Zwischen IT-Infrastruktur und Innovation

"Wir machen da alle einen Spagat!"

14.09.2011 von Christa Manta
Als wäre der Job des CIOs nicht schon kompliziert genug: Jetzt soll er auch noch die Rolle des Innovators übernehmen.
Foto: ivan kmit - Fotolia.com

Die Douglas-Filiale in der Mainzer Innenstadt ist eine Parfümerie, wie für den Digital Native gemacht. Am Eingang locken riesige Videowände mit Produkten und Angeboten, im Schaufenster kann man sich an Touchscreens informieren. Im Inneren warten Computerterminals auf Kunden, die ihren Duft- oder Hauttyp ermitteln und nach passenden Cremes und Tiegelchen suchen wollen. Am Make-up-Point fotografieren virtuelle Visagisten vornehmlich weibliche Kundschaft und schminken die Bilder mit Lippenstiften oder Lidschatten, die über Barcodes in die Software geladen wurden.

Das gestylte Bild kann die Kundin direkt auf Facebook posten oder per Foto-Buzzer auf eine Videowand projizieren. Bevor sie geht, hinterlässt sie noch eine Botschaft im interaktiven Gästebuch. "Digital ist die Sprache unseres jungen Zielpublikums", sagt Jeroen Timmer, IT-Direktor der Parfümerie Douglas International GmbH. Mit modernen Informations- und Kommunikationstechnologien will die "Multichannel-Parfümerie" von Douglas vor allem jüngere Kunden ansprechen, das Ambiente aufwerten und das Einkaufserlebnis emotionalisieren.

72 Prozent der Unternehmen sind IT-Innovationen wichtig

Douglas spricht die Sprache des Zielpublikums: Jung.

Jeroen Timmer gehört zu einer neuen Garde von CIOs. "Als Leiter der IT ist es meine Aufgabe, Innovationen aufzuspüren, das geschäftliche Potenzial dieser Technologien abzuschätzen und sie optimal in unsere Prozesse zu integrieren," wird er vom Beratungsunternehmen Capgemini in der Studie "IT-Trends 2010" zitiert. Mit seinem Selbstverständnis liegt Timmer im Trend. Nach wirtschaftlich mageren Zeiten ist die IT wieder als innovative Kraft gefragt, stellen die Analysten von Capgemini fest. Die Budgets steigen leicht und Unternehmen erwarten von ihren CIOs nicht mehr nur, Standardservices zu erbringen - und zwar möglichst kostengünstig und flexibel.

Die IT-Abteilung soll vor allem auch innovativ sein und etwas zu neuen Services und Produkten des Unternehmens beizusteuern, die Umsatz generieren. 72 Prozent der befragten Unternehmen erachten IT-Innovationen und die Nutzung von modernen Technologien als für ihre Geschäftstätigkeit wichtig oder sehr wichtig und nur ein Prozent als nicht oder überhaupt nicht wichtig. Die Beratungshäuser PA Consulting und Harvey Nash stellen in einer aktuellen Umfrage unter 2500 CIOs und IT-Leitern fest, dass sich die Rolle des CIOs immer mehr vom Dienstleister zum Innovator verschiebt. IT-Leiter müssten auf einem Kontinuum zwischen 'utility' und 'innovation' agieren und dort vor allem die richtige Balance finden.

Welche Innovationen machen Sinn?

Riccardo Sperle, CIO Kaiser's Tengelmann
Foto: Kaiser’s Tengelmann GmbH

"Die Rolle des CIOs wandelt sich", sagt auch Riccardo Sperrle, CIO der Kaiser's Tengelmann GmbH. "War er traditionell dafür verantwortlich, die IT-Infrastruktur bereitzustellen, muss er heute auf Prozesse im Unternehmen Einfluss nehmen und Innovationen fördern." Seit Mai dieses Jahres ist Sperrle IT-Leiter des Lebensmittelkonzerns und dabei, auszuloten, welche technologischen Innovationen im Einkaufsumfeld Sinn machen. "Wir müssen uns die Frage stellen, was überhaupt eine Innovation ist", sagt Sperrle. Nicht immer sei es angebracht, herkömmliche Prozesse weiter zu technisieren und zu automatisieren.

So wird derzeit zum Beispiel das Thema "kontaktloses Bezahlen" heiß diskutiert. Dabei werden Geldkarten wie EC- oder Kreditkarte mit einem Funkchip ausgestattet, der die Daten überträgt - schneller als ein Magnetstreifen. Statt seine Karte dem Kassierer auszuhändigen, der diese durch ein Lesegerät zieht und dann PIN oder Unterschrift fordert, hält der Kunde die neue drahtlose Karte an ein entsprechendes Gerät. Ein Piep und die Zahlung ist erfolgt. Bei größeren Beträgen muss der Kunde allerdings auch eine Unterschrift leisten oder die PIN eingeben. Von dem neuen System erhoffen sich Banken und Kreditkartenbetreiber, dass die Kunden vor allem bei kleineren Beträgen öfter zur Karte greifen und das Bargeld in der Tasche lassen.

