Re-Organisation

Zurück in die Zukunft

24.08.2011 von Alexander Freimark
Mit einer zentralen, eng mit den Fachbereichen verzahnten IT-Organisation und outgesourcten Standard-Services will der Energiekonzern EON die Effizienz seiner IT steigern. Entstanden ist das Modell einer pragmatisch ausgerichteten IT mit postmodernen Anklängen.

Alles ändert sich in der IT, nur die Sicht auf die Kosten nicht. Das Budget erscheint stets wie ein Berg: sehr steil und bedrohlich hoch. "Effizienter werden", lautete auch die Devise beim Energieversorger EON. Mit dem Ende 2008 gestarteten konzernweiten Effizienzsteigerungsprogramm "PerformToWin" sollen die jährlichen Ausgaben bis Ende 2012 über alle EON-Geschäftsbereiche hinweg um insgesamt 1,5 Milliarden Euro sinken, so die Vorgabe des Vorstands. Auch die IT muss ihr Scherflein dazu beitragen: "Also haben wir uns bereits 2009 entschieden, die IT zu zentralisieren und neu zu strukturieren", sagt Jörg Koletzki, Mitglied der Geschäftsführung der Tochtergesellschaft EON IT GmbH. Und erstmals in der Geschichte des Konzerns wurde ein großer Teil des IT-Betriebs ausgelagert.

Der Schritt zur externen Beschaffung von IT-Leistungen für Rechenzentrum, Arbeitsplätze und Communication/Collaboration schloss eine beachtliche Entwicklung ab, denn EON - und im Übrigen auch seine Wettbewerber aus dem Heimatmarkt - hatten den überwiegenden Teil ihrer IT bislang in Eigenregie betrieben. In diesem Zusammenhang bezeichnete Analyst Christophe Chalons vom Beratungsunternehmen Pierre Audoin Consultants (PAC) die deutschen Energiekonzerne auch als "bislang Outsourcing-avers". "Soweit mir bekannt ist, waren wir der erste große Energiekonzern, der in diesem Volumen ausgelagert hat", erinnert sich Koletzki.

Abkehr von individuellen IT-Modellen und funktionalen Konzerneinheiten

Jörg Koletzki, Geschäftsführer der Division Demand bei der EON IT GmbH
Foto: Joachim Wendler

Stattliche 2,8 Milliarden Euro lässt sich EON das Outsourcing weiter Teile seines IT-Betriebs bis 2018 kosten. Die wirklich interessanten Veränderungen betreffen jedoch die Strukturen des Konzerns: "Die strategischen Weichen wurden so gestellt, dass der Konzern stärker funktional sowie zentral gesteuert werden kann", erläutert IT-Manager Koletzki. Die IT wurde dann an die neuen Geschäftsstrukturen angepasst: Aus den mehr oder weniger individuellen IT-Modellen der Landesgesellschaften und funktionalen Konzerneinheiten wurde 2010 eine IT-Organisation aus einem Guss geformt.

Dies bedeutet allerdings auch die Abkehr von einem Modell, bei dem in jeder geschäftlichen Einheit eigene IT-Abteilungen die Anforderungen auf dem "kleinen Dienstweg" erfüllen. "Wir haben die Hoheit über alle IT-Themen und -Entscheidungen sowie über das gesamte IT-Budget zentral gebündelt", stellt Koletzki klar. Alle Einkäufe, Projekte und Programme, die Support-Leistungen sowie das Outsourcing-Paket werden über die IT gesteuert. Natürlich decke sich dieses Modell nicht immer mit den Vorstellungen der Fachbereiche, von denen einige lieber selbst über Investitionen bestimmen würden, räumt Koletzki ein: "Selbstverständlich arbeiten wir eng zusammen - allerdings muss das Business offenlegen, warum wie viel an welcher Stelle investiert werden soll."

Das Business fördern und fordern

In diesem Prozessschritt bietet sich die willkommene Gelegenheit, alle Anforderungen über die Demand-Organisation der EON-IT aufzunehmen (siehe Kasten: Die IT bei EON), sie mit dem bestehenden Portfolio abzugleichen und anschließend zu bewerten. Ziel sei eine konstruktive und zu einem gewissen Grad kritische Beratung der Anforderungen aus dem Business. "Ein Dienstleister macht dies in der Regel nicht", sagt Koletzki. "Dienstleister zeigen keine Alternativen auf, sondern erfüllen Forderungen des Kunden und stellen Rechnungen." Insofern sieht der Wirtschaftsingenieur die EON-IT nicht als internen Service-Provider, sondern als interne IT-Funktion, die das Business fördert, aber auch fordert: "Wenn das Modell des internen IT-Dienstleisters bislang modern war, sind wir jetzt in der Postmoderne angekommen."

Natürlich stellt auch die EON-IT Rechnungen. Kalkuliert wird traditionell nach der Cost-Plus-Methode, also anfallender Aufwand plus ein Betrag für den Overhead. "In Baseload-Agreements regeln wir den Bezug der IT-Basis-Services für jeden Fachbereich", berichtet Koletzki aus der Praxis - im Grunde genommen ist das Baseload-Agreement eine "Flatrate mit Spielraum". Die flexible Zone um den angemeldeten Bedarf sei nötig, um den administrativen Aufwand für Kontrolle und Billing möglichst gering zu halten. Der ermittelte Preis werde einmal pro Jahr überprüft und festgesetzt. "Wenn eine Geschäftseinheit stark wächst oder Teile veräußert, kontrolliert die Demand-Organisation, was sich verändert hat." Bei abrupten und sehr großen Veränderungen etwa durch Zukäufe geschieht dies auch unterjährig.

