Nutzen für Unternehmen

Quantencomputer machen künftig den Unterschied

28.05.2021 von Bert Woschkeit
Bert Woschkeit wettet, dass in fünf Jahren Quantencomputer bei Optimierungsaufgaben und anderen aufwendigen mathematischen Berechnungen in vielen Unternehmen einen sichtbaren Nutzungsanteil neben klassischen Computern erobert haben werden.
Bert Woschkeit ist Chief Information Officer bei Hermes Germany.
Foto: Hermes Germany GmbH

Nachdem es länger ruhig um die Entwicklung von Quantencomputern gewesen ist, vergeht bald keine Woche mehr, in der nicht irgendein Forscherteam neue Errungenschaften, spektakuläre Berechnungserfolge oder dienstbare Helfer zur Nutzung dieser Technologie veröffentlicht.

In einem "Nature"-Artikel wurde Ende Oktober 2019 von der sogenannten Quantum Supremacy (Quantenüberlegenheit) berichtet. Der vom Google-Konzern entwickelte Quantenprozessor Sycamore habe mit seinen 53 Qubits ein mathematisches Problem in 200 Sekunden gelöst, das einen herkömmlichen High-End-Computer 10.000 Jahre beschäftigt hätte, berichtete das Fachmagazin. In der wissenschaftlichen Diskussion hat sich der Vorteil des Quantencomputers inzwischen auf das Verhältnis von 200 Sekunden zu 2,5 Tagen reduziert. Genau dieses Beispiel macht die Potenziale der neuen Technik deutlich.

Unsere klassischen Rechner arbeiten mit Bits, die entweder den Zustand "0" oder "1" annehmen können. Ein Quantenbit kann nicht nur beide Werte gleichzeitig annehmen, sondern auch jeden anderen Wert dazwischen. Das nennt man Superposition.

Ein weiterer quantenmechanischer Effekt ist die Verschränkung. Verschränkte Elementarteilchen erhält man zum Beispiel, wenn man ein energiereiches Lichtteilchen, also ein Photon, auf ein spezielles doppelbrechendes Kristall schießt. Es entstehen dann zwei Photonen mit halber Energie, die miteinander verschränkt sind. Das eine Photon hat die Polarisation vertikal, das andere die Polarisation horizontal. Messen wir die Polarisation des einen Teilchens, kennen wir auch augenblicklich die Polarisation des anderen.

Manipulieren wir eines dieser verschränkten Teilchen, so geschieht die Manipulation zeitgleich auch beim zweiten, egal, wie weit es vom ersten entfernt ist. Mit den beiden verschränkten Photonen haben wir ein Quantenbit, ein sogenanntes Qubit geschaffen.

Albert Einstein wollte an die Superposition und die Verschränkung nicht glauben und forschte an Gegenbeweisen. Er sagte: "Gott würfelt nicht!" Und nichts könne schneller als mit Lichtgeschwindigkeit passieren. Offenbar hat der liebe Gott Freude am Würfeln; die Verschränkung und die Superposition haben sich bestätigt und bilden die Grundlage für die Qubits und damit für einen Quantencomputer.

Vorteile bei großen Zahlen

Der Vorteil des Quantencomputers kommt bei großen Zahlen zum Tragen. Ein klassischer Computer mit n Bits kann 2 hoch n Zahlen darstellen, aber zu jedem Zeitpunkt nur eine davon speichern. Also bei 2 hoch 8 genau 255 Zahlen und die Null. Ein Quantencomputer kann 2 hoch n Zahlen gleichzeitig darstellen. Ebenso kann er in nur einem Schritt mit allen möglichen Eingaben gleichzeitig rechnen. Als Resultat erhalten wir eine Superposition aller Ergebnisse.

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Dazu ein Beispiel aus der Hermes-Paket-Logistik: Wenn wir zehn Pakete auf einer Liefertour optimal zustellen möchten, müssen zehn Fakultät mögliche Routenvarianten berechnet und verglichen werden. Ein klassischer Computer führt dazu nacheinander über 3,6 Millionen Berechnungen durch, ein Quantencomputer benötigt nur einzige Berechnung für die optimale Route. Wir merken an diesem Beispiel, dass komplizierte Berechnungsaufgaben, die herkömmliche Rechner lange beschäftigen, mit Quantencomputern schnell und effektiv gelöst werden können.

