Berliner Verkehrsbetriebe

Mit agilen Methoden in die digitale Zukunft

14.11.2017 von Wolfgang Herrmann
Der größte kommunale Verkehrsbetrieb Deutschlands muss sich neuen Konkurrenten und dem rasanten technischen Wandel stellen. Digitalvorstand Henrik Haenecke setzt auf agile Methoden und Design Thinking, um die Berliner Verkehrsbetriebe fit zu machen für die Herausforderungen der Digitalisierung.

Eigentlich könnten es sich die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) in ihrem Geschäftsfeld gemütlich machen. Mit dem Land Berlin haben sie einen Verkehrsvertrag für den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) geschlossen, der 2020 mit großer Wahrscheinlichkeit um weitere 15 Jahre verlängert wird. Doch ganz so einfach ist die Sache nicht, berichtet Henrik Haenecke, der seit August 2016 im Vorstand die Bereiche Finanzen, Digitalisierung und Vertrieb verantwortet: "Wir sehen uns mit einer Reihe neuer Wettbewerber beispielsweise im Bereich Shared Mobility konfrontiert. Der technische Wandel im Kerngeschäft hat sich im Zuge der Digitalisierung erheblich beschleunigt." Fast jedes Projekt bei der BVG sei heute ein digitales, so der langjährige McKinsey-Berater. Darauf müsse man sich einstellen.

BVG-Digitalvorstand Haenecke: "Wir wollen agile Methoden als Kernkompetenz in der gesamten Organisation aufbauen."
Foto: BVG / Oliver Lang

Mit rund 14.000 Mitarbeitern ist die BVG der größte kommunale Verkehrsbetrieb Deutschlands. 2016 transportierte sie mit U-Bahnen, Bussen und Straßenbahnen mehr als eine Milliarde Fahrgäste; das entspricht gut 2,8 Millionen Fahrten pro Tag. Doch Haenecke will sich auf diesen Zahlen nicht ausruhen. Die Herausforderungen der digitalen Transformationen erforderten in vielen Bereichen eine neue Herangehensweise.

Um den Innovationsprozess zu verbessern, setzt er bereichsübergreifend auf agile MethodenundDesign Thinking. In einem Führungskräfte-Workshop etwa wurden neue Ideen erarbeitet, sechs davon werden derzeit agil weiterverfolgt. Die Projektteams entwickeln dazu Minimum Viable Products (MVP), um frühzeitig die Akzeptanz neuer Lösungen zu testen. Haenecke: "Wir bewegen uns in kleinen Schritten zum Ziel."

Design-Thinking-Ansatz

Das Thema Agilität war für die meisten Mitarbeiter neu, einschlägiges Wissen in der Organisation kaum vorhanden. Für die rund 150 an den Projekten beteiligten Fach- und Führungskräfte holte der Digitalvorstand "agile Coaches" an Board. In vielen Fällen leisteten sie zunächst Aufklärungsarbeit. Haenecke: "Die Mitarbeiter mussten lernen, sich in den Kunden, sprich Fahrgast oder auch Straßenbahnfahrer, hineinzuversetzen." Getreu dem Design-Thinking-Ansatz entwickelten die Projektteams dazu verschiedene Personas.

Ein konkretes Beispiel dreht sich um das Schadensmanagement an Straßenbahnen. Entdeckt ein Straßenbahnfahrer etwa eine defekte Tür, hinterlässt er den Servicetechnikern bisher in der Regel einen handgeschriebenen Zettel. In einem neuen Szenario würde er das per App auf einem Smartphone erledigen.

Früher hätte man für eine solche Anwendung aufwändig ein Lastenheft erstellt, berichtet Haenecke. Im Rahmen eines agilen Vorgehens erstellten die Mitarbeiter ein MVP und testeten die Praxistauglichkeit. Ergebnis: Mit der App allein war es nicht getan; die BVG muss nun auch den ganzen Werkstattprozess ändern, um zu Verbesserungen zu kommen.

