Exklusiv-Umfrage zu Offshore-Outsourcing

Ab ins billige Ausland

02.02.2004 von Horst Ellermann
Jeder sechste CIO plant, IT-Aufgaben in Billiglohnländer zu verschieben. Osteuropäische Dienstleister bekommen bessere Noten als asiatische. Bedenkenträger sterben aus. Das sind Ergebnisse unserer Januar-Umfrage, an der 231 IT-Verantwortliche teilgenommen haben.

Philippe de Geyter mag Inder. Der CIO der Deutschen Leasing AG freut sich, dass sein Offshore-Partner Hexaware im Januar eine Niederlassung in Bad Homburg eröffnet hat. Das schafft die Nähe, die er für sein 35-Millionen-Euro-Projekt braucht. De Geyter hat seit August 2002 in Indien Software entwickeln lassen, die jetzt in die Testphase tritt. Die Zahl der indischen Mitarbeiter vor Ort wird dabei von 20 auf 70 wachsen. Der Einspareffekt und somit das eigentliche Motiv des Outsourcing-Deals leidet darunter zwar. "30 bis 35 Prozent sparen wir aber trotzdem", rechnet de Geyter, der somit sein Ziel erreicht hat. "Wer behauptet, dass man mit Offshore-Outsourcing 50 Prozent sparen könne, der lügt."

Einsparungen im Idealfall bis zu 40 Prozent

So bezeichnet Andreas Burau von der Metagroup denn auch eine überzogene Erwartungshaltung als das größte Risiko beim Outsourcing in Billiglohnländer: "Viele Unternehmen vergleichen die Kosten zwischen einer traditionellen und einer Offshore-Lösung auf der Basis reiner Personalkosten." Dabei sei etwa ein indischer Entwickler zwar um mehr als 40 Prozent billiger. In der Praxis ließen sich jedoch nur 15 bis 25 Prozent Einsparungen während des ersten Jahres realisieren, weil unter anderem erhöhte Reise- und Kommunikationskosten entstehen. "Ab dem dritten Jahr können die Einsparungen durchaus bis zu 40 Prozent betragen", meint Marktforscher Burau: "Aber erst, sobald die Unternehmen die Lernkurve heraufgestiegen sind und ihre Prozesse auf die Offshore-Modelle angepasst haben."

De Geyter hat seine Lernkurve durchlaufen. Vor sieben Jahren hat der Mann aus Belgien erstmals über ein Outsourcing-Projekt in Billiglohnländer entschieden. Damals hat er für die Citibank Deutschland die Entwicklung von Software nach Indien verschoben. Im September 2001 ging er zur Deutschen Leasing und begann kurze Zeit später, Projekte mit den indischen Dienstleistern Hexaware und Polaris auszuhandeln. "Sechs Monate brauchen Sie für die Verträge", sagt der CIO, der sich sowohl von eigenen Anwälten als auch durch externe Berater von Price Waterhouse Coopers helfen ließ. "Und Sie müssen auch ihre Organisation umbauen", fügt de Geyter hinzu: "Wenn man duschen will, muss man nass werden."

Das hält deutsche Unternehmen immer weniger davon ab, Offshore-Outsourcing als Alternative zu ortsansässigen Dienstleistern zu sehen. Wie wir in unserer Umfrage herausgefunden haben, schreiben bereits 15 Prozent der CIOs in Deutschland Offshore-Outsourcing explizit in ihre IT-Strategie - wenn sie denn eine haben (siehe Grafik auf Seite 60). Von den 231 Befragten, die auf www.cio.de ihre Antworten lieferten, mussten 33 bekennen, dass sie ihre Entscheidungen ohne eine festgeschriebene IT-Strategie treffen.

Die Aussage der verbleibenden 198 Antworten ist jedoch eindeutig: Neben den erklärten Offshore-Interessierten gibt es auch noch 52 Prozent Outsourcing-Befürworter, die sich nicht weiter über die Herkunft ihrer Zulieferer auslassen. De Geyter ist einer davon: "Wo der Dienstleister entwickelt, ist uns ziemlich egal - solange er gesetzliche Grundlagen befolgt. Außerdem müssen unsere moralischen Regeln eingehalten werden: Die Unternehmen müssen ihre Mitarbeiter anständig behandeln und bezahlen."