Abgerundet wird die Umlage der IT-Kosten durch das Projektgeschäft, das den Fachbereichen separat je nach Aufwand in Rechnung gestellt wird. Damit erteilt EON einem aktuellen Trend in der deutschen Konzern-IT eine Absage: die granulare Verrechnung von einzelnen IT-Services zu marktgerechten Preisen, quasi wie von einem externen Dienstleister am freien Markt eingekauft. "Haben Sie eine Vorstellung, welch enormen Verwaltungsaufwand das bedeutet?", fragt Koletzki. Wenn der Konzern die Effizienz steigern will, müsse sich auch die IT schlank aufstellen.

Differenzierung braucht die Nähe zum Geschäft

Dass die EON-IT im Jahr 2011 so gesehen wieder eher an eine traditionelle interne IT-Abteilung erinnert, findet Koletzki durchaus angebracht: "Schließlich müssen sie sich an den Prioritäten orientieren, die durch die Marktgegebenheiten gesetzt werden." Wenn Kosten keine Rolle spielen und die Individualität der Abteilungen wichtig ist, müsse die IT dezentralisiert aufgestellt sein und nach einzelnen Services abrechnen. "Angesichts der Forderungen unserer Stakeholder haben wir uns aber bewusst dafür entschieden, die IT zu zentralisieren und die Abrechnung auf Baseload-Agreements zu gründen, um das Kosten-Management zu verbessern."

Auch sonst gibt sich Koletzki pragmatisch. Ambitionen von IT-Organisationen, die über die Unterstützung des eigenen Geschäfts hinausgehen, erteilt er eine klare Absage: "Wir machen das, was wir am besten können, nämlich IT." Seiner Ansicht nach konzentriere sich ein moderner CIO auf IT-Themen, mit denen sich das Unternehmen im Markt differenzieren kann. "Keine Firma verdient einen Euro mehr, weil sie die beste Hauptbuchhaltung hat." Jedoch helfen etwa intelligente Strom- und Gaszähler beim Energiesparen, und Tools für die mobile Kommunikation und Kollaboration erlauben kürzere Reaktionszeiten. "Mit innovativer IT unterstützen wir den Konzern dabei, Wettbewerbsvorteile zu erzielen", sagt der IT-Manager.

Um den tatsächlichen Bedarf und die Möglichkeiten für eine Differenzierung zu erkennen, müsse jedoch die Nähe zum Geschäft gesucht werden. Koletzki, der seit sieben Jahren für EON arbeitet, war CIO der Sparte Energy Trading (Energiehandel) und dabei "nie ausschließlich mit PCs und Netzwerken betraut, sondern immer nah am Business dran". Seine Devise seit dieser Zeit: "Man muss verstehen, was die Mitarbeiter in den Fachabteilungen brauchen, welche Risiken bestehen und welche Geschäfte sie tätigen - nur dann kann ich ihnen glaubwürdig empfehlen, welche IT sie wie einsetzen sollten."

Applikationen genießen noch Bestandsschutz

Im Gegensatz zu Teilen der Infrastruktur genießen die Applikationen noch einen Bestandsschutz innerhalb des Unternehmens. Das Geschäft mit den Anwendungen unterscheide sich gravierend vom IT-Betrieb, argumentiert Koletzki: "In der Infrastruktur gibt es ein breiteres Angebotsspektrum, der Markt ist reifer, und die Outsourcing-Angebote sind realistischer." Hinzu komme, dass EON kein einheitliches Unternehmen im Sinne der Applikationen sei, sondern die Einheiten unterschiedliche Anforderungen aufweisen würden: Die IT des Bereichs Energiehandel ähnele einer Bank-IT, die Energieerzeugung sei ein klares Asset-Business, und das Endkundengeschäft beschreibt Koletzki als ein transaktionales Geschäft mit vielen Verträgen, Kunden und Rechnungen. "Dementsprechend müssen wir uns differenziert aufstellen, um diesen Anforderungen Genüge zu tun."

Für ein abschließendes Fazit der Umbaumaßnahmen und des Outsourcings ist es noch zu früh, seit dem Übergang zum 1. April 2011 sind nicht einmal sechs Monate vergangen. Zumindest die finanziellen Ziele scheinen jedoch gesichert: "Unsere IT-Kosten sind in den vergangenen beiden Jahren bereits erheblich gesunken", berichtet Koletzki, "und sollen auch in den kommenden Jahren weiter reduziert werden." Die Degression wurde vertraglich festgeschrieben.

"Ich bin der Überzeugung, dass der von uns eingeschlagene Weg letztlich unseren strategischen Weitblick bestätigt hat", bilanziert IT-Manager Koletzki. Schließlich sei die Entscheidung zum Teil weit vor den Ereignissen gefallen, die den Energiesektor dramatisch verändert hätten - etwa die regulatorischen und legislativen Eingriffe, die Finanzkrise, die Katastrophe in Japan und der Kostendruck als Folge dieser Ereignisse. "Wir haben uns strategisch sehr gut positioniert, und es würde mich nicht überraschen, wenn andere Unternehmen jetzt ähnliche Überlegungen anstellen." Vielleicht dient ja die postmoderne IT bei EON als Blaupause - schlank, pragmatisch und einfach nur auf das eigene Geschäft konzentriert.