Die Top-CIOs der Transportbranche
Bernd Rattey
Als Nachfolger von Christa Koenen übernahm Bernd Rattey Mitte November 2021 die Position des Konzern-CIO der Deutschen Bahn.
Christa Koenen
Seit 1. September 2021 ist die ehemalige Bahn-CIO Christa Koenen Digitalvorständin von DB Schenker. Sie ist Nachfolgerin von CIDO Markus Sontheimer.
Thomas Rückert
Seit Anfang 2021 ist Thomas Rückert für die IT Lufthansa Group verantwortlich. Er soll unter anderem die Airlines des Konzerns dabei unterstützen, kundenzentriert zu werden.
Dominik Fürste
Dominik Fürste (35) ist seit August 2017 CIO beim Europäischen Eisenbahnlogistikunternehmen TX Logistik AG. Als Mitglied der Vorstandssitzung verantwortet er die Transformation der TX zu einer digitalen Güterbahn. Dabei setzt er auf die gleichzeitige Betrachtung von Geschäftsprozessen und modernen IT Lösungen. Für die ganzheitliche Umsetzung der Transformation hat er ein agiles Portfolio- und Deliverymanagement auf Basis des Scaled Agile Framework etabliert. Fürste kam von der DB Cargo AG, wo er unter anderem die Sanierung der französischen Tochtergesellschaft begleitete und ein IT-Projekt des DB Konzerns zur Einführung eines Kapazitätsmanagementsystems für das Transportnetzwerk verantwortete.
Sabina Kusmin-Tyburski
Zum 1. Februar 2024 übernimmt Sabina Kusmin-Tyburski den CIO-Posten bei den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG).
Markus Sandbrink
Ende 2022 hat Markus Sandbrink, seit 2020 Leiter der Corporate IT der Rhenus-Gruppe, zusätzlich den CIO-Posten und damit die gruppenweite IT-Leitung des Logistikkonzerns übernommen.
Ralf Morawietz
Das Logistikspezialist Dachser hat mit Ralf Morawietz seit dem 1. Januar 2023 einen neuen IT-Leiter an Bord. Er folgt auf Stefan Selbach, der in Altersteilzeit ging.
Wolfgang Standhaft
Wolfgang Standhaft ist seit Januar 2019 CIO beim Flughafenbetreiber Fraport in Frankfurt/Main. Von 2006 bis Ende 2017 hat er für den Baustoffkonzern HeidelbergCement AG als CIO und Group Director Information Technology gearbeitet. Von 1998 bis 2005 war Standhaft Leiter Betriebswirtschaftliche Systeme Europa der Rewe KGaA, von 1995 bis 1998 arbeitete er als Berater bei der SAP AG.
Jasmin Kaiser
Seit Anfang Mai 2023 leitet Jasmin Kaiser die IT der Lufthansa Cargo. Sie kommt von der Lufthansa Group.
Isabelle Droll
Isabelle Droll ist CIO der TUI Airline. Seit Oktober 2021 ist sie zudem Group IT Director TUI Musement, Corporate und Sustainability.
Hugo Pluess
Hugo Pluess ist seit August 2019 CIO der Spedition Imperial Logistics International. Pluess ist damit für die gesamte IT-Landschaft aller Aktivitäten von Imperial Logistics International verantwortlich. Er war zuletzt Executive Vice President Global IT Infrastructure bei CEVA Logistics in der Schweiz.
Werner Toennessen
Als Geschäftsbereichsleiter IT ist Werner Toennessen der Chef über die Systemwelten der DER Touristik. Toennessen verantwortete als Bereichsleiter bereits seit 2010 die IT der DER Touristik Köln mit ihren Pauschalreiseveranstaltern ITS, Jahn Reisen und Tjaereborg. Er gilt als profunder Kenner der IT der touristischen Unternehmen des zweitgrößten deutschen Reiseveranstalters. Toennessen startete seine IT-Laufbahn 1987 in der EDV bei Meier’s Weltreisen.
Ralf Gernhold
Seit Oktober 2018 ist der Ex-Miles & More-CIO Ralf Gernhold technischer Programmleiter Vendo bei der DB Vertrieb GmbH. Vendo beschäftigt sich mit der Digitalisierung des Vertriebs und gehört zu den strategischen Projekten des Personenverkehrs der Deutschen Bahn.
