Die sechs wichtigsten IT-Entscheidungen

Strategie-Serie - Teil 1: Richtige IT-Budgetierung

26.06.2006 von Peter  Weill und Jeanne W.  Ross
In ihrer Unkenntnis von IT treffen CEOs und CFOs ständig die falschen Entscheidungen - bis hin zum Total-Outsourcing. In der folgenden Artikelserie erklären Peter Weill und Jeanne W. Ross von der Sloan School of Management am Massachusetts Institute of Technology (MIT), wie Vorstände ihre Hilflosigkeit bei IT-Entscheidungen überwinden können. Im ersten Teil der Serie erläutern die Autoren, wie IT-Budgets richtig geplant und eingesetzt werden sollten.

Seit einigen Jahren schon beobachten wir die Frustration - manchmal sogar Wut -, die bei vielen Führungskräften angesichts des Themas Informationstechnik (IT) und ihrer eigenen IT-Abteilungen aufkommt.

Unser Institut bietet ein Seminar mit dem Titel "IT für den Nicht-IT-Manager" an, und von den bislang mehr als tausend Teilnehmern hören wir immer das gleiche Lied: "Was kann ich tun? Ich kenne mich mit der IT nicht gut genug aus, um sie bis ins Detail zu managen. Und meine EDV-Leute arbeiten zwar viel, verstehen aber die ganz praktischen Geschäftsprobleme nicht, mit denen ich mich täglich herumschlage."

Wohl am häufigsten beklagen die Führungskräfte - Chief Executive Officer (CEO), Chief Operating Officer (COO), Chief Financial Officer (CFO) oder andere hochrangige Manager -, dass die teure Technologie, die sie installiert haben, kaum echten betriebswirtschaftlichen Nutzen erzeugt. Gleichzeitig wächst die Liste der scheinbar unbedingt notwendigen technischen Erfordernisse, und die IT-Ausgaben verschlingen einen immer größeren Teil vom Budget. Aber welchen Gegenwert liefern sie?

Tatsächlich haben unsere Untersuchungen der IT-Management-Praxis bei hunderten von Unternehmen rund um den Globus gezeigt, dass die meisten nicht das Optimum aus ihren IT-Investitionen herausholen. Die Unternehmen, die ihre IT-Investitionen am erfolgreichsten managen, erwirtschaften bis zu 40 Prozent höhere Erträge als ihre Wettbewerber.

Es gibt eine Reihe von Faktoren, bei denen sich diese erfolgreichen Unternehmen von anderen unterscheiden. Der wichtigste jedoch ist, dass die oberste Management-Ebene bei Schlüsselentscheidungen im IT-Bereich eine echte Führungsrolle einnimmt.

Wenn Führungskräfte diese Entscheidungen den IT-Managern überlassen, ist die Katastrophe programmiert. Das belegen die vielen Beispiele von verpfuschten Einführungen breit angelegter Systeme zum Customer Relationship Management (CRM) und Enterprise Resource Planning (ERP). Es wäre falsch zu glauben, das Fiasko mit diesen CRM- und ERP-Systemen sei das Resultat rein technologischer Patzer beim Einrichten und Starten der komplizierten Anwendungen.

Tatsächlich war das Problem in der Regel ein anderes: Die Führungskräfte erkannten nicht, dass die neuen Systeme nicht nur eine technische, sondern auch eine unternehmerische Herausforderung darstellten. Entsprechend übernahmen sie keine Verantwortung für die notwendigen Veränderungen der Organisation und der internen Prozesse.

Entscheidungsketten definieren

Solche Reinfälle könnten sich wiederholen, denn die Unternehmen stehen vor der nächsten Welle von IT-Innovationen: Internet-Dienste werden verstärkt genutzt, mobile Endgeräte finden bei Mitarbeitern und Kunden immer größere Verbreitung, und die vielfältigsten elektronischen Vertriebs- und Servicekanäle werden integriert - seien es Websites, Callcenter, Geldautomaten oder Handys.

