Management

Was Chefs von Grenzgängern lernen können

24.01.2013 von Miguel Zamorano
Bergsteiger, Polarforscher und Abenteurer erscheinen nicht als gute Vorbilder für kluges Wirtschaften. Ihr Risiko ist enorm, der Erfolg stets ungewiss. Trotzdem können Manager viel von diesen Grenzgängern lernen.

Er war Weltmarktführer. Seine Domäne beherrschte er wie wenige, unzählige Projekte managte er mit stets glücklichem Ausgang. Seine Unternehmungen erforderten ebenso viel Personal wie Kapital. Doch er schaffte es immer wieder, beides zu bekommen.

Der Brite Ernest Shackleton war Polarforscher und bleibt bis heute der Inbegriff von Mut und Entschlossenheit. Vier Antarktisexpeditionen unternahm er zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Bei der berühmtesten rammten er und seine drei Gefährten in den Mittagsstunden des 9. Januars 1909 den Union Jack in das Eis der Antarktis. Die kleine Gruppe war nur noch 97 Meilen vom Südpol entfernt. Kein Mensch war ihm bisher so nah gekommen.

Zu dem Zeitpunkt waren ihre Ponys im Schnee verelendet oder bereits verspeist. Die vier Männer hatten sich zuletzt nur noch von Keksen ernährt. Einer der Gefährten sagte später: "Wenn wir nur eine Stunde weitergegangen wären, hätten wir es nicht mehr zurück geschafft."

Sie kehrten um. Vor ihnen lag noch ein Rückmarsch von 700 Meilen durch die Eiswüste. Mit steifen Gelenken, geschwollenem Zahnfleisch und aufgeplatzter Haut.

Das große Ziel - den Südpol - hatte Shackleton nicht mehr erreicht. Die Nimrod-Expedition scheiterte. "Shackleton als Weltmarktführer in Sachen Polarforschung bewertete das Überleben seiner Männer höher als den totalen Triumph", schreibt Peter Baumgartner in seinem Buch "Geniale Grenzgänge. Limits in der Wirtschaft und am Ende der Welt". "In vier Expeditionen verlor er kein einziges Mannschaftsmitglied", erzählt Baumgartner.

Nach Meinung des Autors und Wirtschaftsingenieurs Baumgartner taugt das Beispiel Shackletons als Vorbild für heutige Manager.

"Shackleton hat vorgemacht, was man alles unter extremen Bedingungen erreichen kann, ohne dem Extrem der Maßlosigkeit zu verfallen", sagt Baumgartner. Dabei ist nicht das Limit zu erreichen ausschlaggebend, sondern: heil zurückzukommen. "Grenzen erkennen und dabei doch nicht zu überschreiten, dass ist der Schlüssel eines nachhaltigen Wirtschaftens", so Baumgartner. Schließlich spiele der Industrielle unter Umständen mit der Zerstörung von Menschenleben und Umwelt, der Sportler zur Überwindung selbstgesetzter Leistungsgrenzen mit Drogen und der Grenzgänger bei Abenteuern und Expeditionen mit dem Tod. Dieses Risiko zu erkennen und ihm trotzdem nicht zu verfallen, das sei elementar.

Shackleton zeichnete sich durch die Fähigkeit aus, zu erkennen, wann es genug war mit dem Streben nach Größe. "Der britische Abenteurer wusste vom richtigen Maße bei knappen Ressourcen, knappem Kapital und knappem Personal", resümiert Baumgartner.

Auch ein Manager muss mit Ungewissheiten hantieren

Der Manager von heute sieht sich mit ähnlichen Voraussetzungen konfrontiert. Doch wer einfühlsam ist und auf das richtige Maß achtet, so Baumgartner, der schafft es, in seinen Leuten Begeisterung zu wecken. Das Beste, was man erreichen kann. Shackleton war darin ein Meister: Auf 27 Expeditionsstellen bewarben sich über 5000 Personen.

Auch der Bergsteiger und Organisationscoach Rainer Petek zieht Parallelen zwischen dem alpinen Extremsport und der Arbeit als Teamleiter und Manager. "In beiden Bereichen geht es um Handeln unter Ungewissheit, den produktiven Umgang mit unerwarteten Ereignissen sowie um Führung und Zusammenarbeit", sagt Petek, Autor des Buches "Das Nordwand-Prinzip. Wie Sie das Ungewisse managen: neues Denken, neues Handeln, neue Wege gehen".

Das erste Gebot des Bergsteigers lautet: Überleben.
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So wie Petek die heutige Wirtschaftsleben beschreibt, könnte man meinen, der Manager durchschreite tatsächlich wie Shackleton eine Eiswüste voller Gefahren oder besteige einen schwierigen Gipfel. "Heute jagt ein Umbruch den anderen, eine Veränderung überholt die nächste, die Unsicherheit nimmt zu. Für Manager aller Ebenen bedeutet dies: Führen im Ungewissen, Unerwartetes meistern und plötzlich auftauchende Chancen nutzen", sagt Petek. Und das erste Gebot des Bergsteigers lautet: Überleben. "Genauso wie es für jeden verantwortungsvollen Manager die wichtigste Aufgabe ist, das nachhaltig erfolgreiche Überleben des Unternehmens sicherzustellen."

Wie man es nicht machen soll: die isländischen Fischer

Für Manager wie für Bergsteiger ist es manchmal klüger, umzukehren und Ziele nicht unbedingt erreichen zu wollen. Die Komfortzone zu verlassen ist allerdings wichtig. "Nur eben mit Augenmaß: man sollte wissen, bis wohin man zu weit gehen kann", so Petek. In der Gegenwart gibt es genug Beispiele für Manager, denen jegliches Augenmaß abhanden gekommen ist. In Island zum Beispiel.

Die Isländer sind eine vom Fischfang geprägte Nation. Isländer wissen: Ohne ein gewisses Risiko einzugehen, kommt man von der Jagd auf hoher See mit leeren Booten zurück. Sie mussten also ans Limit, den Wellen des Meeres entgegenfahren, um der kalten Tiefe des Atlantiks Fische zu entreißen. Der ein oder andere Fischer ging dabei über Bord, die Besatzungen kehrten nicht immer vollständig zurück. Aber die Kutter waren oft gut gefüllt mit Fisch.

Der amerikanische Reporter Michael Lewis hat in seinem Buch "Boomerang: Europas harte Landung" eindrucksvoll beschrieben, wie eine ganze isländische Managergeneration, beeinflusst von der gefährlichen Arbeit auf hoher See, dieses Risikoverhalten in den Vorstandssitzen der Banken wiederholte. Das Ergebnis ist bekannt: Island ging mit seinen Banken ans Limit - und darüber hinaus. Für das Land im Nordatlantik gab es keine glückliche Heimfahrt - die Geldhäuser rissen 2008 den isländischen Staat in die Zahlungsunfähigkeit.

(Quelle: Wirtschaftswoche)