Jade-Weser-Port vs. Hamburger Hafen

2 Häfen im Wettstreit

03.12.2012 von Holger Eriksdotter
Bisher laufen nur zwei Schiffe pro Woche den neuen Tiefwasserhafen in Wilhelmshaven an. Hamburg hat ganz andere Probleme: Die Umschlagsmenge lässt sich nur noch durch IT-Systeme erhöhen.
Sebastian Saxe CIO und Geschäftsführer, Hamburg Port Authority: "Es gilt, Prozesse zu vereinheitlichen und riesige Informationsmengen in Echtzeit zu managen."
Foto: Hamburg Port Authority

Der im September eröffnete Jade-Weser-Port in Wilhelmshaven wartet noch auf den Ansturm der Container-Riesen. Während der neue Hafen auf Wachstum ausgerichtet ist und über riesige Ausbaureserven verfügt, nähern sich die Straßen und Schienenwege im Hamburger Hafen ihrer Belastungsgrenze.

Und die Hamburger Hafenwirtschaft rechnet mit deutlichem Wachstum: Bis 2025 soll sich der Containerumschlag verdoppeln bis verdreifachen. "Die Infrastruktur im Hafen ist nicht beliebig erweiterbar. Ein größerer Güterumschlag ist nur durch verbesserte IT-Systeme zu erreichen", sagt Sebastian Saxe, CIO und Mitglied der Geschäftsleitung bei der Hafenverwaltung "Hamburg Port Authority" (HPA).

Er hat deswegen unter dem Titel "Change 3.0" eine ganze Reihe von IT-Projekten ins Leben gerufen. Neue IT-Systeme sollen die Kommunikation zwischen allen Verkehrsträgern und Unternehmen im und um den Hamburger Hafen verbessern, Verkehrsströme lenken und Umschlagszeiten verkürzen. "Der Hamburger Hafen ist ein sehr komplexes System. Von den Reedereien über Lotsen, Zoll und Umschlagsunternehmen bis hin zu Spediteuren, Eisenbahnverkehrsunternehmen und Binnenschiffern gilt es, Prozesse zu vereinheitlichen und riesige Informationsmengen in Echtzeit zu managen", sagt Saxe.

120 Container-Riesen

Wasserseitig ist die Kapazität des Hamburger Hafens noch längst nicht ausgeschöpft: Schon jetzt - und erst recht nach der geplanten Elbvertiefung - können große Mega-Carrier den Hamburger Hafen anlaufen, wenn auch im Gegensatz zu Wilhelmshaven tideabhängig und nicht voll beladen. 120 dieser Container-Riesen mit über 12.500 TEU (Twenty Foot Equivalent Unit = 20-Fuß-Standard-Container) haben im vergangenen Jahr im Hafen festgemacht.

Noch Ruhe im Jade-Weser-Port

Der Jade-Weser-Port Wilhelmshaven, Deutschlands erster tideunabhängiger Tiefwasserhafen, wurde im September 2012 nach 16 Jahren Planung und viereinhalb Jahren Bauzeit in Betrieb genommen. Eine Milliarde Euro haben Niedersachsen, Bremen und Hafenbetreiber Eurogate investiert.
Foto: Andreas Burmann

Erheblich ruhiger geht es noch in Wilhelmshaven zu: Bis jetzt legen wöchentlich nur zwei Liniendienste aus Fernost und Südamerika im Hafen an. Eurogate, Betreiber des Container-Terminals im Jade-Weser-Port, setzt auf zunehmenden Verkehr: „Reedereien planen ihre Schiffsrouten drei bis sechs Monate im Voraus. Unser Ziel ist es, dass im nächsten Jahr auch andere Reedereien den Hafen in ihre Routenplanung aufnehmen“, sagt eine Eurogate-Sprecherin.

Eurogate ist der größte reedereiunabhängige europäische Containerumschlagsbetrieb mit neun Container-Terminals in Europa und Nordafrika. Das Unternehmen ist in Norddeutschland auch in den Häfen Hamburg und Bremerhaven vertreten. Zwar verfügt das Eurogate-Terminal im Jade-Weser-Port sowohl über einen Gleisanschluss als auch über eine direkte Autobahnanbindung - beides bleibt bisher aber noch weitgehend ungenutzt. Denn praktisch der gesamte Containerumschlag wird bisher im "Transhipment-Verkehr" abgewickelt: Sogenannte Feederschiffe - das sind kleine Containerschiffe für den küstennahen Verkehr - sorgen für den An- und Abtransport der Container, vorwiegend in den Ostseeraum.

