Ein Cloud-Pionier berichtet

SaaS galt als dubios und unzuverlässig

09.06.2011 von Holger Eriksdotter
"Wenn Sie ein Glas Milch trinken wollen, stellen Sie sich ja auch keine Kuh in die Küche". So musste Thilo Jahke früher für seine SaaS-Lösung zur Zeiterfassung und Abrechnung von Projekt- und Reisekosten argumentieren. Die meisten Zweifel der Anwender sind mittlerweile verschwunden.

Schon vor zehn Jahren haben Thilo Jahke und Oliver Lieven die provantis IT-Solutions GmbH in Ditzingen gegründet und eine SaaS-Lösung für die Zeiterfassung und Abrechnung von Projekt- und Reisekosten entwickelt. Auf viel Gegenliebe stieß das Modell der Mietsoftware seinerzeit allerdings nicht. Zur Verdeutlichung der damals weithin unbekannten "Software-Miete" haben die Gründer und Geschäftsführer deshalb oft auf bildhafte Vergleiche zurückgegriffen. "Wenn Sie ein Glas Milch trinken wollen, stellen Sie sich ja auch keine Kuh in die Küche", gehörte damals zu ihrer Standardargumentation. Das überzeugte indes nur einen Teil seiner Kunden, so dass sie die SaaS-Lösung schließlich auch als Lizenz-Software zur Installation On-Premise anboten.

Notlösung Lizenzsoftware

Dabei ist gerade eine SaaS-Lösung für die Zeiterfassung und Reisekostenabrechnung viel reisender Projektmitarbeiter sinnvoll: „Für kleine Unternehmen ist es ein riesiger Aufwand, die Daten der Projektmitarbeiter per Hand in Excel-Tabellen zu erfassen und übersichtlich und gesetzeskonform abzurechnen“, sagt Geschäftsführer Jahke. Es lag deshalb nahe, den gesamten Prozess – von der Erfassung bis zur Berechnung und Übergabe in die Finanzbuchhaltung – in einer Software abzubilden. Entstanden ist das Programm „ZEP“, das bis heute zum Portfolio von provantis gehört.

Seit fast zehn Jahren bietet Provantis-Geschäftsführer Thilo Jahke Software für Zeiterfassung und Abrechnung von Projekt- und Reisekosten im SaaS-Modell an.
Foto: Provantis IT-Solutions GmbH

Die Mehrzahl der Kunden nutzen inzwischen das SaaS-Modell. Mehr als 230 überwiegend kleine und mittelständische Unternehmen mit über 5000 Usern setzen aktuell das Programm ein. „Gerade bei der Abrechnung von Projekten geht es ja fast immer darum, die Daten mobiler Mitarbeiter zu erfassen, die weltweit unterwegs sind“, sagt Geschäftsführer Jahke. „Deshalb haben wir das System schon 2001 als reine SaaS-Lösung konzipiert.“ Anfänglich traf das Modell der Mietsoftware allerdings bei vielen seiner Kunden auf taube Ohren. „Damals sprach niemand von Cloud Computing oder SaaS“, erinnert sich Jahke, „wir haben unser Programm unter den Bezeichnung „Mietsoftware“ oder als ASP-Lösung angeboten.“

Denn obwohl seine Zeiterfassungslösung exakt die heutige Definition von Cloud Computing – oder exakter SaaS-Lösung – erfüllt, konnte mit diesen Begriffen vor zehn Jahren kaum jemand etwas anfangen. Damals musste Jahke noch echte Überzeugungsarbeit leisten und seinen Kunden das Modell der „Software zur Miete“ eingehend erläutern. Zwar gab es auch damals schon vereinzelte Software-Anbieter, die ihre Programme als ASP (Application Service Provider) oder „Software on Demand“ auf den Markt brachten. Aber über ein Nischengeschäft kam das SaaS-Modell seinerzeit nicht hinaus.

Denn obwohl die Argumente, die heute einen Massenmarkt überzeugen, damals ebenso auf der Hand lagen wie heute, stieß das Mietmodell allenthalben auf Unverständnis und Misstrauen. Abgesehen von durchaus berechtigten und auch heute noch geltenden Vorbehalten bei Datensicherheit und Verfügbarkeit war gegen das Argument des RZ-Leiters, er wolle die Hand auf den Server legen können, auf dem die Software läuft, nur schwer zu argumentieren.

