Neue Preis- und Vertragsmodelle

Anbieter gehen auf CIOs zu

06.09.2004 von Rolf Roewekamp
Die starke Verhandlungsposition der CIOs, Open Source und neue Technologien zwingen Anbieter zu flexibleren Preis- und Vertragsmodellen wie Abrechnung nach Geschäftserfolg oder Verbrauch. Erste Preismodelle für Grid-Computing erwarten Anbieter für das kommende Jahr.

Die Verhandlungen standen auf Messers Schneide. Ende 2001 startete Erich Weyrauther die Gespräche mit IBM über das zentrale Hosting der rund 100 Unternehmens-Websites: Länder- und SpezialSites, interne Einkaufsplattformen und Online-Shops. Der Leiter Weltweites Web-Hosting im Mannheimer Werk des Baseler Herstellers von Medizindiagnosegeräten Roche Diagnostics (18 000 Mitarbeiter, fünf Milliarden Euro Umsatz 2003) wollte nicht für jeden Bereich separate Servicestunden für Änderungswünsche und Updates zahlen. Im letzten Moment kreierte IBM ein neues Angebot, das den Deal letztlich rettete: Jetzt gibt es ein globales Servicekontingent, das Roche nach Bedarf auf alle Bereiche verteilen kann. Erst wenn das Kontingent ausgeschöpft ist, muss Roche für weitere Stunden zahlen. "Ohne die bis dahin einmalige Idee, Arbeitsstunden flexibel zu verteilen, wären die Verhandlungen gescheitert", sagt Weyrauther.

Das Hosting-Projekt von Roche Diagnostics zeigt, wie sich der Anbietermarkt zum Käufermarkt gedreht hat. CIOs sitzen am längeren Hebel: Sie verlangen mehr Dienstleistungen für das gleiche Geld, fordern Preissenkungen und flexiblere Modelle.

CIOs bleiben am längeren Hebel

Das war nicht immer so, weshalb zurzeit noch traditionelle Preismodelle vorherrschen, die sich meist nach Prozessor, Gigabyte, Server und Anwender berechnen und sich durch hohe Anfangsinvestitionen sowie Jahresgebühren für Wartung auszeichnen. Drei Trends brechen jedoch nach der Studie "The Future of Software Pricing" von Analyst Nicholas Wilkoff des US-Marktforschungsunternehmens Forrester diese Modelle immer stärker auf:

- Anwender erhalten 2004 laut einer US-Studie von Forrester Preisnachlässe bis zu 30 Prozent. Selbst wenn die Konjunktur wieder anzieht, wird die Macht der Anwender weiter groß bleiben.

- Immer mehr CIOs wollen mit Open-Source-Software ihre Kosten senken.

- Neue Techniken wie Virtualisierung führen zu neuen verbrauchsabhängigen Preismodellen.

- Nur mit neuen Angeboten werden Anbieter im Wettbewerb bestehen.

Softwareanbieter Oracle änderte im Frühjahr die Preise leicht und offeriert seitdem Paketlösungen. Bot Oracle bislang nur unbefristete Verträge an, so können CIOs jetzt zwischen verschiedenen Abo-Modellen mit befristeten Laufzeiten über beispielsweise ein, zwei oder fünf Jahre wählen. Außerdem erstellte Oracle für die neueste für Grid-Computing konzipierte Datenbank 10g unterschiedliche Pakete. Oracle legte der Enterprise Edition die Cluster- und Storage-Software umsonst bei, gab bei der Standardversion auch noch die Real-Application-Software dazu und senkte bei der Standard-Edition One den Preis. Von seinem grundsätzlichen Preismodell weicht Oracle allerdings nicht ab: Entweder zahlen Kunden nach der Zahl der Prozessoren (CPUs) bei der E-Business Suite oder nach registrierten Nutzern bei Datenbanken.


