Software-Technologie

Roland Berger erwartet Durchbruch für die Blockchain

27.03.2017
"Blockchain" ist in der von Null-Zins-Politik gebeutelten Finanzbranche ein ebenso oft gehörtes wie schwer verständliches Schlagwort. Dahinter verbirgt sich eine Software-Technologie mit Potenzial in jede Richtung: Milliardeneinsparungen für die Pioniere scheinen ebenso möglich wie existenzbedrohende Gefahren.
Der Finanzbranche steht voraussichtlich in wenigen Jahren die nächste Umwälzung bevor. Die Unternehmensberatung Roland Berger geht davon aus, dass die Ende des vergangenen Jahrzehnts erfundene Blockchain-Technologie in drei bis fünf Jahren ihren Durchbruch erlebt.
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Die Folge für die Finanzbranche könnten nach einer neuen Studie der Münchner Berater sowohl Milliardeneinsparungen als auch eine potenziell existenzbedrohende Herausforderung für manche Unternehmen sein. Andere Unternehmensberatungen gehen von ähnlichen Szenarien aus. Und wie schon bei anderen Internet-Technologien hinkt Europa der weltweiten Konkurrenz hinterher: "Es ist wichtig, dass Europa hier drei Gänge zulegt, ansonsten werden die Geschäftsmodelle aus Asien und Amerika den weltweiten Markt erobern", sagte Studienkoautor Sebastian Steger.

Blockchain ist seit einigen Jahren in der Finanzbranche in aller Munde, bekanntestes Beispiel ist die Digitalwährung Bitcoin. Eine Blockchain ist eine große Datenbank, die nicht auf einem einzigen Server liegt, sondern dezentral auf viele Rechner verteilt ist - und jeder Teilnehmer hat im Prinzip die gleichen Zugriffsrechte.

Der zweite Punkt: Die Software kann mit automatischen Handlungsanweisungen gekoppelt werden, wie Steger sagt. "Die Verbindung dieser zwei Aspekte hat aus unserer Sicht ein Riesenpotenzial für die gesamte Wirtschaft", meint der Berater. Das Schlagwort dafür heißt "smart contract"; ein via Internet geschlossener Vertrag, der sich bei Erfüllen der Vertragsbedingung selbst einlöst. "Viele Transaktionskosten können auf nahezu null reduziert werden, das wird schwierig für teure Intermediäre", sagt Steger.

Die Blockchain-Technologie und "smarte" Verträge haben einen analogen Vorgänger, den Bankwechsel: Der Aussteller notierte auf einer Urkunde die Zahlungsanweisung für den Empfänger. Der Wechsel berechtigte dann den Empfänger, die genannte Summe einzulösen.

Wie das Beispiel Bitcoin zeigt, lässt die Blockchain-Software nicht nur Datenübertragung zu, sondern auch die Schaffung einer digitalen Währung - die Technologie verfüge über das Potenzial, ökonomische Werte statt nur Informationen über ökonomische Werte via Internet zu übertragen, sagt Markus Tradt, IT-Ingenieur bei der Münchner Rück. Der weltgrößte Rückversicherer und andere große Unternehmen wie die Allianz haben kürzlich die unternehmensübergreifende Blockchain-Initiative B3i gestartet.

Das abstrakte Modell lässt sich am konkreten Beispiel leichter erklären: Wer online bezahlen will, braucht dafür ein Konto - bei einer Bank oder einem Online-Bezahldienst wie Paypal. In armen Ländern wird das Wirtschaftswachstum unter anderem dadurch gehemmt, dass es gar kein oder nur ein rudimentäres Finanzwesen gibt.

Funktionierende Handynetze gibt es aber sogar in kriegs- und krisengeschüttelten Ländern wie Afghanistan und Somalia. Mit Blockchain-Apps ist es denkbar, Geld ohne Bank von Mensch zu Mensch zu schicken. Die Empfänger könnten den entsprechenden Betrag dann bei anderen autorisierten Teilnehmern eines Blockchain-Netzwerks in Bargeld eintauschen oder für Online-Einkäufe verwenden, schreiben die Roland Berger-Berater in ihrer Studie.

