Minimum Viable Product

Wie ein MVP nicht beim Markteintritt scheitert

19.04.2018 von Ben Ellermann
Drei Ansätze zur Validierung eines Minimum Viable Products (MVP) zeigen, wie man ein MVP möglichst schnell in den Markt bringen kann. Diese Ansätze dienen als Brücken für konservative komplexe Organisationen auf dem Weg zu neuen, mit der Geschwindigkeit der Digitalisierung kompatibleren, Organisationsformen.
  • Fastlane, Company Building und MVP-Oprations-as-a-Service sind Ansätze zur Umsetzung dieses Betriebs durch die Kernorganisation.
  • Das Konzept des MVPs sieht eine Validierung in Form des Betriebs im Markt vor.
  • Für einen erfolgreichen MVP-Betrieb muss die Spanne zwischen Entwicklungsabschluss des MVP und dem Betriebsstart kurz gehalten werden.
  • Klassische komplexe Organisationen sind dafür zu starr aufgestellt.
Digital Labs sind nur dann hilfreich, wenn eine bestimmte Quote der dort entwickelten MVPs Traction im Markt bekommt.
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Eine der größten Herausforderungen bei der Digitalisierung von Unternehmen besteht in der Entwicklung von disruptiven Produkten und Dienstleistungen. Für Konzerne und große Mittelständler hat sich zur Bewältigung dessen auch in Deutschland ein quasi Standard herausgebildet: Kleine Innovationseinheiten, die mit einer gewissen Distanz zur Kernorganisation platziert werden.

Diese Einheiten heißen nicht selten Digital Lab, Innovation Lab oder Data Lab. Angewendet werden hier neue Prozesse, Methoden und Tools. Wiederkehrend stößt man in den Labs auf einen organisatorischen Überbau aus Design Thinking und agilem Projektmanagement bzw. agiler Führung, mit dem man das interdisziplinäre Zusammenwirken von Entwicklern, Designern, Datenexperten und Product Ownern koordiniert.

Der größte Mehrwert für den Kunden

Für viele der Labs hat sich als Ergebnistyp der Produktentwicklung das sogenannte Minimum Viable Product - kurz MVP - etabliert. Bei der Entwicklung eines MVP steht die konsequente Ausrichtung eines Produkts an den Bedürfnissen der späteren Nutzer im Fokus. Das MVP ist die erste Ausführung der langfristigen Produktvision, bei der zunächst nur ein sehr begrenzter Funktionsumfang umgesetzt wird.

Der Fokus liegt auf jener Eigenschaft des Produkts - die dem Nutzer potenziell den größten Mehrwert stiftet: Dafür steht das "Minimum". Dieses Minimum an Funktionen darf nicht mit einem Minimum an User Experience verwechselt werden, an die auch für ein MVP hohe Ansprüche gestellt werden. (siehe auch den COMPUTERWOCHE-Beitrag: Was ist was im Innovation Management?)

Reduzierte Time

Im Gegensatz zu einem bis ins letzte Detail ausgearbeiteten Produkt, hat das MVP den Vorteil einer erheblich verkürzten Time-to-Market. Lange Vorstudien, aufwendige Erhebungen im Bereich der Marktforschung und ausufernde Anforderungsspezifikationen sind nicht mit dem Konzept des MVP kompatibel. Stattdessen erfolgt eine schnelle Fokussierung auf den vielversprechendsten Funktionsumfang. Anschließend wird dieser in Form eines Prototypen umgesetzt und mit definierten Zielkunden validiert, bevor die Softwareentwicklung beginnt.

Ein MVP ist kein Prototyp mehr, sondern ein funktionierendes erstes Produkt, für das der Kunde (nicht unbedingt monetär) bezahlen muss. Das MVP ist aber auch und vor allem eine Hypothese, die es zu validieren gilt. Im Gegensatz zur Validierung eines Prototypen mit Instrumenten wie Fokusgruppen oder Interviews, muss das MVP im Markt validiert werden. Das erhöht die Aussagekraft der Validierung, bringt aber für die oben skizzierten Labs erhebliche Herausforderungen mit sich.