Mobil mit "Palmtop" und Telefonleitung

Auch gewichtige Vorteile wie weltweiter Zugriff, monatliche Abrechnung nach Anzahl der Nutzer, der Wegfall von Wartungs- und Administrationsaufwand bei Software-Updates sowie von Investitionen in Software-Lizenzen und Hardware konnte die Zweifler kaum überzeugen. „Rückblickend muss man wohl sagen, dass die Zeit einfach noch nicht reif dafür war“, sagt Jahke. „Obwohl das Programm von Anfang an als Multi-Tenant-Lösung für den SaaS-Betrieb programmiert war, haben wir es dann auch als Lizenz-Version für die On-Premise-Installation verkauft, wenn der Kunde das so wollte“, blickt Geschäftsführer Jahke zurück. In den Anfangsjahren installierte etwa die Hälfte seiner Kunden auf unternehmenseigenen Servern, die andere Hälfte machte Gebrauch von der SaaS-Lösung, die provantis im eigenen Rechenzentrum betreibt.

Als Cloud-Pionier lag für Jahke natürlich der Gedanke nahe, seinerseits den RZ-Betrieb als IaaS in die Cloud auszulagern. Prinzipielle Vorbehalte gibt es nicht, aber Sicherheits- und datenschutzrechtliche Gründe lassen ihn zögern: „Die großen Anbieter wie Amazon oder Google kommen generell nicht in Frage, weil wir bei der Verarbeitung der sensiblen Daten unserer Kunden an das deutsche Datenschutzrecht gebunden sind.“ Zudem fühlt er sich gegenüber den Kunden in einer besonderen Pflicht: „Anders als bei Anwenderunternehmen geht es ja nicht nur um unserer eigenen Daten und Applikationen, sondern auch um die unserer Kunden“, sagt Jahke. „Wir haben in inzwischen fast einem Jahrzehnt das Vertrauen unserer Kunden gewonnen – ich glaube, sie fühlen sich sicherer, wenn wir unsererseits die Daten nicht aus der Hand geben.“

In der Anfangszeit griffen die SaaS-User mit PCs, Laptops, PDAs und MDAs ("Personal Digital Assistent", "Mobile Digital Assistent" oder "Palmtops" - so wurden seinerzeit mobile Computer in der Größe von Smartphones, aber oft ohne Telefonie oder mobile Datenanbindung, genannt. Bekanntester Vertreter der ersten Generation: Palm Pilot) auf das zentral gehostete System zu. Die Daten wurden seinerzeit per Telefon- oder ISDN-Leitung auf den zentralen Server übertragen. Heute wird das Programm kontinuierlich an neue mobile Gerätegenerationen angepasst. Web-Apps, Apps und Schnittstellen für iPhones und Android- Smartphones , iPad und Tablet-PCs sind hinzugekommen oder befinden sich in der Entwicklung.

Gefragt, ob der jüngste Siegeszug des Cloud Computing seinem Angebot Auftrieb bringt oder ob er sich von der zunehmenden Konkurrenz durch andere Cloud-Anbieter überrollt werde, hat Jahke eine klare Antwort: „Für uns ist das eindeutig positiv, weil wir heute mit unserem SaaS-Modell offene Türen einrennen und es niemandem mehr erklären müssen“, fasst er seine jüngsten Erfahrungen zusammen. Natürlich ist ihm klar, dass der Trend zum Cloud Computing auch und gerade im Bereich von Kommunikations- und Kollaborations-Lösungen im SaaS-Modell zunehmende Konkurrenz bedeutet. „Unser System lässt sich modulartig erweitern und gehört im weitesten Sinne in diesen Bereich“, sagt der Geschäftsführer, „aber mit unserer Spezialisierung auf die Erfassung und Abrechnung von Projektdaten bieten wir nach wie vor eine Lösung an, die auch gegenüber großen Anbietern konkurrenzfähig ist.“

SaaS ist auch im Mittelstand bekannt

Dass sich die Vorteile des SaaS-Modells unterdessen auch bei kleinen und mittelständischen Unternehmen herumgesprochen haben, merken Jahke und sein Vertriebsteam bei ihren Verkaufsgesprächen: Im ersten Quartal dieses Jahres hat er 32 neue Kunden hinzugewonnen. „Davon nutzen 31 die SaaS-Lösung, ohne dass wir das lange erläutern mussten. Lediglich ein neuer Kunde wollte auf dem eigenen Server installieren.“ Damit hat die Kuh in der Küche als Argumentationshilfe wohl endgültig ausgedient.