Evonik-CIO Dirk Ramhorst

"Auch der beste Plan ist in 6 Monaten überholt"

26.04.2023 von Karen Funk
Nicht wie eine Dampfwalze, sondern wie ein Trainer im Sport - so geht Evonik-CIO Dirk Ramhorst an die Transformation heran. Denn die sei nie zu Ende, sagt er.
Dirk Ramhorst ist Transformations-erprobt: Nach Stationen bei BASF und Wacker Chemie treibt er jetzt als CIO bei Evonik den Change.
Foto: Evonik

Herr Ramhorst, alle Ihre beruflichen Stationen - ob bei Evonik, Wacker Chemie oder BASF - haben eines gemeinsam: Transformation. Was haben Sie da gelernt, wie gelingt eine erfolgreiche Transformation?

Dirk Ramhorst: Zuallererst mit einer Erkenntnis. Nämlich, dass Transformation nie zu Ende ist, sondern ein fortlaufender Prozess. Mit diesem Mindset kann man viel entspannter an die Sache rangehen. Denn auch der beste Plan wird in sechs Monaten überholt sein. Es gibt zwei Dinge, die unabdingbar sind: Die Richtung muss stimmen und man muss von Anfang an glaubwürdig und ernsthaft die Menschen mitnehmen.

Wie nehmen Sie die Mitarbeitenden denn "ernsthaft und glaubwürdig" mit auf die Reise?

Ramhorst: Meiner Meinung nach heißt das vor allem: die Ansprüche, die ich formuliere, auch selbst einzuhalten. Nur so bin ich als Führungskraft in der Transformation glaubwürdig, nur so entsteht Vertrauen. Und Vertrauen ist die Basis von allem. Dazu kommt: In der heutigen Welt funktioniert nichts mehr linear, es gibt plötzliche Sprünge, die man nur dann mitbekommt und bewältigen kann, wenn man sein Ohr ganz nah dran hat, zum Beispiel am internen Kunden oder den Business-Partnern. Und genauso muss auch Führung stattfinden: Die Mitarbeitenden ernstnehmend und situativ.

Haben Sie ein Beispiel?

Ramhorst: Wenn die Mitarbeitenden heute eine starke Lokomotive brauchen, um ein Projekt inhaltlich ans Ziel zu bringen, kann es morgen ein Cheerleader sein, der Motivation, Ausdauer und Engagement des Teams stärkt. Beide Bedürfnisse muss ich ernstnehmen. Und wer als Führungskraft den Umgang mit den unterschiedlichen Rollen beherrscht, ist erfolgreich.

CIO in der Transformation: Wie ein Trainer beim Sport

Hat sich Führung im Laufe der Zeit verändert?

Dirk Ramhorst: Klar hat sich Führung verändert. Die Welt verändert sich schließlich auch. Bei meinem Berufseinstieg war das Führungsverständnis ziemlich einfach: von oben nach unten. Das fand ich damals schon unpassend, heute funktioniert das gar nicht mehr. Beispiel Transformation: Die ist von der Situation her komplex und kann daher nur im Zusammenspiel mit verschiedenen Partnern erfolgreich sein. Entsprechend baut mein Führungsstil viel auf Kooperation. Wie ein Trainer beim Sport bin ich verantwortlich dafür, dass alle ein gemeinsames Grundverständnis haben und auf ein gemeinsames, für alle motivierendes Ziel hinarbeiten. Den Weg dahin zu beschreiben, zu operationalisieren und dann auch zu gehen, das kann die Mannschaft viel besser als ich.

