Benchmarking

Weißer als weiß

22.12.2006 von Riem Sarsam
Von einem netten Ausflug kann keine Rede sein, meint Henkel-CIO Peter Hinzmann. Wenn die Berater von The Hackett Group ins Unternehmen kommen, ist Umdenken gefordert. Und das tut weh.

Das Ziel ist klar: Zu dem oberen Viertel der effizientesten und effektivsten Unternehmen will Henkel aufschließen. Als „World Class“ bezeichnet der Benchmarking-Anbieter Hackett Group sie. Zwei Kriterien gibt es für diese Beurteilung: Die Effizienz, also: Wird die Arbeit richtig gemacht, oder, mit anderen Worten, was kosten die Prozesse? Zweitens die Effektivität: Wird überhaupt die richtige Arbeit gemacht? World Class sind jene Prozesse, die zu günstigsten Kosten einen höchstmöglichen Wert und Service für das Unternehmen liefern.

Auch in Zahlen lässt sich die Welt dieser Unternehmen ausdrücken: Sie gaben 2005 im Schnitt 4,8 Millionen Dollar je 10 000 Mitarbeitern im Bereich HR aus. Sie zahlten nur 0,73 Prozent pro Milliarde Umsatz für ihr Rechnungswesen. Der Durchschnitt der Unternehmen blättert 1,26 Prozent hin. Ähnliches im Bereich Beschaffung: Bei Ausgaben von einer Milliarde Dollar können die World-Class-Unternehmen 1,7 Millionen Dollar in den Abläufen einsparen.

Einzige Ausnahme in diesem Szenario ist die IT: 2005 gaben die Top-Firmen für ihre IT rund zehn Prozent mehr aus als der Durchschnitt. Investitonen der CIOs sind sinnvoll, wenn sich die Arbeit im Vertrieb, im Rechnungswesen oder Personalbereich automatisieren lässt. Für das gesamte Unternehmen ergeben sich dadurch Einsparungen oder Umsatzsteigerungen.

Henkel hat es noch nicht in den Kreis dieser Top-Unternehmen geschafft. Seit 2002 arbeitet der Düsseldorfer Konzern mit den Hackett-Beratern zusammen, neben der IT sind auch andere Unternehmensbereiche mit von der Partie. Peter Hinzmann hofft, dass sein Bereich in eineinhalb, zwei Jahren zumindest in Teilen das Ziel erreicht hat. „Entscheidend ist aber, überhaupt mit dem Benchmarking begonnen zu haben“, betont er.

Quälende Vorarbeit

„Geprägt von viel Elend“, erinnert sich der CIO von Henkel an die erste Phase. Vor dem eigentlichen Vergleich stand eine ausführliche Diskussion über Begriffe an. Schließlich ordnet jedes Unternehmen seinen Prozessen verschiedene Arbeitsschritte zu, setzt jede Kostenkategorie anders. Beispiel: Zwischen Henkel und Hackett knirschte es etwa bei der Einheit „Labourcosts“. „Wir beziehen zum Beispiel einen Großteil unserer Netzdienste über Provider“, erklärt Hinzmann. Zählen nun die gesamten Kosten des Dienstleisters zu den Arbeitskosten oder nur ein Teil? Und wie rechnet man diesen dann heraus? Er verteilt sich möglicherweise auf Hardware, Software, Support, auf andere Lieferanten und so weiter.

Um die Unternehmen miteinander vergleichen zu können, muss Hackett auf seinen Definitionen bestehen. Im Falle der Labourcost sehen diese so aus: „Fully-loaded Labour Cost“ sind die vollständigen Kosten für die Mitarbeiter, basierend auf einer normalen Arbeitswoche. Darunter fallen Löhne und Gehälter, Überstunden, Zulagen, Ferien, Krankheitsentschädigungen, unbezahlter Urlaub, Boni, Sozialbeiträge, Gesundheit, Pensionsbeiträge, Sparanteile sowie unterstützende Aktienprogramme.

