer Bayer Business Services: "Das ist bei uns Routine. Da gibt es eine Standardvogehensweise wie bei einem SAP-Release-Wechsel."

Bei Schering überwog zunächst die Freude unter den Mitarbeitern, denn Bayer war bei Schering im Frühjahr 2006 mit einem Gebot von 17 Milliarden Euro als "Weißer Ritter" dem Konkurrenten Merck zuvorgekommen, der eine feindliche Übernahme plante. Die Pharma-Ehe von Bayer und Schering wird in Deutschland voraussichtlich 1.500, weltweit 6.100 Arbeitsplätze kosten, wie Bayer erst kürzlich bestätigte. Der Berliner Betriebsratsvorsitzende sprach von einem "bitteren Tag"; die Konzernleitung habe bei der Belegschaft viel Vertrauen verspielt. Die viel zitierten Synergien, mit denen der Sinn von Übernahmen begründet wird, bedeuten auch immer Stellenabbau. Auch wenn darüber kein CIO gerne redet.

Die "wirtschaftlichen Anpassungen" bezeichnet Rausch als "die eindeutig unangenehme Seite" seines Jobs. 600 Mitarbeiter soll die HVB in der IT in Deutschland abbauen. Die Anwendungslandschaft und die IT-Infrastruktur werden in Teilen auf das System der italienischen Großbank umgestellt. Im Zuge dieser Umstellung wurden zum 1. Mai 2006 zunächst die beiden Tochterunternehmen HVB Systems mit rund 1200 Mitarbeitern und HVB Info mit rund 600 Beschäftigten zur HVB Information Services verschmolzen. Gemeinsam mit den Kollegen Unicredit Global Information Services treibt das deutsche Team die IT-Integration voran. "Die beste Integration bekommen Sie dann hin, wenn Sie Teams sehr schnell mischen. In der Praxis können sie aber nicht die Hälfte der Mitarbeiter nach Italien schicken - oder umgekehrt."

Neben dem Abgang durch natürliche Fluktuation hat HVB Information Services den Stellenabbau in der IT mit einem Outsourcing-Modell intelligent zu lösen versucht: IBM hat knapp 365 Mitarbeiter und damit einen Teil der Mannschaft übernommen. Für drei Jahre bekam Big Blue dafür eine Abnahmegarantie über bestimmte Leistungen. Rausch: "Wenn Sie das drei Jahre in der Schwebe gelassen hätten, wären das drei Jahre Unsicherheit gewesen, und die Key-Leute wären abgewandert." Weiterer Vorteil: Sollten Projekte später als geplant abgeschlossen werden, kann die IT-Tochter der HVB über ihren Partner immer noch auf die bisherigen Mitarbeiter zugreifen.

Mitarbeiter bleiben immer über

Viele Fusionen aber scheitern, das ist zumindest der Eindruck der Öffentlichkeit. Nach einer aktuellen Studie von Ernst & Young nennen 85 Prozent der M&A-erfahrenen Unternehmen mangelndes Integrations- Management als Hauptgrund für fehlgeschlagene Firmenzusammenschlüsse. "Aus meiner Erfahrung werden die Integrationen von Menschen, Werten und Kulturen auf das Sträflichste vernachlässigt", sagt Unternehmensberaterin Jung.

Martin Frick, Ex-CIO der Winterthur-Group, jetzt AXA: "AXA hat sich sehr bemüht, mich zu halten, aber es hat für mich keine passende Position gegeben."

Auch die Fusion der italienischen und der deutschen Großbank war nicht ganz einfach. Bereits einen Monat nach der Ankündigung der Übernahme am 12. Juni 2005 hatten fünf Vorstände und viele andere Manager die HVB verlassen. Von anderen deutschen CIOs hört man die Meinung, dies sei ein Beispiel für eine eher missglückte Sache

Wenn man mit Klaus Rausch spricht, glaubt man das nicht. Und auch andere CIOs können Positives über ihre M&A-Erfahrungen berichten - sogar wenn sie sich danach einen neuen Arbeitsplatz suchen müssen. Nämlich dann, wenn gegenseitige Wertschätzung und Respekt überwiegen und sich alle als Teil eines neuen Ganzen fühlen können.

"AXA hat sich sehr bemüht, mich zu halten, aber es hat für mich keine passende Position gegeben“, sagt Martin Frick, CIO der früheren Schweizer Versicherungsgruppe Winterthur Group, die der größere französische Versicherungskonzern im Dezember 2006 übernommen hat. "Das war in einem gewissem Sinn einfach tough luck." Frick sagt, dass er jederzeit wieder für AXA arbeiten würde. Er ist über seine Kündigung keineswegs verbittert. Im Gegenteil. Er ist über den Fusionspartner und seine "extrem hohe Professionalität" voll des Lobes. "Ich habe sehr viel von AXA lernen können. Sie sind sehr erfolgreich durch Fusionen gewachsen und haben es geschafft, die jeweiligen neuen Organisationsteile nahtlos in die Firma zu integrieren."

