BI in der Uniklinik Aachen

So lassen sich Risiken der Fallpauschale berechnen

27.05.2010 von Hartmut  Wiehr
Krankenhaus-IT kann durch Kontrolle oder Automatisierung von Geschäftsprozessen für mehr Wirtschaftlichkeit sorgen. Das Universitätsklinikum Aachen setzt zusätzlich Risikomanagement ein.
Volker Lowitsch, Leiter Geschäftsbereich IT-Direktion im Uniklinikum Aachen, sieht in der IT einen Hebel zur Modernisierung und Effizienzsteigerung der Krankenhäuser.

Das Universitätsklinikum Aachen (UKA) vereinigt unter dem Dach des „Geschäftsbereichs IT-Direktion" zwei Aufgabenfelder, die nicht unmittelbar zusammenhängen: Zum einen geht es um das Logistikcenter mit Bereichen wie Material, Personal, Apotheke, Gebäudetechnik usw., und zum anderen um Prozesssteuerung in den einzelnen Geschäftsbereichen mittels Controlling, Finanzen, Pflegedirektion und Qualitätssicherung inclusive der IT.

Das UKA zählt mit seinen rund 5.700 Beschäftigten, 35 angeschlossenen Krankenhäusern und 44.700 stationären Patienten pro Jahr zu den großen Universitätskliniken in Deutschland.

Der Geschäftsbereich IT-Direktion ist also mehr business- als IT-getrieben und liegt somit ganz auf der Höhe der Zeit: Erfolgreiche CIOs bedienen sich der IT als Steuerungsmittel für Geschäftsprozesse und sehen sich weniger als Herr und Meister der IT-Betriebsführung. Diese kann sogar – wenn es andere besser (und billiger) können – auch an externe Dienstleister abgegeben werden.

Für Volker Lowitsch, den Leiter Geschäftsbereich IT-Direktion im Uniklinikum, geht es auch um „Business Enabling". So bereitet sich seine Abteilung zur Zeit darauf vor, neue Geschäftsprozesse zu entwickeln, um als Provider für die elektronische Fallakte oder für ein Einweisungs-Portal aufzutreten. Das Klinikum denkt durchaus daran, seine Profitabilität durch das Hinzufügen neuer Geschäftsmodelle zu erweitern – ganz im Sinne der „neuen" Gesundheitspolitik, die sich schon seit Jahren um die Einführung privatwirtschaftlicher Effizienzkriterien bemüht.

Privatwirtschaftlicher Umbau des Gesundheitswesens

Innerhalb dieser Ausrichtung hat man in Aachen die ganzen IT-Aufgaben zentral gebündelt. Lowitsch sieht sich als verantwortlich für Alles, was im weitesten Sinne mit IT-Kommunikation, Nachrichtentechnik, Gebäudeunterhalt usw. zu tun hat. Für dieses breite Spektrum bemühen sich er und seine Leute, Lösungen aus einer Hand zu entwickeln und den Fachabteilungen des Klinikums anzubieten. Lowitschs Abteilung umfasst 90 Mitarbeiter: Ein Drittel kümmert sich um die Ausführung der Standardapplikationen, und zwei Drittel sind dem eigentlichen technischen Betrieb zugeordnet: den Servern, Speichergeräten, Netzwerken sowie der Betreuung der Hotline und einigen externen Portalen.

Den privatwirtschaftlichen Umbau des Gesundheitswesens setzt das Klinikum Aachen zumindest bei der IT stringent um: Lowitsch sieht seine Abteilung als eigene Firma mit eigenen Budgets, die ihre Produkte und Lösungen hausintern verkaufe. Dabei gelte das Prinzip "Planen, buchen und bezahlen".

Was wie Privatwirtschaft klingen soll, ist aber etwas ganz anderes. Lowitsch spricht denn auch von einem "Steuerungsprinzip", das die beteiligten Kliniken dazu anhalten soll zu planen, was sie erlösen wollen: In Aachen bekommen sie dazu vom Vorstand bestimmte Vorgaben, die letztlich nur eine Art Kreditvolumen darstellen, weil es sich um einen Vorgriff auf künftige Leistungserbringungen und ihre anschließende Verrechnung mit den Leistungsträgern des Gesundheitssystems handelt.

Das mag wie ein in Universitätskreisen erdachtes Abrechnungsschema aussehen, das nur von theoretischer Relevanz ist. Weit gefehlt! Denn nach diesem Schema und nach diesen Vorgaben müssen die Kliniken Jahr für Jahr Ressourcen einkaufen und bereitstellen, also erst einmal kräftig Geld ausgeben für Personal, Betten, IT u.a., bevor – vielleicht – etwas wieder rein kommt.

Insofern ist man eine eigene Firma. Aber wo kommen die "Kunden" (die Patienten) her? Gibt es darüber Prognosen? Welche „Werbemittel" stehen zur Verfügung? Je weiter man den Geschäftsfall durchspielt, desto genauer merkt man, dass es sich bei dem Gesundheitswesen eben doch nicht "um ein ganz normales" Geschäft dreht.

