Manager in der Krise

Wie Führungskräfte sich selbst zerstören

10.08.2009 von Eva Buchhorn, Klaus Werle und Michael  Machatschke
Die Nerven liegen blank. Jeder kämpft für sich allein. Manager bangen um ihre Jobs, Status und Gehalt. Auch graust ihnen davor, Mitarbeiter entlassen zu müssen. Doch während die globale Krise für das mittlere Management persönliche Krisen nach sich zieht, wirken Vorstände fern der Realität.
Ex-Post-Chef Klaus Zumwinkel.
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In der peinlichsten Stunde seiner Karriere lief Klaus Zumwinkel (65) noch einmal zu Hochform auf. Wegen Steuerhinterziehung stand er vor Gericht. Doch er dozierte, als sei nicht die Staatsgewalt sein Zuhörer, sondern ein Pulk von Lehrlingen im Schulungsheim der Post.

Weitschweifig erklärte der gestürzte Konzernherr dem Richter, welch eindrucksvolle Karriere er absolviert habe, wie kühn sein Aufbauwerk bei der Post gewesen sei, wie viele Milliarden seine Taten den Bürgerinnen und Bürgern gespart hätten. Subtext: Wer den Göttern so nahe steht, dem sollte man eine profane Steuersünde doch wohl nachsehen.

Ein anderer hatte in seiner Amtszeit den Bescheidenen gegeben: Georg Funke (54), ehemals Chef des Immobilienfinanzierers Hypo Real Estate (HRE). Im Foyer des Unternehmens in München hingen billige Kunstdrucke von der Sorte, die man im Möbelhaus kauft. Das Chefbüro bot kaum Platz für einen Besprechungstisch. Funke schien Maß zu halten - doch nach seinem Rauswurf langt er umso ungenierter zu. Derzeit klagt der Banker gegen seinen alten Arbeitgeber auf 150.000 Euro Gehalt, die ihm angeblich noch zustehen, auf weitere 3,5 Millionen Euro Gehalt bis zum Ende seines Vertrags und 560.000 Euro Pension jährlich. Dass er denkbar schlechte Arbeit geleistet hat, dass die HRE ohne massive Staatsbürgschaften schlicht pleite wäre, Funke scheint's nicht zu kümmern - oder nimmt er es schlicht nicht wahr?

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Ein großes Publikum rätselt über die mentale Verfassung von Managern und Ex-Managern wie Zumwinkel und Funke. Gegen Selbstzweifel scheinen sie immun. Im krassen Unterschied zu einer anderen prekären Fraktion der Wirtschaftsführer - sie offenbart sich allenfalls im ganz kleinen Kreis. Einer Gesprächsgruppe in der Nervenklinik zum Beispiel.

Erhöhter Leistungsdruck unter Managern seit der Finanzkrise

Herbert Claus (45) (Name von der Redaktion geändert), Manager diverser kommunaler Betriebe in Rheinland-Pfalz, war gerade in einer solchen Einrichtung. Das Sanatorium in Luxemburg, auf die Nöte ausgebrannter Führungskräfte spezialisiert, sei voll belegt gewesen, berichtet Claus. Fast 80 Prozent der Patienten seien Manager gewesen. Sie kommen wegen rätselhafter Schmerzen, Erschöpfung und vor allem Depressionen. Viele haben einen langen Leidensweg hinter sich, aber immer wieder hörte Claus auch diesen Satz: "Als dann noch die Finanzkrise kam, bin ich zusammengeklappt."

Zwischen Egotrip und Depression - die Wirtschaftselite gibt derzeit ein verstörendes Bild ab. Extreme prägen ihr Image. Einerseits die Maßlosen: Manager, die trotz miserabler Leistungen aberwitzige Summen einstreichen und bizarren Pomp entfalten; Menschen, die anscheinend keinen Bezug mehr zur Realität besitzen. Andererseits - weniger auffällig, aber vernehmlich - die Überforderten, die unter der Finanzkrise seelisch und körperlich leiden, den Druck und die Unsicherheit nicht mehr aushalten.

Wie intakt sind die Unternehmensführer noch? Ist im Management generell Irrsinn am Werk, wie manche Boulevardmedien insinuieren? Muss womöglich ein ganzer Berufsstand auf die Couch?

Fest steht: In den Chefetagen liegen die Nerven blank. Wie sehr, das zeigt eine aktuelle Umfrage unter tausend Führungskräften, erhoben von der Personalberatung Heidrick & Struggles. Es ist das Psychogramm einer in die Enge getriebenen Kaste.

