Für Alpha-Server von HP

So rettet Virtualisierung alte Software

27.10.2011 von Hartmut  Wiehr
HP unterstützt die Alpha-Server nicht mehr. Mit einem Hardware-Emulator lässt sich alte Software weiter betreiben. Der IT-Chef von Linnenbecker berichtet.
Michael Flader, IT-Leiter bei Linnenbecker, schwört noch heute auf seine Alpha-Server. Nur weil HP diese Produktlinie einstellte, musste er nach einem Ausweg per Virtualisierung suchen.
Foto: Linnenbecker

IT gilt als schnelllebig. Dass das keineswegs immer so ist, belegen die zahlreichen Server und Anwendungen, die teilweise seit mehr als zehn Jahren in Betrieb sind und mit ihren oft selbst gestrickten Anwendungen brav ihre Dienste tun. Und das, obwohl die ehemaligen Hersteller längst von Newcomern übernommen und ihre Produkte irgendwann nicht mehr weiter gepflegt wurden. Keine Weiterentwicklung der Software mehr, keine Wartung und kein Support mehr für die Hardware, nichts. Auch die Beschaffung von Ersatzteilen funktioniert irgendwann nicht mehr.

Ein Beispiel hierfür findet sich bei der Firma Linnenbecker, einem Bauunternehmen und Baustoffhändler, der in Norddeutschland und in Nordrhein-Westfalen aktiv ist. Die Hardware-Plattform für das zentrale Warenwirtschaftssystem Sangross und die Datenbank Caché von Intersystems bestand aus einem Cluster von zwei Servern des Typs Alpha 4100 von Hewlett-Packard. Die Server unter dem Betriebssystem OpenVMS sind für ihre Zuverlässigkeit berühmt, und IT-Leiter, die sie kennen (oder kannten), sprechen nur in den absolut höchsten Tönen von ihnen. Ihre Ausdauer ist sprichwörtlich.

Linnenbecker hatte sich die Alpha-Server 1997 besorgt, zu einem Zeitpunkt, als der ehemalige Hersteller DEC bereits bei Compaq gelandet war. Compaq wurde dann von HP übernommen, und der neue Besitzer schwor Stein und Bein, dass man die Alpha-Linie nicht vom Markt nehmen werde. Irgendwann war es aber dann doch so weit. Linnenbecker behalf sich dann wie andere Anwender auch zunächst mit der Beschaffung von Altmaschinen auf dem Markt, um sich so zumindest Ersatzteile oder Austausch-Server in das Rechenzentrum stellen zu können. Manche Unternehmen legten sich sogar einen ganzen Park von Ersatz-Servern auf Vorrat an.

Wie Michael Flader, IT-Leiter bei Linnenbecker, im Gespräch mit CIO.de erläutert, war man zunächst auch diesen Weg gegangen. Von HP gab es aber keine Unterstützung mehr, und Altmaschinen waren teuer oder gar nicht mehr aufzutreiben. Selbst die Alpha-Fachleute wurden immer weniger oder gingen in Rente. Auf das Warenwirtschaftssystem, das an Alpha und OpenVMS gekoppelt war und ist, wollte man jedoch zunächst nicht verzichten, berichtet Flader.

Als Lösung entdeckte er Virtualisierung: in diesem Fall die gezielte Umbettung der alpha-basierten Software in eine neue Umgebung auf einem Intel-Server mit dem Betriebssystem Windows 2008. Angeboten werden solche Lösungen von dem Schweizer Unternehmen Stromasys, das von ehemaligen DEC-Mitarbeitern gegründet worden war. Flader wollte keinen überstürzten Übergang zu einem neuen Warenwirtschaftssystem, sondern sich Zeit und Sicherheit einkaufen.

Emulator statt abgekündigter Hardware

Mit dem Hardware-Emulator Charon von Stromasys wird der Alt-Applikation vorgegaukelt, dass sich für sie nichts geändert hat und sie weiter auf einem "echten" Alpha-Server unter OpenVMS läuft. Damit habe man eine Zwischenlösung gefunden, um Zeit für strategische Entscheidungen bezüglich des Warenwirtschaftssystems zu haben, betont Flader.

Für die knapp 500 Anwender und die Geschäftsleitung sei der Wechsel der Hardware-Plattform „quasi unbemerkt" erfolgt, heißt es bei Stromasys in einem Projektbericht: "Alle Applikationen laufen nun mit höherer Performance auf dem Host, der sich wie ein physikalischer Alpha-Server verhält. Auch die ressourcen-intensivsten Batch-Läufe oder Spitzen im Dialogverhalten erwiesen sich nicht als Engpass." Zudem stehen die Entwicklungswerkzeuge und alle Historiendaten weiterhin zur Verfügung.

