COMPETITIVE INTELLIGENCE

Wissen, was andere planen

01.10.2001 von Lars Reppesgaard
Professionelle Scouts beobachten, was Konkurrenz-Unternehmen im Internet von sich preisgeben – freiwillig oder versehentlich. Mit Spionage wollen die Anbieter von Competitive Intelligence aber nichts zu tun haben.

DER BLICK auf die Websites der Mitbewerber gehört für Markus Kempken zum Arbeitsalltag. "Man muss ja wissen, was die Konkurrenz so treibt", sagt der Art Director von Pixelpark. Wie die Berliner Internet-Agentur versuchen zahlreiche Firmen, so viel wie möglich über die Strategie echter und potenzieller Mitbewerber zu erfahren. Vor allem große Unternehmen wie BASF, Bayer, IBM oder Nokia, die in forschungsintensiven Branchen arbeiten, haben für die Vollzeitbeobachtung der Konkurrenz und die systematische Analyse der Informationen, die Competitive Intelligence (CI), interne Aufklärungsteams mit einem Dutzend und mehr Mitarbeitern abgestellt.

Auch unabhängige Ambieter, die entsprechende Dienstleistungen in ihrem Portfolio führen, bekommen immer mehr zu tun. Elke Pietzner, Teamleiterin der Abteilung E-Tools bei der Kölner Kommunikationsagentur Ergo: "Es reicht nicht, ab und zu mal selbst zu surfen. Dazu passiert jeden Tag einfach zu viel im Internet." Einige der Ergo-Kunden können sich keine eigene Aufklärungsabteilung leisten. Mit den von Pietzners Team entwickelten "E-Tools" -- Such- und Analyseprogrammen, die Chats, Newsgroups und die Netzauftritte von anderen Unternehmen durchforsten -- entgeht den Web-Rechercheuren aus Köln keine Studie, kein White Paper, keine Pressemeldung und kein Gerücht. Aus diesem Rohstoff erstellen die Web-Detektive Analysen für ihre Auftraggeber.

Ursprünglich war Ergo eine klassische PR-Agentur. "Dann aber wollte vor einem Jahr eine Internet-Bank wissen, was im Internet los ist; schließlich liegt dort ja ihr Geschäftsfeld", erinnert sich Pietzner. Neben der Direkt Anlage Bank greifen heute bereits neun weitere Unternehmen auf die Beobachterdienste der Kölner zu. Das Geschäft wächst rasant -- auch wenn schon die einmalige Durchsicht des Internets unter einer bestimmten Fragestellung 1900 Mark kostet.

Pietzners Kollegen sind in ganz Deutschland zu finden. Manche arbeiten schon seit Jahren als Info-Broker, zapfen Online-Datenbanken und inzwischen auch das gesamte Netz an, um aus Pressemeldungen, Ad-hoc-Mitteilungen oder Zeitungsartikeln ein Bild der Marktsituation und der Wettbewerber zu zeichnen. Sie alle setzen auf innovative Technologien und Kommunikationswege, um ihren Kunden den entscheidenden Informationsvorsprung zu verschaffen -- wie dem Bankhaus Rothschild 1815 eine einzige Brieftaube genügte, um ein Vermögen zu machen: Als Erste erfuhren die Bankiers damals so von der Niederlage Napoleons bei Waterloo und konnten sich daraufhin mit den in der allgemeinen Erwartung einer englischen Niederlage beinahe wertlosen britischen Staatsanleihen eindecken -- rechtzeitig, bevor die Papiere rasch wieder an Wert gewannen.

Im digitalen Zeitalter haben E-Mails die Brieftauben ersetzt. "Während es früher oft reichte, mit Lieferanten und Kunden über Konkurrenten zu sprechen, hat die Digitalisierung eine ganz neue Dynamik in unsere Branche gebracht", sagt Ursula Georgy. Die Professorin für Informations- Marketing an der Fachhochschule Köln ist Gesellschafterin des Wissenschaftlichen Informationsdienstes Wind. Die Rheinländer erstellen im Bereich der chemischen und pharmazeutischen Industrie Konkurrenz-Analysen. Dabei werten sie mit Hilfe maßgeschneiderter Software vor allem die weltweiten Patentdatenbanken aus. "Vom Patent zum serienreifen Produkt dauert es im Schnitt drei Jahre", weiß Georgy. "Sie können also beobachten, womit ihr Konkurrent in Zukunft auf den Markt will -- und rechtzeitig Gegenstrategien entwickeln."

Software für Konkurrenz-Analysen

Nicht nur Patentdatenbanken, sondern auch Nachrichtenbretter, User-Foren, Artikel und sogar die Intranets des eigenen Unternehmens und der Mitbewerber werden von den Konkurrenz-Beobachtern durchleuchtet. Mit Programmen wie "Grapevine" von Sun senden beispielsweise BASF und Henkel Suchbegriffe ins Netz. Diese Mini-Programme schicken ihre Ergebnisse in regelmäßigen Abständen automatisch an den Absender. Firmen wie Ford, Goldman Sachs, Nokia und Procter & Gamble programmieren die Intelliseek-Software "Corporate Intelligence Service" (CIS) für die automatisierte Suche. Welche Software Bayer nutzt, will Sprecher Günter Forneck nicht verraten: "Aber natürlich setzen wir das ein, was State of the Art ist."

Sicherheitsexperten warnen vor der immer weiteren Verbreitung von IT-gestützter Konkurrenz-Beobachtung. Zwar ist diese Art der Nachforschung erlaubt, doch Fachleute wie Hartmut Pohl, Professor für Informationssicherheit an der Fachhochschule Bonn-Rhein-Sieg, weisen darauf hin, dass gerade bei der Informationsbeschaffung über das Internet schnell die Grenzen des Legalen überschritten werden. "Meine persönliche Erfahrung lautet: Es wird an Daten geklaut, was nicht nietund nagelfest ist", sagt Pohl. 538-mal ist in der polizeilichen Kriminalstatistik des letzten Jahres das "Ausspähen von Daten" als Straftatbestand verzeichnet. Michael Dickopf, Sprecher des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik, warnt: "Früher musste dabei die bestochene Sekretärin mit der Minox fotografieren oder zum Kopierer schleichen, heute werden die Megabytes einfach runtergesaugt."

Meistens ist es aber gar nicht nötig, den Server zu knacken, umalles über die Konkurrenz zu erfahren. Bayer-Sprecher Forneck meint: "Das Problem besteht weniger in der Gewinnung von Informationen, sondern darin, die Datenflut auszuwerten und für das Management aufzubereiten." Doch auch dafür gibt es Software: "Infozoom" etwa, eine Entwicklung der St. Augustiner Firma Human IT, macht riesige Datenmengen auf einer grafischen Oberfläche anschaulich und zeigt den Inhalt von Datenbanken in abstrakter Form auf dem Bildschirm an. Weil all das auf einen Blick zu erfassen ist, was zusammengehört, braucht man für die Informationssuche dann nur noch ein wenig Intuition.