Donya-Florence Amer
Donya-Florence Amer ist CIO und CHRO und die erste Frau im Vorstand von Hapag-Lloyd. Sie übernahm den Posten zum 1. Februar 2022. Amer folgte auf Martin Gnass.
Dirk Tietz
Die DER Touristik hat ihr Führungsteam um die neue Funktion des Chief Transformation Officer (CTO) erweitert. Dirk Tietz (40) ist seit Juli 2015 auch Mitglied des Executive Boards. Er trägt damit die Gesamtverantwortung für die Digitalisierung und für die Verzahnung der Einzelunternehmen.
Petra Clemens
Seit Februar 2022 ist Petra Clemens für die IT-Transformation beim Eisenbahn-Logistiker VTG zuständig. Sie bringt fundierte Expertise auch in Sachen Change Management mit.
Oliver Wittmaier
Oliver Wittmaier folgt auf Claudia Plattner, die bei der EZB eingestiegen ist. Er konzentriert sich auf skalierende Plattformen und Datenverfügbarkeit.
Arlene Bühler
DB Cargo hat mit Arlene Bühler eine neue Digitalisierungschefin. Anfang November 2021 übernahm Bühler die Funktion mit dem Titel IT and Digitalization, CIO/CDO. Der Logistik-Konzern hat diese Position neu geschaffen, um mit der technischen Entwicklung Schritt zu halten.
Dorothea Brons
Seit Januar 2022 leitet Dorothea Brons als CIO die IT-Geschicke am Hamburg Airport. Sie ist zugleich Geschäftsführerin der IT-Tochter AIRSYS.
Frank Winkenwerder
Frank Winkenwerder ist seit Mitte Dezember 2014 Leiter des Zentralbereichs Informationssysteme der Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA). Er war davor Leiter der Containerinformationssysteme bei HHCT, verantwortlich für die strategische Gestaltung der IT-Landschaft für das Segment Container. Von 1987 bis 2006 arbeitete Winkenwerder bei einem System- und Softwarehaus, seit 1999 als verantwortlicher Projektbereichsleiter für die Logistikbranche.
Michael Lütjann
Die Nagel-Group ernannte zum 1. Oktober 2019 Michael Lütjann zum Chief Information Officer (CIO). Er berichtet an den CEO der Nagel-Group Carsten Taucke. Zuletzt war Lütjann vier Jahre lang CIO bei Imperial Logistics International. Davor hat der 50-jährige fünf Jahre als Senior Vice President IT Management Logistics bei Schenker die globale IT Organisation verantwortet. Im Lauf seiner Karriere hat er zudem mehr als zwölf Jahre lang die IT der Fiege Gruppe in diversen Verantwortungsbereichen geprägt, zuletzt als CIO.
Bernhard Götze
Bernhard Götze ist seit Februar 2022 Vice President IT beim Kreuzfahrtanbieter AIDA Cruises in Rostock, der deutschen Niederlassung von Costa Crociere S.p.A.
Martin Kolbe
Martin Kolbe übernahm im November 2005 die CIO-Position beim Schweizer Logistikkonzern Kühne + Nagel. Zuvor arbeitete Kolbe bei der Deutschen Post World Net, wo er Bereichsvorstand und CIO der DHL Express Deutschland war.
Pieter Jordaan
Nach dem Ausscheiden von IT-Vorstand Frank Rosenberger hat der Touristikkonzern TUI die CIO-Position zum 1. Januar 2023 mit Pieter Jordaan besetzt.
Hans Fabian
Hans Fabian ist seit Januar 2017 als CIO für das Hotelvergleichsportal HRS in Köln tätig. Zuvor war Fabian CIO bei der Wirtschaftsauskunftei Schufa Holding AG in Wiesbaden. Über zehn Jahre hat Fabian davor im Bereich IT-Management bei Deutsche Post DHL in Bonn gearbeitet, zuletzt als Vice President.
Hanna Huber
Hanna Huber hat die Branche gewechselt. Die Ex-CIDO des Modehändlers Calida stieg im April 2024 beim Reiseunternehmen Flix ein.
Björn Richter
Björn Richter ist CIO von DPD Deutschland. Er kam vom Paketdienst GLS. Sein Vorgänger Dirk Tiemann bleibt als Director IT bei DPD.