Intermediäre eliminieren

Bezahldienste sind aber keineswegs die einzige denkbare Anwendung. "Mit Hilfe dieser Technologie lassen sich viel mehr Transaktionen abwickeln, nicht nur Geldtransfers", sagt Steger. So ist am Finanzmarkt ist bisher eine Fülle von Zwischeninstanzen tätig - etwa Clearinghäuser, die Wertpapiergeschäfte für Käufer und Verkäufer abwickeln und dafür Gebühren verlangen. Würde sich Blockchain weitverbreiten, "könnten viel oder alle dieser Intermediäre eliminiert werden, ebenso wie die damit verbundenen Kosten und Zeitverzögerungen", argumentieren die Roland Berger-Berater. "Der Durchbruch der Blockchain wird allerdings nicht morgen kommen, aber in drei bis fünf Jahren", sagt Steger.

Die Funktionsweise von Blockchain
Blockchain
Blockchain wird in den kommenden Jahren zur Schlüsseltechnologie in der IT werden.
(1) Transaktion
Die Transaktion ist die elementare Grundeinheit der Blockchain. Zwei Parteien tauschen Informationen miteinander aus. Dies kann der Transfer von Geld oder Vermögenswerten, der Abschluss eines Vertrags, eine Krankenakte oder eine Urkunde sein, die digital gespeichert wurde. Transaktionen funktionieren im Prinzip wie das Versenden von E-Mails.
(2) Verifizierung
Die Verifizierung prüft, ob eine Partei die entsprechenden Rechte für die Transaktion hat. Die Prüfung erfolgt augenblicklich oder es wird in eine Warteschlange geschrieben, die die Prüfung später durchführt. An dieser Stelle werden Knoten, also Computer oder Server im Netzwerk, eingebunden und die Transaktion verifiziert.
(3) Struktur
Die Transaktionen werden zu Blöcken zusammengefasst, wobei diese mit einer Hash-Funktion als Bit-Nummer verschlüsselt werden. Die Blöcke können durch die Zuweisung des Hash-Wertes eindeutig identifiziert werden. Ein Block enthält einen Header, eine Referenz auf den vorhergehenden Block und eine Gruppe von Transaktionen. Die Abfolge der verlinkten Hashes erzeugt eine sichere und unabhängige Kette.
(4) Validierung
Bevor die Blöcke erzeugt werden, müssen die Informationen validiert werden. Das am meisten verbreitete Konzept für die Validierung von Open-Source-Blockchains ist das „Proof of Work“-Prinzip. Dieses Verfahren stellt in der Regel die Lösung einer schweren mathematischen Aufgabe durch den Nutzer beziehungsweise dessen Computer dar.
(5) Blockchain Mining
Der Begriff Mining stammt aus der Bergbau und meint das „Schürfen“. Bei diesem Vorgang wird der Block erzeugt und gehasht. Um zum Zug zu kommen, müssen die Miner ein mathematisches Rätsel lösen. Wer als Erstes die Lösung hat, wird als Miner akzeptiert. Der Miner erhält für seine Arbeit ein Honorar in Form von Kryptowährung (Bitcoin).
(6) Die Kette
Nachdem die Blöcke validiert wurden und der Miner seine Arbeit verrichtet hat, werden die Kopien der Blöcke im Netzwerk an die Knoten verteilt. Jeder Knoten fügt den Block an der Kette in unveränderlicher und unmanipulierbarer Weise an.
(7) Verteidigung
Wenn ein unehrlicher Miner versucht, einen Block in der Kette zu ändern, so werden auch die Hash-Werte des Blockes und der nachfolgenden Blöcke geändert. Die anderen Knoten werden diese Manipulation erkennen und den Block von der Hauptkette ausschließen.

Die Münchner Rück gehe davon aus, dass Blockchain "die Versicherungsindustrie durch eine gemeinsame, transparente Dokumentation vertragsrelevanter Informationen nachhaltig beeinflussen" kann, wie IT-Ingenieur Tradt sagt. "Sie ermöglicht es uns, neue Produkte zu entwickeln, neue Risiken zu versichern und neue Märkte zu erschließen." Vorteile bringen soll die Blockchain-Technologie aber auch für die Kunden: "Auf Seiten der Konsumenten wird sich dies in kürzeren Bearbeitungszeiten, rascherer Schadensregulierung und günstigeren Prämien bemerkbar machen." (dpa/rs)