Vier von fünf Managern spüren seit Krisenbeginn einen stark erhöhten Leistungsdruck, jeder Zweite muss deutlich härter arbeiten. Und das in zunehmend rauer Atmosphäre: 27 Prozent der Befragten klagen über ein verschlechtertes Betriebsklima; jeder Dritte ist eher bereit, den Arbeitgeber zu wechseln, als noch vor einem Jahr. Solidarität, Loyalität - Fehlanzeige.

Der Abschwung lastet auf den Seelen. Jeder kämpft für sich allein. Sie gehen morgens nicht mehr zur Arbeit, die Führungskräfte, sie ziehen in die Schlacht. Und so fühlen sie sich auch.

Schmähmails und anonyme Anrufe

In seiner Coaching-Praxis in der Düsseldorfer Königsallee begleitet der Psychoanalytiker Georg Th. Fischer Manager der ersten und zweiten Ebene. Die wirtschaftliche Misere ist in nahezu jeder Sitzung als Bedrohung dabei. Fischers Klienten bangen um ihre Jobs, fürchten Statusverlust und Gehaltseinbruch. Obendrein graust ihnen davor, Mitarbeiter entlassen zu müssen. "Die meisten Führungskräfte sind von den Härten ihrer Rolle zutiefst betroffen und verunsichert", berichtet Fischer.

Zu schaffen macht den Managern die Abwertung, die ihr Berufsstand in der Öffentlichkeit erfährt. Aus Bankiers wurden Bankster, aus Alphawesen verdruckste Partygäste, die sich rasch mal frisch machen müssen, wenn das Gespräch auf Berufliches kommt. "Drastisch verschlechtert" habe sich das öffentliche Bild der Manager durch die Krise, räumen 87 Prozent in der Heidrick-Umfrage ein; 60 Prozent sehen sich persönlich unter erhöhtem Rechtfertigungsdruck. "Da herrscht oft Zweifel, ob man noch in der richtigen sozialen Gruppe ist", sagt Heidrick-Partner Werner Penk.

Ein Klient Fischers löschte seine Daten aus dem Internetforum Xing, nachdem er Schmähmails erhalten hatte und mit anonymen Anrufen terrorisiert worden war. Ein Ex-Manager der HSH Nordbank, der zum Urlaub an die See fuhr, ließ seine HSH-Windjacke vorsichtshalber daheim, "das Logo war mir peinlich".

Massiv verunsichert, so erlebt Penk die Manager: "Bei vielen sind die inneren Koordinaten ins Wanken geraten." Besonders die Erosion der persönlichen Handlungsfähigkeit ist Gift fürs positive Selbstbild. "Keiner kann von sich sagen, er kenne jetzt die richtige Strategie", sagt der Wirtschaftswissenschaftler Georg Schreyögg von der FU Berlin, "und so sieht jetzt die ganze Welt, dass die angeblich so kraftvollen Lenker längst nicht so viel bewegen können, wie viele dachten."

Die Identitätskrise ist programmiert. "Ohnmachtsgefühl" und "regelrechte Lähmung" bei den Topführungskräften beobachtet Sozialpsychologe Dieter Frey von der Universität München, der zahlreiche Dax-Vorstände als Coach berät. "Manche reagieren mit blindem Aktionismus, andere verfallen in Totstellreflexe." Beides klassische Abwehrmechanismen, wenn das gehätschelte Selbstbild zusammenbricht.

Immer öfter gehen den einstmals Erfolgsverwöhnten die Nerven durch - und irgendwann lassen sich die Symptome nicht mehr verbergen. Ulrich Sollmann, Therapeut und Coach in Bochum, sieht in seiner Praxis jeden Tag Führungskräfte mit "körperlichen und seelischen Problemen". Wie den Firmenlenker, der von einem Tag auf den anderen hinwerfen wollte, weil Mitarbeiter ihn scharf für sein Turnaround-Programm kritisiert hatten. Zu viel für ihn: "Der Mann wollte nur weg, egal um welchen Preis."

Überzogene Erwartungen führen zu Burnout

Andere klagen über somatische Beschwerden, über Rückenschmerzen, Schlaflosigkeit und Appetitverlust. Sollmann findet meist schnell heraus, wo die tieferen Ursachen liegen: zu viel Stress.

Fatalerweise reagierten Manager unter Druck häufig mit einer nahezu selbstzerstörerischen Strategie, meint Bernd Sprenger, Coach und Psychotherapeut in Berlin. Sie versuchen "immer mehr vom Gleichen", weiß der auf Burnout bei Führungskräften spezialisierte Mediziner. Die Manager arbeiten härter, bleiben abends länger im Büro, beuten sich selbst aus. Unter Stress verengt sich der Blick. Der Mensch flüchtet in alte Handlungsmuster - und droht unterzugehen.