Hanno Boekhoff
Hanno Boekhoff ist seit Oktober 2017 neuer IT-Leiter bei der Reederei Hamburg Süd. Sein genauer Titel: Global Head of Information Technology & Services (ITS). Vor seiner Tätigkeit für die Hamburg Süd war Boekhoff in verschiedenen Bereichen der IT als Berater und als Manager tätig.
Ralf Morawietz
CIO beim Logistikdienstleister Panalpina mit Sitz in Basel ist ab Juli 2015 Ralf Morawietz. Er startete seine Karriere als IT-Experte 1998. Im Jahr 2002 kam Morawietz zu Deutschen Post, wo er verschiedende Management-Aufgaben wahrnahm. Im Januar 2010 wechselte Morawietz als Mitglied des nationalen IT Managementeams des Logistikers Kühne + Nagel. Zuletzt war er dort Senior Vice President Global IT Products.
Carsten Bernhard
Carsten Bernhard ist seit September 2016 Group CIO/CTO beim E-Commerce-Anbieter eDreams Odigeo mit Sitz in Barcelona. Er kommt von der TUI Deutschland, wo er seit August 2013 IT-Chef war. Zu eDreams Odigeo gehören die Marken eDreams, Opodo, Travellink, Go Voyages und Liligo.
Bernd Gemein
Seit 1. September 2018 ist Bernd Gemein neuer CIO für den Unternehmensbereich Post, E-Commerce, Parcel (PeP) bei der Deutschen Post DHL. In seiner neuen Funktion ist Gemein Mitglied des Executive Committee PeP. Er berichtet an PeP-COO Tobias Meyer. Gemein hatte seit 2003 bei der Deutsche Post DHL diverse Funktionen in den Bereichen IT Development und IT Customer Integration inne. Seit 2013 war er Geschäftsbereichsleiter IT Service Management PeP.
Alexander Brandmeier
Seit Juni 2019 ist Alexander Brandmeier neuer Leiter Informationstechnologie/CIO bei der DB Energie GmbH, dem Energieversorger der Deutschen Bahn AG in Frankfurt am Main. Zuvor war Brandmeier Leiter Architekturmanagement und Unternehmensarchitekt im Unternehmensbereich der Deutsche Bahn Fernverkehr AG.
Andreas Hamprecht
Seit August 2018 ist Andreas Hamprecht Leiter IT und CIO bei DB Regio und in Personalunion weiter Leiter Geschäftsentwicklung Schiene. Hamprecht ist seit März 2017 Leiter Geschäftsentwicklung Schiene bei der DB Regio AG, von 2010 bis 2017 war er Leiter Geschäftsentwicklung bei der DB Station & Service AG. Im DB-Konzern ist er bereits seit 2001 beschäftigt, mit bisherigen Funktionen in der Konzernstrategie, im internationalen Fernverkehr sowie beim Bahnhofsbetreiber DB Station & Service.
Falko Hagebölling
Falko Hagebölling ist seit Januar 2019 Senior Director Product Development & IT bei der Lufthansa-Tochter Miles & More GmbH in Frankfurt am Main. Der promovierte Diplom-Ingenieur der Elektrotechnik war bei Miles & More zuletzt seit Mai 2016 als Director Product Delivery für Projekt-, Portfolio- und Prozessmanagement verantwortlich. Im Juli 2018 übernahm er zusätzlich interimsweise die Funktion als Director IT.
Sami Awad-Hartmann
Sami Awad-Hartmann hat im März 2019 die Position des CIOs bei der Spedition Hellmann übernommen. Er war bereits von 2008 bis 2016 in verschiedenen führenden Positionen in der IT bei Hellmann tätig. Zuletzt war er stellvertretender Leiter IT global. Im Oktober 2016 hatte Awad-Hartmann die Spedition verlassen und war in das familiäre Geschäft im Fleischhandel bei Global Meat in Münster mit eingestiegen.
Horst Ulrich Mooshandl
Horst Ulrich Mooshandl ist seit April 2019 neuer CIO der Österreichischen Post. Sein genauer Titel lautet: Leitung Konzern-IT & Konzern-Einkauf. Zuvor schon hatte Mooshandl die Konzern-Einkauf geleitet sowie den Konzern-Fuhrpark gemanagt.

