IT-Recht in Corona-Zeiten

Sorgen Sie für einen IT-Vertrag auf Augenhöhe

11.09.2020 von Simon Hülsbömer
Warum Outsourcing ein echter Krisengewinner ist und warum sich hinter juristischen Vertragsklauseln bares Geld versteckt, erläutert IT-Jurist Ulrich Bäumer.

Ulrich Bäumer ist Experte für IT-Recht und Partner in der Internationalen Wirtschaftskanzlei OsborneClarke tätig. Besonders häufig hat er mit Outsourcing-Verträgen im Umfeld indischer IT-Dienstleister sowie mit SAP-Einführungen und -Umstellungen zu tun.

Im Rahmen des diesjährigen "Leadership Excellence Program" von CIO, WHU - Otto Beisheim School of Management und Förderer DXC Technology führt er die Teilnehmer an die rechtlichen Stolperfallen in IT-Verträgen heran. CIO hat mit ihm, selbst LEP-Alumnus, im Vorfeld des nächsten Programmdurchlaufs unter anderem über die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf seine tägliche Arbeit gesprochen.

Ulrich Bäumer ist als Partner in der Internationalen Wirtschaftskanzlei OsborneClarke spezialisiert auf IT- und Outsourcing-Verträge.
Foto: OsborneClarke

Wie beeinflusst die Covid-19-Pandemie Ihr Alltagsgeschäft als IT-Jurist? Gibt es ein konkretes Beispiel, an dem Sie das deutlich machen können?

Ulrich Bäumer: Wie alle lernen wir IT-Juristen jetzt vor allem wegen der COVID-19-Pandemie Flexibilität. Termine werden kurzfristiger vereinbart, neue IT-Projekte starten rascher und werden auch schneller wieder beendet. Agile Projekte sind das "neue Normal", was rechtlich gesehen wegen der Problematik 'Arbeitnehmerüberlassung' eine echte Herausforderung ist.

Auch kamen und kommen viele Verträge auf den Prüfstand - es geht oft um die Anpassung von Konditionen und Laufzeiten oder um Teilkündigungsrechte seitens der Kunden. Bei neuen Verträgen ist es den Kunden jetzt sehr wichtig, dass man kurzfristig auf Veränderungen reagieren kann.

Sie haben täglich mit Outsourcing-Projekten zu tun - Inwiefern beeinflusst die Pandemie dieses Geschäftsfeld? Sind Anwender derzeit bereit, ihr knapper werdendes Geld dafür auszugeben?

Ulrich Bäumer: Outsourcing ist nach meiner Wahrnehmung ein echter Krisengewinner. Zuerst muss man feststellen, dass alle IT-Dienstleister trotz der Coronakrise die vereinbarten Leistungen fristgerecht geliefert haben - trotz Homeoffice und Reisebeschränkungen. Als sich diese Erkenntnis durchgesetzt hat, wurde aus meiner Sicht das Geschäft noch einmal ordentlich angekurbelt.

Neben der Möglichkeit, in der Krise durch Outsourcing Geld zu sparen - Stichwort "run my mess for less" - erkannten die Einkäufer und IT-Verantwortlichen auch, dass man durch Outsourcing weitere Ressourcen finden und Veränderungen gestalten kann. Ob der eigene Mitarbeiter im Homeoffice arbeitet oder der Mitarbeiter des Dienstleisters sich über dieselbe Leitung aus Bangalore einwählt, ist am Ende auf die Projektumsetzung bezogen gleich.

Je agiler die Arbeitswelt, desto "atmender" müssen auch die IT-Verträge werden.
Foto: NothingIsEverything - shutterstock.com

In diesen Klauseln steckt bares Geld

Im Rahmen des Leadership Excellence Program erklären Sie IT- und Digitalisierungsentscheidern rechtliche Stolpersteine in IT-Verträgen. Warum ist dieses Thema gleichermaßen wichtig wie spannend?

