Freelancer tritt gegen die etablierten Vermittler an

Neue Online-Plattform für den SAP-Freiberuflermarkt

17.11.2015 von Hans Königes
20 Prozent Provision des freiberuflichen Stundensatzes an den Vermittler abzutreten waren dem IT-Freelancer Stefan Vogt zuviel. So entschied sich der IT-Profi die eigene Plattform reeves ins Leben zu rufen, die SAP-Freelancer und Projektanbieter zusammenbringt.

Der SAP-Arbeitsmarkt - das zeigen die Auswertungen der letzten Monate - hat nichts an Dynamik verloren. Sowohl festangestellte als auch freiberufliche Experten kommen - vorausgesetzt das "Skill-Paket" passt, unproblematisch unter. Warum also das Honorar mit einem Vermittler teilen, zumal diese die Freiberufler heftigst umwerben. Das Xing-Postfach vieler gut qualifizierter Freelancer füllt sich von allein mit Angeboten. Einige SAP-Freiberufler haben sich mittlerweile aus den sozialen Medien schon abgemeldet, ob der als Belästigungen empfundenen Anfragen.

Hinzu kommt, dass sich CIOs und Freiberufler darüber beschweren, dass die Qualität der Recruiter in den Vermittlungsagenturen gelegentlich zu wünschen übrig lässt - vor allem, wenn es um komplexe IT-Themen geht und es zu verstehen gilt, ob das, was der Auftraggeber an Skills wünscht mit dem zusammenpasst, was im Profil des Freiberuflers steht.

Stefan Vogt ist Gründer des Online-Vermittlerportals reeves.
Foto: Reeves GmbH

"Manchmal fragt man sich schon, wie professionell Vermittler sein können, wenn sie grundlegende SAP-Begriffe nicht auseinanderhalten können und einen unpassenden Vorschlag unterbreiten", kritisiert Gründer Vogt. Sein Eindruck war schon lange, dass sich beide - Freelancer und Projektanbieter -"oft nur mangels Alternativen auf solche Deals" eingelassen haben.So war es für ihn naheliegend, über eine Möglichkeit nachzudenken, die Auftraggeber und Freiberufler aus der SAP-Welt zusammenbringt. "Es hat mich eh gewundert, dass bisher niemand auf die Idee gekommen ist, eine Online-Plattform einzurichten, auf der SAP-Freelancer und Auftraggeber direkt zueinander finden".

Spezialisierung auf den SAP-Arbeitsmarkt

Zunächst unterscheidet sich reeves kaum von anderen Online-Vermittlerportalen: Der Freelancer hinterlässt sein Profil und sucht nach Projekten. Umgekehrt können Projektanbieter ihre Vorhaben ausschreiben oder die Profile der Freelancer durchsuchen. Reeves wirbt damit, dass es durch die Spezialisierung auf den SAP-Arbeitsmarkt beiden Seiten maßgeschneiderte Suchfunktionen anbietet. Vogt erläutert: Es sind zwei so genannte Skill-Bäume eingerichtet. Der eine enthält hierarchisch geordnet alle SAP-Produkte, Module und Anwendungen; der andere Werkzeuge, die einen SAP-Berater oder -Entwickler in seiner Arbeit unterstützen. "So können sowohl eher fachlich als auch eher technisch orientierte Berater per Auswahl der entsprechenden Skills aus dem Skill-Baum angeben, was sie anzubieten haben," freut sich Vogt. Analog können die Auftraggeber den Skill-Mix zusammenstellen.

Vogts Ziel ist es, die Profilerstellung so unkompliziert wie möglich zu gestalten, "die Suche sollte so einfach sein wie diejenige nach einem Auto". Damit will er einem Trend Rechnung tragen, der zumindest im Mittelstand zu beobachten ist, dass nämlich Arbeitgeber das Staffing ihrer Projekte wieder in die eigene Hand nehmen wollen, die das "übliche Procedere mit anonymisierten Kandidatenprofilen und Abstimmrunden mit dem Vermittler leid sind", so Vogt. Er verzichtet auf die üblichen Vermittlungsprovisionen und verlangt eine monatliche Pauschale von beiden Seiten.

