CEO, CIO, CDO

Wer hat die digitale Führungskompetenz?

07.08.2017 von Raoul Nacke und Lutz Tilker
Kann ein CIO gleichzeitig CDO sein? Nein! Ein Grund: Kraft seines Amtes ist er technisch orientiert, während der CDO neue Geschäftsmodelle vor allem kommerziell vordenken muss. Welche Verantwortung CDO, CIO und auch der CEO in Sachen Digitalisierung haben, lesen Sie hier.

Ob die Digitalisierung eine Revolution oder Evolution bedeutet, kann diskutiert werden. Absehbar ist aber, dass die Führungskultur und damit das Management sich erheblich, wenn nicht sogar revolutionär verändern muss. Ein Paradigmenwechsel ist unaufhaltsam.

Hierbei spielen mehrere Faktoren eine Rolle: Zum einen sind wir es inzwischen gewohnt, dass Informationen überall - im privaten sowie im beruflichen Bereich - in hoher Dichte und Menge verfügbar sind. Zum anderen steht ein Generationswechsel in der Führung an, weil die ersten Digital Natives bereits Managementpositionen übernehmen. Diese neue Generation ist mit den digitalen Kanälen der Kommunikation aufgewachsen und wird diese auch in der Führungskultur einfordern. Die Dynamik der Digitalisierung erfordert zudem, Informationen zu teilen und damit auch die Transition in eine Unternehmenskultur, die auf Transparenz, Vernetzung, Partizipation und Flexibilität basiert. Hierarchische Führungsstrukturen werden hier mit hoher Wahrscheinlichkeit scheitern.

Die kommerzielle Dimension innerhalb des Digitalisierungsprozesses liegt im Verantwortungsbereich des CDOs.
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Ein CDO gehört in den Vorstand

Digitalisierung ist ein Top-down-Prozess, so dass zukünftig in jedem Unternehmen, dessen Geschäftsmodelle durch die Digitalisierung verändert werden, auch digitale Kompetenz im Vorstand und in der Geschäftsführung vertreten sein muss. Bei E-Commerce-Firmen ist dies bereits Standard. Etliche Betriebe haben einen Chief Digital Officer (CDO) installiert, der entweder Teil des Vorstands/der Geschäftsführung ist oder zumindest an den CEO berichtet. Eine aktuelle internationale Studie von Eric Salmon & Partners, bei der über 400 Führungskräfte aus einem repräsentativen Branchendurchschnitt befragt wurden, zeigt, dass bereits 40 Prozent der interviewten Unternehmen die Position des CDO geschaffen haben.

Der CEO muss Digitalisierung provozieren

Stellt sich die Frage: Wird sich die Rolle des Vorstandsvorsitzenden oder CEO aufgrund der Digitalisierung verändert? Auf jeden Fall wird sich der Verantwortungsbereich des CEO in Sachen "digital" erweitern. Die Digitalisierung als Top-down-Prozess im Unternehmen muss vom CEO geleitet werden. Allerdings wird er nur in den seltensten Fällen der Innovator sein, was von ihm heute als Digital Immigrant auch nicht erwartet werden kann. Trotzdem muss der CEO Antreiber, Moderator und zu einem gewissen Grad auch ein Provokateur der digitalen Initiativen werden, um diejenigen, die mit der Planung und Umsetzung betraut sind, auch den notwendigen Rückhalt zu geben. Digitalisierung heißt auch Change Management, was erfahrungsgemäß schon ohne eine digitale Dimension herausfordernd genug ist.

Der CIO kommt aus der New Economy

In vielen Unternehmen übernimmt der CIO auch die Rolle des CDO. Ob dieses Modell Erfolg verspricht, wird die Zukunft zeigen, wobei Zweifel angebracht sind. Die Position des CIO hat sich in den letzten 15 Jahren etabliert und ist klar umrissen. Als sie geschaffen wurde, befand sich die globale Wirtschaft in einer Transformation, angestoßen durch die New Economy. Damals gab es Stimmen, die den CIO als den zukünftigen CEO propagierten, was jedoch nicht eintraf. Genauso wenig ist nun zu erwarten, dass der CDO zukünftig der Königsweg zum CEO ist.

