Der CIO in neuer Rolle

Agiler Pionier für Business und Innovation

07.08.2017 von Sanjiv Singh
Mit der Digitalisierung wird der CIO in eine neue Rolle gedrängt. Er muss sich vom IT-Manager zum Enabler und Impulsgeber für Innovationen in Sachen Geschäftsmodelle wandeln. Die IT soll agiler Innovationspartner der Fachbereiche werden. Aber wie gelingt das?
  • Ein moderner CIO wirkt proaktiv an der Geschäftsstrategie mit.
  • Der CIO muss beweisen, dass die interne IT Innovationen in puncto Kundenzentrierung und Geschäftsmodelle denken kann.
  • Der CIO muss die IT auf ihre Agilität und Innovationsfähigkeit überprüfen.

Die IT als agiler Innovationspartner soll nicht in erster Linie, vorgegebene Fachbereichsabläufe abbilden, sondern gemeinsam geschäftsnutzende, kundenzentrierte Innovationen erarbeiten. Die Vision einer solchen IT geht über unmittelbare Geschäftsziele hinaus, denn es gilt, neue Technologietrends zum Wettbewerbsvorteil des Unternehmens umzusetzen. Mit anderen Worten: Der CIO wirkt proaktiv an der Geschäftsstrategie mit.

Der CIO muss umdenken und sich als Enabler, Initiator und Koordinator für Innovationsvorhaben positionieren.
Foto: marvent - shutterstock.com

Aber wie sieht der erfolgversprechende "Migrationspfad" für den CIO aus? Abgesehen von personen- und unternehmensspezifischen Eigenheiten können allgemeine Grundsätze für eine erfolgreiche, strategische Veränderung abgeleitet werden. Hierzu lohnt es sich, ein, zwei Schritte zurückzutreten und den Bezugsrahmen weiter zu ziehen, um dann pragmatische Maßnahmen zu treffen. Dazu dient die folgende Illustration.

IT in der Pionierrolle
Foto: Sanjiv Singh

Die "Pionierrolle" erfordert ein höheres Alignment in Sachen Business-IT sowie mehr Innovationsfähigkeit als bisher. Doch damit kein Missverständnis entsteht, die Aufgaben der bisherigen Rolle müssen nach wie vor gemeistert werden. Aber der Fokus des CIO, über den er selbst wirkt und wahrgenommen wird, verschiebt sich.

Der erste Schritt (1) über die Koordinate "Innovation" zur Pionierrolle hat sich in den meisten Fällen als erfolgversprechend entpuppt. Versucht der CIO unvermittelt, größeren Einfluss auf die Unternehmensstrategie zu nehmen, schlägt ihm oft freundliche Reserviertheit entgegen. Wird doch die interne IT in vielen deutschen Unternehmen bestenfalls als "Umsetzer", als "Transformationsriemen" der Geschäftsprozesse betrachtet, ungeachtet von gegenteiligen Einzelfällen, die meist große Medienaufmerksamkeit erhalten. Der CIO muss zuallererst den Beweis erbringen, dass die interne IT Innovationen in puncto Kundenzentrierung und Geschäftsmodelle denken kann.

Folgender Aktionsplan soll als Anregung und Leitfaden dienen, den eigenen gewählten spezifischen Migrationspfad in die Pionierrolle zu überprüfen.

1. Besuchen Sie eine der in Deutschland rar gesäten, guten Konferenzen, das heißt einen Executive Workshop zum Thema Geschäftsmodellierung. Die Zielgruppe, zu der Sie gehören, wird gerne "Gamechanger" tituliert. Idealerweise nehmen Sie den CEO gleich mit.

2. Überprüfen Sie objektiv die digitalen Fähigkeiten Ihrer IT in den Ebenen: IT-Strategie, Technologie, Innovationsprozess, Cloud-Broker-Readiness sowie Personal und Kultur.

3. Erstellen Sie einen "Innovationsradar", in dem Sie (neue) Technologien hinsichtlich der Wirkung auf das Kerngeschäft Ihres Unternehmens bewerten.

4. Führen Sie einen neutralen, extern moderierten Innovations-Workshop mit den Fachbereichen durch, in dem die größten Chancen und Bedrohungen durch die Digitalisierung gemeinsam bewertet werden. Beginnen Sie mit dem Fachbereich, der die größte Kundennähe hat. Ergänzen Sie gemeinsam den "Innovationsradar".

5. Aktualisieren Sie, basierend auf den Ergebnissen aus Punkt 3, gemeinsam IT-Strategie und IT-Business-Alignment und leiten Sie für den CEO eine Roadmap in die Digitalisierung ab.

6. Erst jetzt ergibt sich aus 1. und 5. der Entwicklungsbedarf der IT-Organisation und können zielgerichtete Umbauten angestoßen werden.

