Future ERP

Vom Monolithen zur Plattform

27.07.2018
Von 
Martin Bayer ist Chefredakteur von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO. Spezialgebiet Business-Software: Business Intelligence, Big Data, CRM, ECM und ERP.

Nur Cloud ist auch keine Lösung

Alles einfach in die Cloud zu verlagern ist für die SAP-Kunden keine Lösung. Ein SaaS-Produkt sei zwar schnell verfügbar und aktualisierbar, aber nur eingeschränkt auf individuelle Bedürfnisse anpassbar, warnt die DSAG. Nach wie vor scheint das Customizing-Bedürfnis also groß zu sein. Darüber hinaus gebe es aber sehr wohl Modelle, die auf eine Plattform als Basis für digitale Geschäftsmodelle setzten. Die Cloud sei dann die notwendige und richtige Technologie, um eigene Prozesse schnell und effizient entwickeln und nutzen zu können, um damit ein Differenzierungsmerkmal am Markt zu generieren, lautet das Credo der Anwendervertreter.

Bei der Digitalisierung würden Plattformen eine wichtige Rolle spielen, um das erforderliche Maß an Flexibilität zu ermöglichen. Für die Unternehmen bestehe die Kunst darin, sich für die richtigen Plattformen zu entscheiden. Dann ist SAP aus Sicht der eigenen Kunden aber nur noch ein Anbieter von mehreren, dessen Lösungen für die Prozessmodellierung mit anderen integriert werden müssen. Hier die beste Entscheidung zu treffen, sei für jedes Unternehmen aus Sicht der DSAG die große Herausforderung.

Diese Entscheidung zu treffen, fällt den ERP-Anwendern allerdings schwer. Zumal sich offenbar auch immer mehr Betriebe die Frage stellen, inwieweit das ERP-System in Zukunft überhaupt noch eine maßgebliche Rolle bei Innovationen und damit im digitalen Wandel spielen wird. Das wurde unter anderem deutlich im Rahmen einer von Arvato Systems beauftragten Studie von Pierre Audoin Consultants (PAC). Die Analysten haben über 100 deutsche SAP-Anwenderunternehmen mir mehr als 1000 Mitarbeitern über den aktuellen Stand ihrer Umstellung auf SAP S/4HANA befragt.

S/4HANA-Umstieg - Anwender schauen auf die Technik

Für viele dieser Kunden stehen demnach vor allem die technischen Möglichkeiten der neuen ERP-Generation aus dem Hause SAP im Vordergrund. Zwei Drittel der Befragten erhoffen sich von S/4HANA großen Nutzen durch die Beschleunigung von Prozessen und Datenanalysen einen. 57 Prozent verweisen unter dem Nutzenaspekt ganz allgemein auf eine Modernisierung ihrer SAP-Applikationen und -Infrastruktur. Dagegen rangieren die Unterstützung von neuen Geschäftsprozessen beziehungsweise neuer Geschäftsmodelle nur unter ferner liefen. Gerade einmal ein Drittel der Befragten gab an, SAPs neues ERP würde in dieser Hinsicht Vorteile bringen. Nur gut ein Drittel der Unternehmen erklärte, die eigene digitale Agenda sei ein sehr wichtiger (13 Prozent) beziehungsweise wichtiger (22 Prozent) Grund für den Umstieg auf S/4HANA.

Die Unterstützung neuer Geschäftsprozesse beziehungsweise Geschäftsmodelle spielt bei der S/4HANA-Umstellung offenbar keine große Rolle.
Die Unterstützung neuer Geschäftsprozesse beziehungsweise Geschäftsmodelle spielt bei der S/4HANA-Umstellung offenbar keine große Rolle.
Foto: PAC

So verwundert es auch nicht, dass das S/4HANA-Geschäft langsamer in die Gänge kommt, als sich SAP vorgestellt haben wird. noch nicht eingesetzt hat. Lediglich 32 Prozent der befragten Unternehmen befinden sich in einer Migration (neun Prozent) oder haben diese fest eingeplant (18 Prozent) beziehungsweise bereits vollzogen (fünf Prozent), lautet ein zentrales Ergebnis der PAC-Umfrage. Mehr als die Hälfte (54 Prozent) diskutiert derzeit über eine mögliche Einführung, für 14 Prozent ist SAPs neues ERP aktuell kein Thema.

Die Mehrheit der SAP-Anwender diskutiert derzeit noch über eine mögliche S/4HANA-Umstellung.
Die Mehrheit der SAP-Anwender diskutiert derzeit noch über eine mögliche S/4HANA-Umstellung.
Foto: PAC

Dabei ist den Verantwortlichen durchaus bewusst, dass es Handlungsbedarf gibt. In Bezug auf ihre SAP-Systeme bezeichneten über 60 Prozent der von PAC Befragten eine schnellere Umsetzung innovativer Geschäftsanforderungen sowie eine bessere Ausrichtung der SAP-gestützten Prozesse auf die eigenen Geschäftsanforderungen als große Herausforderung. Gleiches gilt für die Steigerung von Anpassbarkeit, Flexibilität und Benutzerfreundlichkeit.

