Führung und Digitalisierung

Next Gen Leader händeringend gesucht

26.03.2018 von Christiane Pütter
Die Auswirkungen der Digitalisierung auf die Führungskultur beschäftigen Entscheider weltweit stärker als Wettbewerbsdruck und Rezession. Eine Studie nennt sechs Trends über Führung in der digitalen Transformation.
  • Seit etwa drei Jahren verschlechtert sich der Ruf von HR-Abteilungen
  • Firmen mit hoher Innovationskraft und Technologie-Führerschaft vernachlässigen die persönliche Entwicklung ihrer Führungskräfte
  • Nur 14 Prozent der befragten Manager geben an, ihr Unternehmen verfüge derzeit über die richtigen Führungskräfte

Wie verändert die Digitalisierung Arbeiten und Führen - diese Frage leitete den "Forecast 2018: 25 Research insights to fuel your people strategy". Hinter der großangelegten Studie stehen die Berater EY (Ernst & Young) und DDI sowie der Marktforscher The Conference Board. Eines der Ergebnisse: HR-Abteilungen verlieren weiter an Einfluss.

Die richtigen Führungskräfte zu entwickeln, ist eine stärkere Herausforderung als das Auftauchen neuer globaler Wettbewerber.
Foto: EY, DDI, The Conference Board

Knapp 26.000 Entscheider und mehr als 2.500 Personaler nahmen an der Studie teil. Aus ihren Antworten kristallisieren die Berater folgende sechs Megatrends heraus:

1. Digitale Skills zahlen sich aus

Digitale Pioniere erwirtschaften messbar bessere Ergebnisse: Die Marktforscher klassifizieren Unternehmen mit besonders hohen digitalen Skills als "Pioniere". In dieser Studie sind das 25 Prozent der gesamten Stichprobe. Im Vergleich mit den Durchschnittswerten aller Befragten erreichen Digital Pioniers Finanzkennzahlen, die rund 50 Prozent über dem Schnitt liegen.

2. Daten schaffen Chancengleichheit

Sitzen Frauen in der Führungsriege, steigt die Wahrscheinlichkeit nachhaltigen Wachstums um den Faktor 1,4. Die Studienautoren sehen auch das in der Digitalisierung begründet - Erkenntnisse aus Big Data veranlassten Firmen zu Diversity.

3. Die Kommunikation klarer Ziele rechnet sich

Kommuniziert die Geschäftsleitung ihre Ziele und Zwecke, kann das Unternehmen bis zu 42 Prozent mehr Umsatz als der Durchschnitt erreichen. Die Studienautoren führen das auf die Mentalität jüngerer Mitarbeiter zurück, explizit sprechen sie hier von der Generation X (Jahrgänge 1965 bis 1980) und den Millennials (zwischen 1980 und 1999 geboren). Sie arbeiteten produktiver, wenn sie den Kontext ihrer Tätigkeit verstehen.

4. Führungskräfte brauchen Mentoren

Die Ansprüche an Führungskräfte wachsen. Daher brauchen Chefs Unterstützung durch Mentoren. Das wirtschaftlich erfolgreichste obere Drittel der Studienstichprobe arbeitet mit formalisierten Mentoring-Programmen.

5. (Fast) jeder eignet sich zum Leader

Die Marktforscher identifizieren Unternehmen mit breit angelegten Mitarbeiterentwicklungs-Initiativen. Diese folgen nicht dem Bild einer firmeninternen Elite, sondern vermuten grundsätzlich in jedem Mitarbeiter Leadership-Potenzial. Die Wahrscheinlichkeit, dass solche Firmen überdurchschnittlich gut wirtschaften, steigt um den Faktor 4,2.

