Britische IT-Dienstleister auf neuen Pfaden

Nearshore und Offshore schlagen Onshore

11.10.2006 von Andreas Schaffry
Der anhaltende Trend von Unternehmen, IT-Dienstleistungen von Offshore-Anbietern einzukaufen, macht auch vor der Software- und IT-Service-Industrie in Großbritannien nicht halt. Der Marktforscher Ovum prognostiziert in einer aktuellen Untersuchung, dass bis 2008 rund sechs Prozent der Arbeitsplätze in der IT-Service-Sparte wegfallen. Allerdings warnen die Analysten davor, die Situation zu dramatisieren, denn durch eine verbesserte Ausbildung könne diese Entwicklung deutlich verlangsamt werden.

Britische Unternehmen versuchen verstärkt, IT-Dienstleistungen international günstig einzukaufen, beziehungsweise Entwicklung und Betreuung von Software an Offshore-Dienstleister auszulagern (Global Sourcing). In diesem Zuge werden auch die britischen IT-Service-Anbieter ihre Offshore-Aktivitäten in den nächsten Jahren deutlich ausbauen. Das liegt an den geringen Wachstumsraten und niedrigen Gewinnmargen in diesem Sektor.

Personalkosten reduzieren

Die durchschnittlichen Kosten pro Angestelltem belaufen sich in Großbritannien auf mehr als 56.000 britische Pfund pro Jahr, ein Offshore-/Nearshore-Angestellter kostet etwas mehr als 24.000 britische Pfund pro Jahr, wie die Analysten errechneten.

Hier versucht die Industrie gegenzusteuern und Personalkosten zu reduzieren sowie bestimmte Aktivitäten in Offshore- oder Nearshore-Niederlassungen auszulagern oder zu automatisieren. Dazu gehören unter anderem Programmiertätigkeiten sowie einfache Call-Center-, Help-Desk und Back-Office-Arbeiten.

Insgesamt prognostizieren die Analysten den Beschäftigten der britischen Software- und IT-Service-Industrie negative Auswirkungen des Offshorings. So soll die Zahl der in Großbritannien Beschäftigten aus diesem Sektor bis zum Jahr 2008 von 249.000 um mehr als 15.000 auf weniger als 234.000 zurückgehen. Gleichzeitig werden immer mehr Beschäftigte aus Offshore- oder Nearshore-Ländern Service-Leistungen für den britischen IT-Service-Markt erbringen. Bis 2008 soll sich deren Anzahl auf 131.000 verdoppelt haben.

Mit Offshoring wollen die IT-Service-Anbieter jedoch nicht nur Kosten senken, sondern auch andere Ziele erreichen. Dazu gehören unter anderem höhere Service Level, Zugang zu knappen Kompetenzen sowie zusätzlicher Nutzen aus den Budgets für Forschung und Entwicklung. Für kleinere IT-Service-Unternehmen, die weniger als 100 Mitarbeiter haben, lohnt sich eine Offshore-Strategie allerdings kaum, sondern gefährdet eher deren Wettbewerbsfähigkeit.

Kein Grund zur Zufriedenheit

Es macht aus Sicht der Analysten keinen Sinn, bestimmte Tätigkeiten verzweifelt in Großbritannien halten zu wollen, sondern es geht darum, die Kernkompetenzen der jetzigen und künftigen IT-Mitarbeiter zu stärken und zu verbessern. Dazu gehören unter anderem die Fähigkeit innovative Lösungen zu entwickeln sowie die enge Zusammenarbeit mit Endkunden. Diese Kenntnisse müssten weiter ausgebaut und gestärkt werden, und zwar nicht nur im Hinblick auf den Bedarf an Fachkräften der IT-Firmen im eigenen Land, sondern auch mit Blick auf sehr stark von IT-Technologie abhängigen Industrien, wie Banken und Versicherungen, Telekommunikation, Medien und Öffentliche Verwaltung.

Um die Wettbewerbsfähigkeit der britischen IT-Fachkräfte weiter zu verbessern, identifizieren die Marktforscher vier Schlüsselbereiche. Die universitäre Ausbildung wird weiterhin ein wichtiger Faktor bleiben. Allerdings muss diese mehr als bisher technische Disziplinen mit den wirtschaftlichen Themen verbinden. Ein weiterer zentraler Punkt ist die kontinuierliche Weiterbildung von Mitarbeitern. Diese wurde in den vergangenen Jahren stark vernachlässigt und muss nun wieder in den Fokus rücken, eventuell unterstützt von steuerlichen Anreizen für Firmen.

Auch die Wiedereingliederung von britischen Angestellten, deren Jobs ausgelagert wurden, gilt es durch praxisorientierte Anreize wie Zuschüsse voranzutreiben. Schlussendlich sollte die positive Rolle der IT, für innovative Geschäftsmodelle effiziente Geschäftsprozesse zu entwickeln besser positioniert werden. Professionelle Standards, wie sie derzeit die British Computer Society (BCS) entwickelt, sind in diesem Bereich hilfreich.

Die Lage ist nicht hoffnungslos

Die Analysten haben auch einen Blick über das Jahr 2008 hinaus gewagt. Sie halten es nicht für unwahrscheinlich, dass künftig bis zu 70 Prozent der Software und IT-Services im Fernbetrieb an Offshore-Bereichen laufen. Allerdings sehen sie die Lage keineswegs so hoffnungslos wie viele andere Auguren, denn Offshore-Unternehmen wie TCS, Wipro oder Infosys werden vermehrt heimisches Personal einstellen, um ihre Marktpräsenz in Großbritannien zu erhöhen. Damit kann wenigstens ein Teil der verlorengegangenen Arbeitsplätze aufgefangen werden.

Im Rahmen der Untersuchung "The Impact of global sourcing on the UK software an IT services sector" befragten die Marktforscher rund 40 IT-Service-Unternehmen. Die Befragung wurde in der ersten Jahreshälfte 2006 durchgeführt.