Ähnlich sieht das auch Alexander Röder, CIO beim Mobilfunkanbieter O2. Sourcing ist in seiner IT-Strategie festgehalten, Offshore gehört dazu, und Röder nutzt die-sen Ansatz intensiv. In jeweils einstelliger Millionenhöhe hat er Projektaufträge zur Softwareerstellung, -implementierung und -pflege an die indischen Dienstleister TCS und Wipro vergeben. Röder verlagert somit genau solche Aufgaben, die IT-Verantwortliche am häufigsten ins Ausland abschieben (siehe Grafik links Mitte). "Ich will hier die teuren externen IT-Fachkräfte rausbekommen", kommentiert er seine Sourcing-Strategie: "Nicht die internen!" Auch darin ähneln sich die beiden CIOs von O2 und der Deutschen Leasing: Bloß nicht Offshore als Alternative zu eigenen Mitarbeitern ins Spiel bringen. Schon in der Anforderungs- und Designphase würden die indischen Entwickler dann von den eigenen Leuten geschnitten, das Ergebnis wäre vorprogrammiert.

Nearshore reduziert Reisekosten

In noch einem dritten Punkt stimmen die beiden CIOs überein: "Ich glaube, dass der Zukunftsmarkt für Offshore in Indien liegt", sagt Röder und verweist auf die Kapazitäten des Subkontinents. 150 000 gut qualifizierte IT-Experten verlassen dort jährlich die Universitäten. "Ich glaube nicht, dass Nearshore Indien verdrängt", ergänzt de Geyter. Mit "Nearshore" bezeichnet er Länder, die weniger als drei Flugstunden von Deutschland entfernt liegen und somit immer noch dem europäischen Kulturkreis angehören. Reisekosten und Missverständnisse lassen sich innerhalb dieses Kreiese reduzieren. "Natürlich wägen wir auch diese Vorteile ab ", sagt der CIO der Deutschen Leasing, die selbst Tochterunternehmen in Russland, Polen und Tschechien unterhält. Im Augenblick baut de Geyter jedoch lieber auf projekt- und prozesserfahrene Inder.

Damit gehört er laut einer Metagroup-Studie von 2003 zur Mehrheit. Rund 80 Prozent der Offshore-Aufträge gehen demnach nach Indien. Das deckt sich jedoch nicht mit den Ergebnissen unserer Studie, bei der 26 von 57 IT-Verantwortlichen mit Offshore-Erfahrung bereits in osteuropäische Länder ausgelagert hatten. Zugegeben: Unsere Studie ist nicht repräsentativ, und aufgrund der geringen Fallzahl erreichen die Ergebnisse auch kein hohes Signifikanzniveau. Bemerkenswert ist jedoch, dass die 26 Teilnehmer überwiegend zufrieden mit ihren osteuropäischer Dienstleister sind - zufriedener als die 25 Teilnehmer mit indischen Dienstleistern.

Rainer Sieber liefert eine Erklärung, warum dies so sein könnte. Der Geschäftsführer der TCN Systemhaus GmbH aus Unna macht, was IBM Global Services, Accenture und andere große Anbieter seit langem betreiben: Er nutzt Offshore-Programmierer, wenn es mit der eigenen Entwicklungskapazität nicht ausreicht. "Eine Aufstockung des eigenen Teams ist häufig nicht sinnvoll und auch mit Risiken verbunden", sagt Sieber. "Eine Kooperation mit anderen deutschen Unternehmen ist teilweise schon aus Wettbewerbsgründen schwierig." Obwohl auch die Zusammenarbeit mit den Ausländern nicht einfach sei, teilt Sieber seine Arbeit deshalb lieber mit Indern, Russen und Koreanern als mit der Konkurrenz.

Russische Anbieter arbeiten selbständiger

Den Russen attestiert er dabei eine höhere Kompetenz in Fragen der Softwareentwicklung als den Indern. "Wenn ich zwischen Entwicklung und Programmierung unterscheide, dann sind die Russen einfach besser in der Entwicklung, weil sie eher in Modellen denken", meint Sieber. Das mathematische und computertechnische Hintergrundwissen sei bei beiden gleich gut. "Aber man muss beachten, dass man in Russland eher auf Entwickler trifft, die komplexe Aufgaben selbständig übernehmen, während die indischen Entwickler sich häufig auf die Lösung klar definierter Teilaufgaben beschränken." Aus diesem Grund hat Sieber sich gerade für eine Zusammenarbeit mit Spezialisten des russischen Anbieters Enterra entschieden.

De Geyter lässt hingegen nichts auf seine Inder kommen. Er verweist darauf, dass viele der dortigen Anbieter das Gütesiegel "CMM Level 5 (Capability Maturity Model) tragen. De Geyter sagt über das CMM-Niveau seines eigenen Unternehmens: "Wir haben es noch nie prüfen lassen, aber wir wären wohl auf Level eins oder zwei. Da können wir noch von den Indern lernen."