Um einem Missverständnis vorzubeugen - IT-Manager sind die Richtigen für eine Reihe von IT-Entscheidungen: die Auswahl technologischer Standards, die Gestaltung des Rechenzentrums, die Festlegung der technischen Expertise, die das Unternehmen benötigt, sowie die Wahl der Standardmethode bei der Einrichtung neuer Systeme. Aber die EDV-Abteilung darf keine Entscheidungen treffen - und erst recht nicht routinemäßig -, die Auswirkungen auf den Erfolg der Geschäftsstrategie haben.

Bei sechs Entscheidungen empfehlen wir Managern, selbst Führungsverantwortung zu übernehmen, wenn sie IT-Desaster vermeiden und - noch wichtiger - echten Nutzen aus ihren IT-Investitionen ziehen wollen. Die ersten drei betreffen den Bereich Strategie, die übrigen drei eher die operative Umsetzung. Keine dieser Entscheidungen sollte von IT-Leuten getroffen werden - denn das ist nicht ihr Job.

1. Entscheidung: Wie viel Geld sollen wir für IT ausgeben?

Angesichts des ungewissen Nutzens von IT-Aufwendungen fragen sich viele Führungskräfte, ob sie nicht zu viel dafür ausgeben - oder auch zu wenig. Wenn wir nur die Summe richtig festlegen, denken sie, lösen sich alle anderen IT-Probleme von selbst. Also richten sie die Höhe ihrer Ausgaben an den Benchmarks der Branche aus.

In den erfolgreichen Unternehmen, die wir untersucht haben, gehen die Führungskräfte jedoch ganz anders vor. Sie legen zuerst die strategische Rolle der Informationstechnik für das Unternehmen fest, dann bestimmen sie ein unternehmensweites Budget - eines, mit dem die festgelegten Ziele erreicht werden können.

Die Ziele unterscheiden sich je nach Unternehmen erheblich. Manche sind relativ bescheiden, wenn es zum Beispiel nur darum geht, Ungenauigkeiten und Ineffizienzen in den Verwaltungsabläufen zu beseitigen.

Die Ziele können aber auch entscheidend für die gesamte Unternehmensstrategie sein: zum Beispiel die Aufrechterhaltung einer nahtlosen weltweiten Lieferkette oder eines reibungslosen Kundendienstes, aber auch die Unterstützung einer hoch entwickelten Forschungs- und Entwicklungsabteilung. Solch unterschiedliche Ziele erfordern natürlich unterschiedliche Budgets. Und wenn die Informationstechnik eine zentrale strategische Rolle spielen soll, dann steigen damit die notwendigen Ausgaben.
Nehmen wir als Beispiel die Erzrivalen United Parcel Service (UPS) und FedEx. Beide Unternehmen melden jährliche IT-Ausgaben von rund einer Milliarde US-Dollar. Aber FedEx ist mit Jahreserlösen von etwa 20 Milliarden Dollar nur etwa zwei Drittel so groß wie UPS.

Heißt das: Die Informationstechnik spielt bei FedEx eine größere Rolle? Nein, aber eine andere. Die IT-Strategie von UPS hat ihre Wurzeln in einer Art Ingenieursdenken. Effizienzsteigerungen stehen im Mittelpunkt, weil das Geschäftsmodell vor allem auf Stetigkeit und Verlässlichkeit basiert. Das zentralisierte und vereinheitlichte IT-Umfeld des Unternehmens erlaubt einen zuverlässigen Kundendienst zu relativ niedrigen Kosten.

FedEx dagegen hat sich auf Flexibilität konzentriert, um den unterschiedlichen Erfordernissen seiner verschiedenen Kundensegmente gerecht zu werden. Die höheren Kosten dieses dezentralen Ansatzes werden kompensiert durch die Vorteile lokaler Innovationen und die Fähigkeit, stärker auf individuelle Kundenwünsche einzugehen.

Natürlich nutzt UPS Technologie auch, um auf die Bedürfnisse einzelner Kunden einzugehen, ebenso wie FedEx Technologie einsetzt, um einen konsistenten Service in allen Kundensegmenten zu bieten. Dennoch haben die jeweiligen IT- und Geschäftsstrategien unterschiedliche Stoßrichtungen. Beide Unternehmen sind erfolgreich, weil sie ihr Ausgabenniveau diesen Strategien angepasst haben - und nicht den Benchmarks der Branche.