Neue Führungspraxis für die digitale Welt
Der Sportdirektor eines Vereins
Der Sportdirektor eines Vereins stellt den Kader zusammen und gestaltet die Spiel- und Terminpläne für Wettkämpfe und Trainings. Er instruiert Talentscouts, kauft Spieler ein und stellt Bewegungsfreiheit für erforderliche Transfers sicher. Sein Ziel: Menschen zu finden und zu binden, die die Weiterentwicklung des Unternehmens konstant antreiben. Er erweitert die Suchkriterien für die Rekrutierung, stellt Mitarbeiter mit verschiedensten Hintergründen ein und ermöglicht Familien- und altersgerechte Arbeitszeitmodelle.
Führung in der Digitalisierung
Die Studie "Die Haltung entscheidet. Neue Führungspraxis für die digitale Welt" stammt von LEAD (Mercator Capacity Building Center for Leadership & Advocacy) in Kooperation mit der Unternehmensberatung Company Companions sowie der School of Public Policy (Central European University, Budapest) und dem Center for Leadership and Values in Society (Universität St. Gallen). Die Autoren empfehlen acht Rollen als Orientierungshilfen.
Die Landschaftsgärtnerin
Die Landschaftsgärtnerin gestaltet und pflegt Grünanlagen. Sie versteht das gesamte Ökosystem und weiß, wann welche Pflanzen im Jahreszeitenwechsel an welcher Stelle ihre Wirkung entfalten und wie alles zusammenspielt. Ihr Ziel: Das Unternehmen langfristig auf zustellen, wenn Krise und Veränderung zum Normalfall geworden sind. Sie ermöglicht schnelles „Prototyping“, geht unkonventionelle Partnerschaften ein und bricht Silos mittels heterogener, cross-funktionaler Teams auf.
Die Seismologin
Die Seismologin muss wissen, wo die Erde beben könnte. Dafür analysiert sie Daten, registriert feinste Erschütterungen und erkennt Spannungen frühzeitig. Sie erliegt aber nicht der Illusion, die Zukunft genau vorhersagen zu können. Ihr Ziel: Grundlagen für gute Entscheidungen in einer unübersichtlichen Welt zu schaffen. Sie etabliert „Situation Rooms“ zur Entwicklung von Handlungsstrategien, greift über digitale Plattformen auf verborgenes Wissen zu und schult ihre Intuition als zusätzliche "Datenquelle".
Der Zen-Schüler
Der Zen-Schüler ist in Ausbildung und Vorbereitung. Er lernt, reflektiert und prüft sich selbst. Achtsamkeit, Mitgefühl und Offenheit sind seine Tugenden, er pflegt eine disziplinierte (spirituelle) Praxis. Sein Ziel: Das finden, woran er sich festhalten kann, wenn sich alle an ihm festhalten. Er nutzt Coaching- und Mentoring-Programme, schafft physische Räume für den Ausgleich und richtet den Blick nach innen.
Der DJ
Der Discjockey bringt mit seiner Musik die Menschen zum Tanzen. Er setzt einen Rahmen, der motiviert, anregt und gemeinsame Energie erzeugt. Zugleich hat er ein offenes Ohr für Anregungen und sensible Antennen für das richtige Stück im richtigen Moment. Sein Ziel: Eine Kultur der Zugewandtheit zu schaffen – aber mit dem Fokus auf Ergebnisorientierung. Dafür baut er Empathie als Führungskompetenz auf, schafft Räume, in denen Menschen gerne arbeiten, und agiert als Vorbild für Zugewandtheit und Leistungsorientierung.
Die Intendantin eines Theaters
Die Intendantin eines Theaters wählt die Stücke für die Aufführung aus. Sie entwickelt den roten Faden und prägt die gesellschaftliche Wirkungskraft ihres Hauses. Die Künstler und deren Expertise bindet sie dabei ein. Ihr Ziel: in Zeiten großer Unsicherheit und Unplanbarkeit Orientierung zu geben. Über ein „Strategy Board“ schafft sie die Voraussetzung für Richtungsentscheidungen schaffen, erhöht mittels interaktiver Beteiligungsformen die Einigkeit über die Richtung – und hat den Mut zu klaren Ansage in der Krise.
Die Trainerin
Die Trainerin leitet eine Mannschaft taktisch, technisch und konditionell an. Sie bestimmt Trainingsablauf, Mannschaftsaufstellung und Strategie. Sie muss für Misserfolge geradestehen, Erfolge lässt sie ihrem Team. Ihr Ziel: Die Mitarbeiter zu mehr Verantwortungsübernahme zu befähigen. Dafür entwickelt sie über zeitgemäße Lernformate Kompetenzen entwickeln, baut gegenseitiges Vertrauen auf und führt Anreize zur Übernahme von Verantwortung ein.
Der Blogger
Der Blogger kommentiert Geschehnisse – zugespitzt, aufrüttelnd und meist aus einer persönlichen Sichtweise. Er will die Welt verstehen, erklären und übersetzen. Er lebt vom direkten Feedback der Leser. Sein Ziel: Veränderungsbereitschaft in die DNA des Unternehmens zu schreiben. Er kaskadiert die Geschichte der Veränderung in die Firma, moderiert gemeinsame Lernprozesse und gibt sichtbare Veränderungsanstöße.

