RFID als Verbindung zwischen physikalischer und virtueller Welt

RFID-Power für die gesamte Wertschöpfungskette

02.10.2006
Die Radiofrequenz-Identifikationstechnologie (RFID) ist auch in Deutschland ein sehr präsentes Thema: Große Handelskonzerne schicken sich an, RFID – genauer gesagt das Zusammenspiel von Lesegerät und Transponder-Chip unter RFID-Nutzung – in Form von Pilotprojekten in ihre Lieferketten zu integrieren. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht ist der Einsatz von RFID der konsequente nächste Entwicklungsschritt in der Informationsverarbeitung der Unternehmen.

Bisher mussten betriebliche Informationssysteme per Hand mittels Tastatur und Barcode-Leser mit Daten gefüttert werden. Die RFID-Technik ermöglicht diesen Systemen eine automatische Sammlung ihrer Daten ohne Zeitverzögerung – und das zu vergleichsweise geringen Kosten. Als neue Verbindung zwischen physikalischer und virtueller Welt wird RFID das betriebliche Management tiefgreifend verändern.

Unternehmen können nur managen, was sie auch messen können. Automatisierte Informationssysteme mit der Befähigung zur „just in time“ Daten-Selbstversorgung bieten ein hohes ökonomisches Potenzial, an dem der Handel, die Logistikbranche und weitere Industrien nicht tatenlos vorbeigehen werden. „Dies ist der wesentliche Grund, warum die RFID-Technik mit hoher Wahrscheinlichkeit innerhalb der nächsten zwei bis vier Jahre zum breiten Einsatz gelangen wird“, sagt Stefan Lüschow, Geschäftsführer der auf vertikale Marktanalysen ausgerichteten MBmedien GmbH in Krefeld.

Einhergehend mit den fallenden Preisen für die Transponder-Chips und parallel zum verstärkten RFID-Investment der einschlägigen Technologiekonzerne wie Intel und SAP haben in Deutschland große Handelsunternehmen wie die Metro inzwischen umfassende Pilotprojekte zu Geschäftsanwendungen auf RFID-Grundlage eingerichtet. Die ersten Erfahrungen aus diesen praxisorientierten Einsätzen zeigen einerseits noch zu meisternde Heraus- und Anforderungen auf – zum Beispiel betreffend technische Dauerstabilität und Zuverlässigkeit unter erschwerten Bedingungen sowie hinsichtlich Verbraucher-Reserviertheit – , kristallisieren aber andererseits die eindeutigen Stärken und Leistungsmerkmale von RFID heraus.

Wesentlicher Trumpf der RFID-Architektur im Real-Szenario: ihre „Power“ beim Einsatz entlang der gesamten Wertschöpfungskette zur automatischen Produktidentifikation – von der Warenherstellung über die Transport- und Lagerlogistik bis hin zum Verkauf. Außerdem sorgt sie für verbesserte Speicherung und Abrufmöglichkeit wichtiger Produktinformationen wie Preis, Haltbarkeitsdatum oder Herstellerkennung. Das beschert den Unternehmen einen Effizienzgewinn beim Waren- und Marktmanagement: Mit Hilfe spezieller Geräte werden Waren auf ihrem Transportweg genau verfolgt, die Bevorratung in den Lagern und Verkaufsregalen wird exakter und übersichtlicher, obendrein lässt sich das Absatz-Controlling verbessern.

Erfahrungen aus Pilotprojekten

Mehrere RFID-Pilotversuche bewiesen bereits unter Praxisbedingungen, dass diese Technologie dabei hilft, sämtliche Prozesse im Handel effizienter, transparenter und kostengünstiger zu gestalten. Über alle in der Öffentlichkeit diskutierten Pilotprojekte hinweg betrachtet sanken beispielsweise die Kosten für Lagerhaltung im Schnitt um elf Prozent, verbesserte sich die Warenverfügbarkeit deutlich und gingen die Ausverkaufssituationen um rund 14 Prozent zurück. Der Warenverlust verringerte sich sogar um bis zu 18 Prozent. Diese Ergebnis-Zusammenfassung aus verschiedenen Piloten lässt sich natürlich nicht unmittelbar auf zukünftige RFID-Einsatzszenarien unter „regulären“ Investment-Bedingungen übertragen.

Wie auch in den diversen Piloten praktiziert, steht bei den Rollouts in den ersten flächigeren RFID-Markteintrittsphasen die Verbesserung der Logistikprozesse und der Warenverfügbarkeit im Vordergrund. Der große Waren- und Datenstrom etwa in den Handelsketten wird dank RFID schneller und sicherer fließen. Der von der Metro Group praktizierte Stufenplan zur RFID-Implementierung kann als beispielhaft gelten:

Phase eins:

· Ausgewählte Lieferanten versehen Paletten und Hängewarensendungen (Bekleidung) mit Smart Chips.
· Einzelne Lager und Märkte werden mit RFID-Lesegeräten am Warenein- und -ausgang ausgestattet.