Ulrich Bäumer: Weil sich hinter den juristischen Klauseln bares Geld versteckt. Erstes Beispiel: Wenn Sie sich als Kunde in ihrem IT-Vertag ein ordentliches, auch teilweises, Kündigungsrecht mit 'nur' 30 Tagen Kündigungsfrist haben einräumen lassen, können Sie bei einer heraufziehenden Pandemie natürlich immer flexibel reagieren. Sie müssen sich nicht auf einen Rechtsstreit über die Auslegung des Begriffs 'höhere Gewalt' einlassen, um aus einer vertraglichen Pflicht entlassen zu werden.

Zweites Beispiel: Wenn Sie die Kosten eines möglichen Change Requests im IT-Vertrag dem Dienstleister zugewiesen haben, können Sie gesetzlichen Änderungen relativ gelassen entgegensehen.

Besonders SAP sticht immer wieder mit juristischen Winkelzügen in seinen Verträgen hervor. Was ist der neueste "vertragsrechtliche Clou" seitens SAP?

Ulrich Bäumer: Bei SAP und anderen großen Software-Erstellern ist vor allem deren Marktmacht und das einhergehende Machtgefälle das Problem der Kunden. Dadurch entstehen immer wieder neue Streitfelder - aktuell auf Corona bezogen ist es unter anderem das Thema Kündigung, die vertraglich für die Kunden ausgeschlossen ist. Auch das Thema 'Verkauf von gebrauchten Software-Lizenzen' führt zu Dissonanzen, weil das vertraglich im Endeffekt ebenso für die Kunden ausgeschlossen ist - wobei sich die SAP und die anderen großen Software-Ersteller im Gegenzug aber sehr großzügige Rechte in ihre Standardverträge haben schreiben lassen.

Von Gerechtigkeit und Ausgleich widerstreitender Interessen kann man da nicht sprechen, eher von einem durch Abhängigkeit entstandenem Diktat. Im Prinzip kann der Kunde seine Lizenzrechte nur noch an den Software-Ersteller selbst "verkaufen" - wobei der Software-Ersteller dabei auch noch die Preise festlegt. Auf das Wirtschaftsgut PKWs übertragen wäre das so, als wenn Volkswagen der einzige verbleibende Kfz-Hersteller weltweit wäre und man seinen gebrauchten Golf 8 nur noch wegen der AGB der Volkswagen AG an Volkswagen selber verkaufen dürfte - und zwar zu Konditionen, die Volkswagen bestimmt.

Kaufen Sie dort direkt mehrere neue Kfz's - vielleicht sogar gleich inklusive Upgrade auf Porsche -, bekommen Sie von der Volkswagen AG einen guten Preis für Ihren gebrauchten Golf 8. Kaufen Sie aber kein neues Auto, wird der Preis äußerst gering ausfallen - denn Sie haben ja keine andere Option, Ihr gebrauchtes Fahrzeug im Markt zu verkaufen.

Langfristige Beziehung, nur kurzfristig planbar

Inwiefern sind IT- und Outsourcing-Verträge allgemein in den vergangenen Jahren komplexer geworden? Oder waren sie das schon immer?

Ulrich Bäumer: Man hat das Gefühl, dass das ganze Leben wegen Corona komplexer geworden ist, und damit auch die IT- und Outsourcing-Verträge. Sie waren es aber eigentlich immer schon. Der Spagat, der hier gelingen muss, ist der folgende: In der IT geht es immer um eine langfristige Beziehung, planen lässt sich diese aber leider nie mehr als drei Monate im Voraus.

So muss der IT- und Outsourcing-Vertrag einen klaren Rahmen setzen, der aber durchlässig genug ist, bei Änderungen sofort reagieren zu können. Will dann der Kunde Abhängigkeiten reduzieren und arbeitet deshalb mit mehreren Dienstleistern, muss die Abstimmung der Dienstleister auch noch orchestriert und die Verantwortlichkeiten untereinander austariert werden.

Was müssen Anwender, die Verträge mit SAP, aber auch anderen Dienstleistern abschließen, ganz besonders beachten? Wie sehen Ihre Top 3 Empfehlungen vor Vertragsabschluss aus?

Ulrich Bäumer: Ich habe insbesondere eine Empfehlung: Sorgen Sie für einen IT-Vertrag auf Augenhöhe. Der Dienstleister muss sich die Zeit nehmen, die Risiken des Kunden anzuhören und diese im IT-Vertrag abzubilden. In der IT sind die vertraglichen Beziehungen immer langfristig und man sitzt am Ende mit dem Dienstleister zusammen im selben Boot- das IT-Projekt muss Erfolg haben.

