Die globale IT-Factory

SAP setzt auf die Industrialisierung seiner IT

19.05.2008 von Rolf Röwekamp
Der Software-Konzern SAP hat sich gezielt einen CIO aus der Automobilbranche geholt, um IT-Prozesse zu industrialisieren und IT und Business zu integrieren.

Spät abends um 23 Uhr telefoniert CIO Uwe Herold noch anderthalb Stunden mit Kollegen an der US-Westküste. Über Nacht stellen sie eine Präsentation fertig und schicken sie nach Singapur. Dort prüfen und überarbeiten IT-Mitarbeiter die Präsentation. Am Tag darauf kommt morgens die Präsentation in Walldorf an, wo dort Kollegen der Präsentation den letzten Schliff geben. Geschafft: Um 17 Uhr nimmt Herold die Präsentation mit in die Videokonferenz und bespricht mit John Schwarz die Integration der IT von Business Objects.

Für Herold steht diese Art der Zusammenarbeit exemplarisch dafür, wie IT funktionieren soll: Zu jeder Zeit und an jedem Ort müssen alle Prozesse gleich ablaufen und von der nächsten Schicht weitergeführt werden können, follow the sun.

Ein Ergebnisse derartiger Zusammenarbeit ist das sogenannte Volume Business Center, ein für Business ByDesign Interessenten zugängliches SAP Portal. Im bisher dominierenden Großkundengeschäft, mit Lizenzverträgen bis zu zweistelligen Millionenbeträgen, fallen die administrativen Vertriebsaufwände pro Auftrag nicht so stark ins Gewicht.

Doch in den kommenden Jahren will SAP verstärkt Kunden im Mittelstand gewinnen. Das Geschäftsziel über alle Kundensegmente hinweg lautet, von jetzt 46.100 Kunden auf 100.000 Kunden im Jahre 2010 zu wachsen. Das soll unter anderem die neue Lösung SAP Business ByDesign stemmen, hier wird das Mittelstandsgeschäft zum Massengeschäft.

Als börsennotiertes Unternehmen muss auch SAP Quartalszahlen liefern. Wenn nun das Mittelstandsgeschäft an Fahrt gewinnt, dann muss die IT künftig jeweils zum Quartalsende Tausende Verträge im Volume Business Center abwickeln. Für diese Massenabwicklung automatisiert die IT die internen Geschäftsprozesse und baut ein globales System mit einheitlichen Prozessdefinitionen.

Für solche Aufgaben hatte SAP im Oktober 2006 gezielt einen IT-Chef aus der Automobilbranche eingestellt. Denn Autoindustrie ist Volume-Business. Herold arbeitete zuvor als CIO beim Automobilzulieferer Brose Fahrzeugtechnik. "Unternehmen in der Autoindustrie sind über vier bis fünf Tiers automatisiert", erläutert Herold. "Sobald es zum Massengeschäft kommt, ist ein automatisiertes mehrstufiges Tier-Modell umso wichtiger."

Das Volume Business Center und die Integration von Business Objects sind exemplarisch für Herolds wichtigstes Anliegen: Er will IT und Business enger zusammenbringen. Ein CIO soll für ihn Brücken zwischen IT und Business schlagen. Deswegen hält er nicht viel davon, IT mit Informationstechnologie zu übersetzen. Für ihn steht IT für Integrations-Team. Neben dem CEO sei die IT die einzige Einheit in einem Unternehmen, die aus ureigenem Interesse den Gesamtblick hat. "Je globaler und cross-funktionaler ein CIO sein Unternehmen betrachtet, desto erfolgreicher wird er sein", stellt Herold fest.

Umbau der IT-Organisation

Um IT und Business näher aneinanderzurücken, baut Herold die bisherige Organisation um. Die SAP-IT arbeitet bisher in einem Drei-Tier-Modell. Es besteht aus ITlern, Business-Kunden und Übersetzern zwischen Business und IT. Oft sind die Übersetzer vom Business beauftragte Berater. Diese Vermittlerschicht der Übersetzer will Herold abschaffen und auf ein Zwei-Tier-Modell wechseln. Denn Übersetzer verhindern den direkten Kontakt der IT zum Business.

Übersetzer besprechen gemeinsam mit dem Business die Prozessdefinition und geben anschließend Spezifikation sowie Anforderungen schriftlich an die IT weiter. Die IT konfiguriert und implementiert dann nach diesen Vorgaben die Lösung. Bei Übersetzungen kommt es aber immer auch zu Übersetzungsfehlern, was ganz normal ist. Auch können sich Fehler ergeben, wenn sich die Anforderungen während der Entwicklung wieder geändert haben.

Nur poppen diese Probleme erst einige Monate oder Jahre später bei Auslieferung an den internen Kunden auf. Inzwischen arbeitet der Übersetzer an einer anderen Stelle im Unternehmen oder ist gar nicht mehr erreichbar. Dann gibt es nur noch den direkten Kontakt zwischen IT und Endkunden, und die IT muss für den Fehler geradestehen - ohne sich dafür verantwortlich zu fühlen.