Kandidaten für den Absturz finden sich typischerweise im mittleren Management, wo die Tagesarbeit geleistet wird und sich der Druck von oben mit den Widerständen von unten vereint. So hat es auch Hartmut Zeiss (Name von der Redaktion geändert) erlebt.

Zeiss, Anfang 50, eloquent, sportlich, schlank, fühlt sich nach elf Wochen Klinikaufenthalt wieder fit. Ende vergangenen Jahres war das anders. Da kauerte er hinter dem Schreibtisch und hoffte, seinem Vorstand nie wieder begegnen zu müssen. Kurz zuvor war der Personalexperte angetreten, in einem norddeutschen Konzern die Führungskräfteentwicklung zu überarbeiten. Schnell sollte es gehen, kreativ musste es sein, die Erwartungen waren hoch. Zeiss fühlte sich von Tag eins an überfordert, war dem Zusammenbruch nahe. Diagnose: Burnout.

In diesen Monaten prophezeit Zeiss vielen Führungskräften ein ähnliches Schicksal: "Jetzt ziehen die Unternehmen die Daumenschrauben an." Wer das nicht erträgt, braucht professionelle Hilfe, etwa die der Helios Klinik für Psychosomatische Medizin Bad Grönenbach im Allgäu. Hier sollen Manager, Unternehmer und andere Hochqualifizierte lernen, der Selbstausbeutung ein gesundes Eigeninteresse entgegenzusetzen.

Gefahr von Sucht nach Alkohol und Medikamenten

Die Lebensweisen der meisten Patienten ähneln sich: zu wenig Schlaf, zu wenig gesundes Essen, kaum Zeit für Familie, Sport oder Hobbys - dafür Arbeit, Arbeit, Arbeit. Jeder Dritte, schätzt Chefarzt Jochen von Wahlert, greift zu Alkohol oder Medikamenten, um durchzuhalten.

In freundlich holzmöbliertem Ambiente wird gesungen, gemalt, getanzt und in therapeutischen Gesprächen die persönliche Krise aufgearbeitet. Immer wieder staunt von Wahlert, wie schnell sich die anfangs unterkühlten Führungskräfte in die kuschelige Selbsterfahrungswelt fallen lassen: "Der Leidensdruck ist eben so hoch, dass die Leute verzweifelt nach Auswegen suchen."

Die einen leiden, die anderen leben, als sei nichts. Während im Mittelmanagement die globale Krise oft persönliche Krisen nach sich zieht, wirken viele große Konzerndirigenten der Realität und ihren Nöten enthoben.

Sie reden vielleicht vom Sparen, meinen aber immer nur die anderen. Sie selbst absolvieren Flüge grundsätzlich im Privatjet, als gäbe es keinen öffentlichen Flugverkehr. Und damit auch in der Ferne der Auftritt standesgemäß ausfällt, wird der Fahrer mit der eigenen Limousine vorausgeschickt, und wenn es 1000 Kilometer sind. Sie schanzen einander in verteilten Rollen - mal als Aufsichtsrat, mal als Vorstand - Gehälter zu, die noch vor wenigen Jahren in Deutschland undenkbar schienen. Sie suggerieren mit ihrem ganzen Verhalten eine Distanz zum Rest der Belegschaft, die jedem Teamgeist zuwiderläuft, von Vorbildcharakter gar nicht zu reden.

Streit um Boni: "Extrem legalistisches Grundverständnis"

Fassungslos registriert die Öffentlichkeit, wie selbst offensichtlich gescheiterte Topkräfte noch um einen möglichst teuren Abgang pokern. Da nimmt Arcandor-Chef Thomas Middelhoff (55) zum Abschied neben seinem Grundgehalt von 1,2 Millionen Euro noch 2,2 Millionen Euro mit, als "Bonus, Tantieme und Sondervergütung" deklariert - und das, obwohl der Konzern 2008 einen Verlust von 746 Millionen Euro produzierte.

"Was vielen abhanden gekommen ist, das ist die Haltung: So etwas tut man nicht", rügte Bundespräsident Horst Köhler in seiner jüngsten Berliner Rede. Eine Klage, die viele der Gemeinten gar nicht erreicht. Sie leben längst in ihrer eigenen Welt. Die hält vor allem eines bereit: billige Rechtfertigungen für Millionensaläre und überreichliche Pensionen.