Phase zwei:

· Sobald Smart Chips nach EPCglobal Standard (Electronic Product Code) in ausreichender Zahl vorhanden sind, werden sie auch auf Handelseinheiten (Kartons und Unterkartons) angebracht.

Die Metro Group geht davon aus, dass erst in rund zehn Jahren alle Produkte bis auf Artikelebene mit Smart Chips gekennzeichnet sein werden. Dieser Einschätzung kann man sich in Ausweitung auf den gesamten Handelsmarkt und aufgrund der Erkenntnisse aus der MBmedien Retail IT-Studie anschließen.

Bereits heute rechnet sich RFID generell vor allem dort, wo aufgrund hoher Nachweispflicht höchste Prozesssicherheit notwendig ist und ein geschlossener Logistikkreislauf (Closed Loop Systeme) für eine Wiederverwendbarkeit der noch teuren Smart Chips sorgt – wie insbesondere in der Kfz-Industrie. Bei offenen Systemen (Open Loop Systeme) wie zum Beispiel im Handel und der Konsumgüterindustrie hingegen lässt sich derzeit ein kaufmännisches Positiv-Ergebnis unter pragmatischer Kosten-Nutzen-Sicht lediglich in Einzelfällen erreichen. RFID wird im übrigen im Verbund mit anderen mobilen Technologien markanten Stellenwert für effizientes Supply Chain Management der Zukunft haben.

Es ist allgemein davon auszugehen, dass die bei rein betriebswirtschaftlicher Betrachtung aktuell insgesamt begrenzten RFID-Einsatzbereiche in den nächsten zwei bis vier Jahren aufbrechen und RFID den Unternehmen ein praxisgerechtes Spektrum überzeugender Nutzungsmöglichkeiten eröffnen wird. Zu dieser Sicht gelangt unter anderem auch eine Studie von Booz Allen Hamilton in Zusammenarbeit mit der Universität St. Gallen (2004). Hier werden als Hauptgründe für diese optimistische Prognose insbesondere die markant nachgebenden Chip-Preise auf vermutlich rund 7 Cent für passive Chips um das Jahr 2007 sowie der zunehmende Bedarf der Unternehmen an höherer Datengranularität in der Logistikkette genannt.

Die wesentliche kritische Voraussetzung für die erfolgsträchtige Implementierung offener RFID-Systeme ist generell unumstritten: ein unternehmensübergreifender Planungs- und Standardisierungsansatz unter Berücksichtigung von effektiver und nahtloser Business Intelligence-Integration.

Die (theoretischen) Benefits von RFID aus Business Intelligence-Perspektive (BI) liegen auf der Hand: Die Technologie ist in der Lage Daten zu liefern, die bisher nicht oder nur schwer zu erfassen waren. Und zwar mit weit weniger Fehlern durchsetzt als die per Barcode-System erhobenen Daten. Damit verhilft RFID zu einem Zustand, den sich Logistiker wie Marketing Manager immer schon gewünscht haben: transparente Lieferketten über alle Zwischenstufen hinweg, vom Rohmaterial bis zum Endkunden. Doch die schiere Menge an Daten ist noch kein Qualitätsgewinn an sich. Um diese Transparenz und die damit verbundene Informationsbreite und -tiefe auch wirklich ausreizen zu können, sind entsprechend leistungsfähige Technologien für die Sammlung und Analyse der RFID-Datenvolumina vonnöten – und im Idealfall basieren beide Bereiche auf derselben Technologieplattform.

RFID meets Data Warehousing

Prinzipiell ist es durchaus sinnvoll, vorhandene Data Warehouse-Umgebungen mit RFID-Projekten zu verknüpfen. So lassen sich RFID-Rohdaten in den Kontext von Unternehmensdaten einbringen und die analytischen Leistungsstärken von BI-Tools innerhalb des Data Warehouse komplett entfalten. Aufwändige ETL-Prozesse für separate BI-Tools sind obsolet, Aktualität und Konsistenz der analysierten Daten in einem zentralen Datenlager sind bei weitem mehr gewährleistet als in voneinander getrennten Data Marts. Das beindruckende Potenzial an Informationsbandbreite auf einem RFID-Transponder im Vergleich zum Barcode eröffnet per se zusätzliche Perspektiven für BI-Anwendungen.