MVP-Betrieb vs. Regelbetrieb

Labs sind zumeist eine Insel der Innovation in einer komplexen Organisation, die, da sind sich Experten weitestgehend einig, nur erfolgreich MVPs entwickeln, wenn eine gewisse Unabhängigkeit zu ihren Kernorganisationen besteht. Bei der Validierung des MVP im Markt wird diese Unabhängigkeit indes häufig zu einer Herausforderung. Das Lab ist mit dem Abschluss der Entwicklungsarbeiten am MVP vorläufig am Ende seiner Wertschöpfungskette angelangt und so lange zum Abwarten gezwungen, bis ein Feedback aus dem Markt verfügbar ist. Für dieses Feedback muss die Kernorganisation zunächst den Betrieb im Markt organisieren.

Der Betrieb eines Produkts im Markt ist etwas, das aus der Perspektive klassischer komplexer Organisationen querschnittlich von statten geht. Vom Produktmarketing, über den Vertrieb, den Kundenservice, die IT bis hin zu Finance sind eine Vielzahl von Disziplinen involviert. Die Zusammenarbeit ist in umfassenden Prozessen geregelt und die notwendigen Personalressourcen werden langfristig allokiert. Spricht man von einer komplexen Organisation gerne als "Tanker", dann liegt der Grund dafür genau hier: Änderungen sind in dieser Operation-Infrastruktur nur sehr langsam umsetzbar.

Hindernisse der unmittelbaren MVP Operations.
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Viel Zeit zu verlieren

Leider ist der Betrieb eines MVP aus Sicht der Kernorganisation immer mit Änderungen verbunden. Dabei dürfte gelten: Je stärker das MVP vom Kerngeschäft abweicht, desto umfassender fallen diese Änderungen aus und umso komplizierter wird es. Vor allem tritt eine erhebliche Verzögerung ein, die das gesamte Konzept des MVP ad absurdum zu führen droht. Schließlich hat man das Konzept vor allem gewählt, um die "Time-to-Market" zu reduzieren.

Wie paradox mutet es da an, nach einer erfolgreich reduzierten Entwicklungszeit, eine vielleicht sogar längere Zeitspanne zu benötigen, um den Betrieb auf die Beine zu stellen? Jeder Tag Verzögerung schmerzt, weil noch keine Gewissheit darüber besteht, ob das Produkt so gestaltet wurde, dass es für den Kunden wirklich attraktiv ist und damit eine Chance auf Erfolg am Markt hat.

Hinzu kommt: Der Betrieb von seit Jahren existierenden Produkten des Kerngeschäfts komplexer Organisationen läuft wie auf Schienen. Der Betrieb eines MVP muss hingegen hochgradig elastisch aufgestellt sein. Zudem unterscheiden sich die KPI-Sets beider Modi in Folge unterschiedlicher Zielsetzungen erheblich. Ersterer Betrieb zielt auf Revenue Stream und Ausfallsicherheit, zweiterer auf die Fähigkeit möglichst viele Taktiken auf ihren Fit zum MVP zu überprüfen und Optimierungspotenziale zur möglichst unmittelbaren Umsetzung im Digital Lab zu identifizieren.

3 Ansätze zur Validierung des MVP

Für einen erfolgreichen MVP Betrieb muss also die Zeitpanne zwischen dem Abschluss der Entwicklungsphase des MVP und dem Start des Betriebs kurz gehalten werden. Zudem gilt es den besonderen Charakter des MVP Betriebs zu gewährleisten und nicht in einen üblichen Regelbetrieb zu verfallen. Für dieses schwierige Unterfangen sind für komplexe Organisationen schematisch drei Ansätze denkbar: Fastlane, Company Building und MVP-Operations-as-a-Service.