Auch in Hamburg trägt der Transhipment-Verkehr zum Gesamtumschlag bei, aber die Mehrzahl der Güter wird per Lkw und Bahn transportiert. Schwerpunkte der IT-Modernisierung in Hamburg waren deshalb ein neues System für die Hafenbahn sowie ein Verkehrsleitsystem für Lkw. Der Hafen der Elbmetropole gehört zu den größten deutschen Knotenpunkten des Bahnfrachtverkehrs: Jeder dritte Container erreicht oder verlässt das Hafengebiet mit der Bahn, jeder siebte Bahntransport in Deutschland beginnt oder endet im Hamburger Hafen.

Das alte IT-System HABIS (Hafenbahn Informationssystem) stieß nicht nur aufgrund seiner Softwarearchitektur und mangelnder Erweiterbarkeit an seine Grenzen. Es stammte noch aus den neunziger Jahren, als die deutsche Bahn das einzige Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU) im Hafen war. Heute sind es 99 EVU, die die rund 300 Gleiskilometer nutzen.

Verkehrsträgerübergreifende Synergien schaffen

Das seit August 2012 laufende neue Hafenbahnsystem ist jetzt als erstes Modul in eine sogenannte Business Process Engine integriert. Diese Integrationsplattform bildet den Dreh- und Angelpunkt der neuen IT-Landschaft. Sowohl weitere Module, die künftig im Rahmen des Modernisierungsprojekts Change 3.0 entwickelt werden, als auch andere Hafen- und Logistikbetriebe können so einfach an die IT-Infrastruktur angeschlossen werden. "Auf diese Weise wird die Grundlage dafür geschaffen, nicht nur den Bahnverkehr zu optimieren, sondern künftig auch verkehrsträgerübergreifend Synergien mit anderen Hafenbetrieben und Verkehrssystemen wie Schiff und Lkw zu erschließen", sagt HPA-CIO Saxe.

Hamburg: Mit dem Projekt "Change 3.0" modernisiert die HPA bis Ende 2013 die IT-Infrastruktur des Hafens.
Foto: Hamburg Hafen Marketing/Michael Lindner

Parallel dazu wurden Projekte zur Konsolidierung und Servervirtualisierung der Rechenzentren sowie die Integration und Modernisierung der bisher vier separaten Datennetze in ein Netz realisiert. Als nächste Vorhaben stehen ein verkehrsträgerübergreifender Leitstand sowie die Entwicklung von Apps für die Integration mobiler Endgeräte auf der Agenda. In dem Pilotprojekt "Smart Port Logistics" hat die HPA mit der Deutschen Telekom und SAP bereits eine Cloud-basierte Logistiklösung mit mobilen Apps getestet.

In einer dreimonatigen Testphase wurden 30 Lkws mit Tablet-PCs ausgerüstet und in das System eingebunden. Durch die damit verfügbaren Echtzeit-Verkehrsinformationen aus dem Port-Road-Managementsystem der HPA sowie Parkrauminformationen haben die Lkw-Fahrer aktuelle und personalisierte Benachrichtigungen zur Verkehrssituation im und um den Hafen erhalten. Gleichzeitig konnten die beteiligten Speditionen ihre Transportaufträge in Echtzeit verfolgen.

Hafenvergleich: Hamburg - Wilhelmshaven

Vergleich:

Hamburg

Wilhelmshaven

Fläche

4253 ha

290 ha

Wassertiefe

13 – 14,5 m
(tideabhängig)

18 m
(tideunabhängig)

Container-
umschlagskapazität

k.A., Umschlag in 2011
ca. 9 Mio. TEU

2,7 Mio. TEU,
nach Ausbau (bis 2020) 4,2 Mio. TEU

Container-Terminals

4

1

Ladebrücken

77 (gesamt)

4; 4 weitere geplant

Bahn/Gleisanlagen

289 km

ca. 11 km

Schiffsbewegungen

10.106, davon 5430
Containerschiffe

ca. 30 geplant
für Restjahr 2012

Hamburg: Das Modernisierungsprojekt "Change 3.0"

Projekt

"Change 3.0"

Projektziel

Das Projekt dient der Modernisierung der IT-Infrastruktur im Hamburger Hafen und besteht aus etwa 90 Einzelprojekten, die teilweise abgeschlossen, teilweise in der Konzeptions- oder Realisierungsphase sind.