Das klingt alles vielleicht trivial, aber die Praxis zeichnet ein anderes Bild. Bei den skizzierten Aktionen gibt es zudem typische Fettnäpfchen, in die gerne hineingetreten wird.

Überprüfen der digitalen Fähigkeiten der internen IT

Die Prüfung der digitalen Fähigkeiten wird ergeben, dass Sie überhaupt nicht oder nur mangelhaft ausgerüstet sind, um ein agiler Innovationspartner zu sein. Das ist aber kein Zeichen, dass in der Vergangenheit alles falsch gelaufen ist. Nur: Das Ziel, dass Sie sich nun gesetzt haben, ist ein anderes. Der Status quo muss also Ansporn sein, die Reise anzutreten. Machen Sie das der Mannschaft klar. Und: Achten Sie darauf, dass im Unternehmen das Ergebnis nicht fehlinterpretiert wird. Idealerweise verbleibt das Ergebnis beim CIO.

Neue Führungspraxis für die digitale Welt
Der Sportdirektor eines Vereins
Der Sportdirektor eines Vereins stellt den Kader zusammen und gestaltet die Spiel- und Terminpläne für Wettkämpfe und Trainings. Er instruiert Talentscouts, kauft Spieler ein und stellt Bewegungsfreiheit für erforderliche Transfers sicher. Sein Ziel: Menschen zu finden und zu binden, die die Weiterentwicklung des Unternehmens konstant antreiben. Er erweitert die Suchkriterien für die Rekrutierung, stellt Mitarbeiter mit verschiedensten Hintergründen ein und ermöglicht Familien- und altersgerechte Arbeitszeitmodelle.
Führung in der Digitalisierung
Die Studie "Die Haltung entscheidet. Neue Führungspraxis für die digitale Welt" stammt von LEAD (Mercator Capacity Building Center for Leadership & Advocacy) in Kooperation mit der Unternehmensberatung Company Companions sowie der School of Public Policy (Central European University, Budapest) und dem Center for Leadership and Values in Society (Universität St. Gallen). Die Autoren empfehlen acht Rollen als Orientierungshilfen.
Die Landschaftsgärtnerin
Die Landschaftsgärtnerin gestaltet und pflegt Grünanlagen. Sie versteht das gesamte Ökosystem und weiß, wann welche Pflanzen im Jahreszeitenwechsel an welcher Stelle ihre Wirkung entfalten und wie alles zusammenspielt. Ihr Ziel: Das Unternehmen langfristig auf zustellen, wenn Krise und Veränderung zum Normalfall geworden sind. Sie ermöglicht schnelles „Prototyping“, geht unkonventionelle Partnerschaften ein und bricht Silos mittels heterogener, cross-funktionaler Teams auf.
Die Seismologin
Die Seismologin muss wissen, wo die Erde beben könnte. Dafür analysiert sie Daten, registriert feinste Erschütterungen und erkennt Spannungen frühzeitig. Sie erliegt aber nicht der Illusion, die Zukunft genau vorhersagen zu können. Ihr Ziel: Grundlagen für gute Entscheidungen in einer unübersichtlichen Welt zu schaffen. Sie etabliert „Situation Rooms“ zur Entwicklung von Handlungsstrategien, greift über digitale Plattformen auf verborgenes Wissen zu und schult ihre Intuition als zusätzliche "Datenquelle".
Der Zen-Schüler
Der Zen-Schüler ist in Ausbildung und Vorbereitung. Er lernt, reflektiert und prüft sich selbst. Achtsamkeit, Mitgefühl und Offenheit sind seine Tugenden, er pflegt eine disziplinierte (spirituelle) Praxis. Sein Ziel: Das finden, woran er sich festhalten kann, wenn sich alle an ihm festhalten. Er nutzt Coaching- und Mentoring-Programme, schafft physische Räume für den Ausgleich und richtet den Blick nach innen.
Der DJ
Der Discjockey bringt mit seiner Musik die Menschen zum Tanzen. Er setzt einen Rahmen, der motiviert, anregt und gemeinsame Energie erzeugt. Zugleich hat er ein offenes Ohr für Anregungen und sensible Antennen für das richtige Stück im richtigen Moment. Sein Ziel: Eine Kultur der Zugewandtheit zu schaffen – aber mit dem Fokus auf Ergebnisorientierung. Dafür baut er Empathie als Führungskompetenz auf, schafft Räume, in denen Menschen gerne arbeiten, und agiert als Vorbild für Zugewandtheit und Leistungsorientierung.
Die Intendantin eines Theaters
Die Intendantin eines Theaters wählt die Stücke für die Aufführung aus. Sie entwickelt den roten Faden und prägt die gesellschaftliche Wirkungskraft ihres Hauses. Die Künstler und deren Expertise bindet sie dabei ein. Ihr Ziel: in Zeiten großer Unsicherheit und Unplanbarkeit Orientierung zu geben. Über ein „Strategy Board“ schafft sie die Voraussetzung für Richtungsentscheidungen schaffen, erhöht mittels interaktiver Beteiligungsformen die Einigkeit über die Richtung – und hat den Mut zu klaren Ansage in der Krise.
Die Trainerin
Die Trainerin leitet eine Mannschaft taktisch, technisch und konditionell an. Sie bestimmt Trainingsablauf, Mannschaftsaufstellung und Strategie. Sie muss für Misserfolge geradestehen, Erfolge lässt sie ihrem Team. Ihr Ziel: Die Mitarbeiter zu mehr Verantwortungsübernahme zu befähigen. Dafür entwickelt sie über zeitgemäße Lernformate Kompetenzen entwickeln, baut gegenseitiges Vertrauen auf und führt Anreize zur Übernahme von Verantwortung ein.
Der Blogger
Der Blogger kommentiert Geschehnisse – zugespitzt, aufrüttelnd und meist aus einer persönlichen Sichtweise. Er will die Welt verstehen, erklären und übersetzen. Er lebt vom direkten Feedback der Leser. Sein Ziel: Veränderungsbereitschaft in die DNA des Unternehmens zu schreiben. Er kaskadiert die Geschichte der Veränderung in die Firma, moderiert gemeinsame Lernprozesse und gibt sichtbare Veränderungsanstöße.

