Kultur muss passen

Agiles Projektmanagement kein Allheilmittel

29.11.2023 von Katja von Bergen
Nicht immer ist agiles Projektmanagement die beste Methode. Strukturen, Führung und Kultur des Unternehmens müssen dazu passen. Daran sollten Unternehmen dringend arbeiten.
  • Wegen des hohen Veränderungsdrucks sollten Unternehmen beginnen, ihre Organisation und Kultur drastisch zu verändern
  • Statt in einer Linienorganisation sollten Mitarbeiter in Kreisen zusammenarbeiten. Damit sind sie nicht mehr Abteilung zugeordnet
  • Führungskräfte entwickeln sich zu "Servant Leaders" und "Change Agents". Ihre Aufgaben ändern sich

Heute werden fast alle Innovationen in Unternehmen in oft bereichs- und teils sogar unternehmensübergreifender Projektarbeit erbracht. Deshalb überrascht es nicht, dass die Unternehmen, wenn es um das Erhöhen ihrer Innovations- und Reaktionsgeschwindigkeit geht, zunächst ihre Projektarbeit auf den Prüfstand stellen und sich fragen: Wie können wir diese effektivieren?

Die Funktion von Führung verschiebe sich in Richtung eines "Servant Leaders" und "Change Agents", sagt Katja von Bergen, Beraterin bei Dr. Kraus & Partner in Bruchsal. Deren Hauptfunktion bestehe darin, die Rahmenbedingungen zu schaffen, damit die Kreise in der Organisation und die Mitarbeiter in den Kreisen ihre Funktion erfüllen.
Foto: Kraus & Partner

Auch aus folgendem Grund: Wegen der immer vernetzteren Strukturen in den Unternehmen sowie der gestiegenen Kundenerwartungen werden ihre (IT-)Projekte stets komplexer. Und sie werden noch komplexer werden, wenn Realität wird, was aktuell als Industrie 4.0 diskutiert wird. Spätestens dann werden die Fragen

für die Unternehmen erfolgsentscheidende Zukunftsfragen.

Projektmanagement neu denken

Diskutiert werden besagte Fragen aktuell meist unter dem Stichwort "Agiles Projektmanagement". Bei dieser Diskussion geht es nicht nur darum, wie Unternehmen mit anderen Verfahrensmodellen wie Scrum, Kanban und Extreme Programming zum Beispiel ihre Software-Entwicklung effektiver gestalten können, sondern auch darum: Inwieweit kann mit einem neuen Denkansatz das Projektmanagement insgesamt auf ein neues Fundament gestellt werden?

Dabei deutet das Adjektiv "agil" bereits an, was das primäre Ziel des Agilen Projektmanagements ist: Neben der Planung soll auch die Steuerung der Projekte so dynamisch und flexibel wie möglich erfolgen, damit

Agiles Projektmanagement ist weder gut noch schlecht

Inzwischen haben einige Unternehmen Erfahrung mit dem Agilen Projektmanagement gesammelt. Diese lassen sich wie folgt zusammenfassen: Das Agile Projektmanagement ist weder per se gut noch schlecht. Es ist häufig ein sinnvolles Vorgehensmodell - zum Beispiel,

Keinesfalls sollte das Agile Projektmanagement jedoch zu einer heiligen Kuh oder einem Allheilmittel erklärt werden, denn der Erfolg dieses Projektmanagement-Ansatzes hängt unter anderem davon ab:

Statt in einer Linienorganisation sollten Mitarbeiter in Kreisen zusammenarbeiten. Damit sind sie nicht mehr Abteilung zugeordnet.
Foto: Kraus & Partner

Speziell die Bedeutung der letztgenannten Frage wurde den Unternehmen in den vergangenen ein, zwei Jahren zunehmend bewusst. Denn komplexe Change- und Innovationsprojekte finden nie auf der grünen Wiese statt. Sie sind vielmehr in einen gewachsenen organisationalen Rahmen eingebettet, der durch gewisse Denk- und Verhaltensmuster, also eine bestimmte Kultur geprägt ist. Und mit diesem stehen die Projekte in einem interdependenten Verhältnis.