Für Riccardo Sperrle ist die Geldkarte 2.0 - wie er sie nennt - keine echte Innovation. "Der Kunde bleibt bei dieser Technologie außen vor, für ihn gibt es keinen großen Nutzen", sagt Sperrle. Die alte Karte würde lediglich durch eine neue ersetzt. Das grundlegende Problem sei aber nicht adressiert. Mobile Payment sei ein wichtiges Thema, doch nur weil eine neue Technik funktioniert, müsse sie nicht unbedingt auch zum Einsatz kommen. So mache das Bezahlen per Handy zum Beispiel viel mehr Sinn: "Ich sehe es an meinen Kindern: Ihr Handy haben sie immer dabei, das Portemonnaie nicht unbedingt." Das Ziel müsse sein, eine Brücke zwischen der Technologie und dem Menschen zu schlagen.

Übergreifende, koordinierende Rolle

72 Prozent der CIOs halten Innovation für sehr wichtig oder wichtig für ihre Geschäftstätigkeit.
Foto: Capgemini

Bisher gehörte es nicht unbedingt zu den Kernaufgaben des CIOs Services und Produkte für den Endkunden zu entwickeln. Innovationen dieser Art wurden eher in der Entwicklung, im Marketing oder im Kundenservice gemacht, gerne auch mit Unterstützung der IT. Doch je mehr unsere gesamte Lebenswelt und auch die Produkte, die wir kaufen von IT durchdrungen werden, umso wichtiger wird in Unternehmen der übergeordnete, koordinierende Blick.

Sperrle sieht hier den CIO in der Verantwortung: "Als CIO habe ich die Aufgabe darauf zu achten, dass Prozesse vollständig bearbeitet werden. Ich muss das Ganze sehen und bis zum Ende durchdenken." Plant die Marketing-Abteilung zum Beispiel eine Facebook-Seite für das Unternehmen, muss die IT sich nicht nur mit Sicherheitsfragen beschäftigen, sondern auch dafür sorgen, dass auf der neuen Seite gestellte Anfragen beim Kundenservice landen und dort zeitnah bearbeitet werden.

Mit den veränderten Ansprüchen an die IT und der neuen Rolle des CIOs geht auch eine größere Nähe an strategischen Entscheidungen im Unternehmen einher. In ihrer Umfrage stellen PA Consulting und Harvey Nash fest, dass rund 50 Prozent der IT-Leiter mittlerweile im Management oder im Operational Board ihrer Organisationen vertreten sind. Auch die Analysten von Capgemini konstatieren, dass die Mehrheit der CIOs direkt und sehr früh in die Entwicklung von Geschäftsstrategien eingebunden werden. 79 Prozent der befragten IT-Leiter gaben zudem an, sie hätten ein gutes Verständnis für das Wettbewerbsumfeld des Unternehmens.

IT muss sich stärker am Business ausrichten

Aber nicht nur die Nähe zum Management, sondern auch die zum Business und zu den Fachabteilungen ist gefragt, soll die IT-Abteilung Geschäftsmodelle mit innovativen Ideen unterstützten. Laut den Studienergebnissen von Capgemini haben sich viele CIOs aber noch gar nicht darauf eingestellt, mit den Fachabteilungen an Inhalten für den Kunden zu arbeiten. Und die Marktforscher von Harvey Nash und PA Consulting sehen eine große Schwierigkeit für den CIO darin, das richtige Gleichgewicht zwischen der Rolle des Dienstleisters und der des Innovators zu finden.

"Wir alle machen da einen gewissen Spagat", bestätigt Riccardo Sperrle den Eindruck der Analysten. Zum einen sei da das Tagesgeschäft, die großen Projekte wie Warenwirtschaft, Multichannel oder CRM, die in der Handelsbranche exzellent funktionieren müssen. Zum anderen müssten CIOs auch über ihren Tellerrand hinaus schauen, Sparring-Partner des CEOs sein und Anhaltspunkte für neue Ideen liefern. Das eine geht ohne das andere nicht. Nur wer im Tagesgeschäft besteht, wird auch als Ideengeber und Innovator ernst genommen. "Es ist wichtig, seine Ideen mit den Kollegen auszutauschen, denn die IT realisiert nur das, was das Business will," resümiert Sperrle. Gleichzeitig müsse sich das Business auch mit technischen Themen auseinandersetzen, denn "die IT braucht keine IT. Wir machen das nicht für uns."