E-Government-Services

Warum der Online-Kontakt zum Bürger abbricht

14.12.2016 von Marc Reinhardt
Es klingt so einfach. Eine Website der öffentlichen Verwaltung muss selbsterklärend sein, einen Mehrwert schaffen und zur Wiederkehr animieren. Die meisten Sites scheitern daran. Teil II der Reihe zum E Government Benchmark.
  • Bürger wollen sich nicht nur informieren, sondern auch mit "ihrer" Verwaltung auch kommunizieren und interagieren.
  • Für elektronisch beantragte Dokumente brauchen einzelne Ämter bis zu acht Wochen Zeit. Beantragt man die Dokumente vor Ort, wird der Vorgang direkt durchgeführt.
  • Beispiele zeigen, dass die Anzahl der Nutzer stark wächst, sobald eine Website auch für mobile Endgeräte optimiert ist.

Im ersten Beitrag dieser Serie haben Sie gelesen, warum die Digitalisierung einen entscheidenden wirtschaftlichen Faktor darstellt, und wieso die öffentliche Verwaltung sich diesem Druck nur marginal beugt.

Technologische Errungenschaften und die Anforderungen der Bürger haben sich im Vergleich zum Anfang des Jahrhunderts enorm entwickelt. So erwarten die Nutzer heute, dass digitale Angebote schneller, einfacher und kostengünstiger sind als auf dem analogen Weg. Auch hat sich die Haltung innerhalb der öffentlichen Verwaltung gegenüber der Digitalisierung einzelner Dienstleistungen verändert.

Spärlicher Nutzen für Kunden

In den ersten sechs Jahren der Durchführung des E-Government-Benchmarks wurde das reine Online-Angebot gemessen, heute liegt der Fokus auf der Nutzung von Online-Diensten. Sie wurde bei fast 30.000 EU Bürgern ermittelt und durch Testkäufer geprüft. Der spärlich ausfallende Nutzen, den die reine Informationsauskunft zu Verwaltungsdienstleistungen bietet, statt diese gleich online zur Verfügung zu stellen, bleibt auch in Behörden nicht unentdeckt.

Interagieren statt nur informieren

Oberstes Ziel der E-Government Initiative "BundOnline 2005" im Jahr 2000 war es, alle internetfähigen Dienstleistungen der Bundesverwaltung überhaupt erst einmal online bereitstellen zu können. Nach dem kürzlich erschienenen E-Government Benchmark nimmt die digitale Reife der Verwaltung auch tatsächlich stetig zu: Es sind mehr Informationen und Services denn je online abrufbar. Die Bürger können sich im Internet über die angebotenen Verwaltungsleistungen, zuständigen Behörden, Öffnungszeiten und Anfahrtswege, Rechtsgrundlagen und Gebühren für Verwaltungsleistungen informieren.

Dies reicht jedoch in der heutigen Zeit nicht mehr aus. Bürger wollen sich nicht nur informieren, sondern auch mit "ihrer" Verwaltung kommunizieren und interagieren, z. B. durch klassische Transaktionen wie die Kfz-Anmeldung. Die drei Säulen (Information, Kommunikation und Transaktion) des E-Government sind in Deutschland noch ausbaufähig.

Nutzung bleibt noch weit hinter dem großen Angebot zurück

Es reicht heute jedoch nicht mehr, die Angebote nur digital verfügbar zu machen, sie müssen auch genutzt werden. Nur dann lohnt sich auch die personelle und finanzielle Investition in digitale Angebote. Zwar wurden Online-Support, Hilfefunktionen und Feedback-Kanäle im Laufe des vergangenen Jahrzehnts verbessert. Dennoch bleibt die tatsächliche Nutzung weit hinter dem Angebot zurück. Auf Malta sind beispielsweise nahezu alle Verwaltungsdienstleistungen digitalisiert, aber nur etwa 50 Prozent der Bürger machen davon Gebrauch. Digitale Services werden nur genutzt, wenn sie einfacher sind als ihr analoges Angebot.

Online-Services sind nicht trivial

Auch in Deutschland tun sich bei der Nutzung digitaler Angebote unerwartete Hürden auf. Oft werden die Prozesse und Formulare aufgrund der klassischen Verwaltungsdenkweise eins zu eins in Webanwendungen übersetzt - ungeachtet zusätzlicher Medienbrüche. Nahezu immer erforderlich ist die Schriftform.

Diese "Inside-Out-Logik" der Verwaltung muss abgelöst werden durch nutzerorientierte und komfortable Anwendungen, damit die Chancen des Mediums ausgeschöpft werden können und die Vorteile für die Bürger sofort sichtbar sind. Die Nutzung bestimmter Online-Services ist jedoch nicht trivial und kann je nach Verwaltungsleistung tatsächlich aufwendig sein. In einigen Bereichen, wie dem Umgang mit hochsensiblen Daten, ist eine komplexe Handhabung durchaus legitim und notwendig.

Problem gefälschte elektronische Identitäten

Die Vertrauensniveaus "normal", "hoch" und "sehr hoch" des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) geben Auskunft darüber, wie hoch ein potenzieller Schaden wäre, falls eine gefälschte elektronische Identität vorliegt. Beim Anmelden von Sperrmüll ist dieses Risiko geringer als bei der Beantragung einer Staatsangehörigkeit. Dennoch sind an vielen Stellen die Anforderungskriterien nach wie vor gleich.