Die quälende Vorarbeit ist typisch, weiß Mathias Metzger, Vice President The Hackett Group. Im Durchschnitt dauert die Begriffsfindungsphase zwei bis drei Wochen – bei Henkel zog es sich bis zu zehn Wochen Fotos: Forum Fotoagentur/Peter Meyer; getty images/IMAGEMORE Co., Ltd. hin. Doch letztlich liegt hier schon ein wesentlicher Erfolgsfaktor des Benchmarkings. Bleibt unklar, welche Praktiken zu einem Prozess gehören, wie viele Mitarbeiter daran beteiligt sind oder was dieser kostet, kippt das gesamte Projekt. „Sind die Vergleichsdaten nicht abgestimmt, wird Benchmarking zum Selbstbetrug“, warnt Metzger.

Positiver Nebeneffekt dieser akribischen Auseinandersetzung war ein allmählicher Bewusstseinswandel der IT-Mitarbeiter. „Die Kollegen denken mittlerweile in Prozessen“, freut sich Hinzmann heute. Sie wüssten jetzt, dass mit Order-to-Cash der Weg von der Auftragsabwicklung bis zum Zahlungseingang mit Purchase-to-Pay der Ablauf vom Festlegen des Einkaufsbedarfs bis zur Zahlung gemeint ist.

Allein für die IT listet Hackett elf Gruppen von Prozessen auf (siehe nebenstehenden Kasten). Parallel dazu sortieren die Consultants die Unternehmen nach allgemeinen Kategorien wie Branche, einzelne Geschäftsbereiche, Zahl der Niederlassungen oder Produktionsstandorte. „Daraus leiten wir ab, in welche Komplexitätsstufe ein Unternehmen eingeordnet wird“, erklärt Metzger. Komplexität spielt für die Einordnung eine Rolle – für die Beurteilung sagt sie nichts aus. „Auch komplex arbeitende Unternehmen können durchaus effizient und effektiv sein.“

Wichtigste Grundlage für die Methode von Hackett Group ist eine Benchmarking-Datenbank. In ihr liegen Informationen zu den Prozessen von mehr als 2000 Unternehmen aus den unterschiedlichsten Branchen. Hackett konzentriert sich dabei auf die Back-Office-Funktionen Rechnungswesen, Personal, Beschaffung, IT und interne Dienstleistungen wie Facility-Management. Damit sieht sich das Unternehmen selbst im Umfeld klassischer Management-Beratungen. IT ist ein Teil unter vielen (siehe Kasten „The Hackett Group“ Seite 60).

Identische Konzerne gibt es nicht

Anhand der laufend aktualisierten Daten ermitteln die Berater, mit wem das Unternehmen verglichen werden kann. Als Vergleichsgröße bilden sie zwei Gruppen: eine Peer-Group und eine World-Class-Gruppe. In der Peer-Group finden sich Unternehmen aus derselben Branche, mit einer ähnlichen Komplexität und Größe sowie zu vergleichenden Einkaufs- oder Verkaufsaktivitäten. Aus den durchschnittlichen Werten der erfassten Prozessdaten erschaffen die Berater ein neues Unternehmen.

„Wir wurden nicht mit einem real existierenden Unternehmen verglichen, sondern mit einem Kunstobjekt. Einem Mosaik aus unterschiedlichen Prozessen“, beschreibt Hinzmann. Anfangs dachte er, dass Henkel sich an einem Unternehmen messen lassen muss, dessen Geschäft eins zu eins zu den Düsseldorfern passt. Aber: „Das gibt es überhaupt nicht“, sagt der IT-Verantwortliche. Henkel als Zusammenschluss aus vier Konzernen mit vielen unterschiedlichen Einheiten ist weltweit einzigartig. Schließlich mussten Daten aus rund 20 Unternehmen zusammengetragen werden, damit der Vergleich möglichst realistisch ausfallen konnte.

