Zweites Amazon

Uber wird vom Taxischreck zur Logistikplattform

17.12.2014 von Christoph Lixenfeld
Uber entwickelt sich zum zweiten Amazon, davon gehen viele Marktbeobachter zurzeit aus. Allerdings nicht als Taxidienst, sondern als globale Logistikplattform.

Die Vorwürfe gegen die kalifornischen Firma, die Mitfahrten in Privatautos via Smartphone-App organisiert, klingen überall ähnlich: Zerstörung des traditionellen Taxigewerbes durch Dumping, Umgehung von Transportgesetzen, Abwälzen aller Risiken auf den Fahrer, Förderung der Steuerhinterziehung.

Ubers Smartphone-App zur Vermittlung von Mitfahrten in Privatautos hat dem Unternehmen nicht nur viel Aufmerksamkeit, sondern auch ein Menge Ärger eingebracht.
Foto: Google Play Store

In mehreren Städten beziehungsweise Ländern ist der Uber-Service mittlerweile verboten. Anfang Dezember forderte ein spanisches Gericht das Unternehmen auf, seine Geschäftstätigkeit in dem Land einzustellen, in den Niederlanden erging ein Urteil, nach dem Uber seinen Service nur durch lizensierte Taxifahrer anbieten lassen darf.

In Hamburg und Berlin wurde es Uber generell verboten, Fahrten über eine App zu vermitteln, und sogar in der Uber-Homebase San Francisco gab es schon Ärger mit der Justiz.

Ausgangspunkt und häufig Initiator aller Gegenwehr sind organisierte Taxifahrer, die um ihr Geschäft fürchten. Zurecht: Die Taxinutzung im Großraum San Francisco zum Beispiel ist in den zurückliegenden 1,5 Jahren wegen Uber und ähnlichen Vermittlern um fast zwei Drittel eingebrochen - diese Zahl zumindest nennen Taxiverbände.

Vielleicht bald wertvoller als Facebook

Höhepunkt der Uber-Treibung in den zurückliegenden Wochen und Monate war eine Meldung aus Neu Delhi: Eine Frau hatte angegeben, sie sei von einem Uber-Fahrer vergewaltigt worden. Jede Geschäftstätigkeit in der indischen Hauptstadt wurde dem Mitfahr-Service daraufhin verboten.

Also Ende im Gelände? Geschäftsmodell wegen breitem Widerstand beendet, bevor es richtig angefangen hat? Mitnichten: Investoren scheinen mehr denn je an Uber zu glauben.

Das New York Magazine schrieb kürzlich, abgesehen von Tesla Motors gebe es aktuell keine Silicon Valley Company, an die so viele "kranke Erwartungen" geknüpft würden wie an Uber. Im Valley werde spekuliert, Uber sei in fünf Jahre vielleicht 100 Milliarden Dollar wert. Mehr also als Facebook.

Uber-Investoren setzen auf den Logistikmarkt

Und es gibt nicht nur Fantasien, sondern auch Bargeld. Anfang Dezember schloss Uber eine weitere Finanzierungsrunde ab und sammelte dabei 1,2 Milliarden Dollar frisches Kapital ein.

Die Hoffnungen werden vom vielen Ärger mit Behörden und Gerichten deshalb kaum getrübt, weil sie sich nicht ausschließlich an den Personentransport knüpfen. Sondern auch an den Logistikmarkt, an den Transport von Gütern.

Angeblich 200 Millionen Dollar Umsatz

Glaube kann Berge versetzen, davon gehen nicht nur Christen aus, sondern auch sämtliche Bewohner des Silicon Valley. Wobei es im Falle von Uber anders als bei manch anderem Hype-Startup nicht um die Kombination von großen Hoffnungen und kleinen (realen) Zahlen geht.

Laut Valleywag, einem einflussreichen US-Blog, das interne Zahlen von Uber geleakt hatte, macht das Unternehmen einen Umsatz von ca. 200 Millionen Dollar p. a. - bei einer aktuellen Unternehmensbewertung von 3,5 Milliarden. Kein schlechter Wert, wenn man bedenkt, dass Twitter mit etwa 25 Milliarden Dollar bewertet wird - aber lediglich 317 Millionen Dollar umgesetzt hat im Jahre 2013.