Erstellen eines Innovationsradars

Das Erstellen des Innovationsradars wird fast immer unterschätzt. Hier müssen Sie jedoch unbedingt punkten. Oft wird dabei aber der Fehler gemacht, nur aus der Perspektive der IT zu denken. Wird diese einseitige Sichtweise erst einmal präsentiert, bewirkt sie das genaue Gegenteil. Das häufige Vorurteil der Leitung in den Fachbereichen, Ihre Einheit könne nur IT denken, wird nämlich bestätigt. Stecken Sie hier also unbedingt Aufwand und externes Expertenwissen rein. Achten Sie darauf, dass nicht nur Studien oder Binsenweisheiten zitiert werden. Jede Innovation im Innovationsradar muss hinsichtlich des Kerngeschäft Ihres Unternehmens bewertet sein. Marktpotenzial, Realisierungskomplexität und Marktreife sind mindestens zu erheben. Schauen Sie sich den Wettbewerb an.

Innovationsworkshop planen

Stimmen Sie den Innovationsworkshop detailliert mit dem CEO und den Fachbereichsleitern ab und nehmen Sie deren Ideen und Innovationen vorab auf. Wichtig auch: Wählen Sie sowohl eine Methode als auch einen Moderator aus, die von beiden Seiten akzeptiert werden. Man sollte ferner durchblicken lassen, dass der Workshop einen experimentellen Charakter hat, auch wenn er gut geplant ist. Dies rückt die Erwartungshaltungen zurecht.

Die gedankliche Beweglichkeit der Teilnehmer bei Ad-hoc- "Innovationstreffen" ist oft gering. Das liegt im Wesentlichen an zwei Dingen:

• Markteintrittsbarrieren werden oft maßlos überschätzt, weil man sich und sein Geschäftsmodell in trügerischer Sicherheit wähnt.

• Es wird keine verbindliche Ressourcenallokation mit dem Innovationsprozess verbunden. Ideen werden zwar intern belohnt und gegebenenfalls medial vermarktet, es existiert hierfür aber kein zugesagtes Innovationsbudget.

Markteintrittsbarrieren müssen deshalb radikal und strukturiert in Frage gestellt werden. Jeder technologische bewertete Innovationsvorschlag sollte am Ende an die Fachbereiche versteigert werden. Nur erfolgreich versteigerte Vorschläge werden pilotiert. Der Fachbereich übernimmt die Patenschaft und besorgt dasBudget.

Klare Position als Enabler beziehen

Das alles klingt nach Aufwand und Tätigkeiten, die von der IT in traditionellen Unternehmen auch aus Kapazitätsgründen nicht in dem Umfang geliefert werden können. Ziel ist aber, dass sich der CIO als Enabler, Initiator und Koordinator für Innovationsvorhaben positioniert. Um dieses Vorhaben zu realisieren sowie einen Fehlstart in die Pionierrolle zu vermeiden, empfiehlt es sich, gezielt externe Berater zu engagieren. Der zusätzliche Aufwand sollte sich lohnen, denn eine Strategie der kleinen Schritte funktioniert in diesem Fall ausnahmsweise nicht. Sie müssen bereits mit dem initialen Schritt die Veränderung deutlich glaubhaft machen. Und das erforderliche Budget ist im Vergleich zu vertrauten Technologiebudgets verschwindend klein. Die positive Hebelwirkung ist für das Unternehmen dafür umso größer.