Und auch ganz andere Anwendungen sind möglich. Eine wirklich überraschende Eigenschaft ist, dass man Qubits zur Teleportation verwenden kann. Man kann also Informationen unabhängig von der Entfernung übertragen, auch wenn sich das zweite Teilchen des Qubits sehr weit entfernt befindet. Gleichzeitig sind die Nachrichten automatisch verschlüsselt und es ist leicht erkennbar, wenn jemand unterwegs eine Nachricht mitgelesen hat. Eine Messung ohne Beeinflussung der Nachricht ist nämlich nicht möglich, und so wird jedes Mitlesen erkannt.

In der Medizin ergeben sich fantastische Möglichkeiten, etwa in der Krebstherapie. Ein großer Fortschritt wäre es, wenn abhängig von der genetischen Struktur des Patienten und der speziellen Variante der Krebszellen ein individuell maßgeschneiderter Wirkstoff gefunden und verabreicht werden könnte.

Heilungschancen verbessern

Doch es gibt ein Problem: Die Varianten von möglichen Molekülen, die als Wirkstoff in Frage kommen, sind zu zahlreich, als dass man sie im Labor sequenziell untersuchen könnte. Daher bedient man sich zur Zeitersparnis diverser Simulationen durch Computer. Das hilft beim Suchen, jedoch ist ein gutes Ergebnis nur mit sehr hoher Rechenleistung möglich. Der Quantencomputer kann die Heilungschancen des Patienten somit massiv erhöhen.

Quantencomputer sind indes nicht für alle mathematischen Berechnungsaufgaben besser geeignet als herkömmliche Computer. Der Vorteil hängt stark vom verwendeten Algorithmus ab, der bei der Aufgabenstellung zur Anwendung kommt. Während es Probleme gibt, die nur um maximal den Faktor Wurzel aus Zwei schneller gelöst werden können, erkennen wir bei der Travelling-Salesman-Aufgabe die massiven Vorteile der Quantencomputer.

Nicht alle Probleme sind lösbar

Dabei gilt dieses Problem als "NP-vollständig". Die Definition von als NP-vollständig zu klassifizierenden Problemen gilt ohnehin nur für deterministisch arbeitende Rechner. Quantencomputer können einige, aber nicht alle NP-Probleme lösen. Es ist übrigens ein Preis von einer Million Dollar ausgelobt für denjenigen, der streng mathematisch beweist, dass es einen effizienten Algorithmus gibt, der NP-Probleme in Polynominalzeit löst.

Derzeit teilen sich die Quantencomputer in zwei Klassen: die Quantum-Annealing-Machines mit Schwerpunkt auf Optimierungsprobleme und die Quantengatter-Computer für beliebige andere Berechnungen. Inzwischen gibt es für uns Informatiker eine ganze Reihe von Angeboten, die uns die Nutzung eines Quantencomputers erleichtern, ohne selbst einen zu besitzen.

Coden für Quantenrechner

Wer sich mit dem Thema beschäftigen möchte, sollte der Quantenphysik ein wenig nähertreten und die mathematische Darstellung verstehen. Mathematisch stellt man Qubits als Vektoren dar. Mit den Vektoren haben wir ein bekanntes Werkzeug, welches wir aus der Schule kennen. Die Vektoren werden in Matrizen dargestellt, denn eine Matrix ist eine lineare Transforma­tion von Vektoren. Weil wir es mit Qubits zu tun haben, müssen wir zur Beschreibung von Quantengattern die Gesetze der Quantenphysik beachten. Aufgrund der Unitarität müssen alle Quantengatter umkehrbar sein. Das heißt, die Matrizen haben immer genau so viele Spalten wie Zeilen.

Häufig benutzte Quantengatter sind das NOT-Gate, das Hadamard-Gatter und das CNOT-Gatter. Mit diesen Gattern werden die Quantencomputer ganz regulär codiert. Es gibt jedoch von IBM einen Composer, der es erlaubt, Quantenschaltkreise grafisch per Mausklick zusammenzubauen. Hierfür hat IBM extra die Quantum Assembly Language OpenQASM geschaffen.

Quantensimulator zum Testen

Andere Hersteller setzen auf klassische Programmiersprachen, hauptsächlich Python, um in Verbindung mit Interfaces und APIs Programme für Quantencomputer zu erstellen. Für Einsteiger bietet Rigetti Computing zudem ein SDK zum Download an, welches einen lokalen Quantensimulator für acht bis sechzehn Qubits zur Verfügung stellt. Damit kann man sehr gut experimentieren, denn ein normales Notebook ist dafür ausreichend leistungsstark.