Laufzeit

Begonnen Jahr/Monat, geplantes Ende 04/2009 – 12/2013

Gesamtkosten

Für alle Systeme ist insgesamt ein mittlerer zweistelliger Millionenbetrag investiert worden.

Gesamtaufwand

ca. 135.000 Personentage (extern und intern)

Software/Hardware-Partner

Microsoft, CISCO, ESRI, SAP, T-Systems,

Beteiligte Berater/Dienstleister

Lufthansa Systems, DAKOSY, Computacenter, Capgemini

Wichtige Einzelprojekte

Hafenbahnsystem

Kosten/Laufzeit

20 Millionen Euro /Juni 2009 - Dezember 2013

Dienstleister/Software

Lufthansa Systems, DAKOSY / SOA

Konsolidierung RZ

Kosten/Laufzeit

1,4 Mio Euro / August 2009 - Januar 2011

Dienstleister/Hardware/Software

FTS, CISCO

Integration Datennetze

Kosten/Laufzeit

1,5 Mio Euro / Juli 2009 - Dezember 2010

Dienstleister/Hardware/Software

CISCO, DAKOSY. Lufthansa Systems

Verkehrsinformationssystem

Kosten/Laufzeit

4,2 Mio Euro (finanziert aus dem BKP 2) / Juni/2010 – Juni/2011

Dienstleister/Hardware/Software

Swarco

Wilhelmshaven: Zurzeit laufen zwei Schiffe pro Woche ein. Container und Schiffe auf dem Foto sind simuliert.
Foto: JadeWeserPort Realisierungs GmbH & Co. KG

Ein weiteres Projekt ist das "Extranet of Things". Die Idee: Infrastrukturen werden künftig intelligent sein. So kann etwa eine Weiche melden, wie häufig sie gestellt oder wie häufig sie von welchen Gewichten befahren wurde. "Transportsysteme wie Schiffe können dann mit diesen 'intelligenten' Infrastrukturen kommunizieren", sagt CIO Saxe, "auf diese Weise erschließen wir weiteres Potenzial für Prozessoptimierungen."

Einen Vorgeschmack gibt das neue Verkehrsleitsystem, das im Sommer 2011 online gegangen ist und Staus und Wartezeiten reduzieren soll. Dafür wurden digitale Informationstafeln und 16 Quadratmeter große LED-Anzeigen im Hafen aufgestellt. Sie stellen die wichtigsten Hafenrouten dar und informieren über Staus und Brückensperrzeiten; Engpässe sind so schnell zu erkennen. 300 Messstellen im Hafen erfassen mit Induktionsschleifen und Bluetooth-Detektoren das Verkehrsaufkommen und liefern zusammen mit neu installierten Videokameras ein Bild der Verkehrslage.

Über die Glasfaserkabel des modernisierten Datennetzes gelangen die Daten in das Management Center, wo sie automatisch ausgewertet werden. Aufgrund dieser Informationen schalten die HPA-Mitarbeiter Informationstafeln und Ampeln im Hafenbereich. Künftig sollen auch Autohöfe und große Parkplätze an das System angeschlossen werden.

Das Projekt wirkt nur begrenzt - was wünschenswert wäre

Eurogate-CIO Wolfram Müller begrüßt die neuen IT-Systeme in Hamburg - bemängelt aber deren begrenzte Wirksamkeit: "Die Systeme greifen erst, wenn die Lkws schon im Hafen sind und Straßen und Terminals blockieren. Was wir eigentlich bräuchten, ist ein zentrales Steuerungssystem. Dafür müssten die Planungssysteme aller Prozessbeteiligten mit dem Verkehrsleitsystem im Hafen Hamburg integriert werden." Eine solche Steuerung könnte den Zu- und Ablauf der Container-Lkws erheblich effizienter machen - und ließe sich im Idealfall sogar auf alle norddeutschen Häfen erweitern.

Doch schon die Kooperation von Bremen und Niedersachsen beim Jade-Weser-Port ist angesichts der föderalen Strukturen in Deutschland eher die Ausnahme. Für ein bundesländerübergreifendes Logistiksystem für alle norddeutschen Häfen fehlen nicht nur eine Instanz, die ein solches Vorhaben planen und realisieren könnte, sondern wohl auch der politische Wille.

Jade-Weser-Post steht noch am Anfang

Im Gegensatz zum Hamburger Hafen nimmt sich die Infrastruktur im Jade-Weser-Port noch recht bescheiden aus. Während sich in Hamburg Hunderte von Lager- und Umschlagsbetrieben, Spediteuren und Verladern auf knappen Flächen konzentrieren, wartet die 160 Hektar große "Logistic Zone" in Wilhelmshaven noch darauf, dass sich die ersten Unternehmen ansiedeln.

