4 Worst Practice

Wie man das Multi-Provider-Chaos verhindert

02.10.2012 von Alexander Müller-Herbst
Multiprovider-Umgebungen schaffen viele Risiken. Ohne professionelle Service Integration können die erwarteten Einsparungen wieder verlorengehen, erklärt Alexander Müller-Herbst von ISG Compass in seiner Kolumne.
Alexander Müller-Herbst ist Managing Director/Partner bei der ISG Compass Germany GmbH in Wiesbaden.
Foto: Information Services Group Germany GmbH

Endlich hat Europa in der IT einmal die Nase vorn: Während die USA das Thema "Service Integration" gerade erst entdecken und man sich in Asien seit rund zwei Jahren damit befasst, führen große europäische Firmen bereits seit 2005 Projekte auf diesem Gebiet durch.

Zwar gibt es Service Management schon seit geraumer Zeit. Neu ist, dass Service Integration integraler Bestandteil und Schlüssel zum Erfolg ist. Die wichtigste Aufgabe von Service Integration ist es, den kompletten Geschäftsprozess von der Kundenanforderung bis zur Lieferung zu betrachten und so in der Vielzahl der IT-Services eine End-to-End-Sicht herstellen. Sie bildet damit eine Brücke zwischen der Governance und den operativen Betriebsprozessen (wie etwa ITIL).

Die Notwendigkeit, unterschiedliche Services systematisch zu integrieren, ergibt sich vor allem aus der Entwicklung des Outsourcing. Die Zeiten, in denen ein einziger Partner alle ausgelagerten IT-Leistungen erbrachte, sind vorbei. Wir sprechen heute von der dritten Generation des Outsourcing, die geprägt ist von Multi-Provider Umgebungen. Es gilt nun, deren Vorteile auszuschöpfen - aber auch die beträchtlichen Risiken zu minimieren.

Einsparungen zwischen 10 und 40 Prozent möglich

Der Kunde kann die IT-Services je nach Ausrichtung und Stärken des jeweiligen Providers vergeben. Er kann so - etwa durch Cloud Computing - Innovationen schneller einbinden und die verbrauchsabhängige Abrechnung forcieren, ist flexibler bei neuen Anforderungen, kann durch Nutzung der Spezialkompetenzen verschiedener Provider den Standardisierungsgrad vorantreiben und durch den höheren Wettbewerb die Kosten senken. ISG-Untersuchungen zeigen, dass so Einsparungen zwischen 10 Prozent und bis zu 40 Prozent möglich werden.

Zugleich schaffen Multiprovider-Umgebungen viele neue Risiken. Oft finden wir isolierte IT-Tower, von denen jeder für sich gemanagt wird. Da hier die technische Sicht dominiert, fehlt oft das Verständnis der Beziehung zwischen Business-Prozessen und IT-Services. Auch die SLA sind an den technischen Abläufen ausgerichtet. Als Folge wird der Geschäftsprozess oft nicht vollständig abgedeckt.

Multi-Provider-Umgebungen haben sich in den letzten Jahren durchgesetzt.
Foto: Information Services Group

Ein Beispiel: Häufig sind Desktop Management und Applikationsmanagement/-wartung an verschiedene Dienstleister vergeben. Da die Prozesse in der Leistungserbringung stark verzahnt sind, müssen diese Provider - etwa bei Problemlösungen - zusammenarbeiten und deshalb auch untereinander Beziehungen pflegen, die wiederum zu managen sind.

Koordination und Kooperation der Provider fehlt

In der Praxis mangelt es jedoch gerade an Koordination und Kooperation zwischen den einzelnen Providern. So entstehen Lücken bei Help Desk, Incident Management, Testumgebungen etc. Treten Probleme auf, fallen sie nicht selten genau in die Schnittstellen zwischen Dienstleistern - und jeder deutet bei der Verantwortung auf den anderen.