Das heißt: Die (Unternehmens-)Kultur wirkt auf die Projekte zurück. Deshalb kann sich das Agile Projektmanagement seine Vorzüge in Unternehmen nur voll entfalten, wenn zugleich im Projektumfeld ein entsprechender Lern- und Veränderungsprozess erfolgt.

Die Erfahrungen mit agilem Projektmanagement

Vor diesem Hintergrund und aufgrund des Innovations- und Veränderungsdrucks, der in ihnen besteht, stellen sich gerade Unternehmen, die schon Erfahrung mit dem Agilen Projektmanagement gesammelt haben, zunehmend die Frage:

Sie fragen sich zudem: Inwieweit lassen sich die Prinzipien des Agilen Projektmanagements auf das Managen von Unternehmen übertragen? Auf dem Prüfstand stehen in diesem Kontext unter anderem

der jeweiligen Organisation.

Integriertes Projekt-Management laut GPM und DGQ
Zoff in Projekten
Stress in Projekten wollen GPM (Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement) und DGQ (Deutsche Gesellschaft für Qualität) mit einem Leitfaden vermeiden. Ein gelungenes Projekt ist für sie wie ein Boxenstopp in der Formel 1. Auf den folgenden Seiten finden Sie Indikatoren, die Ihnen anzeigen, ob Ihr Projekt die Qualität eines Boxenstopps hat.
Zusammenspiel
Beim Boxenstopp hängt die Qualität des Ergebnisses vom perfekten Zusammenspiel von Spezialisten unterschiedlicher Abteilungen ab - in unserem Unternehmen ist die Zusammenarbeit von Projekt, Linie und QM reibungsfrei.
Zeitvorgaben
Die Zeit, die für den Boxenstopp zur Verfügung steht, ist begrenzt - in unserem Unternehmen gibt es für alle Projekte klare Zeitvorgaben, die eine möglichst schnelle Abwicklung verfolgen.
Geschwindigkeit
Die Geschwindigkeit, mit der der Boxenstopp erfolgt, kann den Ausgang des Rennens massiv beeinflussen - in unserem Unternehmen ist allen Beteiligten klar, welche Bedeutung für den Erfolg der ganzen Organisation eine möglichst konsequente Projektbearbeitung hat.
Hierarchie
Es gibt eine klare Hierarchie, die nicht angezweifelt wird - in unserem Unternehmen sind die Verantwortungen in Projekten auch gegenüber QM und Linie eindeutig geklärt.
Aufgaben
Jeder Beteiligte kennt genau seine Aufgabe - in unserem Unternehmen gibt es in Projekten klare Rollendefinitionen.
Ziel
Das gemeinsame Ziel ist (normalerweise) auch klar und unbestritten: Gemeinsame bestmögliche Erledigung der Aufgabe - in unserem Unternehmen ziehen Projekt, Linie und QM an einem Strang.

Linien-Organisation dominiert noch

Die meisten Unternehmen verfügen heute - selbst wenn in ihnen die meisten Leistungen bereits in bereichs- und hierachieübergreifender Team- und Projektarbeit erbracht werden - noch über eine Linienorganisation. Das heißt, jeder Mitarbeiter ist genau einer Abteilung zugeordnet, die jeweils einen Leiter hat. Und die Leiter der Abteilungen koordinieren die Arbeit der Abteilungen. Das führt im Unternehmensalltag oft dazu, dass

Mitarbeiter nicht mehr einer Abteilung zugeordnet

Deshalb fragen sich manche Unternehmen: Wäre es nicht zielführender zumindest in unseren Kernbereichen, die Arbeit anders zu strukturieren - beispielsweise in Kreisen? Das heißt: Die einzelnen Mitarbeiter sind nicht jeweils einer Abteilung zugeordnet. Sie arbeiten stattdessen abhängig von ihrer Funktion in der Organisation in mehreren Kreisen mit,

Diese Kreise verfügen über alle Entscheidungsbefugnisse, die sie zum Erfüllen ihrer Aufgaben brauchen, wobei die relevanten Entscheidungen jeweils im Team getroffen werden. Hierzu zählt auch die Entscheidung, ob ein Kreis (zeitlich befristet) eine Führung oder Leitung benötigt - und wer diese Funktion übernimmt.