Es gilt zu betonen, dass IT-Kompetenz nicht automatisch auch Digitalkompetenz beinhaltet; denn eine erfolgversprechende digitale Strategie gründet auf kommerziellen und technischen Ecksteinen. Die kommerzielle Dimension innerhalb des Digitalisierungsprozesses wird Aufgabe des CDO sein, wohingegen die technische Plattform weiterhin in der Verantwortung des CIO liegt. Hinzu kommt, dass ein CDO Erfahrung in unterschiedlichen Online-Kanälen sowie in der Monetarisierung von E-Commerce-Modellen mitbringen muss. Dieses Know-how kann der CIO in seiner bisherigen Rolle kaum erworben haben. Besonders anspruchsvoll wird es für die Unternehmen der Old Economy werden, den CDO, der mit hoher Wahrscheinlichkeit aus einem Online-Geschäftsmodell kommt, in den Betrieb zu integrieren.

Konzern versus Mittelstand

Einen Unterschied zwischen einem Konzern und einem typisch deutschen Mittelständler wird es wahrscheinlich nicht geben. Digitale Geschäftsmodelle sind auf- und abwärts skalierbar und damit eher unabhängig von der Unternehmensgröße. In der digitalen Genese gibt es aber Unterschiede zwischen Branchen und dem internationalen Setup eines Unternehmens. Der Handel wurde schon sehr früh mit digitalen Geschäftsmodellen (Amazon, Ebay etc.) konfrontiert, genauso wie die Medienindustrie, bei der das Produkt "Papier" heute digital schon kannibalisiert ist. Dagegen werden regionale handwerkliche Branchen wie zum Beispiel die Bauindustrie oder der Baustoffgroßhandel eher nicht sofort von der Digitalisierung betroffen sein.

Verzahnung mit externen Ressourcen

Ein Unternehmen der Old Economy, welches in den letzten Jahrzehnten ein erfolgreiches Geschäftsmodell international oder global betrieben hat, zum Beispiel im Maschinenbau, wird nicht umhinkommen, digitale Kompetenz von extern einzukaufen.

Trotz der Tatsache, dass solche Betriebe digitale Kompetenz aufgrund junger und digital sozialisierter Fach- und Führungskräfte schon im Haus haben, werden sie den Kopf, der die digitale Transformation plant und umsetzt - sprich den CDO - extern suchen müssen. Auch wenn die heutigen CDOs qua Lebensalter Digital Immigrants sind, haben sie sich doch bereits zu einem frühen Zeitpunkt ihrer Karriere mit digitalen Geschäftsmodellen beschäftigt. Erfolgreich wird nur eine Verzahnung und Vernetzung beider sein, nämlich der internen Digital Natives und der extern zugekauften digitalen Führungskompetenz.

Führungs- und Digitalkompetenz: Verträgt sich das?

Das Spannungsfeld zwischen Führungskompetenz und -kultur sowie den Anforderungen aufgrund der Veränderung durch digitale Transformation ist groß. Erfolgreiche Companies der neuen digitalen Economy funktionieren im Vergleich zu den etablierten Unternehmen der Old Economy ganz anders. Auf der einen Seite sind flexible Arbeitszeiten, flache Hierarchien, eine "Always-on-Kultur" mit Dissoziation der Entscheidungsfindung auf Teams und Projektgruppen mit sozusagen kollektiver Intelligenz Standard.

Dagegen finden sich in der Old Economy meist festgelegte und zu einem gewissen Grad regulierte Arbeitsstrukturen, klare Entscheidungs- und Rollenverteilung und definierte Zeiten der Anwesenheit als Maßstab. Auf der einen Seite eine Unternehmens- und Führungskultur, die von der Transparenz der Information lebt, und auf der anderen Seite nach wie vor Führungspersönlichkeiten, deren Mantra in der Kontrolle von Informationen liegt, was sich nur sehr schwer in Einklang bringen lässt.