Auch der Einkauf steht vor wesentlich komplexeren Bestell- und Abrechnungsprozessen, die er oft nicht mehr überschaut. Das kann zu einem Rechnungs-Chaos führen, in dem Services mehrfach verrechnet werden.

Verfehlte Outsourcing-Ziele

Solche ineffizienten Prozesse sind meist mitverantwortlich, wenn die Ziele des Outsourcing verfehlt werden. Ohne professionelle Service Integration können zwischen 10 Prozent und 30 Prozent der Vorteile von Multi Provider-Umgebungen wieder verlorengehen. Und gerade daran krankt es nach wie vor. Trotz der erwähnten Führungsposition einiger großer europäischer Firmen tun sich in der Breite Unternehmen immer noch schwer mit der Koordination von IT-Dienstleistungen; wir finden hier insgesamt noch einen niedrigen Reifegrad.

Die Operating-Modelle müssen so weiterentwickelt werden, dass die IT-Organisation, deren Prozesse und Verantwortlichkeiten die Anforderungen einer Multi-Provider-Umgebung erfüllen.
Foto: Information Services Group

Dabei ist Integration umso notwendiger, als ITIL Multiprovider-Umgebungen bisher noch nicht behandelt. Dies ist eine große Schwäche, da hier die Realität nicht mehr abgedeckt wird - die meisten Kunden bewegen sich nun einmal in einem Multi-Sourcing-Umfeld. Aber auch dann wird zusätzlich eine Service Management-Struktur benötigt, um das Framework in Arbeitsprinzipien mit klaren Rollen und Verantwortlichkeiten zu übersetzen.

Was Service Integration leistet

Service Integration fungiert als zentrale Kontrollinstanz zwischen Demand und Supply-IT, die alle Aktivitäten zusammenführt und sich dabei als Agent des Kunden verstehen sollte: Sie übersetzt die Business Anforderungen in technische Services, verteilt diese an die verschiedenen Dienstleister, überwacht deren Einhaltung und orientiert so alle IT-Komponenten an den Geschäftsprozessen.

Umgekehrt sorgt sie für die End-to-End-Integration: Sie stellt sicher, dass die IT-Komponenten verschiedener externer und interner Provider zu einem ganzheitlichen Service für den Kunden konsolidiert werden.

Best-Practice-Erfahrungen zeigen, worauf es beim Management von Multi-Provider-Umgebungen ankommt.
Foto: Information Services Group

In der Praxis definiert diese Funktion die Integrationsanforderungen an die Prozesse und Werkzeuge der Service Provider - ohne jedoch diesen genau vorzuschreiben, wie sie ihre Leistungen zu liefern haben. So bleibt Platz für Innovationen und Optimierungen beim Dienstleister, etwa die Nutzung von Standardprozeduren etc. Dies ist Voraussetzung für die Realisierung der Kostenvorteile von Multi-Provider-Umgebungen.

Service Integration kann ausgelagert werden

Service Integration kann wie jede Funktion an einen Spezialisten ausgelagert werden. Dann sollten Prozesse und Rollen klar und verbindlich definiert sowie vertraglich fixiert werden. Der Kunde behält die Kontrolle und die Verantwortung gegenüber dem Business (siehe Kasten: "Wer ist für was verantwortlich?").

4 Typische Fehler bei der Einführung

ISG hat seit 7 Jahren unzählige Integrationsprojekte begleitet und ist dabei immer wieder auf typische Fehler gestoßen - sozusagen die "Worst Practice". Die wichtigsten davon:

  1. Fehlende Ressourcen. Der Kunde behält selbst die Zuständigkeit für Service Integration, baut aber nicht das entsprechende Operating Modell mit den notwendigen Kapazitäten auf. Schließlich hat es schon immer "irgendwie funktioniert". Durch die zunehmende Komplexität des Multi-Sourcing werden die Kunden aber mehr und mehr überfordert - mit den eingangs geschilderten Folgen.