Erstes Argument: Vertrag ist Vertrag. Der Bonner Unternehmensberater Hermann Simon sieht die Gescholtenen sehr wohl in der Realität verhaftet. Sie hätten nur "ein extrem legalistisches Grundverständnis". Erlaubt ist, was nicht verboten wurde. So kommt es, dass Ex-RWE-Chef Harry Roels (60) ruhigen Gewissens noch vor dem ersten Handschlag 1,5 Millionen Euro Antrittsgeld reklamierte oder der damalige Postbank-Chef Wolfgang Klein (45) eine Halteprämie einstrich, weil er im Zuge des Verkaufs seines Geldhauses an die Deutsche Bank "nächtelang und an Wochenenden" arbeiten musste.

Zweites Argument: Jemand anders verdient immer noch mehr, soll sich die Empörung doch an ihm abarbeiten. Haben nicht bejubelte Manager-Ikonen wie Ex-General-Electric-Boss Jack Welch vorgelebt, dass hohe Ziele und überhohe Vorstandsbezüge zwingend zusammengehören? In kleiner Runde prahlte Welch einmal, selbst nach seiner Pensionierung komme General Electric - zusätzlich zum Ruhegehalt - für praktisch alles auf, was er zum Leben benötige, "sogar für meine Zahnbürste".

Drittes Argument: Von unseren Großtaten leben auch die Kleinen gut. Haben die Unternehmen mit ihrer - bonusrelevanten - Konzentration auf hohe Kurse nicht auch dem Kleinanleger gedient? Und hat nicht auch die Gier jedes Einzelnen den Vertrieb spekulativer Finanzprodukte gefördert? "Die Verantwortung diffundiert, bis sie nicht mehr zuzuordnen ist", sagt Psychologe Dieter Frey.

Starke Fixierung auf Zahlen und Ziele

Kein Grund also für augenscheinlich abgehobene Manager, an ihrem Verstand zu zweifeln. Zumal sie es an der Business School genauso gelernt haben. "Ich sage das nicht gern", meint Managementvordenker Charles Handy (76), "aber mit ihrer Fixierung auf Shareholder-Value und Zahlenanalyse sind diese Schulen sicher mit schuld an der jetzigen Lage".

In seinem Cottage anderthalb Zugstunden nordöstlich von London serviert der vormalige Shell-Manager, Mitgründer der London Business School, einen leichten Weißburgunder zum Risotto mit grünem Spargel. Osterglocken blühen, Kühe weiden vor dem mit Büchern vollgestopften Arbeitszimmer. Das Finanzdesaster, hier in East Anglia scheint es weit weg. Und doch sieht es im Rückblick so aus, als habe Handy sein halbes Leben in seinen Bestsellern dagegen angeschrieben.

"Die Unternehmen sind besessen von Zahlen und Zielen", sagt der Wirtschaftsphilosoph; das Blitzen in seinen Augen wechselt zwischen Amüsement und Zorn. Ob eine Firma Mitarbeiter gut behandelt oder gute Produkte herstellt, das sei schwer zu messen. Umsatz und Profit dagegen leicht. "Plötzlich gab es diese allumfassende Zielekultur, und an den Zielen orientierten sich auch Bezahlung und Bonus."

Ende der 60er ließ Handy die Jungmanager an der London Business School gern die "Antigone" lesen, Sophokles' Drama über die Frau, die ihr Gewissen über die Gesetze stellt. "Es ging darum, den eigenen Werten zu folgen, anstatt Sklave seiner Firma zu sein", sagt Handy. Aber haben die Verfemten von heute nicht genau das getan? Sind sie nicht ihren Werten gefolgt, bloß dass ihr Wert der eigene Bonus war?

Das ist der Haken an der Zielekultur: Wenn das Ziel der Bonus ist, dann konzentrieren sich die Manager auch genau darauf - und nicht mehr auf das eigentliche Geschäft. Je größer und zentralisierter die Unternehmen wurden, desto undurchschaubarer wurden sie. Ein Grund mehr, sich auf das eigene Ziel und den Bonus zu fixieren.

Narzisstische Neigungen begünstigen Karriere

Management als Zahlenmechanik, ohne Gedanken an die Konsequenzen; und je länger einer sitzt im Raumschiff Unternehmen, desto mehr hält er seine Kapsel für die ganze Welt. Menschen, die sich von solchen Systemen angezogen fühlen, sind in der Psychoanalyse bekannt. Es sind die Nachfolger des Narzissus. Der Jüngling im antiken Mythos fand sich selbst so großartig, dass er sich in sein Spiegelbild verliebte.