Als IT-Grundversorgung bietet der Jade-Weser-Port allen am Hafenumschlag Beteiligten ein "Port Community System" an, das auch im Bremer Hafen Standard ist. Die vom Bremer Softwarehaus DBH-Logistik AG entwickelte Lösung enthält alle Funktionen für den Hafenumschlag und bildet die Informations- und Kommunikationsdrehscheibe zwischen Verladern, Spediteuren, Umschlagsbetrieben, Reedern und Zollbehörden. Im Hamburger Hafen bietet das Softwarehaus Dakosy, ebenso wie die DBH im Besitz der am Hafenbetrieb beteiligten Firmen, ein ähnliches System an.

Containerschiffe werden immer größer

Kapazitätsprobleme werden in Wilhelmshaven wohl auch auf längere Sicht ausbleiben. Mit einer Wassertiefe von 18 Metern könnte sich der Jade-Weser-Port als alternativer Hafen für Mega-Carrier etablieren. Auch die riesigen Containerschiffe der dänischen Maersk-Reederei, die der sogenannten "Emma-Maersk-Klasse" ihren Namen gegeben haben, können tideunabhängig und voll beladen den Hafen anlaufen.

Ohne Frage wird der Verkehr mit Container-Riesen zunehmen. Nach dem von der Unicredit herausgegebenen "6. Maritimen Report" hatten die Reedereien Ende vorigen Jahres 170 neue Schiffe mit mehr als 12.500 TEU bestellt. So hat Maersk bereits erste Schiffe mit 18.000 TEU in Auftrag gegeben.

Containern gehört die Zukunft

Angesichts jahrelang steigender Umschlagszahlen war der Jade-Weser-Port ursprünglich als Ergänzung zu den Häfen Hamburg und Bremerhaven geplant. Erst mit dem Beginn der Wirtschafts- und Finanzkrise hat sich das Wachstum beim Containerumschlag abgeschwächt. Eurogate-CIO Müller rechnet jedoch mit wieder steigenden Zahlen: "Es werden immer mehr Waren in Container verpackt. Zusammen mit der Globalisierung wird die Containerisierung langfristig für weltweites Wachstum beim Transportwesen sorgen."

In welchem Maße der neue Tiefwasserhafen zum Konkurrenten für Hamburg wird, hängt wohl auch davon ab, ob und wann die geplante Elbvertiefung stattfindet. Die Größe der Elbmetropole jedenfalls wird er auf absehbare Zeit nicht annähernd erreichen: Der Jade-Weser-Port ist auf einen jährlichen Umschlag von 2,7 Millionen TEU ausgelegt - im Hamburger Hafen gingen 2011 gut neun Millionen Container über die Kaimauern.

Die Unternehmenszahlen der HPA

Unternehmen

HPA (Hamburg Port Authority)

Unternehmensform

Die HPA ist eine Anstalt öffentlichen Rechts, die im Auftrag der Stadt Hamburg die Hafen-Infrastruktur verwaltet

Umsatz

k.A.

Anzahl Mitarbeiter

ca. 1900

Davon IT-Mitarbeiter

k.A.

CIO

Sebastian Saxe (seit ) 01/2009

Strategie-Barometer

HPA

Zentral – dezentral: (1= zentral, 5 vollkommen dezentral)

2

Standardisiert – best of breed:

2

Viel Outsourcing – wenig Outsourcing:

4

Die Unternehmenszahlen der Eurogate

Unternehmen

Eurogate

Unternehmen

Eurogate ist Europas größter reedereiunabhängiger Container-Umschlagsbetrieb und elf Containerterminals in Europa und Nordafrika.

Hauptsitz

Bremen

Vorstand/Geschäftsführung

Emanuel Schiffer/Thomas Eckelmann

Umsatz

657 Millionen Euro

Anzahl Mitarbeiter in Deutschland

4500

IT-Mitarbeiter in Deutschland

70

IT-Etat (jährlich)

k.A.

IT-Standards (Software/Branchen-Software)

SAP, Microsoft, Taxor, Lucanet, InforPM, Genesis World,Easy Archive, Easy Contract, WinEV, VoIP-CISCO, GOS, ConLoc G2, RefCon, …

CIO

Wolfram Müller (seit 2006)