Eine weiter reichende Wende hat der Systemhersteller Sun im April vollzogen. "Bislang waren unsere Angebote produktorientiert, jetzt richten wir uns nach Lösungen aus", sagt Marcel Schneider, seit Juli neuer Deutschland-Chef von Sun. Auch wollten CIOs in Verträgen nicht mehr Kosten für Hardware und Software festlegen, sondern Preise für definierte Gesamtlösungen und Services. Außerdem sieht er den Wunsch, geschäftsprozessunabhängig abzurechnen. "Leistungen wie Storage-on-Demand eignen sich sehr gut für verbrauchsabhängige Zahlung. Bei einem sich ändernden wirtschaftlichen Umfeld wollen CIOs lieber mit festen Preisen, wie etwa pro Mitarbeiter und Jahr, Planungssicherheit haben, die auf der Geschäftsentwicklung basiert."

Laut Forrester wollen CIOs IT-Leistungen viel stärker verbrauchsabhängig zahlen (siehe Grafik). So führte Siemens Business Services (SBS) Ende vergangenen Jahres bei der Dresdner Bank ein Pay-per-Page-Modell ein. Beim Output-Management-Outsourcing (14 000 Drucker, Kopierer, Fax- und Multifunktionsgeräte) zahlt die Dresdner nur pro gedruckter, gefaxter und kopierter Seite. "Wenn die Dresdner in einem Monat kein Blatt verbraucht, dann muss sie auch nichts bezahlen", sagt Neil Allpress, Leiter IT-Infrastruktur Services bei SBS. Weil das unwahrscheinlich ist, geht SBS ein kalkulierbares Risiko ein. Außerdem besitzt SBS mit Wartungsverträgen als Sockelbetrag eine weitere Sicherheit gegen Verbrauchsschwankungen.

Dienstleister wollen Investitionssicherheit

Der Gesamtpreis wird sich bei verbrauchsabhängigen Modellen grundsätzlich immer aus einem variablen Anteil und einem Sockelbetrag zusammensetzen. In welchem Verhältnis die beiden Anteile zueinander stehen, hängt vom jeweiligen Kunden ab. Schwankender Verbrauch und schwankende Zahlungsbeträge stellen allerdings sowohl für CIOs als auch für IT-Dienstleister weniger Planungssicherheit und ein Risiko dar. "Ein voll flexibles Modell ohne Grundbetrag wird es wohl nicht geben, weil wir Dienstleister ein gewisses Maß an Sicherheit für unsere Investitionen brauchen", sagt Gerald Münzl, Leiter Marketing Strategic Sourcing bei IBM.

Selbst wenn IT-Dienstleister flexible Modelle gefunden haben, ist es nicht sicher, dass Anwender sie akzeptieren. Im Auftrag von IBM hat Oliver Günther, Professor für Wirtschaftsinformatik an der Berliner Humboldt-Universität, in einer Studie getestet, wie Anwender auf Preismodelle gebündelter Web-Services reagieren. Netzbasierte Dienste sind ein Teil künftiger On-Demand-Modelle. Über 80 Prozent der Teilnehmer wollten für Paketangebote nicht mehr zahlen als für die Summe der Einzelkomponenten. Deshalb rät Günther Web-Service-Anbietern, Baukastensysteme und flexible Preismodelle wie verbrauchsabhängige Tarife zu kreieren. "Der Erfolg neuer Preismodelle hängt auch stark vom Marketing des Anbieters ab", so Günther.

Vor dem Marketing für Modelle, die sich flexibel aus einem Pool weltweit vernetzter Rechenressourcen speisen, muss IBM zunächst eine Rahmen-Infrastruktur dafür bereitstellen. Dazu baut IBM zurzeit weltweit viele Rechenzentren zu On-Demand-Centern (ODC) um; ein erstes ODC in Boulder (USA) ist bereits fertig. Am Ende will Big Blue alle ODCs zentral mit einer Universal Management Infrastructure (UMI) steuern. Wann diese Infrastruktur stehen soll, lässt IBM allerdings noch offen.