Freiberufler-Markt 2016: Was Personaldienstleister erwarten
Freiberuflervermittler reden Klartext
Scheinselbständigkeit, Wachstumschancen 2016, Kandidatenmarkt - das waren nur einige der Themen, über die die rund 20 Personaldienstleister diskutierten, die die COMPUTERWOCHE im Oktober 2015 zum Freiberufler-Roundtable in die Redaktion geladen hatte.
Luuk Houtepen, Sthree
Luuk Houtepen ist Head of Business Development DACH bei Sthree. Das erste Wort, das er in Deutschland lernte, war "Passt ned!". Da sucht ein bayerischer Konzern händeringend IT-Spezialisten und bekommt einen Kandidaten aus Hamburg vorgeschlagen - die Antwort lautet "passt ned".
Andreas Krawczyk, Freelancer.Net
Andreas Krawczyk, Chief Operation Officer (COO) bei Freelancer.Net, beobachtet, dass die viel zitierte Offenheit durchaus auch auf Seiten der IT-Freien fehlt. "Freiberufler sind auch oft passiv", sagt er, "sie kümmern sich zu wenig um Akquise."
Marco Raschia, top itservices
Marco Raschia, Director des Global Competenc Center Finance bei top itservices, sagt über die konservative deutsche Unternehmenskultur: "Diese Thematik haben wir ja jetzt durch die aktuelle Flüchtlingskrise auf dem Tisch." Er begrüßt, dass viele Bildungsträger Sprachkurse anbieten.
Christian Neuerburg, DIS AG
Ein weiterer großer Schmerzpunkt ist die unklare Rechtslage, Stichwort Scheinselbständigkeit. Christian Neuerburg, Manager Operations bei der DIS AG, legt denselben Katalog an Prüfkiterien an Selbständige zugrunde wie die deutsche Rentenversicherung. Neuerburg weiß: Eben jener Katalog der Rentenversicherung ist keine Drohkulisse, sondern "gelebte Realität".
Nikolaus Reuter, Etengo
Nikolaus Reuter, Vorstandschef von Etengo, engagiert sich gemeinsam mit dem Deutschen Bundesverband Informationstechnologie für Selbständige (DBITS) und leistet Lobbyarbeit auf bundespolitischer Ebene. Er sagt: "Selbst Andrea Nahles hat mit dem Dialogprozess 'Arbeiten 4.0' verstanden, dass sie ein hundert Jahre altes Gesetzeswerk nicht einfach in neue Formen klopfen kann."
Michael Girke, Q-Perior
Wie Michael Girke, Partner bei Q-Perior, beobachtet, beschäftigt das Thema Scheinselbständigkeit ganze Compliance-Abteilungen. Manche Branchen allerdings wollen schon gar nicht mehr mit Freiberuflern zusammenarbeiten, etwa Risiko-averse Versicherungen.
Daniela Kluge, Gulp
„Wir Dienstleister haben es mit zwei herausfordernden Zielgruppen zu tun. Auf der einen Seite steht der selbstbewusste Freiberufler, der weiß, was er kann und was er wert ist. Auf der anderen Seite sind die Endkunden nicht mehr bereit, jeden Preis zu zahlen. Trotzdem ist der durchschnittlich erzielte Stundensatz der IT- und Engineering-Freiberufler in 2015 laut unserer Stundensatz-Umfrage um 50 Cent marginal auf 80,50 Euro gestiegen - ein Anzeichen für einen starken Kandidatenmarkt."
Andreas Dittes, Talentwunder
„Die Fachkräfte wissen um ihren Wert. Vor allem die jüngere Generation hat nicht nur finanzielle Ansprüche, sondern erwartet von ihrem Auftraggeber Flexibilität, etwa in Hinblick auf eine Vier-Tage-Woche oder eine Home-Office-Regelung.“
Sven Herzberg, Goetzfried
„Diese Erwartungen der Generation Y (Teilzeiteinsatz, Home Office, etc) decken sich häufig aber nicht mit denen des Kunden. Ein IT-Freiberufler hat in der Regel vor Ort zu sein, auch anderswo werden keine Kompromisse gemacht: So gilt Deutsch nach wie vor als Projektsprache. Ohne Deutschkenntnisse wird es für Freiberufler schwierig, ein Projekt zu finden.“
Carlos Frischmuth, Hays
„Deutsche Unternehmen wünschen sich zu einem überwiegenden Anteil den Einsatz deutschsprachiger Freiberufler in der IT - allerdings verzeichnen wir parallel dazu eine kontinuierliche Öffnung der internationalen Projektmärkte insbesondere für IT-Freelancer aus Deutschland!“
Andreas Nader, Questax
„Unsere Kunden erwarten nach wie vor, dass der Freiberufler bei Ihnen vor Ort im Einsatz ist, zum einen weil die freiberuflichen Experten ihr Wissen an die Mitarbeiter weitergeben sollen. Zum anderen erfordern etwa agile Methoden wie Scrum, dass alle Entwickler präsent sind und sie sich mitunter täglich austauschen und untereinander abstimmen.“
René Troche, Westhouse Consulting
„In großen Unternehmen entscheidet der Einkauf, welche Freiberufler beauftragt werden. Und sie arbeiten in der Regel nur noch mit vier bis fünf Personaldienstleistern zusammen. Mehr Offenheit und Breite findet man in kleinen und mittelständischen Betrieben.“
Stefan Frohnhoff, emagine
„Das Thema Scheinselbständigkeit sorgt sowohl bei Unternehmen als auch bei Freelancern schon seit geraumer Zeit für Unsicherheit.“
Shahin Rejaei Pour, iPAXX
„Ein IT-Experte ist ein Mensch, man kann ihn nicht wie eine Ware bestellen und aus dem Regal holen.“
Maxim Zvezdan Probojcevic, SOLCOM
„Der Markt wächst auch deshalb, weil die Auftraggeber mit der Qualität, die deutsche Freelancer abliefern, sehr zufrieden sind.“
Frank Shams, 1st Solution
"Ich habe den Eindruck, dass ein Freiberufler oft auf einen Skill reduziert wird. Dabei besteht das eigentliche „ Können" darin, ihn mit all seinen „Fähigkeiten" zu bewerten.“