Auch bei einfachen Services werden z.T. hohe Anforderungen an die Authentifizierung gestellt. Bürger und Verwaltungsdienstleistungen werden in vielen Fällen schematisch behandelt, ungeachtet dessen, ob es hohe oder niedrige Risiken gibt. So sind manche Services komplizierter als sie es sein müssten.

Hemmschwellen identifizieren und reduzieren

Hinzu kommt der Zeitaufwand für den Anwender: Für elektronisch beantragte Dokumente brauchen einzelne Ämter bis zu acht Wochen (dies ist keine Bearbeitungszeit, sondern vielmehr Wartezeit, die der Antrag im Amt liegt). Sofern man die Dokumente vor Ort beantragt, wird der Vorgang direkt durchgeführt.

Im Hinblick auf die Infrastruktur gibt es für Deutschland noch Nachholbedarf. Standards auf Basis neuester technologischer Entwicklungen einzurichten und aufrechtzuerhalten ist sehr aufwendig. Auch ist beispielsweise die eID, die Online-Ausweisfunktion des neuen Personalausweises, noch nicht sonderlich weit verbreitet. Nur wenige Bürger haben diese Funktion überhaupt aktiviert, vielen ist sie noch nicht einmal bekannt. Sicherheitsbedenken und die erforderlichen Lesegeräte sind weitere Hemmschwellen.

Kunden zur Wiederkehr animieren

Wie aus einem einfachen Online-Produkt ein Erfolgsmodell wird, beschreibt der amerikanische Buchautor und Philosoph Nir Eyal in seinem Buch "Hooked": Eine Internetseite muss einen Mehrwert für den Nutzer schaffen und ihn zur Wiederkehr animieren. Dafür müssen Angebote einfach, haptisch und Prozesse selbsterklärend und an menschlichen Bedürfnissen orientiert sein. Die Erwartung des Kunden muss erfüllt sein, bevor er überhaupt merkt, dass er sie hat. Gleich darauf muss eine variable Belohnung erfolgen, damit der Kunde wiederkommt.

Die richtige Psychologie dahinter verhilft zum Erfolg. Facebook macht es vor. Eines kann sich dieöffentliche Verwaltung dabei abschauen: die Kundenorientierung. So lässt sich Eyals Hakenmodell auch auf das Lebenslagenkonzept anwenden: Eine einfache und schnelle Wohnsitzummeldung kann dazu führen, dass der Bürger den Kontakt zur Verwaltung eher wieder aufnimmt, als das Lebenslagenkonzept annimmt.

Wo Kunden den Kontakt abbrechen

Der Bürger kann den elektronischen Kontakt zur Verwaltung an vielen Stellen abbrechen. An welchen Stellen dies geschieht, haben Capgemini und die Initiative D21 im Rahmen der Fokusgruppe "Akzeptanz und Nutzung von E-Government" beim nationalen IT-Gipfel erarbeitet. Zunächst muss ein grundsätzlicher Bedarf nach Online-Verwaltungsdienstleistungen bestehen, dann muss das E-Government-Angebot bekannt sein. Initialaufwand und Nutzen des Online-Dienstes müssen deutlich erlebbar sein und der Bürger muss schließlich mit dem Ablauf zufrieden sein, damit er ein weiteres Mal den Online-Service nutzt (Abb.1).

Abb.1: Entscheidungsbaum für E-Government
Foto: Capgemini; D21

Um das volle Potenzial einer digitalen Verwaltung auszuschöpfen, müssen die vielen einzelnen Initiativen des öffentlichen Sektors gebündelt und Online-Angebote deutlich stärker personalisiert werden. Aktuell ist nur ein Bruchteil der Internetseiten öffentlicher Einrichtungen in Deutschland mobilfähig. Dabei zeigen einzelne Beispiele, dass die Anzahl der Nutzer stark wächst, sobald eine Website auch für mobile Endgeräte optimiert ist.

Isolierte Leuchtturm-Projekte

Ein wesentlicher Grund für den Rückstand im E-Government liegt auch darin, dass es nur aus isolierten Leuchttürmen besteht, und nicht flächendeckend verfügbar ist. Bislang hing es zu oft an einzelnen Vorkämpfern, gute Lösungen auch gegen Widerstände durchzusetzen. Diese Einzelleistungen gilt es zu systematisieren, auch, indem der Transfer zwischen einzelnen Akteuren erleichtert wird.

Der Kostendruck auf die öffentlichen Haushalte und steigende Anforderungen der Bürger an E-Government-Services haben einen Teil der europäischen Regierungen gezwungen, gänzlich auf digitale Dienste umzustellen. In Großbritannien sind digitale Services verpflichtend eingeführt worden. Und so ist aus dem E-Government Benchmark ein Benchlearning-Prozess geworden, bei dem einzelne Länder Best Practices abschauen können. Was weitere europäische Länder besser machen und was die deutsche Verwaltung von den europäischen Partnern lernen kann, lesen Sie in Teil III der Reihe zum E-Government-Benchmark.

Den vollständigen E-Government Benchmark 2016 finden Sie hier.