Wie Lowitsch erläutert, ergeben sich die Einnahmen des Universitätsklinikums aus drei „Quellen": Bei der Krankenversorgung werden die zu Anfang des Jahres veranschlagten Kosten (nicht die real entstandenen Kosten) verrechnet. Für Forschung und Lehre gibt es einen bestimmten Betrag aus den Steuermitteln des Landes Nordrhein-Westfalen. Zusätzlich sind noch die sogenannten Drittmittel zu erwähnen, die Professoren für öffentliche oder industriegeförderte Projekte bekommen.

Dass der von der Gesundheitsreform gewollte privatwirtschaftliche Ansatz für die Krankenhäuser letztlich wegen der besonderen Bedingungen der Versorgung von Kranken nicht 1:1 zu realisieren ist, zeigt sich auch an der inzwischen getroffenen Vereinbarung über die Fallpauschalen. Die mit den DRG, den Diagnosis Related Groups (oder Diagnosebezogene Fallgruppen), eingeführten Normgrößen für die Behandlung bestimmter Krankheitsfälle – gleiche Abrechnung für einen bestimmten Fall – gelten nun in allen Krankenhäusern Nordrhein-Westfalens gleichermaßen.

Sinn und Unsinn der Fallpauschalen

Das bedeutet, dass zum Beispiel für eine Blinddarmoperation an allen Institutionen nur der gleiche Betrag abgerechnet werden kann, obwohl die Infrastrukturkosten deutlich unterschiedlich sein können: Eine Uniklinik hat mit ihrem gesetzlichen Auftrag zur Maximalversorgung einen ganz anderen Apparat zu unterhalten, der zusätzlich noch durch die ärztliche Ausbildung sowie Forschungsaufgaben belastet wird.

Da es sich bei den DRG letztlich um eine politische Anordnung gehandelt hatte, blieben Konsequenzen bei den Krankenhäusern nicht aus. Irgendwie musste reagiert werden, denn alle waren dazu verpflichtet, sich nach den neuen Prinzipien umzuorganisieren.

Beim Uniklinikum Aachen setzte vor sechs Jahren ein Umdenkungsprozess ein, um sich für die neuen wirtschaftlichen Anordnungen zu wappnen: Es wurde zunächst eine neue Betriebsstruktur eingeführt. Zu den interdisziplinären medizinischen Services, die neu eingerichtet wurden, gehören drei zentrale OPs, eine operative Intensivmedizin (vorher sechs bis sieben unterschiedlichen Bereichen zugeordnet) und ein Standardbereich, in dem Pflegestationen gebündelt sind.

Um das angepeilte Ziel, gleichartige Abläufe auch in der gleichen Art zu lösen, mussten dafür sogar einige alte Zuständigkeiten neu definiert oder aufgelöst werden. So können sechs Intensivstationen mit sechs unterschiedlichen Chefs, Umsetzungsbestimmungen etc. zu durchaus sehr unterschiedlichen Abläufen, dadurch bedingtem Mehraufwand und unterschiedlich hohen Kosten führen.

Lowitsch berichtet, dass alle 35 zum Verbund gehörenden Kliniken inzwischen wie ein eigenständiges Unternehmen geführt werden. Dabei komme es wie in der Industrie insgesamt zu unterschiedlichen Ergebnissen, das eine Unternehmen laufe gut, ein anderes stehe eher schlecht da. Beim Uniklinikum Aachen reagiert man auf eine solche Situation durch einen internen Budgetausgleich: Die Budgeteinheiten derjenigen Kliniken, die nicht so gut laufen, werden zurückgefahren und das bereits verplante Geld wird dorthin gesteuert, wo mehr Erlöse winken.

Vertrackte Logik: Mehr- und Mindererlöse

Das klingt einfacher, als es ist. Denn das Klinikum ist im Rahmen der Budgetumschichtung gezwungen, genau den Erlös zu erbringen, der zu Beginn einer Abrechungsperiode geplant wurde. Würde das Klinikum mehr erlösen als geplant, müsste es den Differenzbetrag wieder zurückgeben an die Krankenkassen – das wird "Mehrerlösausgleich" genannt und kann ein Krankenhaus sehr schnell in die Verlustzone führen.

Auch für den umgekehrten Fall ist vorgesorgt. Wenn zu wenig erlöst worden ist (entsprechend den Zielvorgaben), dann zahlen die Krankenkassen einen "Mindererlösausgleich". Mit der unschönen Folge, dass im nächsten Verrechnungsjahr der Budgetplan im voraus gekürzt wird. Die Krankenkassen wollen auf jeden Fall vermeiden, für nicht erbrachte Leistungen Geld zu zahlen.

Mit staatlicher bzw. per Steuern finanzierter Krankenversorgung hat das ganze übrigens nichts zu tun. Das Geld für die gesamte Krankenversorgung in Deutschland kommt von den Krankenkassen, soweit es über das DRG-System definiert ist. Die große Anzahl der Krankenkassen hierzulande wird wiederum in der Regel finanziert von den (Zwangs-)Beiträgen der Arbeitnehmer und Unternehmen. Dieses historisch gewachsene System steht immer mehr unter der Vorgabe, dass es "kostendeckend" aus den "Erlösen" der Krankenkassen bezahlt wird.