  2. Unscharfe Rollen. Wird die Service-Integration-Funktion ausgelagert, versäumt es der Auftraggeber oft, Prozesse und Rollen klar zu definieren. Der Grund liegt häufig darin, dass er die Funktion von Service Integration missversteht. Das führt dann zu falschen Erwartungen auf Seiten des Kunden, des beauftragten Partners und der anderen Provider.

  3. Fehlende "Prokura". Der Kunde ermächtigt den Service-Integration-Partner nicht, tatsächlich als Agent in seinem Sinne tätig zu werden. Die Folgen: Geschäftseinheiten und Provider umgehen ihn als zentralen Kontrollpunkt. Damit verliert wiederum die Organisation das Vertrauen in diese Funktion und ignoriert sie noch stärker. Die gesamte Partnergemeinde entwickelt sich so immer weiter weg vom angestrebten Betriebsmodell.

  4. Falsches Honorarmodell. In den frühen Outsourcing-Verträgen zu Service Integration wurden die entsprechenden Dienstleistungen oft im Paket mit anderen IT-Services vergeben - dementsprechend zu viel zu niedrigen Festpreisen, sozusagen als Extrabonus. Die Erfahrung hat gezeigt, dass der Service Integrator dann oft nicht unabhängig handelt und nur die nötigsten Integrationsleistungen durchführt, wobei die eigenen Services in der Regel bevorteilt werden. Service Integration kann nur skalierbar sein, wenn es sich um einen eigenständigen Service handelt, der auch nach Leistung bedarfsgerecht verrechnet werden kann.

6 Schlüsselfaktoren für den Erfolg

Eine langjährige Beratung zeigt natürlich auch umgekehrt die "Best Practice". Entscheidend für eine erfolgreiche Einführung sind insbesondere folgende Faktoren:

Gemeinsame Vision. Alle Beteiligten müssen ein konsistentes, gemeinsames Leitbild erarbeiten.

  1. Target Operating Modell. Es spiegelt die Auswirkungen der Service Integration auf alle Beteiligten. Seine Kernelemente sind ein konsistenter Servicemanagement-Prozess über alle Parteien hinweg, SLAs zum Messen der Kooperation zwischen den Partnern, effektive Governance-Foren, -Prozesse und -Kontrollgremien sowie ein Change Management zur Integration neuer Services.

  2. Eindeutige Positionierung. Die verbleibende IT-Organisation des Kunden sollte den Service Integrator klar als ihren Agenten benennen und ihn mit entsprechenden Vollmachten ausstatten.

  3. Klare Verträge. Diese Positionierung sollte sich in entsprechenden vertraglichen Regelungen widerspiegeln. Und zwar nicht nur in den Verträgen mit dem Service Integrator, sondern auch in den - oft bereits bestehenden - Vereinbarungen mit Service Providern, die Beistellleistungen gegenüber dem Service Integrator erbringen müssen. Auch die Verpflichtungen des Kunden sollten aufgezeigt werden. Eindeutige Rollen und Verantwortlichkeiten sind unverzichtbar, um End-to-End-Services erfolgreich liefern zu können.

  4. Gemeinsames Rollenverständnis. Es genügt allerdings nicht, die Rollen nur in Verträgen zu beschreiben. Um ein gemeinsames Rollenverständnis zu entwickeln und zu leben, bedarf es außerdem entsprechender Kommunikation und Schulung.

  5. Zentrale Aufgabe des Service Desk. Als sehr erfolgreich hat sich erwiesen, den Service Desk in den Mittelpunkt der Integrationsstrategie zu stellen. Viele typische Service-Management-Prozesse wie Incident Management, Change Management und Request Management werden hierüber abgewickelt. Diese Prozesse vereinen das Kernwissen, das ein Service Integrator braucht, um eine ganzheitliche Integrationsleistung liefern zu können.