IBM möchte in Zukunft möglichst viele IT-Dienstleistungen und -Geschäftsprozesse in Outsourcing-Projekten von Unternehmen übernehmen und verbrauchsabhängig abrechnen. Das ist ein schwieriges Unterfangen, denn IBM muss dafür die Abrechnungseinheiten - ähnlich wie Telefoneinheiten - mit dem Kunden vereinbaren. Diese Einheiten bezeichnet IBM als Customer Value Units (CVU), die sie auf den Ebenen Infrastruktur, Applikationen und Geschäftsprozesse festlegt. Bei einer britischen Versicherung hängen beispielsweise die Zahlungen an IBM von der Zahl der verkauften Policen ab, bei einem deutschen Versandhändler von den eingegangenen Bestellungen.

Laut Roland Behr vom Wiesbadener Unternehmensberatungshaus Compass Deutschland bereitet es vielen Unternehmen Probleme, wenn sie ihre IT-Kosten Geschäftsprozessen wie beispielsweise der Kreditvergabe zuordnen wollen. Denn dafür müssen sie die IT-relevanten Kosten identifizieren und messen. Anschließend müssen CIOs die Kosten dem Verbrauch entsprechend zuordnen. Das Rechenmodell muss die Kostenart (z.B. Applikation Kreditvergabesystem), Kostenstelle (z.B. Kreditvergabeabteilung) und Kostenträger (z.B. Kredittyp A) beinhalten. Dienstleister bieten jedoch noch kaum spezielle Software dafür an. "Ein Abrechnungs-Tool, das die Prozesskosten zum Beispiel pro Monat berechnet, muss jeder Anwender in einem halb- bis ganzjährigen Projekt selbst entwickeln", sagt Behr.

Neue Berechnungsarten und Messmethoden erfordern vor allem Shared-Infrastrukturen wie etwa durch Grid-Computing. Während es sich beispielsweise beim Mainframe um ein geschlossenes System handelt, in dem sich CPUs schon seit langem je nach Bedarf zu- und wieder abschalten lassen, handelt es sich beim Grid um ein offenes System. Ebenso offen ist bislang, wie sich in so einem System Leistungen messen lassen und welche Maßeinheiten sinnvoll sind. "Das 'Gramm IT' kennt noch niemand, das ist noch die große Preisfrage. Ein schlüssiges Konzept steht noch aus", sagt Oracle-Mann Stürner. Dennoch ist er zuversichtlich: "In gut zwölf Monaten werden die ersten Modelle fertig sein", prophezeit Stürner. "Sobald der Erste mit einem Modell auf den Markt gehen, werden die anderen sehr schnell nachziehen."

Bauchschmerzen beim Grid-Computing

Allerdings bekommen viele CIOs bei Grid-Computing noch Bauchschmerzen. Wenn sich die Technik durchsetzt, liegen Daten nicht mehr auf physikalisch festgelegten Servern wie jetzt noch bei IBM für Roche. "Das ist weniger ein Sicherheitsproblem als vielmehr ein emotionales Problem für IT-Entscheider. Da werden wir in naher Zukunft noch viele überzeugen müssen", räumt IBM-Marketingexperte Münzl ein. Weyrauther von Roche sieht das nicht als so problematisch an, wenn erst mal die Technik reif und die Sicherheit gewährleistet sei. Aber auch ein ganz pragmatischer Grund treibt ihn: "Mit geteilter Hard- und Software wird es für uns billiger."

Doch die Stärke der Kunden, Preise zu drücken, kann mittelfristig zu ihrem Nachteil umschlagen, wenn Anbietern die Einnahmen zu stark wegbrechen. Laut den Analysten von Forrester müssen CIOs damit rechnen,

- dass Anbieter sie schlechter betreuen,

- Dienstleister weniger Innovationen liefern,

- die Zahl der Anbieter schrumpft und

- die Komplexität der immer umfangreicheren Lösungen steigt.

Der Leiter Datenbanken bei Oracle weist diese Gefahren nicht von der Hand. Stürner warnt: "Es wäre fatal für die IT, wenn Qualität und Service schlechter würden. Das kann man momentan wunderbar bei Billigfluganbietern beobachten."

Rolf.Roewekamp@cio.de