Agile Methoden will der Digitalvorstand nicht nur in technischen Bereichen, sondern beispielsweise auch im Personalwesen einführen. So teste man mittels MVPs beispielsweise E-Learning-Systeme für die Ausbildung von Straßenbahnfahrern und nähere sich damit einer endgültigen Lösung. Haenecke: "Wir wollen agile Methoden als Kernkompetenz in der gesamten Organisation aufbauen."

Zukunftsmarkt Ride Sharing: "Big is beautiful"

Gute Ideen braucht der Manager vor allem im Zukunftsmarkt Ride Sharing, in dem sich die BVG positionieren will. Er übersetzt den Anglizismus mit "geteilte Fahrten". Wer in diesem Markt Erfolg haben will, muss ein Plattform-Modell anstreben, ist Haenecke überzeugt. Dabei gelte die Devise "big is beautiful": Um Skaleneffekte erzielen zu können, müssten sehr viele Nutzer und Fahrzeuge zusammenkommen.

Neben dem klassischen ÖPNV will sich die BVG im Zukunftsmarkt Ride Sharing positionieren.
Foto: BVG / Oliver Lang

Haeneckes strategisches Ziel ist eine "intermodale Mobilitätsplattform". Vereinfacht ausgedrückt verbirgt sich dahinter eine App, die die Leistungen aller Mobilitätsanbieter in der Region übersichtlich zusammenfasst. Das Problem ist nur: Google und Apple bieten bereits ähnliche Lösungen an, auch Uber hat das Potenzial im Blick. Für die BVG stelle sich die Frage: "Können wir da mithalten? Wir verfügen nun mal nicht über 1000 Softwareentwickler, wie sie etwa Uber beschäftigt."

Ein gangbarer Weg führt laut Haenecke über Kooperationen, beispielsweise mit Startups aus der Mobility-Szene. Eine zentrale Aufgabe der BVG sei es, die unterschiedlichen Ride-Sharing-Dienste mit dem ÖPNV-Angebot zu verknüpfen. Die Basis dafür soll die "BVG-App" bilden, die laut Haenecke bereits fast drei Millionen mal heruntergeladen worden ist. Angesichts von gut drei Millionen Berliner Einwohnern sei das kein schlechter Wert. Ein Viertel der ÖPNV-Tickets verkaufe die BVG bereits papierlos via Apps.

Viele Regeln bremsen digitale Projekte aus

Die digitale Transformation des ÖPNV-Dienstleisters wirkt sich auch auf Organisationsstrukturen aus. So gründete die BVG unterhalb der Vorstandsebene eine Stabsabteilung Digitalisierung. Zum 1. November 2017 hat mit Henry Widerazudem ein Leiter Digitalisierung die Arbeit aufgenommen, der an Haenecke berichtet. IT- und Digitalisierungsstrategie seien dabei eng verzahnt, so der Manager: Während CIO Friedrich-Wilhelm Menge die technischen Voraussetzungen schaffe, sei der Leiter Digitalisierung dafür verantwortlich, neue Geschäftsmodelle umzusetzen.

Letzteres ist in der BVG als Anstalt des Öffentlichen Rechts ein besonders komplexes Unterfangen. So gibt es gesetzliche Regelungen wie das Vergaberecht oder interne Vorgaben zur Budgetierung, die Innovationsprozesse im Vergleich zu privaten Unternehmen erheblich in die Länge ziehen können.