Die Top-CIOs der Chemie- und Pharma-Branche
Markus Schümmelfeder
Seit April 2018 ist Markus Schümmelfeder neuer CIO des Pharmakonzerns Boehringer Ingelheim in Ingelheim am Rhein. Er war zuvor Corporate Vice President IT im Unternehmen. Schümmelfeder berichtet an seinen Vorgänger im CIO-Amt, den CFO Michael Schmelmer.
Martin Richtberg
Seit 1. Januar 2022 bekleidet Martin Richtberg die Position des Senior Vice President Information Technology, CIO und CDO von Wacker Chemie. Zuletzt war er dort Leiter des globalen Project-Engineering.
Annette Hamann
Annette Hamann ist seit 2020 CIO bei der Hamburger Beiersdorf AG. Ihre Vorgängerin Barbara Saunier ist im Ruhestand.
Dirk Ramhorst
Seit dem 1. Mai 2022 ist Dirk Ramhorst, ehemaliger IT-Chef von Wacker Chemie, CIO beim Spezialchemiekonzern Evonik. Seine Vorgängerin Bettina Uhlich ging in den Vorruhestand.
Michael Nilles
Henkel hat Michael Nilles am 1. Oktober 2019 zum Chief Digital & Information Officer (CDIO) ernannt. Er berichtet direkt an Carsten Knobel, CEO von Henkel. In seiner Position ist Nilles für die Bereiche Digital, IT, Geschäftsprozessmanagement und Corporate Venture Capital verantwortlich.
Abel Archundia-Pineda
Abel Archundia-Pineda ist seit Mai 2017 Head of IT Business Partnering Pharmaceuticals bei Bayer im Geschäftsbereich Pharma bei Bayer. Zuvor war er Head of IT for Novartis Technical Operations and Global CIO der Sandoz Division, Novartis AG.
Michael Jud
Michael Jud ist seit April 2017 Leiter IT beim Pharmahersteller InfectoPharm Arzneimittel und Consilium GmbH in Heppenheim im südlichen Hessen. Jud kommt vom Anlagenbauer Schenck Process in Darmstadt. Er berichtet bei seinem Arbeitgeber an den kaufmännischen Geschäftsführer. Neben dem Fokus-Thema IT-Sicherheit baut der gelernte Diplom Ingenieur SAP weiter aus und unterstützt das internationale Wachstum von InfectoPharm.
Alessandro de Luca
Alessandro de Luca war bisher Interims-Group CIO beim Pharmakonzern Merck. Der Konzern hat sich entschieden, de Luca dauerhaft in dieser Position zu beschäftigen.
Hermann Schuster
Seit 1. September 2021 ist Hermann Schuster Head of Information Technology bei der Lanxess AG. Er folgt auf Kai Finke. In seiner neuen Position will Schuster im Chemiekonzern ein Konzept für den Modern Workplace umsetzen und sich auf Cybersicherheit konzentrieren. Daneben steht der Rollout eines SAP S/4 Hana-Templates auf seiner Agenda. Schuster berichtet an den Lanxess-Finanzvorstand Michael Pontzen.
Bijoy Sagar
Bijoy Sagar ist ab Juni 2020 neuer Leiter IT und Digitale Transformation der Bayer AG. Er löst den bisherigen CIO und CEO der IT-Tochter Bayer Business Services (BBS) ab, der seine Konzernkarriere beendet. Die BBS wird aufgelöst. Sagar soll die Digitalisierung des Pharmakonzerns vorantreiben und die begonnene Neuaufstellung der IT ans Ziel führen. Er berichtet an den Finanzvorstand Wolfgang Nickl.
Martin Wiedenmann
Martin Wiedenmann ist seit Februar 2019 Head of Global IT/CIO der Atotech Group, einem weltweit agierenden Marktführer für Spezialchemie. Zuvor war er war seit Juli 2016 CIO bei Ledvance in München.
Andreas Becker
Andreas Becker ist seit April 2017 Vice President Information Technology/CIO beim Pharmakonzern Daiichi-Sankyo Europe in München. Im Oktober 2014 kam der Diplom-Kaufmann mit Schwerpunkt Wirtschaftsinformatik & EDV als Head of IT Strategy & Service Delivery ins Unternehmen.
Sandeep Sen
Sandeep Sen ist CIO der Linde Group. In dieser Funktion hat er Büros in Singapur und München. Weltweit führt Sen rund 1.100 Mitarbeiter. Er kam 1993 zu Linde Indien (vormals BOC India). Zuvor war er in der IT auf dem Finance-Sektor tätig. Dabei arbeitete er sowohl in Indien als auch in Großbritannien.
Peter Buchmüller
Seit Mitte Juni 2017 ist Peter Buchmüller IT-Leiter der Aenova Group, einem pharmazeutischen Auftragshersteller mit Sitz in Starnberg bei München. Der genaue Titel lautet: Senior Vice President Corporate IT Aenova Group. Buchmüller wechselte von der Molkerei Meggle in Wasserburg, wo er zuvor als Leiter IT tätig war.
Berthold Kröger
Berthold Kröger hat im Juli 2015 die IT-Verantwortung bei der K+S AG in Kassel übernommen. Der neue Leiter Corporate IT berichtet an den Vorstand Thomas Nöcker. Der promovierte Informatiker hat sein Studium an der Universität-Gesamthochschule Paderborn absolviert. Er arbeitete danach mehr als drei Jahre im Forschungs- und Technologiezentrum der Deutschen Telekom und war später in verschiedenen Positionen bei der Hochtief AG und der Hochtief Solutions AG in Essen beschäftigt.
Alexander Bode
Im Juli 2014 hat Alexander Bode den CIO-Posten beim Farbenhersteller DAW SE angetreten. DAW (Deutsche Amphibolin-Werke) ist vor allem bekannt durch Farbenmarken wie Caparol und Alpina. Bode kommt vom Pharmahändler Celesio, wo er seit 2013 als Global Head of IT Governance tätig war. Davor arbeitete der Wirtschaftsinformatiker viele Jahre bei der Freudenberg-Gruppe, wo er auch seine berufliche Laufbahn 2002 begann. Zuletzt verantwortete er dort von 2008 bis 2013 als Director ERP Europe das SAP Competence Center von Freudenberg Sealing Technologies.
Torsten Müller
Seit November 2018 ist Torsten Müller Head of Information Technology (CIO) beim Pharma- und Laborzulieferer Sartorius AG mit Sitz in Göttingen. Zuvor war er Chief Digital Officer und Chief Information Officer sowie Mitglied der Geschäftsleitung der Versicherung Helvetia Deutschland in Frankfurt.
Stephan Heinelt
Stephan Heinelt ist seit September 2018 Group CIO beim Spezialchemiekonzern Altana AG mit Sitz in Wesel. Der Diplom-Wirtschaftsinformatiker Heinelt war zuletzt Leiter Service Management Global IT Services bei der Evonik Industries AG in Essen.
Martin Kinnegim
Martijn Kinnegim ist seit März 2019 CIO der STADA Arzneimittel AG mit Sitz im hessischen Bad Vilbel. Kinnegim arbeitete zuvor bei Jacobs Douwe Egberts (JDE). Dort war er als Global CIO tätig und leitete die Integration der Gesellschaften DE Masterblender 1753 und Mondelez International in den weltweit führenden Kaffeekonzern.
Walter Grüner
Walter Grüner ist seit Mai 2019 Head of Information Technology beim Chemie-Unternehmen Covestro in Leverkusen. Zuvor war Grüner seit 2013 als Group CIO bei der KION Group AG tätig, einem Anbieter von Gabelstapler und Lagertechnik.
Tobias Günthör
Der Pharmakonzern Stada hat mit Tobias Günthör seit Anfang April einen neuen IT-Chef. Der Titel des 53-Jährigen lautet CIO/Senior Vice President IT at Stada Group.
Carsten Priebs
Zum 01.01.2024 wurde Carsten Priebs zum Digitalchef der Biesterfeld AG berufen.