Wenn dank RFID die Lieferkette beispielsweise im Bereich industriell erzeugter Lebensmittel tatsächlich etwa von der Brotaufstrich-Produktion bis zur Ladenkasse reicht, der aktuelle Absatz sich jederzeit bis auf die einzelne Einheit herab abfragen lässt, zudem der Einfluss von Promotion-Kampagnen auf die Verkaufsmengen mittels moderner BI-Tools bereits im Vorfeld kalkuliert werden kann, dann ist im Handel endgültig Schluss mit leeren Regalen. Die seit langem herbeigesehnte garantierte „Product Availability” wird zur unspektakulären Realität. Insgesamt wird die präzisere Abbildung der realen Welt durch RFID den Unternehmen nicht nur Prozessverbesserungen und Kostenreduktionen bescheren, sondern sie schafft ihnen auch eine effektive Voraussetzung für neue, smarte Produkte und Dienstleistungen.

Neben der verlässlicheren Warenverfügbarkeit zählt der gesteigerte Kundenservice zu den wichtigsten RFID-Vorteilen aus Verbraucherperspektive: beispielweise in Form von direktem Zugriff auf topaktuelle Produktinformationen. Dazu werden an den einzelnen Artikeln Etiketten mit Smart Chips angebracht, die von Lesegeräten – etwa am Regal stationiert – erfasst werden. Die Zusatzinfos für die Kunden hinterlegt der Händler in einer zentralen Datenbank.

Ihr logistisches Präzisionsvermögen kann die RFID-Technologie besonders wirkungsvoll im Bereich der Lebensmittelsicherheit ausspielen. Seit Januar 2005 verlangt der europäische Gesetzgeber vom Handel und der Industrie die Fähigkeit zur lückenlosen Rückverfolgung von Lebens- und Futtermitteln bis hin zum Erzeuger. Wird beispielsweise festgestellt, dass ein Produkt unerwünschte Bestandteile enthält, ermöglicht RFID dem Hersteller eine rasche und effektive Durchführung von Rückrufaktionen – denn er weiß jederzeit, wo sich die betroffene Ware befindet. So kann RFID einen wichtigen Beitrag für die Gewährleistung hoher Lebensmittelqualität im Handel und für zuverlässigen Verbraucherschutz liefern.

Vorteile von RFID für die Verbraucher

Der RFID-Einsatz in der Lieferkette kommt naturgemäß – und wie erwünscht – hauptsächlich den Unternehmen zugute, schafft aber auch für die Kunden und das Personal griffige Vorteile. Letztere gilt es noch vehementer als bislang in der Öffentlichkeit herauszustellen. Denn in Sachen RFID-Akzeptanz seitens dieser Klientel ist noch einige Überzeugungsarbeit zu leisten. So reagieren Endkonsumenten derzeit teilweise reserviert auf Aktivitäten der Handelsbranche rund um RFID. Hauptsächlicher Grund: Reißerische Berichte in manchen Medien suggerieren, dass die RFID-Transponder zum Ausspionieren des Kunden-Einkaufsverhaltens eingesetzt werden. Hier muss mit seriöser Aufklärung beschwichtigt und mit Betonung des verbesserten Kundenservices gegengehalten werden. Stichworte dazu: Queue Busting, optimierte Kundeninformation, lückenloser Warennachschub, intelligente Waagen und weiteres mehr.

Bei dem Unternehmenspersonal, das sich zukünftig bei seiner täglichen Arbeit vor Ort mit RFID konfrontiert sieht, sind derzeit mehr oder weniger starke Ressentiments gegenüber der noch unvertrauten neuen Technologie auszumachen. Sorgen um den Wegfall oder die Herabminderung von Arbeitsplätzen im Zuge von RFID-begleitenden Rationalisierungsmaßnahmen sind vor allem für solch ablehnende Haltung verantwortlich. In Zukunft müssen deshalb verstärkt weitere RFID-Anwendungen entwickelt und vor allem promotet werden, die diesen Mitarbeitern den Effizienzgewinn sowie die Entlastung bei ihrer Tätigkeit nahe bringen. Und die natürlich um so mehr die Verbraucher überzeugend und publikumswirksam profitieren lassen.

Dass RFID in Praxis erst am Anfang steht, bestätigt die MBmedien Retail IT-Studie. 1,5 Prozent der Befragten aus dem FMCG-Bereich haben RFID (-Piloten) bereits im Einsatz, und keiner aus dem SMCG-Bereich. Was erste Einsatzüberlegungen und Planungsphasen anbetrifft: 41 Prozent im FMCG-Bereich, 27 Prozent im SMCG-Bereich.

Reinhold Hölbling, MBmedien GmbH, Krefeld