Ergänzt wird diese Betrachtung um den Vergleich mit den World-Class-Unternehmen. Hier wird nicht nach Größe, Branche oder Komplexität gefragt, sondern einfach ein Blick auf die einzelnen Prozesse geworfen. „Damit zeigen wir den Unternehmen, wie ein Prozess optimal ablaufen kann“, erläutert Metzger.

Wie die Ergebnisse für Henkel im Einzelnen ausfielen, kann Hinzmann nicht verraten, zu viele Abteilungen sind in das Procedere involviert, zu viele sensible Fragen werden berührt. Was die IT angeht, ist klar, dass das Ziel noch nicht erreicht ist. Etwa bei den IT-Kosten – zumindest was das Gesamtbudget angeht. Das World-Class-Vorbildunternehmen zahlt für seine IT zwischen eins und 1,5 Prozent von Umsatz. Henkel steht im Moment zwischen 2 und 2,2 Prozent. Diese Größe allein sagt allerdings nicht viel aus. Wichtig ist, wohin das Geld fließt. Das Zauberwort heißt Wertschaffung. IT richtig eingesetzt, predigen die Berater, unterstützt die anderen Unternehmensbereiche in ihrer Effizienz, an der falschen Stelle gespart führt auch nicht ans Ziel. „Bei Henkel wurden sogar Bereiche identifiziert, in denen die IT-Ausgaben noch steigen sollen“, sagt Hinzmann.

Die Richtung ist wichtig

Allerdings nicht im Bereich ERP. Rund 120 verschiedene Systeme leisteten sich die Düsseldorfer noch bis vor wenigen Jahren. Weit weg vom perfekten Unternehmen. Das arbeitet weltweit mit einer Plattform – behauptet Hackett. „Solch eine Größe kann nur die Richtung sein“, relativiert dagegen Hinzmann. Für ihn lautet die entscheidende Aussage: „Mit 120 werden wir unser Ziel nicht erreichen.“ Gleiches galt für die Frage der Nicht-ERP-Systeme. Darunter fallen CRM und SCM ebenso wie die Lager- oder Maschinensteuerung. 1500 bis 1700 Programme weltweit zählte die IT.

Wo es möglich und finanzierbar war, vereinheitlichte Hinzmann. Das Benchmarking mit Hackett Group stärkte ihm den Rücken – „nach unten“ wie „nach oben“. Bis heute konnte die Zahl der Anwendungen
stark gesenkt werden. Europa und Lateinamerika arbeiten mittlerweile zwar nicht auf derselben, aber pro Region auf einer einheitlichen Plattform.

„Wenn ich jetzt fünf ERP-Plattformen habe, dann ist das auch gut“, sagt Hinzmann und berührt damit einen anderen Aspekt. Auch eine gesunde Portion Selbstbewusstsein, die sich aus der persönlichen Erfahrung der Manager speist, gehört seiner Meinung nach zum Benchmarken. Zahlen helfen beim Vergleichen, die Entscheidung nehmen sie den Managern nicht ab.

Der CIO muss gelassen bleiben

Selbstbewusstsein auf der einen, Gelassenheit auf der anderen Seite, rät der CIO. Auch wenn Konzernvorstand und Aufsichtsrat das Benchmarking grundsätzlich unterstützen, gehen die Meinungen über das, was getan werden muss, immer wieder auseinander. Gemäß den Hackett-Grundsätzen ließe sich in der IT allein durch mehr Standardisierung noch viel Geld einsparen – vielleicht um es an anderere Stelle sinnvoller zu inves-tieren. Über Outsourcing und Shared Service Center wird daher in der Düsseldorfer Zentrale heftig debattiert. Auslagerung, aber auch Entlassungen von Mitarbeitern wären damit programmiert. Für ein Unternehmen, das sich bemüht, einem sozialethischen Anspruch zu genügen, stoßen rein ökonomische Argumente hier jedoch an ihre Grenzen.

„Das macht nichts.“ Hinzmann lehnt sich zurück. Die Debatten werden nicht umsonst gewesen sein. „Wenn manche Veränderungen auch erst später anstehen – wir kennen jetzt die Richtung, in die wir gehen wollen.“