Was können CIOs konkret in ihren Alltag integrieren, um ihre Mitarbeitenden mitzunehmen?

Dirk Ramhorst: Gerade als CIO mit größeren Teams ist die Sichtbarkeit gegenüber dem eigenen Team ein wichtiger Erfolgsfaktor. Und Digitalisierung sei Dank kann ich mit Technologie meine direkten Interaktionen multiplizieren. Ich habe bei meinen letzten Stationen stark auf radikale Transparenz gesetzt und alle Mitarbeitenden aus meiner Abteilung in Zehner-Gruppen zum (virtuellen) Gespräch eingeladen. Ohne Agenda, zum Kennenlernen. Da waren die Augen anfangs groß - und die Themenbandbreite auch. Aber es war immer spannend für alle und häufig kamen Probleme an die Oberfläche, die mir sonst verborgen gewesen wären. Auch persönliche Nahbarkeit war da immer ein wichtiges Thema.

Ist das nicht mit einem enormen Zeitaufwand verbunden?

Dirk Ramhorst: Ja, aber der Austausch mit dem eigenen Team ist Kernaufgabe einer Führungskraft. Da kann man auch schon mal unkonventionell sein, auch wenn einige Veteranen-Führungskräfte bestimmt ins Schwitzen gekommen sind, weil die Exklusivität im Zugang zur Leitung flöten ging. Aber nicht nur ich habe meine Teams besser kennengelernt, das hat auch Verbindungen untereinander geschaffen, die Silowände kamen runter. Probleme, die in meinen Gesprächen aufgekommen sind, haben wir meistens schnell und unbürokratisch gelöst. Das hält die Leute bei der Stange und Neueinstellungen finden schneller Orientierung im Unternehmen. Die Menschen machen schließlich den Impact.