6. Die Personalabteilungen fallen immer weiter zurück

Seit etwa drei Jahren wird der Ruf von HR-Abteilungen (Human Ressources) immer schlechter, beobachten die Studienautoren. Denn diese entwickeln keine eigenen Skills für die Digitalisierung. Gleichzeitig belegt die Umfrage den Nutzen von People Analytic-Lösungen. Wer sie einsetzt, steigert seine Wahrscheinlichkeit, überdurchschnittliche Ergebnisse zu erzielen, um den Faktor 3,1.

Digitalisierung als Haltung, die über technologisches hinausgeht

Als größte Herausforderungen gelten mehr als sechs von zehn Befragten das Entwickeln von "Next Gen"-Leadern (64 Prozent) und die Fähigkeit, Top-Mitarbeiter zu finden und zu binden (60 Prozent). Zum Vergleich: Neue globale Wettbewerber zählen 48 Prozent der Befragten zu den größten Herausforderungen, eine weltweite Rezession 22 Prozent.

Eine gute - weil für die Digitalisierung geeignete - Führungskraft weist 16 Merkmale auf.
Foto: EY, DDI, The conference Board

Die Studienautoren führen verschiedene Merkmale auf, die eine gute Führungskraft im digitalen Zeitalter beschreiben. Demnach verfügen solche Chefs über gute Kenntnisse der Digitalisierung an sich, hier beschrieben als "digital literacy" (Literacy = Alphabetisierung), und sie nutzen die Mittel der Digitalisierung, um zu führen. Daher können sie auch virtuelle Teams leiten. Sie kümmern sich um Vernetzung und Integration sowie um Kollaboration. Sie sind kulturell und intellektuell neugierig, zeigen Einfühlungsvermögen und wahren stets einen 360-Grad-Blick.

Die Studienautoren stellen klar, dass Digitalisierung als eine grundsätzlich offene Haltung verstanden werden muss und nicht an Technologie klebt. Sie betonen, dass derzeit innovative Unternehmen mit Technologie-Führerschaft Gefahr laufen, ihren Status zu verlieren. Das liegt an vier spezifischen Schwächen.

4 typische Schwächen von Technologie-Führern

  1. Unklares Karriere-Management: Im Schnitt erklären 78 Prozent aller Befragten, sie wüssten, wie die Karriere-Pfade in ihrem Unternehmen verlaufen - in den "Tekkie-Firmen" sind es mit 64 Prozent deutlich weniger. Das kann den persönlichen Einsatz bremsen und die Wechselbereitschaft steigern, mahnen die Berater.

  2. Keine individuellen Entwicklungspläne: Anschließend an Punkt Eins zeigt sich, dass Firmen mit Technologie-Führerschaft zu wenig Wert auf individuelle Entwicklungspläne legen.

  3. Führungskräfte sind sich selbst überlassen: Unterdurchschnittlich oft stellen technologisch versierte Unternehmen ihren Führungskräften Mentoren oder externe Unterstützer an die Seite.

  4. Entwicklung ist gar kein Thema: Führungskräfte aus "Tech-savvy"-Unternehmen erklären überdurchschnittlich oft, dass sich Gespräche mit ihren Vorgesetzten nur um die fachliche Leistung drehen. Über die persönliche Entwicklung wird überhaupt nicht gesprochen.

Fazit: In einer Gesamtschau aller befragten Manager erklären lediglich 14 Prozent, ihr Unternehmen habe zurzeit die Führungskräfte, die es brauche. Nicht einmal Cyber-Security bereite den Managern mehr schlaflose Nächte als der Mangel von passenden Managern, kommentiert EY.