Das Warenwirtschaftssystem bei Linnenbecker war ebenfalls veraltet. Mit der Virtualisierungs-Software Charon von Stromasys konnte man sich Zeit für einen Wechsel lassen.
Foto: Linnenbecker

Konkrete Ziele der Umstellung waren, wie Flader berichtet, die Senkung der Wartungs-, Kühlungs- und Stromkosten. Man wollte außerdem die Plattenkapazität in dem bisher an die Alpha-Server angeschlossenen Speichersystem erhöhen und mehr Stellfläche im Rechenzentrum gewinnen. Beim Aufbau eines Testsystems mit Charon ging man vorsichtig vor und baute zunächst parallel einen Windows-Server mit 64-Bit-Technologie auf.

Die Alpha-Server liefen daneben wie gehabt weiter. Die Windows-Server wurden dann an das bisherige Raid-System über eine Fibre-Channel-Verbindung angeschlossen, während die Alpha-Server weiterhin dort ihre Daten über 1-Gbit-Ethernet sicherten. In einem weiteren Schritt wurde einer der alten Alpha-Server aus dem Verbund herausgenommen, und stattdessen wurde die Charon-Lösung in Betrieb genommen.

Dieses Test-Szenario wurde nach einer positiv verlaufenen Woche dahingehend ergänzt, dass nun auch der zweite Alpha-Server unter Charon emuliert wurde. Alle 500 Anwender arbeiteten nun in dieser virtuellen Umgebung, ohne dass sie das bemerkt hätten: Für sie hatte sich "an der Basis" nichts geändert, die Anwendung lief wie vorher. Der kleine Unterschied, der nicht zu bemerken ist: Die alte Alpha-Basis existiert unter der Emulationsschicht Charon nicht mehr.

Virtuelle Lösung beschleunigt die tägliche Datensicherung

Die Datensicherung wurde früher immer nachts von 20 Uhr bis gegen sechs oder sieben Uhr morgens durchgeführt, unter der Charon und einem neuen Plattensystem ist sie bereits gegen etwa zwei Uhr nachts fertig. Mit diesem Performancegewinn könnte Flader gut leben, aber das alte Warenwirtschaftssystem Sangross ist ebenfalls ein Auslaufmodell. Es basiert auf einem reinen Ascii-Code und wird nicht mehr weiter gepflegt. Dennoch an der bewährten Software festzuhalten, hätte bedeutet, dass man alle Änderungen am System auf eigene Kosten entwickeln müsste. Die Perspektive wäre gewesen: Alpha-Server nur noch mit gebrauchter Hardware weiter pflegen und auf der Software-Seite kostspielige Eigenentwicklungen.

Flader sagt, er sei "nach wie vor begeistert" von der Stabilität der Alpha-Server. Sie liefen und seien "praktisch nicht abgestürzt". Dass ein Server ein dreiviertel oder ein ganzes Jahr ohne Unterbrechung und Neubooten läuft, finde man bei den heutigen Servern nicht. Wenn da nur nicht dieses Beschaffungsproblem gewesen wäre.

Das Systemhaus invenate sorgte für die praktische Umsetzung der Lösung.
Foto: invenate

Allerdings gab es schon, wie er konzediert, ein Performance-Problem auf der Speicherseite: Die größte Platte, die man in das angeschlossene HSG-Raid-System von DEC (dann Compaq und HP) mit maximal 48 Platten hineinpacken konnte, hatte ein Volumen von lediglich 32 GByte. Dies entspricht laut Flader nicht mehr den heutigen Anforderungen.

Er würde jederzeit wieder den Umstieg auf den Emulator Charon machen, meint der IT-Leiter. Das laufe "hervorrragend". Bei der Umstellung und den Tests wurde er von dem Systemhaus invenate unterstützt, das sich auf VAX-, Alpha- und Charon-Installationen in Deutschland spezialisiert hat.

Und was wird aus HPs Itanium-Server?

Mit Charon wird der ehemalige Alpha-Server samt Applikation auf einem Windows-Server emuliert und so sein Lebenszyklus verlängert.
Foto: invenate

Es könnte sein, dass das Beispiel von Linnenbecker bald Schule macht. Intel hat sich schon vor Jahren von der Entwicklung der Itanium-Server zurückgezogen, und Oracle hat jetzt ebenfalls den Support seiner Datenbank für diese Systeme abgekündigt. In dem persönlich motivierten Krieg zwischen HP und Oracle, der nach der Anstellung des Ex-HP-CEOs Mark Hurd bei seinem Freund Larry Ellison entbrannte, hat HP zwar mit einer Klage vor Gericht gegen Oracles Itanium-Kündigung reagiert. Doch der Konzern hat nach den jüngst angekündigten – dann wieder erst einmal zurück genommenen – Schwenks beim PC- und Tablet-Geschäft sehr viel an Glaubwürdigkeit verloren.

Stromasys steht übrigens schon mit Emulator-Lösungen für HPs Itanium-Server bereit.