Mitarbeiter-Management in Schwellenländern

Wege aus dem Personalengpass

12.03.2008 von Alexander Galdy
Explodierende Gehälter, hohe Fluktuation, Fachkräftemangel und noch unterentwickelte Ausbildungs-Systeme sind symptomatisch für stark wachsende Schwellenländer wie China, Indien oder Brasilien. Trotzdem wollen viele Unternehmen dort die Anzahl ihrer Mitarbeiter massiv erhöhen. Die für westliche Firmen ungewohnten Bedingungen können sich aber als Bremse erweisen. Eine Studie der Boston Consulting Group zeigt, wie Unternehmen Problemen entgehen können.

Das IT-Unternehmen IBM will bis 2010 sein Indiengeschäft mit 50.000 neuen Mitarbeitern verdoppeln; der Outsourcing-Dienstleister Infosys sucht in den kommenden fünf Jahren 6.000 neue Mitarbeiter in China: Der Kampf um qualifiziertes Personal wird an Intensität zunehmen. Vielen Firmen droht ein Personalengpass, auch weil die weltweite Nachfrage nach Talenten steigt.

Dabei funktioniert der Personalmarkt in Ländern wie Indien oder China nach eigenen Gesetzen. In Indien beispielsweise steigen die Löhne in der IT um rund 17 Prozent pro Jahr. Die Mitarbeiterfluktuation liegt bei bis zu 30 Prozent. In China ist zwar die Zahl der Hochschulabsolventen mit jährlich 20 Millionen beeindruckend, doch lässt ihre Qualifikation häufig zu wünschen übrig.

So berichtet Infosys, dass von 13 Millionen Bewerbern gerade einmal zwei Prozent für das Unternehmen in Frage kamen. Hinzu kommt, dass in China langjährige Berufserfahrung häufig Mangelware ist. 85 Prozent der Bewerber für die Position eines Managers besitzen weniger als fünf Jahre Berufserfahrung. Bildungsexperten schätzen, dass sich von rund 1.200 indischen MBA-Programmen nur 50 mit westlichen Top-Schulen messen können.

Den Westen vergessen und locker machen

Grundsätzlich müssen sich Unternehmen, die in Schwellenländern ihre Tätigkeit ausweiten wollen, von der Vorstellung lösen, die Planung und Umsetzung der Personalstrategie vom Westen aus und nach westlichen Mustern steuern zu wollen. Deshalb sollten auch Mitarbeiter, die aus diesen Ländern stammen, nur dort eingesetzt werden, wo ihre Fähigkeiten unbedingt gebraucht werden. Stattdessen müssen lokale Führungskräfte aufgebaut und diesen auch Entscheidungskompetenzen zugestanden werden.

Die Erdölexplorationsfirma Schlumberger zum Beispiel macht die Anzahl der Führungskräfte aus einer Region immer vom dort erwirtschafteten Umsatz abhängig. Werden 20 Prozent der Umsätze in Asien erwirtschaftet, soll auch ein Fünftel der Manager des Unternehmens aus Asien kommen.

Neue Wege bei der Nachwuchssuche

Bei ihrer Nachwuchssuche sollten Firmen auch weniger prestigeträchtige Universitäten berücksichtigen. Tata Consultancy Services beispielsweise bietet Fortbildungen für Lehrkräfte an und schickt eigene Mitarbeiter als Gastdozenten an weniger renommierte Hochschulen. Auf diese Weise erhöht der indische IT-Provider nicht nur seinen Bekanntheitsgrad, sondern verbessert auch die Praxisnähe der Ausbildung. Andere Unternehmen wie der indische IT-Dienstleister Wipro konzentrieren sich vor allem auf die interne Aus- und Weiterbildung in einer Firmenakademie.

Auch ein den lokalen Gegebenheiten angepasstes Gehaltspaket ist eine Voraussetzung, um die Besten anziehen und dauerhaft halten zu können. In Russland gehören zum Beispiel ein Firmenwagen und ein vom Arbeitgeber gesponsertes Hypotheken-Darlehen mittlerweile zu jedem attraktiven Vergütungspaket.

In kurzer Zeit zum Manager

Aufgrund des starken Wirtschaftswachstums in den Schwellenländern müssen Unternehmen schnell ein lokales, leistungsstarkes Management-Team aufbauen. Verkürzte Karriere-Pfade sind dabei wichtig. Statt der üblichen 15 Jahre dauert der Aufstieg in eine Führungsposition dort häufig nur fünf Jahre. Um die künftigen Manager auch für globale Aufgaben fit zu machen, setzen Firmen wie der indische Industriegüterhersteller Mahindra & Mahindra auf internationale Transfers der Mitarbeiter in verschiedene Funktionen und Abteilungen innerhalb des Unternehmens.

Mehr und bessere Mitarbeiter einstellen als benötigt

Auf globaler Ebene sollten alle Führungskräfte eines Konzerns bestens mit den Entwicklungen in den Schwellenländern vertraut sein und sich für die Weiterentwicklung der Geschäftstätigkeit in diesen Regionen engagieren. "Das erfordert unter Umständen eine Personalstrategie, die ebenso kühn ist wie die langfristigen Wachstumspläne", sagt Rainer Strack von der Boston Consulting Group.

Schnell wachsende Unternehmen sollten mehr Mitarbeiter einstellen, als sie auf kurze Sicht hin brauchen, und auch gezielt Kräfte rekrutieren, die eigentlich überqualifiziert sind. Um die Zahl der Mitarbeiter in China bis 2015 von 1.000 auf 5.000 zu steigern, stellte Air Liquide als Beispiel ein spezielles Personal-Budget bereit. Ingesamt bewilligt der französische Gashersteller im Jahr 2004 seiner chinesischen Niederlassung zehn Prozent der gesamten Investition-Ausgaben, obwohl in China gerade einmal ein Prozent des Umsatzes erwirtschaftet wurde. Auf diese Weise avancierte das Unternehmen zum Magneten für ambitionierte chinesische Universitätsabgänger.

Entscheidungen auf höchster Ebene

Damit sich Personalabteilungen bei ihrer Arbeit auf die wichtigen strategischen Entscheidungen konzentrieren können, sollten diese von den Routineaufgaben abgekoppelt werden. Zum Beispiel indem wie bei LG Phillips administrative Aufgaben in Shared-Services-Center ausgelagert werden.

Eine langfristige weltweite Personalstrategie zu definieren, sieht die Boston Consulting Group nicht nur als Aufgabe der Personaler, sondern auch des Vorstands an. Talent-Management ist zu wichtig, um nur ein Punkt unter vielen auf Agenda von Human Resources zu sein. Unternehmen müssen ihre Mitarbeiter genauso sorgfältig managen wie ihre Finanzen. Langfristig hängt ihr Überleben davon ab.

Für die Studie "Alignment Talent for Global Advantage" befragte die Boston Consulting Group 62 Führungskräfte von Unternehmen wie Adidas, SAP, Schlumberger, Tata, Unilever und Wipro.