"Der mit dem größten Hammer ..."

Buchautorin Jung kommentiert: "Er hat Glück gehabt. Denn das ist bei Fusionen eher die Ausnahme." Laut Jung werden längst nicht alle Merger zum Erfolg: "Bei zwei fusionierenden Unternehmen gibt es zwei CIOs, zwei IT-Abteilungen mit unterschiedlichen Menschen und zwei IT-Ansätze mit unterschiedlichen Philosophien", sagt Jung. Heiße es dann, der mit dem größten Hammer gewinnt, verlieren alle. Auch der CIO, der das Machtspiel gewinnt. "Mindestens die Hälfte des IT-Stabes wird ihm nicht mehr vertrauen und deshalb auch nicht folgen. Das schließt künftige Spitzenleistungen aus", warnt Jung.

US-Merger: Geschichte der Fusionitis.

Der menschliche Faktor und die Beachtung kultureller Unterschiede sind mit Abstand das Wichtigste. Und gerade weil ihnen viele der Beteiligten zu wenig Beachtung schenken, scheitern viele Fusionen. Die Integration der Systeme allein gewährleistet in der IT nicht den gewünschten Erfolg. Rausch hat es bei Unicredit nicht nur mit zwei verschiedenen Firmenkulturen, sondern auch gleich mit unterschiedlichen Länderkulturen zu tun. "In Deutschland hat man eine eher formale Kommunikation. In Italien ist es hingegen eher informell. Wenn man beispielsweise in Deutschland noch an der Mitarbeiterinformation arbeitet, wissen es in Italien die meisten Mitarbeiter schon aus der Kaffee-Ecke."

"Integration" kommt von "integer"

Ängste, Angriffe, Verteidigungsschlachten, Grabenkämpfe - überall kann jemand im Hinterhalt lauern. "Damit die Integration keine Schlacht wird, braucht man einen gestandenen und unabhängigen Professional, der den Weg bahnt", rät Martina Jung. Das Wort "Integration" kommt von "integer", was so viel bedeutet wie unbescholten, makellos, unberührt, ganz, unversehrt. Integrieren bedeutet also, etwas heil und unversehrt zusammenzufügen. Dazu bedarf es besonderer Fähigkeiten, die durch eine Position im Unternehmen vertreten sein sollten.

Inzwischen engagieren viele Unternehmen nicht nur Experten von außen, sondern ernennen auch einen zweiten "CIO" - den "Chief Integration Officer". So arbeitet bei der HVB/Unicredit Franz Herrlein in dieser Funktion. Er ist vor allem zuständig für die Integration der Fachbereiche außerhalb der IT und achtet darauf, dass im Fusionsfieber alles mit gerechten Dingen zugeht. Im Mai wird das Integration Office geschlossen; Herrlein wechselt dann als Organisations-Chef in den Vorstand der Dresdner Bank.

Kai Zercher, Director der Procter & Gamble Service GmbH: "Je weniger Sie kommunizieren, desto mehr wird spekuliert."

Denn neben den gerade in einer Fusionssituation geforderten Führungsqualitäten spielt die Geschwindigkeit eine große Rolle. Das betonen alle CIOs - zum Teil mit ähnlichen Worten. "Es ist vor allem wichtig, dass sie schnell entscheiden. Es ist nicht so wichtig, dass sie jedes Detail vollständig berücksichtigen", sagt Bayer-CIO Resch. Und auch Klaus Rausch von HVB Information Services betont das hohe Tempo, das nicht nur gefordert wird, sondern auch erforderlich ist. "Es sind meist große Anstrengungen erforderlich, um eine optimale Entscheidung zu finden, aber eine schnelle Entscheidung steht dabei im Vordergrund."

Best-of-Breed unterliegt

In der IT-Welt kann das zu besonderen Problemen führen: "Normalerweise würde man sich die Systeme der beiden Firmen in Ruhe anschauen und das Beste aus beiden Welten nehmen“, betont Resch. Doch der Best-of-Breed-Ansatz ist unterlegen, wenn es schnell gehen soll und die Mannschaften beider Seiten vehement darüber Klarheit verlangen, wie es weitergeht. "Klar, schnell und top-down. Nur so kommen Sie in einer solchen Situation voran", sagt Resch. So müsse man handeln. Bei Procter & Gamble hat Kai Zercher als Director der P&G Service GmbH seit Anfang des Jahres die Aufgabe, die IT von Gillette einzugliedern. Seine Botschaft: "Es kann nur ein System überleben."

Erfolgsbilanz: Mergers & Acquisitions.