Man merkt schnell, dass die Programmierung von Quantencomputern nicht unbedingt schwieriger, sondern anders und eben nicht intuitiv ist. In der Lernphase wird man aus Kostengründen immer mit Quantengatter-Computern mit maximal 16 Qubits hantieren. Diesen Quantencomputertyp benötigt man auch, um Verschlüsselungsalgorithmen zu dechiffrieren. Von unseren aktuell gängigen Verschlüsselungsverfahren sind manche anfällig für Quantencomputer, andere jedoch nicht. Die gute Nachricht für die Informationssicherheit ist, dass es eine mindestens vierstellige Anzahl an Qubits braucht, um schnell Berechnungsergebnisse zu liefern. Es wird noch eine Weile dauern, bis die Wissenschaft und später die Industrie dieses Niveau bei den Quantenrechnern erreicht haben werden.

Schnellere Erfolge sind bei den Quantum-Annealing-Machines zu erwarten. Die Optimierungsaufgaben in Wissenschaft, Industrie und Logistik sind zahlreich und schon heute mit klassischen Computern nur mit hohem finanziellen Aufwand zu lösen. Dabei wird die klassische Technik nicht verdrängt, man wird den Quantencomputer direkt nur zur Berechnung einsetzen.

Das Vorbereiten der Daten zur Berechnung und das Überführen in die Nutzung der Ergebnisse nach der Berechnung wird man weiterhin leistungsstarken herkömmlichen Computern überlassen. Diese Hybrid-Konstruktionen werden in den nächsten Jahren den Markt erobern. Aktuell sind die Berechnungen mit Quanten-Annealing-Computern noch teurer als mit den bisher bekannten Supercomputern. Doch es ist nur eine Frage der Zeit, bis sich die Quantencomputer rentieren werden.

KI und Quantencomputer

In jüngster Zeit wurde durch Veröffentlichungen von Google eine Brücke zwischen Machine Learning und Quantencomputern geschlagen. Mit der TensorFlow-Quantum-Bibliothek verbindet Google quelloffen sein Framework Cirq (Quantenalgorithmen) und TensorFlow/Keras (Machine Learning) miteinander. Viele Aufgaben der künstlichen Intelligenz sind Optimierungsaufgaben, und so liegt es nahe, beide Forschungsbereiche miteinander zu verbinden.

Quantencomputer sind heute teuer im Bau und im Betrieb, da sie eine Umgebung in der Nähe des absoluten Nullpunkts (-273,15 Grad Celsius) benötigen. Intel hat Qubits jetzt in Silizium-basierte Chips gebracht, die weniger Kühlung benötigen. Außerdem sind sie ähnlich wie Elektronentransistorchips zu fertigen, was einen "Quantensprung" in den Produktionskosten bedeutet.

In den nächsten Jahren werden wir nicht nur bei der Hardware der Quantencomputer riesige Fortschritte sehen. Auch die Softwareentwicklung wird abstrakt, leistungsfähige Frameworks werden ins Angebot kommen. Ich glaube, dass sich die ersten großen Erfolge in der Pharma­industrie einstellen werden, vor der Paket-Logistik mit ihren Routenoptimierungen.

Maßgeschneiderte Wirkstoffe

Quantencomputer spiegeln mit ihrer zugrundeliegenden Quantenphysik ein Weltbild wider, das auf Vielfalt und Mehrdeutigkeit beruht, anstatt die Welt auf Nullen und Einsen, auf binäre Wahrheiten, zu reduzieren. Das ist ein riesiger Vorteil, wenn man Moleküle oder Proteine analysieren und medizinische Wirkstoffe optimieren möchte, da dort auch quantenmechanische Vorgänge eine Rolle spielen.

Diese zu simulieren, können unsere klassischen Rechner nicht gut, für den Quantencomputer ist es dagegen ein Leichtes. Deshalb kann man Wirkstoffe aufgrund der Berechnungen in einem Quantencomputer auf ein Individuum zuschneiden. Die jeweilige Arznei ist dann ideal auf einen Patienten ausgerichtet.

In spätestens fünf Jahren werden viele Unternehmen punktuell Quantencomputer in der Cloud benutzen, einige Großunternehmen werden eigene Quantencomputer gekauft haben und betreiben. An Hochschulen wird man Masterstudiengänge für Quantensoftwareentwicklung eingerichtet haben, und CIOs werden sich mit dieser Technologie beschäftigt haben - für eine bessere Welt.

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