Beispiel SAP

Nur auf einem Ohr taub - ERP-Anbieter und Anwenderwünsche

23.11.2006 von Thomas Mach/CW.at
Software, die von Haus aus alle notwendigen Funktionen mitbringt und keine Wünsche offen lässt, bleibt ein unerfüllter Traum in den IT-Abteilungen. Die Realität sieht ganz anders aus. Fehlende Funktionen und ständig wachsende Anforderungen aus den Fachbereichen halten die CIO auf Trab. Wem das notwendige Kleingeld fehlt, diese Mankos der eingekauften Business-Applikationen selbst aus der Welt zu schaffen, der ist auf die Kooperation mit den Software-Herstellern angewiesen.

"Die Arroganz, nur im eigenen Kämmerlein zu werkeln, kann sich heute kein Software-Hersteller mehr leisten", meint Frank Naujoks, Analyst von IDC. Es sei durchaus zu spüren, dass sich die Anbieter bemühen, ihr Ohr am Kunden zu haben. Allerdings hänge es natürlich auch von der Marktmacht des Anwenders ab, wie schnell dessen Wünsche Gehör finden, schränkt Naujoks ein. "Als Betreiber der größten Installation im Land findet der Kunde einen anderen Zugang zum Software-Anbieter als jemand, der gerade einmal fünf Lizenzen gekauft hat."

"Es ist wichtig, die Anforderungen zu bündeln", meint Dieter Ziegler, Sprecher der SAP User-Group im Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV). "Das erzeugt mehr Nachdruck." Die Anwendergruppe vertritt die Software-Anliegen der Versicherungsbranche gegenüber SAP. In Arbeitsgruppen definieren die beteiligten Unternehmen Themen und bringen die Anforderungen beim Hersteller vor. "Diese Bemühungen sind allerdings nicht immer von Erfolg gekrönt", räumt der Versicherungsinformatiker ein. SAP wäge die Folgen von Entwicklungsaufträgen genau ab: "Bei allen Veränderungen spielt die wirtschaftliche Tragweite eine Rolle."

Priorität: Eine Frage der Masse

Die Priorisierung der Anträge erfolge je nach Tragweite, bestätigt Harald Eckert, Vice President Product & Service Introduction von SAP. Wenn sich eine kritische Masse ergebe, dann führe dies zu einer höheren Priorisierung. Wenn es sich jedoch um einen Einzelwunsch handle, dann könne ihn sich der Kunde über das Serviceangebot von SAP, beispielsweise das Custom Development oder einen Partner erfüllen lassen. Die wirtschaftliche Entscheidung hänge davon ab, ob an der gewünschten Änderung noch viele andere Anwender Interesse haben könnten. Nur dann gebe es Sinn, eine Neuerung im Standard einzupflegen.

Grundsätzlich liege SAP viel an einem engen Kontakt zu seinen Kunden, beteuert Eckert. Gerade im Hinblick auf die allgemeine Marktentwicklung empfehle es sich, gut zuzuhören, wo die Interessen der eigenen Klientel liegen und wie sich neue technische Trends etablieren. SAP biete Anwendern eine Reihe von Kontaktmöglichkeiten. Eckert zählt dazu das SAP Developer Network (SDN), die User Groups, Ramp-up-Programme sowie Entwicklungsservices und -kooperationen. Welcher Weg einem Kunden nahe gelegt werde, hänge nicht von seiner Größe ab, versichert der SAP-Mann.

"Die größeren Anwender haben eine stärkere Lobby und können deshalb ihre Wünsche besser durchsetzen", widerspricht Karin Henkel, Analystin von Strategy Partners. Auch wenn die Hersteller dies abstritten, stießen kleine und mittlere Anwender oft auf taube Ohren und würden mit ihren Problemen meist kaum wahrgenommen. Viele Firmen wüssten zudem auch gar nicht, auf welchem Wege sie ihrem Anliegen bei einem Anbieter wie SAP Geltung verschaffen könnten.

Die großen Anbieter seien komplex organisiert, bestätigt Michael Neff, CIO bei Heidelberger Druckmaschinen. Das treffe neben SAP auch auf Microsoft und Oracle zu. Man habe oft den Eindruck, dass diese Software-Konzerne Themen, die den Anwendern wichtig sind, aus den Augen verlieren. Der CIO empfiehlt, ein Netz zu knüpfen und zu pflegen. Für die Anwender sei es wichtig, die richtigen Ansprechpartner bei den Software-Herstellern zu kennen und diesen auch immer wieder die eigenen Anliegen vor Augen zu führen.