Klaus Rausch sagt: "Wenn man sich lange damit aufhält, die richtige IT-Plattform zu definieren, ist das nicht zielführend." Die Frage sei: Welche Geschäftspolitik soll verfolgt, welche Geschäftsprozesse sollen implementiert werden? Seine klare Antwort: "Wenn ich mich entschieden habe, eine Bank zu übernehmen und mein Geschäftsmodell zu exportieren, determiniert das automatisch die IT-Entscheidung.“

Das bedeutet aus CIO-Sicht auch, dass die Angestellten, statt über die guten alten Zeiten zu lamentieren, lieber rasch die neuen Chancen erkennen sollten. So hat auch Frick seinen Mitarbeitern den Blick nach vorne aufgezeigt: "Man sollte sich in Zeiten der Veränderung schnell auf die neuen Gegebenheiten einstellen, vorwärts schauen und den Umbau mitgestalten", empfiehlt Frick. Und Rausch sagt: "Wir wurden übernommen und haben uns auf die neue Situation schnell eingestellt. Wir schauen nicht in den Rückspiegel, sondern versuchen, für uns die richtige Zukunft zu finden."

Dabei hilft der Reiz des Neuen: Bei der Unicredit wird nicht nur fusioniert, sondern gleichzeitig die Bank komplett umgebaut. Analog zur Struktur der Italiener wurden die Prozesse zwischen den Divisionen verändert und die HVB in fünf Sparten beziehungsweise Kundensegmente aufgeteilt. Dadurch wächst aber auch der Erfolgsdruck, denn die Leistung wird jetzt für jedes einzelne Segment gemessen. "Wir sind ein Team, wenn jemand sein Ziel verfehlt, muss ein anderer seines übererfüllen", sagt Unicredit-Chef Alessandro Profumo.

Chance für neue IT-Plattformen

Im Jahr eins nach der Fusion gab es bei der HVB als Erstes ein Integrationsprojekt für eine gemeinsame Commercial-Banking-Plattform, die das Retail-Umfeld auf internationaler Ebene zusammenführt und die vielen verschiedenen Host-orientierten Legacy-Systeme ablösen soll. Kern ist mit "Eurosig" eine neu entwickelte Anwendung aus Italien, die in Deutschland noch Ende 2008 starten soll.

Ausgaben seit 2000: Was Merger kosten.

Bei der Integration ist es der Bank gelungen, mit SOA-Technologie die Anzahl der Schnittstellen deutlich zu reduzieren. "SOA ist wie Esperanto, das die ITler in Deutschland und Italien auf Anhieb verstehen", sagt Rausch. Zudem werden in einem zweiten Projekt die drei verschiedenen Investment-Banking-Entitäten (Unicredit Banca Mobiliare, Bank Austria Creditanstalt und Hypo-Vereinsbank) IT-technisch zusammengebracht.

Neben der Integration der Systeme darf die Information der Mitarbeiter nicht vergessen werden. Denn Fusionen bedeuten immer auch Change Management - und die meisten Fusionen scheitern bekanntlich wegen ungenügender Post-Merger-Integration. Zercher von Procter & Gamble predigt deswegen: "Kommunikation, Kommunikation, Kommunikation - und keine Angst vor Wiederholungen. Denn das Vertrauen der Mitarbeiter ist ein wertvolles Gut, das schnell beschädigt werden kann. Und je weniger Sie kommunizieren, desto mehr wird spekuliert." Es komme auch darauf an, sich schnell und aktiv um die Top-Mitarbeiter zu kümmern und allen Mitarbeitern zügig verbindliche Perspektiven zu geben. Zercher: "Die Headhunter warten mit Sicherheit nicht."

Martina Jung, Buchautorin, über den "harten" CIO im Postmerger: "Mindestensdie Hälfte wird ihm nicht mehr vertrauen und deshalb auch nicht folgen. Das schließt künftige Spitzenleistungen aus."

Bei HVB Information Services gibt es mittlerweile viel interkulturelles Training. Auch Rausch hat einen Crash-Kurs besucht. Viele Mitarbeiter lernen Italienisch, obwohl die neue Konzernsprache Englisch ist. "Das Jahr 2006 war das Jahr der Anpassung, 2007 soll das Jahr der Transformation werden. Wir sind noch mitten im Prozess", sagt Rausch.

Buchtipp: Erst sein, dann haben.

Und am Schluss ruckelt sich, so scheint es, vieles von selbst zurecht: "Zu Beginn steht die Sicht des übernehmenden Unternehmens. Über die Zeit setzt sich durch, was inhaltlich am besten ist: die Kombination des italienischen Spirits zusammen mit deutscher Gründlichkeit", sagt Rausch. Er ist mittlerweile gefragter Referent für Fusionsfragen und spricht auf vielen Konferenzen über IT in Merger-Situationen. "Viele Zuhörer stellen sich wohl die Frage, ob nicht möglicherweise bei ihnen auch bald eine internationale Fusion ansteht."