Die Umsätze kommen zum größten Teil aus der Personenbeförderung, die Uber trotz aller Widerstände weiterbetreibt, in dem es mancherorts gerichtliche Anordnungen schlicht ignoriert. Aus Sicht der meisten US-Amerikaner im Allgemeinen und von Investoren im Besonderen wird Ubers Mischung aus Chuzpe und Entschlossenheit durchaus goutiert.

Uber pflegt das Image des revolutionären Vorkämpfers

Hinzu kommt, dass sich das Unternehmen konsequent als Erneuerer und revolutionärer Vorkämpfer gegen Besitzstandswahrer und Bürokraten stilisiert. Außerdem profitiert es von der aktuellen Coolness all jener Lösungen, die mit dem Abschied vom schnöden Besitz kokettieren. Motto: Warum ein eigenes Auto besitzen, wenn man ständig und überall bei anderen mitfahren kann?

Vielleicht nutzt Uber irgendwann auch selbstfahrende Autos von Google (einem seiner Investoren), oder checkt den Google-Kalender seiner Kunden, um rechtzeitig vor einem Termin am anderen Ende der Stadt einen Fahrer vorbeizuschicken.

Digitale Customer Interfaces und extrem skalierbar

Stefan Groß-Selbeck, Geschäftsführer von BCG Digital Ventures in Berlin, war früher unter anderem Vorstandsvorsitzender von Xing und Geschäftsführer von eBay Deutschland. Er hält Uber deshalb für ein so hoch bewertetes Unternehmen, weil es mit seinem Geschäftsmodell einen bekannten Prozess - den Transport - durch den Einsatz eines digitalen Customer Interfaces verbessert und standardisiert. Und ihn zusätzlich extrem skalierbar macht.

Stefan Groß-Selbeck ist Geschäftsführer von BCG Digital Ventures in Berlin.
Foto: BCG Digital Ventures

Groß-Selbeck: "Überall auf der Welt müssen Menschen und Dinge von A nach B transportiert werden. Deshalb hat ein Unternehmen, das durch seine Plattform zu geringen Kosten überall kurzfristig Transportkapazitäten zur Verfügung stellen kann, enorme Chancen."

Das gilt besonders für die vielen Länder, in denen die Logistik-Infrastruktur weit weniger ausgebaut ist als in Deutschland. Uber schafft hier diese Infrastruktur - oder zumindest einen Teil davon.

"Where lifestyle meets logistics"

Und ist sie einmal geschaffen, so war es auch bei Amazon, dann ist es egal, ob darüber Bücher, Bügeleisen, Biergläser oder Menschen transportiert werden. Und von wem. Hauptsache bei Uber klingelt jedes Mal die Kasse.

Solche Zukunftspläne sind vermutlich auch der Grund, aus dem das Unternehmen seinen Wahlspruch in den USA jüngst von "Everyone’s private driver" zu "Where lifestyle meets logistics" umgedichtet hat.

Ein zweites Amazon

Auch Amazon ist Lifestyle, und viele gehen davon aus, dass Uber zu einem zweiten Amazon wird, also zu einer Riesen-Plattform, über die alle und jeder Transport-Dienstleistungen kaufen und verkaufen kann.

Darüber hinaus liegt der Reiz des Geschäftsmodells nach Ansicht von Stefan Groß-Selbeck auch darin, dass es mit überschaubarem Mitteleinsatz funktioniert: "Uber muss die Fahrzeuge nicht besitzen. Im Grunde braucht das Unternehmen nur ein Büro, technische Infrastruktur und ein überschaubares Team von hochspezialisierten Angestellten. Mehr nicht. Diese Schlankheit ermöglicht Flexibilität und hohe Margen."

Sogar die Uber-Fahrer brauchen in Zukunft vielleicht nicht unbedingt Autos. Amazon jedenfalls testet in New York gerade Fahrräder als Alternative zu den ewig im Stau feststeckenden Lieferwagen.