"Das normale Regelsystem verhindert häufig eine pragmatische kundenzentrierte Herangehensweise", beobachtet Haenecke. Er setzt für wichtige Projekte grundsätzlich gemischte Teams ein, in denen auch Verantwortliche aus den Bereichen Controlling, Einkauf und IT zusammenarbeiten. Einwände gegen ein neues Vorhaben könnten in einem solchen Gremium direkt besprochen und im besten Fall entkräftet werden.

Erfolgsentscheidend auf dem Weg der digitalen Transformation ist aus seiner Sicht auch eine neue Kultur, die das Topmanagement vorleben müsse. Dazu gehöre die Devise: "Scheitern ist okay. Viele MVPs funktionieren in der Praxis nicht, das ist kein Beinbruch." Um diese Sicht zu veranschaulichen, lädt Haenecke schon mal Vertreter von sogenannten "Fuck-up-Nights" ein, die der BVG-Belegschaft von ihrem persönlichen Scheitern berichten.

Die digitale Zukunft der BVG ist auch eng mit klassischen IT-Herausforderungen verknüpft. Ein enormes Potenzial sieht Haenecke etwa in den "Mobilitätsdaten", die täglich im ÖPNV anfallen. Für Planungs- und Optimierungszwecke sammelt die BVG bereits GPS-Daten von Bussen.

In einem zweiten Schritt ließen sich künftig auch GPS-Daten von Kunden erheben, um beispielsweise herauszufinden, wo gerade Bedarf an ÖPNV-Diensten besteht. Bisher ist die BVG dabei auf manuelle Zählungen angewiesen, die die Mitarbeiter stichprobenartig leisten. Zusätzliche Mobilitätsdienste oder sogar neue Geschäftsmodelle könnten sich ergeben, wenn man solche Informationen mit weiteren, eventuell auch personenbezogenen Daten kombiniere.

Bis zu einer echten Big-Data- und Analytics-Umgebung ist es aber noch ein weiter Weg, räumt Haenecke ein. Viele grundsätzliche Fragen müssten dazu beantwortet werden, beispielsweise: Wie werden Daten erhoben? Wo werden sie gespeichert und auf welche Weise lassen sie sich analysieren? Welche Vorgaben macht der Datenschutz? - jede Menge Hausaufgaben also, die auf der To-do-Liste des CIOs stehen, bevor die BVG aus dem Rohstoff Daten geschäftsrelevante Erkenntnisse gewinnen kann.

E-Mobility im ÖPNV: Deutsche Hersteller hinken hinterher

Hürden ganz anderer Art muss der Digitalvorstand im BereichE-Mobility und autonomes Fahren nehmen. Die BVG sehe hier große Potenziale und würde gerne schneller vorangehen. Doch elektrische Busse, die mit Dieselfahrzeugen vergleichbare Leistungen böten, seien auf dem deutschen Markt kaum zu bekommen - egal ob Eindecker oder der typische Berliner Doppeldecker. Zudem fehle die notwendige Ladeinfrastruktur. Vor 2020 erwartet er keine durchgreifenden Verbesserungen und konstatiert: "Die deutschen Automobilhersteller haben hier den Anschluss verpasst."

Im Projekt "Stimulate" will die BVG herausfinden, wie Nutzer autonom fahrende Busse annehmen.
Foto: Charité/ Peitz

Dessen ungeachtet unternimmt die BVG erste Gehversuche mit autonomen Fahrzeugen. Im Pilotprojekt "Stimulate", an dem das Land Berlin und die Charité beteiligt sind, will Haenecke herausfinden, wie Nutzer fahrerlose Busse annehmen. Ab 2018 sollen die ersten elektrisch betriebenen Kleinbusse an zwei Charité-Standorten ihre Runden drehen. Die E-Busse liefert Navya, ein erst 2014 gegründeter französischer Hersteller, der sich auf autonome Fahrzeuge spezialisiert hat.