Abteilungsgrenzen existieren nicht mehr

Zwischen den Kreisen gibt es in der alltäglichen Zusammenarbeit bedarfsabhängig einen regen Informationsaustausch. Er ist unter anderem dadurch garantiert, dass

Außerdem entsenden die einzelnen Kreise, wenn eine enge Kooperation und Kommunikation für das Erreichen der Ziele nötig ist, Vertreter in andere Kreise. Das heißt, die Kreise koordinieren ihre Zusammenarbeit selbst.

Drei erhoffte Ziele der neuen Organisation

Durch eine solche Organisation zumindest der Bereiche, in denen aufgrund der Komplexität der Aufgaben eine sehr dynamische Zusammenarbeit und ein reger Informationsaustausch nötig sind, erhoffen sich die Unternehmen dreierlei:

Führungskräfte werden "Servant Leaders" und "Change Agents"

In einem solchen, sich weitgehend selbst steuernden System verändert sich der Charakter von Führung. Die Funktion von Führung verschiebt sich weitgehend in Richtung eines "Servant Leaders" und "Change Agents". Das heißt, ihre Hauptfunktion besteht darin, die Rahmenbedingungen zu schaffen, damit die Kreise in der Organisation und die Mitarbeiter in den Kreisen ihre Funktion erfüllen können und ihnen die hierfür nötige Unterstützung zu gewähren.

Außerdem zählt es zu ihren Kernaufgaben, den Kreisen die Vision und Strategie zu vermitteln, so dass diese ihre Arbeit hieran orientieren können. Zudem muss Führung den Mitarbeitern und Kreisen die agilen Werte vorleben und die angestrebte Veränderung im Unternehmen vorantreiben.

Inzwischen wird das Agile Management in einer Reihe von Unternehmen (oder Teilbereichen von ihnen) praktiziert und dabei zeigt sich immer wieder: Diese Form der Organisation setzt außer gewissen Kompetenzen bei den Mitarbeitern auch eine bestimmte Kultur voraus.

Hohe Veränderungsbereitschaft der Mitarbeiter erforderlich

Die Mitarbeiter müssen zum Beispiel über eine hohe Veränderungsbereitschaft verfügen und, weil eine langfristige Planung nicht existiert, mit Unsicherheit umgehen können; außerdem muss ihre Teamfähigkeit sehr ausgeprägt sein. Wichtig ist auch aufgrund der flachen Hierarchie, dass für die Mitarbeiter Karriere primär persönliche Entwicklung und (Mit-)Verantwortung für bedeutsame Aufgaben/Projekte bedeutet und sich nicht an Titeln festmacht.

Außerdem erfordert das Agile Management eine von Vertrauen geprägte Unternehmenskultur, die den Kreisen und Mitarbeitern die nötigen Entscheidungs- und Handlungsspielräume zugesteht, um die eigene Arbeit selbst zu organisieren und selbst zu entscheiden, wie das übergeordnete Ziel erreicht wird.

Gelingt nicht von heute auf morgen

Ein solcher Mind-Set bei den Mitarbeitern und eine solche Kultur in der Organisation entwickeln sich nicht von heute auf morgen. Sie sind das Ergebnis einer längerfristigen Kulturarbeit (beziehungsweise Unternehmensentwicklung), die von dem Credo getragen wird: Wir wollen beziehungsweise müssen dieses Ziel erreichen, wenn wir auch künftig zu den Top-Performern in unserem Markt zählen möchten.

Sofern ein Unternehmen über die hierfür nötige Ausdauer verfügt, lohnt sich ein solches Engagement jedoch - unter anderem, weil dann in der Organisation der Innovations- und Unternehmergeist entsteht, der zu Spitzen-Leistungen führt.