Analysten-Kolumne

Neue Sourcing-Strategien in der Finanzwirtschaft

05.09.2007 von Berthold Fabian
Dass die Inder Europa erobern wollen, ist nicht neu. Schließlich versuchen die indischen Offshorer seit längerem in Europa Fuß zu fassen. Neu indes ist, dass eine indische Großbank ihre Fühler auf den deutschen Bankenmarkt ausstreckt.
Capgemini-Analyst Berthold Fabian: "Eine richtige Outsourcing-Strategie hat viel mit der Unternehmenssteuerung zu tun."

Im Handelsblatt war zu lesen, dass sich DiBa, Comdirect und andere Direktbanken auf einen neuen Wettbewerber einstellen müssen: Indiens zweitgrößte Bank ICICI will mit attraktiven Zinsen den Markt für Online-Sparkonten aufmischen und auch als Geschäftsbank in Deutschland Fuß fassen. Lockmittel sollen die besseren Zinsen sein. Da die Software aus Indien stammt und sich auch das gesamte Back-End dort befindet, werden die Technologie-Kosten von ICICI laut Handelsblatt nur bei einem Zehntel westlicher Banken liegen.

Mit den eigenen Waffen schlagen

Stellt sich nun die Frage, wie deutsche Banken auf einen möglichen Run aus Asien reagieren sollen. Sollen sie sich darauf verlassen, dass - wie bei so manchem indischen Offshorer erlebt - diese an ihre Grenzen stoßen? Auf einen möglichen Misserfolg zu setzen, ist für die hiesigen Banken mehr als riskant. Dagegen sprechen auch die vielen Erfolgsgeschichten indischer Unternehmen in europäischen Nachbarländern.

Anstatt abzuwarten, bietet sich für die deutsche Finanzwirtschaft eine viel interessantere Alternative an: Agieren statt Reagieren. Wie wäre es beispielsweise mit einem Outsourcing-Konzept, das IT und Backoffice in Indien und Callcenter weiterhin beim Kunden kombiniert? Dem neuen Player sozusagen mit einem eigenen Angebot optimierter Service-Kombinationen begegnen? Eine Überlegung ist das allemal wert. Dafür sollten wir zunächst einmal einen Blick auf den Status quo des Outsourcing-Marktes in der Finanzwirtschaft werfen. Klassische IT-Outsourcing-Leistungen finden sich in der Infrastruktur, also Netzbetrieb, Desktop-Services, aber auch zunehmend im Rechenzentrumsbetrieb. Weniger häufig hingegen sind Entwicklungsleistungen von besonderen fachlichen Anwendungen oder auch Wartung und Pflege ausgelagert.

Doch was umfasst eigentlich eine IT-Sourcing-Strategie? Wenn die Inder ihr Backoffice komplett in Indien haben und nur das Frontoffice in Deutschland, heißt das, dass die deutschen Banken auch ihr komplettes IT-System in den Subkontinent transferieren sollen? Die Antwort sollte differenzierter sein. Denn während die indischen Anbieter mit einer fast reinen - aus unserem Blickwinkel - Offshore-Strategie arbeiten, können europäische Anbieter mit einem Mischmodell arbeiten.

Dazu ein wenig Hintergrund: Zunächst stehen die Unternehmen - egal aus welcher Branche - vor der Wahl zwischen Onsite (am Standort des Unternehmens im Inland), Onshore (im Land des Unternehmens), Nearshore (Osteuropa, Spanien oder Irland) sowie Offshore (Indien, China). Für eine ganze Reihe deutscher Firmen ist es vorrangig eine Frage des Vertrauens sowie der geografischen Nähe, dass sie Nearshoring bevorzugen. Treten Probleme auf, sind hiesige IT-Manager lieber in zwei Stunden in Krakau oder Madrid als in zehn Stunden in Bangalore. Langsam indes werden auch die Offshore-Standorte akzeptiert.

Da jedes Unternehmen anders ist, stellt es spezifische Prioritäten und Anforderungen an einen IT-Servicepartner. So benötigt der eine Kunde beispielsweise einen internationalen Helpdesk, der die verschiedenen Sprachen aus den Ländern abdeckt, in denen die Vertriebsorganisationen des Kunden tätig sind, während ein anderer Kunde einen Support wünscht, der die ganze Woche rund um die Uhr verfügbar ist.

Oft ist "Time-to-Market" ein kritischer Faktor, das heißt, der IT-Dienstleister muss in der Lage sein, Lösungen quasi über Nacht bereitzustellen. Viele Unternehmen möchten die Kosten für den Betrieb der IT-Systeme möglichst stark reduzieren, ohne auf regionale Ansprechpartner für die Fachabteilungen an den regionalen Produktions- und Vertriebsstandorten zu verzichten. Andere wiederum legen großen Wert darauf, dass der Dienstleister die Software-Anwendungen an einem Standort mit einer stabilen geopolitischen Lage betreibt. Letzteres ist, wenn man sich die ständig wechselnde politische Großwetterlage anschaut, gar nicht so einfach zu erfüllen.

Die Mischung macht’s

Stellt man nun all diese unterschiedlichen Anforderungen und Shore-Bausteine auf den Prüfstand, erlebt man immer wieder, dass sich Unternehmen für kombinierte Modelle entscheiden: die richtigen Ressourcen, am rechten Ort, zum günstigen Preis und zur rechten Zeit.

Die richtige Outsourcing-Strategie hat also viel mit der Unternehmenssteuerung zu tun. Sie verhilft den Unternehmen und damit in unserem Beispiel den Banken zu einem Wechsel der Aktivitätsebene: vom Reagieren zum Agieren. Und dies kann man sehr gut auf fast alle Branchen übertragen, denn letztlich können mit dem Vorteil der günstigen Backoffice-Prozesse in der Hinterhand indische Unternehmen in Branchen jeglicher Couleur auftauchen. Umso dringlicher ist es für deutsche Firmen, eigene erfolgreiche Konzepte zu erstellen, um neuen Mitbewerbern die Stirn zu bieten.

Erfolgreiche Outsourcing-Strategien sind besonders wichtig für die Unternehmen, die sich mit diversen Projekten in einem Near- oder Offshore-Land schon einmal eine blutige Nase geholt und die Sprachprobleme und kulturellen Unterschiede nicht in den Griff bekommen haben. Anstatt zu sagen, das haben wir uns doch gleich gedacht, sollten sie sich nach neuen Wegen umschauen. Zum Beispiel gemeinsam mit einem kompetenten, erfahrenen und global aufgestellten Service-Provider einen erneuten Versuch wagen. In der Tat wenden sich immer mehr Unternehmen an etablierte Outsourcer, die über ausreichende Kompetenz, Erfahrung und international verteilte Service-Center verfügen. Eine weise Entscheidung, denn eines ist sicher: Auch wenn jetzt gerade Unternehmen der Finanzwirtschaft mit einem indischen Wettbewerber konfrontiert sind - andere Branchen werden mit Sicherheit folgen.

Berthold Fabian ist Business Development Manager Outsourcing bei Capgemini.