Es gibt Handlungsbedarf in Sachen SAP-Systeme.
Es gibt Handlungsbedarf in Sachen SAP-Systeme.
Foto: PAC

Operation am offenen IT-Herzen

Trotz aller Herausforderungen und neuer Anforderungen ist die Trägheit in Sachen ERP-Umstellung groß. Das verwundert auch nicht. Schließlich geht es hier um eine Operation am offenen IT-Herzen. ERP-Systeme steuern schließlich die wichtigsten Prozesse in den Betrieben. Fehlentscheidungen mit daraus resultierenden Pannen und Ausfällen kann sich keine Firma leisten. Die Verantwortung liegt dann bei der IT. Deshalb fassen die Verantwortlichen das Thema Migration nur mit ganz spitzen Fingern an.

Dazu kommt, dass gerade im SAP-Umfeld mit dem Umstieg auf S/4HANA kein gewöhnliches Update ansteht, sondern die Migration auf eine komplett neue Produktgeneration. Mit der In-Memory-Datenbank HANA verändert sich die grundlegende Datenbanktechnik. Vielen SAP-Anwender arbeiten derzeit mit klassischen Datenbank-Managementsystemen (DBMS) beispielsweise von Oracle, Microsoft oder IBM. Der Wechsel der Datenbanktechnik führt dazu, dass Datenmodelle sowie Geschäftslogik entsprechend angepasst werden müssen. Darüber hinaus müssen sich die User mit der neuen Bedienoberfläche Fiori an ein anderes User Interface gewöhnen. Und zuletzt gilt es für die SAP-Anwender eine Entscheidung hinsichtlich des Betriebsmodells zu treffen. Zwar gibt es S/4HANA herkömmlich als On-Premise-Version. Der Hersteller favorisiert allerdings eine andere Variante. Die Weichen, die SAP schon vor einiger Zeit neu gestellt hat, führen ganz klar auf das Cloud-Gleis.

SAP S/4HANA-Umstieg in drei Schritten

Alles Dinge, die einem klassisch auf Kontinuität und Stabilität bedachten ERP-Anwender erst einmal Unbehagen bereiten. Daher setzen zwei Drittel der Unternehmen, die vorhaben, auf S/4HANA zu wechseln, auf einen Brownfield-Ansatz - das heißt eine Migration der bestehenden Systeme. Über einen harten Schnitt in Sachen SAP, also eine Neuimplementierung (Greenfield-Ansatz) denkt dagegen nur ein Drittel der Umsteigewilligen nach.

ERP-Migration - Aufwand lässt sich nur schwer abschätzen

Da passt es auch ins Bild, dass einige SAP-Kunden offenbar darauf spekulieren, dass ihr Softwarelieferant seine Wartungsfristen für die bestehenden Releases noch einmal verlängert - aktuell endet SAPs Wartungszusage im Jahr 2025. Laut der PAC-Umfrage setzen derzeit 85 Prozent der Befragten SAPs ERP Central Component (ECC) ein, 63 Prozent haben noch R/3 im Einsatz. Von den Unternehmen, für die S/4HANA aktuell noch kein Thema ist, erwartet jeder fünfte, dass SAP das Wartungsende über 2025 hinausschiebt. Übrigens: Vier von zehn Unternehmen, die sich gegen eine Migration entscheiden, sagen, dass sie keinen Mehrwert in S/4HANA sehen. Sieben Prozent wollen den ERP-Anbieter wechseln.

Insgesamt ist die Unsicherheit in den Reihen der SAP-Kunden nach wie vor groß, was den Umstieg auf S/4HANA betrifft. Zwei von drei Anwenderunternehmen können den Aufwand für die Migration noch nicht abschätzen. Mehr als 70 Prozent halten die Kosten für Softwarelizenzen und Hardware im Zuge der Einführung für zu hoch. Dazu kommt, dass die Mehrheit der Anwender S/4HANA offenbar immer noch zu wenig kennen, obwohl das System schon Anfang 2015 veröffentlicht wurde.

Mit ihrer Skepsis sind die Anwender nicht allein. Die Analysten von Panorama Consulting, einem US-amerikanischen Beratungs- und Marktforschungsunternehmen, beobachten seit Jahren wie ERP-Projekte verlaufen und haben dabei vor allem die großen Anbieter SAP, Oracle, Microsoft und Infor im Blick. In ihrem aktuellen Bericht "2018 ERP Report" legen die Marktbeobachter den Finger in die Wunde altbekannter ERP-Projektprobleme. Fast zwei Drittel aller ERP-Vorhaben überschreiten ihr Budget (2017: 74 Prozent), fast acht von zehn Projekten dauern länger als erwartet (2017: 59 Prozent). Ein Blick auf die Gründe macht deutlich, wie unerfahren die Anwenderunternehmen offensichtlich sind. Was im Grunde leicht zu erklären ist: Ein ERP-Projekt stemmen die Verantwortlichen schließlich nicht alle Jahre. Umso schwerer ist die ERP-Projektkalkulation. Neben technischen und organisatorischen Problemen sind vor allem unrealistische Einschätzungen im Vorfeld die Hauptursache für verfehlte Budget- und Zeitpläne.