  6. Durchgängige Motivation. Service Integration kann nur funktionieren, wenn man wirklich Anreize für alle Beteiligten schafft, gemeinsam erfolgreicher zu sein. Ansonsten werden die Parteien nicht miteinander kooperieren und sich immer wieder in Eskalationsprozessen verstricken. Skalierung spielt dabei sicherlich eine Rolle. Der Umfang der Service-Integrations-Leistung muss groß genug sein, damit sich dieser Service für einen externen Provider rechnet. Unbedingt zu empfehlen ist auch ein fairer Umgang untereinander: Ergeben sich aus der Service Integration Effektivitäts- und Effizienzsteigerungen oder sogar Innovationen, dann müssen alle Beteiligten an den entsprechenden Gewinnen partizipieren.

Beispiel einer erfolgreichen Service Integration

Betrachten wir abschließend als Beispiel, wie nach einer gelungenen Service Integration die IT-Bedarfsplanung des Business aussehen sollte:

Die 5 Schritte einer effizienten Implementierung

In der Praxis hat sich ein Top-down-Vorgehensmodell für die Implementierung bewährt:

Schritt 1: Die Sourcing-Strategie definieren.
Die Ziele der Auslagerung sowie die Kompetenzen und Verantwortungsgebiete der wichtigsten IT-Provider werden erfasst und fließen in die Planung ein.

Schritt 2: Das Service-Integrations-Modell festlegen.
Unter Berücksichtigung der verschiedenen Kompetenzen wird definiert, welche Aufgaben der Service Integration intern, welche extern übernommen werden.

Schritt 3: Das Operating-Modell aufstellen.
Dabei wird sichergestellt, dass die IT-Organisation, deren Prozesse und Verantwortlichkeiten die Anforderungen des gewählten Service-Integrations-Modells erfüllen.

Schritt 4: Die Sourcing-Verträge abstimmen.
Die Verträge der internen und externen Service-Provider werden entsprechend angepasst. Dabei sind die jeweiligen Zulieferpflichten für die Service Integration eindeutig zu definieren.

Schritt 5: Integrierte Umgebungen managen.
Zur Steuerung - und möglichst stetigen Optimierung - der laufenden Beziehungen bedarf es entsprechender Governance-Prozesse sowie der erforderlichen Skills (zum Beispiel für Projekt- und Programm-und Prozess-Management etc.). Die zuständigen Gremien haben auch die Aufgabe, Änderungen im Provider-Portfolio oder in der Aufgabenverteilung in das Integrationsmodell einzufügen.

Wer ist für was verantwortlich?

Die IT-Organisation des Kunden:

  • Managt die Beziehung zur Business-Seite (Beratung über die beste Nutzung von IT-Services usw.) und ist gegenüber den Fachbereichen verantwortlich für die Lieferung der IT-Leistungen

  • Definiert IT-Policy, Standards sowie Regeln und trifft andere Grundsatzentscheidungen

  • Überwacht die Unternehmensarchitektur (Definition von Geschäftsmodell, Daten, Anwendungen und Technologiearchitektur) sowie das das generelle Risikomanagement (Strategie und Standards, Compliance, Zulassung von Lösungen etc.)

  • Wählt die Service-Provider aus, pflegt die Vertragsbeziehungen auf Exekutivebene und entscheidet über Zahlungen

  • Verteilt die Services auf verschiedene Provider

  • Managt die Service-Performance (etwa Entscheidungen über Pläne zur Verbesserung der Services)

Der Service- Integration-Partner:

  • Definiert Servicemanagement-Prozesse und Prozeduren gemäß den vom Kunden aufgestellten Business-Anforderungen und Standards

  • Überwacht die Lieferung der Services aus End-to-End-Sicht

  • Managt das Tagegeschäft mit den Lieferanten

  • Organisiert idealerweise selbst den Service Desk und die angrenzenden Service-Management-Prozesse

  • Erstellt Reports über die Integrationsprozesse, etwa zur SLA-Erfüllung

Alexander Müller-Herbst ist Managing Director/Partner bei der ISG Compass Germany GmbH in Wiesbaden.