Wer dennoch mit seinen Entwicklungsanträgen auf taube Ohren stößt, muss sich andere Mittel und Wege einfallen lassen, beispielsweise über eine Entwicklungspartnerschaft mit dem Software-Lieferanten. In den zurückliegenden Jahren haben sich vor allem im SAP-Umfeld eine Reihe dieser Kooperationen etabliert, gerade im Hinblick auf Branchen- und Industrielösungen.

Erst eine Abfuhr von SAP, dann doch Interesse

Dabei schienen die SAP-Verantwortlichen an diesem Feld zunächst kaum interessiert, erinnert sich Herbert Reichelt, Vorstandsbevollmächtigter des AOK-Bundesverbands. "Mit der Idee, eine Branchenlösung für Krankenkassen zu bauen, haben wir uns Mitte der 90er Jahre zunächst eine Abfuhr eingehandelt." Es sei ein zu kleiner Markt, habe es von Seiten der SAP geheißen. Erst nach der Entscheidung des Managements in Walldorf, einzelne Industrien gezielt mit Branchen-Software zu adressieren, sei die Krankenkasse wieder ins Gespräch gekommen. Im Jahr 2000 beschlossen beide Seiten, parallel an Versicherungslösungen zu arbeiten.

Reichelt zieht eine positive Zwischenbilanz des Projekts Oscare, ehemals SAP-AOK-Master (SAM). Nur im Rahmen einer solchen Entwicklungskooperation habe man Einfluss auf SAP-Standards nehmen können. Das eine oder andere, was die eigene IT-Abteilung sonst hätte selbst entwickeln müssen, habe der gesetzliche Krankenversicherer im SAP-Versicherungsstandard unterbringen können, berichtet der AOK-Manager.

Zusammenarbeit entwickelt sich

Dieser Prozess dauert nach wie vor an, erläutert Klaus Schmitt, Geschäftsführer des IT-Dienstleisters AOK Systems. Demnach habe der Versicherer in den ersten Modulen von Oscare einen wesentlich höheren Anteil Eigenentwicklung einbringen müssen. Verschiedene Eigenheiten des Gesundheitswesens wie beispielsweise die vielfältigen Beziehungen zu Arbeitgebern, Ärzten, Krankenhäusern und Apotheken habe das SAP-System nicht abbilden können. Schmitt schätzt die Anteile zwischen SAP-Standard und AOK-Add-on in den ersten Versionen auf "fifty-fifty". In Zukunft soll der SAP-Anteil der AOK-Lösung auf zwei Drittel wachsen.

Anwenderunternehmen müssten sich genau überlegen, worauf sie sich einließen, warnt Analystin Henkel. Gerade wenn es um Entwicklungskooperationen geht, müsse im Vorfeld festgelegt werden, bei wem das Know-how liege und wie die Rechte an der Software zwischen den Beteiligten aufgeteilt werden sollen. Henkel berichtet von einem Fall, in dem ein Anwender SAP kräftig zugearbeitet habe, am Ende jedoch der Software-Hersteller alle Rechte an dem Endprodukt in der Hand gehalten habe. Der Anwender habe seine eigenen Entwicklungen von SAP in Lizenz nehmen und bezahlen müssen.

Diese Bedenken teilen die Verantwortlichen bei Karstadt-Quelle nicht. Der Handelskonzern arbeitet seit 2002 gemeinsam mit SAP an einer Standard-Retail-Lösung. Martin Schleinhege, Sprecher für den Bereich Services des Konzerns, hat kein Problem damit, dass das eigene Know-how auch anderen Nutzern von SAP-Industrielösungen für den Handel zur Verfügung steht.

Er sieht seine Wettbewerbsvorteile durch die enge Kooperation mit SAP dennoch gewahrt. Schließlich sei die Software speziell auf die eigenen Anforderungen zugeschnitten.

Wettbewerber müssten das Produkt implementieren und auf die jeweiligen Bedürfnisse hin anpassen. Ein weiterer Vorteil für Karstadt-Quelle liege darin, dass die Software als Standardlösung von SAP weiterentwickelt und gepflegt werde. Damit entfielen für das Handelshaus mühevolle Anpassungen.