Social-Media-Markt

Warum Google jetzt Twitter kaufen sollte

05.08.2015 von Matt Kapko
Jetzt oder nie: Twitter steckt in der Sackgasse, Google muss sich mit Google+ der harten Realität stellen. Die Anwälte beider Firmen sollten sich zusammensetzen und über eine Vereinigung sprechen. Es könnte die letzte Gelegenheit dafür sein.

Die verschiedenen Wege von Facebook, Google und Twitter haben sich noch nie so offen gezeigt wie in den vergangenen Tagen: Die Hälfte der weltweiten Onliner nutzt Facebook zumindest einmal im Monat, das Wachstum von Twitter steckt in einer Sackgasse fest und Google wirft bei Google+ das Handtuch.

Begonnen hat die vergangene Woche damit, dass Google seinen Social-Media-Dienst Google+, den es zuvor mit so ziemlich jedem anderen seiner Produkte zu verbunden versuchte, abtrennte. Am folgenden Tag spielte Twitter CEO Jack Dorsey ebenfalls das Lied vom Tod und gestand in einer Pressekonferenz zu den jüngsten Zahlen ungefragt etliche Fehler ein. Man habe es versäumt, den Massenmarkt zu erobern, nicht zuletzt, weil die Bedienung viel zu kompliziert sei. Obwohl die Marke weltweit stark präsent in den Köpfen der Anwender sei, wüssten diese dennoch oft nicht, warum sie die Microblogging-Plattform nutzen sollten.

Der CFO von Twitter Anthony Noto machte alles nur noch schlimmer, als er den Investoren schrumpfende Werbeerlöse in Aussicht stellte, vorausgesetzt man gewinne nicht sehr schnell sehr viele neue Nutzer hinzu. Twitters Werbeumsätze erreichten zuletzt 452 Millionen Dollar im Jahr, das war um 63 Prozent mehr als im Vorjahr. Im selben Zeitraum gewann man aber lediglich zwei Millionen Nutzer hinzu, so dass es nun bis zu 304 Millionen im Monat sind.

Diese Tatsachen und Twitters Weigerung, tägliche Nutzerzahlen auszuweisen, belegen, wie schwer es den Verantwortlichen fällt, die Onliner der Welt von einer täglichen oder besser noch stündlichen Nutzung ihres Dienstes zu überzeugen. Darüber hinaus scheinen Verantwortliche selbst nicht verstanden zu haben, wieso Millionen ihren Dienst nutzen.

Twitter hat sich nicht in den Hirnen der Nutzer verankert

Twitter ist kein Konkurrent für Facebook oder eine andere vergleichbare Plattform, stellt Forrester-Analystin Erna Alfred Liousas klar: "Sie müssen ihren Wert für die Kunden erst noch unter Beweis stellen. Warum sollte ich am Tag länger als fünf Minuten auf Twitter verbringen? Was kann Twitter meinem Leben geben? Bringt es überhaupt irgendwas?"

Momente der Hoffnung gab es auf der Bilanzpressekonferenz wenige: Immerhin kennen die meisten Menschen Twitter, man gehört zu den bekanntesten "Brands" weltweit - was die Luft dünn mache, so Noto. Unerfreulicherweise habe man allerdings weniger als 30 Prozent aller potentiellen Anwender von der Nützlichkeit überzeugen können - zumeist Early Adopters und Technik-Freaks.

"Das Produkt ist nach wie vor zu schwer zu nutzen", so Noto. "Wir haben es verfehlt rüberzubringen, warum man Twitter nutzen sollte. Wir haben es nicht geschafft, den Sinn von Twitter zu kommunizieren. Dies ist sowohl ein Problem des Produktes als auch des Marketings."

Twitter hat es auch verfehlt, seine Strategie für andere Produkte wie Vine oder Periscope klar zu kommunizieren. Es sei der Eindruck entstanden, als bastle Twitter an verschiedenen unverbundenen Technik-Silos, so Liousas. "Sie müssen sich dringend darüber klar werden, was in ihrem Haus geschieht und welchen Nutzen diese Produkte haben könnten, bevor sie damit an die Öffentlichkeit gehen", so die Analystin. "Und ihre bestehenden Kunden müssen das als erstes erfahren."

Sind die Stars bereit sich zu arrangieren?

Bei all diesen Unruhen auf Führungsebene ist weiterhin völlig unklar, wer Twitter in einigen Monaten führen wird - oder ob es überhaupt noch eine Führung geben wird. Währenddessen rudert Google wie wild bei Google+ zurück. Schließlich haben die Aussagen von Dorsey und Noto neue Wege eröffnet.

Google hat einige Apps in den Markt eingeführt, die von jeweils mehreren Millionen Anwendern genutzt werden, im Social-Media-Markt konnte man aber nie vergleichbare Erfolge erzielen. Nun distanziert sich Google schon so weit von Google+, dass man sich als Beobachter die Frage stellen darf, ob Social Media für Google noch dieselbe wichtige Rolle spielt wie vor einigen Jahren zum Launch von Google+.

In einem Blog mit dem Titel "Everything in its right place" stellte Googles Vice President Bradley Horowitz die Zukunft der Plattform in Frage, für die er erst selbst kürzlich die Verantwortung übernommen hat. Aber ein geschultes Auge hatte das schon lange kommen sehen. Mittlerweile bezeichnet das Unternehmen Google+ als "interessantes Internet-basiertes Experiment". Die besten Funktionen sollen herausgezogen und als eigenständige App angeboten werden.

Photos wandern beispielsweise in eine neue Google Photo App. Und die Ortungsfunktion wandert in Hangouts. Am deutlichsten wird der Abschied aber an der Tatsache, dass das Google+-Logo nun nicht mehr in Verbindung mit den anderen Produkten des Unternehmen genannt werden muss wie bisher. Youtube wird den Vorreiter machen, danach wird das Logo nach und nach von allen anderen Seiten verschwinden, so Horowitz.

Wenn also Google+ nicht die kommende große Social-Media-Plattform mit einer Milliarde Nutzer sein wird, vielleicht guckt die Konzernspitze dann mit veränderten Augen auf Twitter - und versucht mal etwas Mutiges. Denn kann eine der beiden Plattformen alleine mehr als eine Milliarde Nutzer anziehen? Und wie lange wird es dauern, bis Konkurrenten wie Snapchat die Situation ausnutzen?

Google hat zum Ende des vergangenen Quartals Barreserven in Höhe von 69,7 Milliarden Dollar ausgewiesen. Das ist deutlich mehr, als Twitter gerade wert ist, nämlich 20,46 Milliarden Dollar. Nichtsdestotrotz wäre das die für Google größte Übernahme bislang - und CEO Larry Page müsste sich und sein Team erst selbst davon überzeugen, dass Twitter den "Zahnbürsten-Test" besteht. Eine Zahnbürste benutzt man in der Regel zwei bis dreimal am Tag.

Wie auch immer: Die Chancen auf ein Verschmelzen der beiden Unternehmen war nie größer. Die Gerüchte darum schwirren schon lange genug durch den sozialen Raum.