Wie marktgerecht können die Krankenhäuser sein?

Beständiges Problem dieser Konstruktion, die von ihren Erfindern für "irgendwie privatwirtschaftlich" gehalten wird: Die "Erlöse" sind gefixt, aber nicht die Kosten. Letztere verhalten sich nicht fix, sondern verändern sich laufend – zum Beispiel bei den Materialausgaben oder bei den letztlich nicht planbaren Gehalts- und Tarifsteigerungen. Auf der anderen Seite fehlt den Krankenhäusern die wirtschaftliche Macht gegenüber ihren Zahlmeistern, den Krankenkassen, aktuelle "marktgerechte" Preise einzufordern oder durchzusetzen.

Den bürokratischen Aufwand beim DRG-System und seinen laufenden Kostenberechnungen hält Lowitsch gegenüber der landläufigen Meinung übrigens für überschaubar. Das System sei heute über die Erprobungsphase hinaus und weitgehend software-basiert und automatisiert. Und es hat in den letzten Jahren durch permanente Vergleiche und Neuberechnungen dazu geführt, dass die Fallpauschalen oder die letztlich anerkannten und zu bezahlenden "Erlöse" um etwa 15 Prozent gesunken sind. IT- und software-gestützt, hat die Seite der Finanzierer des Gesundheitssystems damit die abrechnungsfähigen "Preise" der Krankenhäuser deutlich gestutzt.

Von der Seite der Krankenhäuser aus würde das laut Lowitsch bedeuten, dass man zum Beispiel durch mehr Effizienz auf der Prozess-Seite 25 bis 30 Prozent an Kostensenkungen herausgeholt haben müsste, um den neuen DRG-Werten Paroli bieten beziehungsweise konstant positive Ergebnisse ausweisen zu können.

Unsichere Faktoren, sich ständig verändernde externe Vorgaben und Risiken unterschiedlicher Güte und Größenklassen gibt es in einem solchen (künstlichen) Gebilde wie dem DRG-System und seiner Anwendung in den Krankenhäusern also genug. 2008 hat man im Klinikum Aachen mit seinen 35 angeschlossenen Krankenhäusern deshalb nicht zufällig begonnen, ein IT-gestütztes Risikomanagement zu etablieren.

Bisher hatte man eine 3-gledrige IT-Plattformstrategie gefahren, im Wesentlichen bestehend aus den drei Plattform-Komponenten: klinisches System Medico S (Siemens), betriebswirtschaftliche Anwendungen (SAP) und BI-Plattform für das gesamte Berichtswesen (SAS Scorecard).

Wie risikofest sind unsere Krankenhäuser?

Um möglichst alle Risiken auf den unterschiedlichen Prozessebenen des Krankenhauses ins Blickfeld zu bekommen, hat man sich jetzt dazu entschlossen, ein einheitliches IT-System für das Risikomanagement einzuführen. Die Lösung SAP BusinessObjects Risk Management soll die Identifikation, Überwachung und Steuerung der wesentlichen Risiken im UKA ermöglichen. Das können neben den Belegungs- und Abrechnungsprozessen beispielsweise das frühzeitige Erkennen von Personalengpässen oder die Gewährleistung der Medikamentenversorgung sein.?

Die Software ist in der Lage, alle als wichtig eingestuften Risiken als Kennzahlen in übersichtlicher Form zu bündeln und diese den jeweils Verantwortlichen des Klinikums zur Verfügung zu stellen. Kernpunkt ist dabei, eine standardisierte, vereinheitlichte Bewertung von Risiken zu verwenden. Für dieses Ziel wurden im UKA Workgroups mit allen Berufsgruppen durchgeführt und Risikothemen eingesammelt und bewertet, um die echten aus den weniger wichtigen Risiken herauszufiltern.

In einem ersten Durchgang wurden etwa 100 Risiken ermittelt. Da Risikomanagement nichts Statisches ist, soll zukünftig ein kontinuierlicher Regelprozess organisiert werden. Auch von daher bot sich eine integrierte IT-Lösung an.

Laut Lowitsch müssen kaufmännische, technische und medizinische Risiken zusammengeführt werden. Mag es zum Beispiel aus betriebswirtschaftlicher Sicht heraus vertretbar sein, die Personaldecke im pflegerischen Bereich niedriger zu hängen, so hat ein Workshop mit den Verantwortlichen des Pflegebereichs ergeben, dass dies einen Risikofall bedeuten würde. Veraltete Software und Hardware sind ebenso in die Risikobetrachtung mit einzubeziehen. Und so wie man im Flugverkehr von "Beinahe-Unfällen" spricht, muss dies beim Risikomanagement eines Krankenhauses berücksichtigt werden. Deshalb, so Lowitsch, brauche es auch unbedingt ein IT-System für "Incidental und critical reporting".