In der neuen Zwei-Tier-Organisation sollen ITler direkten Kontakt zum Kunden pflegen. Das bedeutet eine kleine Revolution. "Meine Mitarbeiter sollen die Verantwortung gegenüber dem Business in der Prozessgestaltung übernehmen", sagt Herold. "Dafür müssen sie ihre Denkweisen radikal ändern. Das ist teilweise ein Glaubenskrieg." Denn IT will an sich nicht die Verantwortung für ein Endprodukt übernehmen, dass in 50 Ländern funktionieren muss; das soll das Business als Auftraggeber machen.

Das Zwei-Tier-Modell hat Herold in einigen Business-Lines bereits umgesetzt, in anderen führt er es gerade ein. "Ich habe bei den Mitarbeitern kein Qualifikationsproblem, auch kein Skill-Problem. Was ich brauche, ist mehr Veränderung in den Köpfen, in der IT und im Business", sagt Herold. Um die neue Denkweise zu verankern, holt er zum Teil ehemalige Übersetzer in seine Mannschaft. Bei seinem früheren Arbeitgeber Brose bestanden nach zwei Jahren 50 Prozent der IT-Projektmannschaft aus ehemaligen Übersetzern.

Wirksame Kommunikation

Auf die IT-Mannschaft kommen noch weitere Änderungen zu. Mit der Globalisierung muss die IT alle Prozesse in allen Zeitzonen nach dem Follow-the-Sun-Prinzip abdecken können. Dafür müssen Mitarbeiter viel und wirksam kommunizieren. Herold führt deshalb beispielsweise bei seinen weltweiten Direct Reports Video-To-The-Desk ein. Das spart teure und kräftezehrende Interkontinentalflüge.

Außerdem unterstützt er Freiheiten für die Mitarbeiter. So ermöglicht es SAP Mitarbeitern, ihren Arbeitsplatz zu verlegen. Will jemand eine Zeit lang in Philadelphia, Palo Alto oder Vancouver arbeiten statt in Walldorf, dann kann er dort hinziehen. "Work-Life-Balance ist immer ein kritischer Aspekt in der SAP", betont Herold. Damit alle Mitarbeiter an jedem SAP-Standort der Welt sofort ihre Arbeitsplatzumgebung wiederfinden, will Herold Lösungen über Regionen hinweg standardisieren.

Bis zum Jahr 2003/2004 hatte SAP alle Länderorganisationen regionalisiert und in drei Regionen zusammengefasst. Jetzt geht Herold daran, die Regionen zu globalisieren und globale Verantwortlichkeiten durchzusetzen.

In den Regionalregionen gibt es jeweils einen Regional-CIO (einen RIO), der an Herold berichtet aber der die Globale IT gegenüber seinem Regional-Präsident vertritt. Doch seit der Übernahme von Business Objects gibt es ein Novum: Erstmals führte Herold einen CIO nur für einen Geschäftsbereich ein, einen Divisions-CIO, einen DIO. Der DIO - in diesem Fall eine Frau - berichtet an den Divisions-Chef und ehemaligen Boss von Business Objects John Schwarz. Für Herold ist das ein Modell für die Zukunft. "Es wird in Zukunft möglicherweise noch mehr Divisons geben. Ein DIO verantwortet nicht mehr eine Region, sondern die IT Services für eine gesamte Wertschöpfungskette", sagt Herold.

Dem Follow-the-sun-Prinzip folgend sollen alle Services rund um die Uhr zur Verfügung stehen. Dahinter steckt die Idee einer globalisierten IT-Organisation, in der nicht jede Region ihre eigenen Mitarbeiter vorhält. Stattdessen greifen die Regionen und die Division Business Objects auf einen gemeinsamen Pool von über 1.000 IT-Mitarbeitern zu. "Je globaler wir arbeiten, umso mehr verlieren die regionalen Unterschiede ihre Bedeutung und umso mehr gewinnen Geschäftseinheiten an Bedeutung", sagt Herold.

Zentrale Prozesse

Das Design der globalen Prozesse findet immer zentraler statt. Wobei zentral nicht zwingend "in Walldorf heißt", sondern zentral an einem Standort von SAP. Denn Standards für Applikationen zu setzen bedeute, viel zu kommunizieren. Dafür ist räumliche Nähe immer noch sehr wichtig.

Die Infrastrukturleistungen erbringt jeweils ein Standort pro Region. Dabei kommen viele Infrastrukturstandards aus Nordamerika, wo SAP-IT drei Hauptstandorte in Philadelphia, Palo Alto und Vancouver betreibt. "Die USA sind Europa technologisch immer noch zum Teil voraus, vor allem bei innovativen Techniken wie Collaboration und Communication", begründet Herold.

Letztlich will Herold möglichst viel standardisieren und globalisieren, auch bei IT internen Prozessen. Dafür hat er ein Programm mit dem Namen "IT-Factory" aufgesetzt. "Industrialisierung der IT ist in der Autoindustrie schon lange kein strittiges Thema mehr", vergleicht Herold. Dort denken alle in der Kategorie Industrialisierung, darüber wird nicht mehr diskutiert. Deswegen will der Software-Konzern hier von der Autoindustrie lernen.

CIO-Videonews: Uwe Herold malt sein Wappentier für die IT. Zum Video