Beispiele aus Unternehmen

Social Leadership in der IT

07.12.2016 von Gudrun Happich
Leistungsträgern geht es nicht ums höchste Gehalt, sondern um Wertschätzung und Gestaltungsmöglichkeiten. Unternehmen wie SAS Institute, Systelios-Kliniken oder Partake zeigen, wie man das umsetzt.
Gudrun Happich ist Executive Business Coach.
Foto: Galileo Institut für Human Excellence

Es ist unübersehbar: Die Wirtschaftswelt wandelt sich. Immer mehr Unternehmen erkennen, dass der Weg zum höheren Ertrag nicht zwangsläufig über immer weiter ausgeklügelte Kosteneinsparungen führt, sondern über die Ressource Mensch.

Der erste Teil der Reihe "Neue Arbeitsformen in der IT-Branche" ("Neue Leadership-Modelle gefragt") führte bereits in das Thema Social Leadership ein. Anhand der bioSystemik, meinem Modell der Wirtschaftsbionik, zeigte ich, dass auch das "erfolgreiche Unternehmen Natur" viele funktionierende Führungsmodelle bereithält.

Formen von Social Leadership

Die erfolgreichen Unternehmen mit moderner Führung gehen unterschiedlichste Wege. Über Zusatzleistungen für ihre Mitarbeiter, über flache Hierarchien und über neue Arbeitsformen. Wer glaubt, neue Arbeitsmodelle seien gerade in der eigenen Branche nicht umsetzbar, dem zeigen die folgenden Beispiele das Gegenteil.

Vom IT-Konzern, einer Unternehmensberatung, über ein Industrieunternehmen, bis hin zu Kliniken findet sich ein Querschnitt des Wirtschaftslebens. Was die Beispiele ebenfalls belegen, ist, dass es Leistungsträgern nicht um das höchste Gehalt geht, sondern um etwas anderes: Wertschätzung und Gestaltungsmöglichkeiten.

SAS Institute: Anreiz über Goodies

Der Softwarekonzern SAS Institute wird gern als einer der besten Arbeitgeber der Welt beschrieben. Das nicht börsennotierte Unternehmen bietet zwar nicht die höchsten Gehälter, dafür aber viele Zusatzleistungen: subventioniertes Essen, Fitnessclub, Massagen, Frisör, Kinderbetreuung und sogar eine eigene Klinik auf dem Firmengelände. All diese sozialen Komponenten rechnen sich mittel- und langfristig. Die Fluktuation ist extrem niedrig, der Krankenstand hält sich in Grenzen und es gibt jede Menge weiterer positiver Effekte.

Systelios-Kliniken: flache Hierarchien, Beteiligung und gelebte Werte

Ein schönes Beispiel für Werte-Authentizität habe ich im Rahmen einer Coaching-Tagung kennengelernt. Die Systelios-Kliniken haben sich auf die Behandlung von Führungskräften mit Burnout und anderen psychischen Erkrankungen spezialisiert. Das ganzheitliche Konzept in der Behandlung, die Empfehlungen, die den Patienten gegeben werden, wird auch nach innen authentisch gelebt.

Die zentralen Aspekte Transparenz, Wertschätzung und Kooperation auf Augenhöhe sind bestimmend für die Organisationsform. Von der Küche bis zum Architekten werden alle Mitarbeiter in wesentliche Entscheidungsprozesse eingebunden. Die Hierarchien sind flach, allerdings gibt es keine Demokratie - schließlich wird auch das geschäftliche Risiko nicht geteilt.

Wer mit den Mitarbeitern spricht, gewinnt den Eindruck, dass hier alle an einem Strang ziehen und sich der übergeordneten Vision verpflichtet fühlen. Fragen werden offen diskutiert, wie "Wofür machen wir das eigentlich? Mit welcher Wirkung? Ist es zieldienlich?"