Verschiedene Wege

In den meisten Unternehmen hat das Top-Management die Rolle der Informationstechnik nicht so klar definiert, sondern diese Entscheidung den IT-Leuten überlassen. In diesen Organisationen kann die IT-Abteilung zwar einzelne Projekte umsetzen, aber keine "strategische Plattform" aufbauen, eine, die nicht nur auf aktuelle Bedürfnisse reagiert, sondern auch einen langfristigen Nutzenzuwachs erbringt.

Die Erfahrung von UPS zeigt die Vorteile einer breiten strategischen Plattform. In den späten 80er Jahren begann das Unternehmen, intensiv in die Informationstechnik zu investieren - zu einer Zeit, da FedEx vor allem mit seiner Fähigkeit warb, die Position jeder Paketsendung stets genau orten zu können.
Doch statt einfach ein solches Tracking-System entwickeln zu lassen, entschied sich die Führung von UPS für den Aufbau einer umfassenden Paket-Datenbank, die als Plattform für zahlreiche Anwendungen dienen konnte.

Um die entsprechenden Daten zu sammeln, entwickelte UPS das "Delivery Information Acquisition Device", einen Handheld-Computer, in dem die Fahrer Unterschriften der Kunden und andere Informationen speichern konnten. Dies brachte den Fahrern eine Zeitersparnis von 30 Minuten täglich, weil sie weniger Lieferinformationen per Hand eingeben mussten.

Die Möglichkeit der elektronischen Speicherung von Lieferdaten brachte aber noch weitere Vorteile. Die Daten lieferten auch einen genaueren Überblick über die Zustellungen. UPS musste sich die Informationen über einzelne Lieferungen nun nicht mehr bei den Kunden besorgen, ohne sie selbst verifizieren zu können. Das Unternehmen erhöhte damit in der Folge seine Einnahmen um mehrere hundert Millionen Dollar.

In den folgenden Jahren konnte UPS dank seiner neuen Datenbank neue Produkte, etwa die garantierte Lieferung, und Verfahren, darunter auch die Online-Verfolgung der Sendung durch die Kunden, anbieten. Jüngere Entwicklungen werden die Routenpläne verbessern und dafür sorgen, dass die Geschäftskunden von UPS schneller an ihr Geld kommen, wenn ihre Waren erst einmal ausgeliefert wurden.

Unerwartete Vorteile für UPS

All diese Vorteile sind eine Folge der Entscheidung von UPS, konsequent beträchtliche Summen in ein System zu investieren, das schnell über seinen ursprünglichen Zweck hinauswuchs. UPS-Vorstandschef Mike Eskew bezeichnet die neuen Anwendungsmöglichkeiten, die alle die Strategie eines beständigen und verlässlichen Kundendienstes unterstützen, als "erfreuliche Überraschungen".

Solche unerwarteten Vorteile führen zu einer Gesamtrendite der IT-Investionen, die die Summe der Renditen der einzelnen Projekte übersteigt - und weitaus höher ist, als viele Unternehmen sich vorstellen können.

Ausgaben für die Informationstechnik können nur dann sowohl den unmittelbaren Bedarf decken als auch eine Reihe zukünftiger Verbesserungen ermöglichen, wenn die Ziele der IT wie auch des gesamten Geschäfts klar definiert sind. Manche Management-Teams formulieren nur eine vage Vision - etwa die, "Informationen für jeden, zu jeder Zeit, an jedem Ort bereitzustellen".

Plattformen für alles

IT-Abteilungen reagieren auf derart schlecht definierte Ziele, indem sie Plattformen zu entwickeln versuchen, die jede nur denkbare Aufgabe erledigen. Das Ergebnis solch riesiger und kaum zielgerichteter Projekte sollte niemanden überraschen: Millionen von Dollar werden auf der Jagd nach ziemlich ungenauen Nutzenversprechen verschwendet.

Im nächsten Teil dieser Serie definieren die Autoren mit verschiedenen Praxisbeispielen die Faktoren für eine erfolgreiche IT-Projektsteuerung, sowie die Vor- und Nachteile von IT-Standardisierungen.

Peter Weill ist Direktor des Center for Information Systems Research an der renommierten Sloan School of Management am Massachusetts Institute of Technology (MIT). Jeanne W. Ross arbeitet als Principal Research Scientist am Center for Information Systems Research.