Narzissten hungern nach Ruhm und Anerkennung - und gehen dafür große Risiken ein. Es sei kein Zufall, dass sie sich verstärkt in den Kommandozentralen der Konzerne tummelten, meint Gerhard Dammann, Chefarzt der Psychiatrischen Klinik Münsterlingen am Bodensee. Narzisstische Eigenschaften wie die Sucht nach Bestätigung, aber auch die Freude am Visionären, begünstigen die Karriere. "Think big" lautet die kürzeste Erfolgsformel.

Das erkannte schulmäßig Ex-Daimler-Boss Jürgen Schrempp (64). Nur kurz gab er den Bodenständigen, der mit der Hinterlassenschaft des Paradevisionärs Edzard Reuter (81) aufräumt. Dann zündete er seine eigene Wunderkerze: die Welt AG. Mit gewaltigem persönlichem Nutzen. Jahrelang hieß es, nur Schrempp könne diese Mammutaufgabe bewältigen. Die Welt AG machte ihn gleichsam unverzichtbar. Dass darüber Milliarden verbrannt wurden, fiel nicht ins Gewicht.

Ex-Bahn-Chef Mehdorn kassierte 2006 mehr als das Sechsfache seines Vorgängers Johannes Ludewig.
Foto: Deutsche Bahn DB

Ganz groß denken war auch die Passion des langjährigen Bahn-Chefs Hartmut Mehdorn (66). Er wollte aus der Deutschen Bahn einen globalen Alleskönner formen, der - wie Mehdorn einmal in einem Brief fabulierte - unter anderem Städte wie Prag, Lyon oder Stockholm mit Nahverkehr beglücken sollte. Als hätte die DB nicht schon genug Nöte mit ihren deutschen S-Bahnen und Regionalzügen. Im Kerngeschäft blieb die Bahn weit unter ihren Möglichkeiten, genutzt hat das Großdenken bis zu seiner nun erfolgten Ablösung nur Mehdorn selbst: 2006 kassierte er mehr als das Sechsfache seines Vorgängers Johannes Ludewig.

Die Uneinsichtigkeit der Großstrategen überrascht Dammann nicht: "Der Narzisst sieht in anderen nur Idioten oder Feinde", sagt Dammann, Autor des Buches "Narzissten, Egomanen, Psychopathen in der Führungsetage". Kritik bestärkt diesen Menschenschlag nur darin, als Einziger den Überblick zu haben. "Völlig abgehoben", schäumt dann die Öffentlichkeit. Doch der Vorwurf des Realitätsverlustes erreicht den Narzissten in Wahrheit erst gar nicht. Da er fest überzeugt ist, der Beste und Klügste zu sein, hat er seine Bodenhaftung nicht verloren - weil er sie nie besessen hat. Wenn er in den Vorstand aufrückt, ist das für ihn keine außergewöhnliche Leistung - er bekommt lediglich, was ihm seiner Meinung nach immer schon zugestanden hat.

Wohlgemerkt: Milde Formen der Eitelkeit, da sind sich Experten einig, können durchaus zu guten Taten befeuern. Doch von harmlosen Spielarten bis zum pathologischen Narzissmus ist der Weg nicht weit - oft nur wenige Stockwerke im Holding-Hochhaus.

Der Fall Zumwinkel

Ex-Behörde: Zumwinckel reformierte erst tatkräftig die Post, dann verlor er schleichend den Bezug zur Wirklichkeit.

Besonders tragisch erfüllte sich das Muster im Fall Zumwinkel. Still und tatkräftig reformierte er in den 90er Jahren die Post. Doch als die Ex-Behörde Anfang dieses Jahrzehnts zum Global Player anschwoll, verlor Zumwinkel schleichend den Bezug zur Wirklichkeit. Während die Fragilität seines Kunstgebildes immer deutlicher wurde, horrende Verluste in den USA selbst dickste Gewinne im Briefgeschäft aufzehrten, sah der "Große Vorsitzende" (Hausjargon) sich in historischen Rang erhoben. Allzu gern posierte er neben dem Ölbild des preußischen Postreformers Heinrich von Stephan, das er dem Post-Museum entliehen und im Büro aufgehängt hatte. Insgeheim träumte er wohl schon von der Firmenadresse "Klaus-Zumwinkel-Platz".

Schwere Hybris ist offenbar unheilbar. So unterrichtete der gestürzte Arcandor-Zampano Middelhoff gleich nach seinem Ausscheiden fröhlich die Geschäftswelt, er habe mit Verbündeten einen Finanzdienstleister eröffnet. Geschäftsadresse: London, im dekadent teuren Stadtteil Chelsea. Seht her, lautet die Botschaft, ich kann's mir leisten!

Die Entschwebten bleiben entschwebt. Nur eines mag das empörte Publikum trösten: Die schwersten Fälle werden am Ende doch aussortiert.