Die häufigsten Fehler neuer Chefs und Führungskräfte
Falle 1: Die Wichtigkeit der Antrittsrede unterschätzen
Es ist hilfreich, die Mannschaft zu einem Come together einzuladen und sich noch einmal offiziell vorzustellen. In einer kurzen Rede sollte man zum einen etwas über sich samt Werdegang erzählen und zum anderen bereits einen Einblick in den Führungsstil sowie Werte und Ziele geben.
Falle 2: Sofort alles auf den Kopf stellen
Neue Führungskräfte verfallen wegen der hohen Erwartungshaltung häufig in blinden Aktionismus. Es ist besser, die ersten Wochen für Mitarbeitergespräche zu nutzen. So bekommen Sie einen Überblick über Erwartungen, Aufgaben, Zusammenarbeit, Prozesse und mögliche Knackpunkte. Erst nach der Bestandsaufnahme sollten Veränderungen unter Einbindung der Mitarbeiter angestoßen werden.
Falle 3: Von Mitarbeitern instrumentalisieren lassen
Kommt eine neue Führungskraft, tendieren Mitarbeiter gerne dazu, sie für ungeklärte und unbefriedigende Belange einzuspannen, damit sie sich für diese Anliegen gegenüber Dritten starkmacht. Aber hier ist Vorsicht geboten, weil oft nur die subjektive Wahrnehmung ans Licht kommt. Man sollte also keine Versprechungen machen und voreiligen Entscheidungen treffen, sondern sich zunächst einen umfassenden Eindruck über den Status quo und über Verantwortlichkeiten verschaffen.
Falle 4: Intensive Freundschaften mit Mitarbeitern eingehen
Entwickeln sich Freundschaften zu einzelnen Kollegen, sollte man hinterfragen, welchen Einfluss die Beziehung auf das Tagesgeschäft im Unternehmen hat und welchen Eindruck Kollegen und Vorgesetzte bekommen, wenn sie von der Freundschaft erfahren. Zum Schutz von Führungskraft und Mitarbeiter ist es daher sinnvoll, ausreichend Distanz zu wahren.
Falle 5: Recht behalten und Fehler nicht eingestehen
Fehler einzugestehen und Kritik von Mitarbeitern anzunehmen wird oft als Führungsschwäche ausgelegt. Das Gegenteil ist jedoch der Fall. Wahre Größe und Kompetenz beweist, wer offen für berechtigte Kritik ist und gegebenenfalls eine Entscheidung rückgängig macht. So gewinnt man als Vorgesetzter Glaubwürdigkeit und Vertrauen.
Falle 6: Konflikten aus dem Weg gehen
Harmoniebedürftige Führungskräfte sind meist auch konfliktscheu. Sie hoffen insgeheim, dass sich Probleme von selbst lösen, und sprechen Missstände oft viel zu spät an. Ob Fehlverhalten von Mitarbeitern oder Konflikte im Team - Sie sollten Erwartungen frühzeitig nennen, immer konstruktives Feedback geben und rechtzeitig nachsteuern. Klarheit in der Führung ist ein wesentlicher Erfolgsfaktor. Und Klarheit und Freundlichkeit schließen sich nicht aus.
Falle 7: Immer eine offene Tür haben
Eine Aussage wie "Sie können jederzeit zu mir kommen" ist fatal. Der Grund: Ungeplante Gespräche bringen den Tagesablauf durcheinander und reißen die Führungskraft bei ihrer jeweiligen Aufgabe aus der Konzentration. Soll heißen: Führen "zwischendurch" ist nicht ratsam. Nehmen Sie sich nach Abstimmung ungeteilte Zeit für Mitarbeitergespräche.
Falle 8: Experten im Fachwissen übertreffen wollen
Es ist ein Trugschluss, als Führungskraft zu glauben, auf jede fachliche Frage eine Antwort haben zu müssen oder jedes Problem lösen zu können. Dafür sind die Fachleute zuständig, nämlich die Mitarbeiter mit ihrem entsprechenden Fachwissen. Der Job des Vorgesetzten ist primär, Führungs- und Steuerungsaufgaben wahrzunehmen. Wer sich als Chef dennoch dafür verantwortlich fühlt, wird schnell zum "Obersachbearbeiter". Tipp: Delegieren Sie, damit Sie Freiräume gewinnen und Ihre Ziele erreichen.