Daher muss man in jedem Moment der Zusammenarbeit um Augenhöhe kämpfen - nur, wenn einen der Dienstleister als Kunde ernst nimmt, werden aus der Beziehung gute Ergebnisse entstehen. Das ist harte Arbeit - wie in jeder Beziehung. Ansonsten: Schielt als Kunde nicht zu sehr auf den schnellen Rabatt am Anfang, sondern beachtet auch, was der Rabatt mit eurer Abhängigkeit macht.

Streitet euch über das Relevante- manche Probleme in Vertragsverhandlungen sind nur in der Theorie vorhanden. Als Bezieher einer standardisierten Cloud-Lösung schützt mich zum Beispiel der Markt, da muss ich nicht auf zwei Jahre Gewährleistung vom Dienstleister bestehen und diese teuer bezahlen.

Flexibilität im Kopf

Sie sind viel in Indien unterwegs, das von der Corona-Pandemie deutlich stärker getroffen wurde als Deutschland. Wie geht das Land damit um und was hat die Situation für konkrete Auswirkungen auf das Outsourcing-Geschäft mit europäischen Unternehmen?

Ulrich Bäumer: Indien ist von der Krise schon früh überrollt worden und die Größe der Megastädte und Bevölkerungsdichte machen es sehr schwierig, Social Distancing zu praktizieren. Dennoch hat Indien etwas in der Landes-DNA, was sich während der Krise als absoluter Vorteil zeigt: die Flexibilität im Kopf der Menschen. In Indien ist man es schon von jeher gewohnt, seinen Tag ständig wegen der infrastrukturellen Herausforderungen neu zu planen. Da kann man auf stetige Veränderungen, die uns Corona abverlangt, natürlich gelassener reagieren.

Aber auch wir Europäer lernen gerade Flexibilität und das Zulassen von Veränderungen, was aus meiner Sicht der größte Vorteil der Corona Krise für uns Europäer ist - Change is good! Die meisten Inder, die ich kenne und mit denen ich täglich arbeite, sind seit Monaten nur im Homeoffice tätig und haben dabei einen echten Lockdown erlebt - da hatten wir es in Deutschland verhältnismäßig einfacher. Ich zum Beispiel bin seit Monaten wieder im Büro und kann so mein Privat- und Berufsleben auch räumlich wieder abgrenzen.

Als Alumnus und Dozent begleiten Sie das LEP seit vielen Jahren. Warum empfehlen Sie die Teilnahme an diesem Programm?

Ulrich Bäumer: Weil man am meisten von den anderen LEP'lern lernt - das sage ich als Dozent ganz ehrlich. Der Effekt hat sich in allen LEP-Jahrgängen sehr schnell eingestellt - die Probleme sind in allen Sektoren die gleichen, aber jeder Sektor reagiert auf das Problem anders, halt sektor- und damit marktbezogen. Es ist sehr spannend zu lernen, wie die Kollegen aus anderen Marktbereichen beispielsweise auf die Digitalisierung reagieren.

Man könnte meinen, dass REWE, Lidl und Aldi dort ähnliche Dinge tun müssten - spricht man aber mit den Kolleginnen, stellt man fest, dass der eine aktuell seine Wertschöpfungskette digitalisiert, der andere an der Digitalisierung der Verkaufskanäle arbeitet und der Dritte an dem Modell des digitalisierten Einkaufs und der Einbindung der ebenfalls digitalisierten Zulieferer. Das ist extrem spannend.

Das LEP geht weiter!

Vom 9. bis zum 13. November 2020 startet am WHU-Campus Düsseldorf der 9. Jahrgang des "Leadership Excellence Program" von CIO, WHU und DXC Technology. Die Teilnahme lohnt sich auch in diesem Jahr - coronabedingte Einschränkungen im Programm lassen sich voraussichtlich zwar nicht ganz vermeiden, sie werden aber so gering wie möglich gehalten. Mehr Infos und Anmeldung unter www.leadership-excellence-program.de.