Ich teile kurze Videos aus meinem Alltag

Sichtbarkeit für die ganze Organisation findet höchstens punktuell statt. Wie gelingt der tägliche oder wöchentliche Austausch?

Dirk Ramhorst: Richtig, mit der ganzen Organisation oder Abteilung kann man nicht ständig im Austausch sein. Aber noch einmal: Sichtbarkeit und Gesicht zeigen sind entscheidende Erfolgsfaktoren in der Transformation. Den Anspruch habe ich nicht nur an mich, sondern auch an meine Führungskräfte. Sie sind die Multiplikatoren. Welches das für einen selbst passende Mittel ist, muss man einfach ausprobieren. Ich teile zum Beispiel seit ein paar Monaten regelmäßig kurze Videos aus meinem Alltag in unserem Enterprise Social Network. Immer mit Fachbezug und ohne Redaktion dahinter. Das kommt gut an. Anderen liegt aber sicher anderes.

Wie gehen Sie mit Gegenwind oder mit Trägheit in der eigenen Organisation um? Stichwort "Das haben wir schon immer so gemacht."

Dirk Ramhorst: Klar, das höre sicher nicht nur ich häufiger. Aber richtig ist doch: Früher war die Welt um uns herum eine andere. Und in 99 Prozent der Fälle gilt: Was uns hierhergebracht hat, bringt uns nicht zum nächsten Ziel. Diese Erkenntnis ist manchmal schmerzhaft, aber alternativlos. Und gerade in solchen Situationen - hohe Dynamik und Mangel an Alternativen - darf man die eigene Geschwindigkeit nicht drosseln, sondern muss mit Überzeugung die Geschwindigkeit der Mannschaft erhöhen. Durch Sichtbarkeit, Kommunikation und Unterstützung für das Team.

Meistens wird genau dann nach mehr Geld oder Ressourcen gefragt.

Dirk Ramhorst: Und die sind immer knapp! (lacht) Aber am Ende geht es doch um die Frage: Was können wir anders machen, um unserem Ziel einen Schritt näher zu kommen? Viele Organisationen, auch in der IT, arbeiten noch mit Methoden aus dem vorletzten Jahrzehnt. Dabei hat man mit neueren Methoden schon einen großen Hebel in der Hand, ohne mehr Geld und Ressourcen voranzukommen, sondern mit innovativer Technologie.

Welche denn?

Dirk Ramhorst: Bei einem meiner früheren Arbeitgeber haben wir beispielsweise mit den digitalen Personal-Trainer-Angeboten von Culcha moderne Arbeitsmethoden mit einem Schlag in die Organisation getragen und ganze Teams dazu befähigt, hybrid erfolgreich zusammenzuarbeiten sowie sich stärker am (internen) Kunden zu orientieren. Denn am Ende soll sich die Organisation ja weiterentwickeln. Und das funktioniert nicht immer am besten mit Geld, sondern indem ich Menschen Tools an die Hand gebe, die einen Impact haben.

Nicht wie eine Dampfwalze

Was sollte man tunlichst vermeiden, um eine Transformation nicht zu vermasseln?

Dirk Ramhorst: Desto größer der eigene Verantwortungskreis, desto mehr muss man sein politisches Gespür schärfen. Bei einer Transformation geht es in der Regel um Veränderungen, die ein ganzes Unternehmen auf den Kopf stellen. Bei allem Tempo dürfen Sie da nicht einfach wie eine Dampfwalze durch, sondern müssen genau schauen: Wo sind Verbündete, Zweifler, ja auch Gegner. Blauäugigkeit kann da sehr schnell das ganze Projekt gefährden.

Zum Abschluss: Welchen Rat würden Sie CIOs geben, die neu in ihre Rolle kommen?

Dirk Ramhorst: Drei Punkte. Erstens: Kommunikation ist das A und O. Durch Austausch auf Augenhöhe mit dem Team gewinnen alle. Zweitens: Teilhabe am eigenen Alltag. Mitarbeitende sind es sowieso gewohnt durch ihre private Social-Media-Nutzung. Durch Nahbarkeit entsteht Vertrauen. Und drittens: Nicht jeden Kampf führen. Sondern nur die, die das Projekt auch wirklich weiterbringen.

Herr Ramhorst, danke für das Gespräch.