Partake AG: Führung auf Zeit

Die Berliner Unternehmensberatung Partake AG indes setzt auf Hierarchien auf Zeit. Die Mitarbeiter finden sich zu jedem Projekt in neuen Teams zusammen - wer eine Idee hat und durchsetzen will, muss sich für diese auch einsetzen. Genau wie das weltweit erfolgreiche Textilunternehmen Gore ist Partake mit dieser modernen Führungsstrategie der radikalen Teilhabe überaus erfolgreich. Während bei stark hierarchisch strukturierten Unternehmen innovative Ideen oft im Nichts versanden, sind Unternehmen, die auf Selbstkontrolle der Teams setzen, für ihre besondere Innovationsfähigkeit und Kreativität bekannt. Die starke Teilhabe führt dazu, dass sich die Mitarbeiter mit dem Unternehmen identifizieren, hoch motiviert sind und die Fluktuation extrem niedrig ist.

Nicht ohne Führung

Bei Social Leadership geht es nicht darum, Chefs oder Führung generell abzuschaffen - im Gegenteil. Nach meiner Einschätzung als Führungskräftecoach ist moderne Führung DIE Zukunftskompetenz schlechthin. Starre Führung jedoch, die per feststehender Hierarchie geregelt ist, wird wohl eher zum Auslaufmodell. Moderne Führung ist flexibel, wie etwa Projekt- oder zeitorientierte Führung.

Weshalb gibt es Vorbehalte?

Obwohl diese überaus erfolgreichen Unternehmen den ökonomischen Nutzen moderner Führung belegen, haben viele Führungskräfte dagegen Vorbehalte. Doch woran liegt das?

Fast alle, die heute am Ruder sind, wurden ganz klassisch ausgebildet, über Jahre hinweg haben sie feste Rollenbilder erlebt und trainiert. Die bisherigen Strukturen sind so tief verwurzelt und weit verbreitet, dass es bereits eine Herausforderung sein kann, über Alternativen nur nachzudenken.

Letztlich ist es also Angst vor dem Ungewohnten und die - durchaus zutreffende - Einschätzung, dass Veränderungen an Strukturen schwierig sein können. Dann gibt es selbstverständlich auch noch diejenigen, die ihren "Besitzstand" wahren wollen und sich deshalb vor Veränderungen verschließen.

Fallbeispiel: Eine Anwältin, die moderne Führungssysteme liebt

Doch nun weg vom Blick zurück und hin zu den zukunftsaffinen Leistungsträgern: Ein Beispiel aus meiner Beratungspraxis zeigt, wie sehr Menschen an dieser neuen Form von Führungskultur hängen, wenn sie sie einmal erlebt haben. Und dass sie sich einen Weg dafür suchen, wenn sie sie im eigenen Unternehmen nicht umsetzen können.

Eine Anwältin hat als Standortmanagerin den Standort Deutschland einer internationalen Großkanzlei aufgebaut. Sie installierte eine moderne Führungskultur, in der jeder seinen Stärken entsprechend eingesetzt wurde. Jeweils der Anwalt übernahm die Führung, dessen Projekt im Fokus stand. Danach wurde er wieder "normales" Teammitglied in einem anderen Projekt.

Die Standortmanagerin schaffte so innerhalb von drei Jahren massives Umsatz- und Ergebniswachstum, mit kaum Fluktuation und einer hohen Innovationskraft. Dann erhielt sie ihre Kündigung mit einem fadenscheinigen Grund. Der wahre Hintergrund: Das internationale Unternehmen konnte und wollte mit ihrer modernen Struktur nicht umgehen, die Mitarbeiterin wurde abgesetzt.

Wie ging es in der Großkanzlei weiter? Nach dem Weggang der Standortleiterin wurden die "üblichen" Hierarchien installiert, die Fluktuation stieg enorm. Einige Mitarbeiter gingen aktiv auf meine Klientin zu und fragen sie, wo sie denn hingehen wolle: Sie kämen mit!

Die Klientin ist nach wie vor aus vollem Herzen überzeugt von modernen Führungssystemen. Sie hat sich ein Team aus spezialisierten ehemaligen Mitarbeitern zusammengestellt, ihr IT-Leiter, die HR-Leiterin sowie der Ex-Finanz-Chef. Gemeinsam bieten sie als Beratungs-Team ihr Wissen den Unternehmen an, die in der Wachstumsphase nach dem Start-Up sind und gleich moderne Führungsstrukturen ohne starre Hierarchie einführen möchten.

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