Fastlane - Company Building - MVP-Operations- as-a-Service
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1. Die Fastlane

Die Fastlane ist der Sammelbegriff für die, lapidar gesagt, "vom Vorstand beschützte Extrawurst". Erfolg bei der digitalen Transformation eines Unternehmens hängt zu nicht unwesentlichen Teilen vom Interesse und dem Engagement der Unternehmensleitung ab. Diese muss insbesondere dafür bereit sein, im Unternehmen etablierte Muster zu Gunsten der Digitalisierung aufzubrechen. Digital Labs sind ein Beispiel dafür, wie das im relativ geschützten Raum funktionieren kann; wie also mit Methoden, Werkzeugen und Prozessen der Kernorganisation zu Gunsten einer neuen Form der Arbeit gezielt gebrochen wird.

Für den Betrieb des im Digital Lab entwickelten MVP funktioniert der Ansatz des geschützten Raums nicht, weil in der Regel zu viele verschiedene Teile des Unternehmens involviert sind. Entsprechend meint Fastlane das Identifizieren, Etablieren und Schützen eines schnellen und unkonventionellen Betriebs-Prozesses in der Kernorganisation, mit hoher Top Management Attention. Dieser Ansatz wird so kompliziert einzuschlagen sein, wie er klingt, kann aber funktionieren.

2. Das Company Building

Beim Company Building tritt die Kernorganisation als aktiver Investor für den Aufbau einer neuen Gesellschaft auf, die eigens zur Validierung des MVP geschaffen wird. Dies ist sicherlich der beste Ansatz, wenn vorangegangene Validierungen im Prototypenstatus ein hohes Vertrauensniveau gegeben haben. Oder, wenn sonstige Fakten Aufschluss darüber geben konnten, dass das Produkt zu einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit ein Erfolg werden wird. In diesem Fall ist die Skalierung des MVP gut möglich, denn dafür wurde die Company schließlich gegründet.

Company Building ist der schlechteste Ansatz, wenn die Unsicherheit über den Produkterfolg hoch ist. Die Aufwände sind intern wie extern hoch, die Sichtbarkeit ebenso. Was die Qualität der Validierung anbelangt, kann man unterstellen, dass die involvierten Mitarbeiter ein hohes Interesse am Fortbestand des Produkts haben werden. Somit ist mehr als fraglich, ob hier wirklich akkurat gemessen bzw. objektiv bewertet werden wird.

In den meisten Fällen dürfte sich ein zweistufiger Ansatz anbieten, wenn man mit Company Building arbeiten möchte: Erst Fastlane oder MVP-Operations-as-a-Service, dann - nach der Validierung - das Company Building.

3. MVP-Operations-as-a-Service

Bei den MVP-Operations-as-a-Service wird ein externer Dienstleister mit der Validierung des MVP beauftragt. Er übernimmt alle oder weite Teile des Betriebs im Markt. Das Auftragsverhältnis ist auf einen definierten Zeitraum mit dem klaren Ziel der Validierung begrenzt. Dieser Ansatz hält die internen Aufwände für die komplexe Organisation, sowie die Sichtbarkeit des MVP sehr gering.

Zudem ist durch den Fokus auf die Validierung - der Betrieb ist nur das Mittel zum Zweck - von der höchsten Validierungsqualität auszugehen; insbesondere auch, weil der Dienstleister durch das ohnehin begrenzte Auftragsverhältnis keinerlei Interesse daran hat, nicht objektiv zu agieren. Der Ansatz ist beliebig skalierbar und schnell umzusetzen.

Brücken zu neuen agilen Organisationsformen

Die drei Ansätze beschreiben keinen organisatorischen Zielzustand. Sie sind vielmehr als Brücken für konservative komplexe Organisationen auf dem Weg zu neuen, mit der Geschwindigkeit der Digitalisierung kompatibleren, Organisationsformen (z.B. Pods oder Holocracy) zu verstehen. Diese oder andere Brücken werden die Organisationen zur Digitalisierung brauchen.

Digital Labs sind nur dann hilfreich, wenn eine bestimmte Quote der dort entwickelten MVPs Traction im Markt bekommt. Das gilt übrigens auch dann, wenn man das Lab nur als Changemanagement Instrument benutzen möchte. Wolkenkuckucksheim wird nichts verändern.

Der Artikel enthält Auszüge aus dem Whitepaper: "MVP Operations - Agiles Validieren im Betrieb".