Integrieren für den Vertrieb

Auf dem Sprung zum Handel

16.06.2006 von Patrick Goltzsch
IT ist keine strategische Größe für die Unternehmen der Konsumgüterindustrie. Sie hat die Abläufe zu unterstützen. Ganz oben auf der Liste stehen die Warenwirtschaft sowie die Integration mit dem Handel.

Die Orientierung an einem schnellen ROI steht in der Konsumgüterindustrie nicht mehr im Vordergrund. Anstatt nur kurzfristig Kosten einzusparen, visierten die Unternehmen jetzt wieder Ziele an, die den Zeitrahmen für die Planungen weiter steckten als bisher, sagt Jakov Cavar, Berater bei Pierre Audoin Consultants (PAC). Für die IT-Abteilungen bedeutet das jedoch keine längeren Projekte, sondern sie setzen ihre Vorhaben in kleinen, überschaubaren Einzelschritten um, die dann auch ein besseres Controlling und ein besseres Roll-out erlauben. Trotz dieser Wende stagnieren die IT-Budgets zwischen eineinhalb und zwei Prozent vom Umsatz. „Große Änderungen sind hier nicht in Sicht“, so Cavar. Denn die IT werde als Kostenstelle angesehen und gelte eher als Mittel zum Zweck und nicht als strategische Einheit.

Uwe Dubbert, Chef des IT-Dienstleisters der Ahlers-Gruppe:
„Eingeleitet wurde der Trend durch die Erfolge von Marken wie H&M oder Zara, die ihre Kollektionen in eigenen Läden präsentieren.“

Von wachsender Bedeutung für die Konsumgüterbranche ist die Integration mit dem Handel. Immer öfter managen die Hersteller ihre Sortimente und Warenbestände beim Einzelhändler selbst. Das gilt auch für die Ahlers-Gruppe, einen der größten europäischen Herrenbekleidungshersteller aus Herford.Mit rund 4000 Mitarbeitern erwirtschaftete das Unternehmen 325 Millionen Euro Umsatz im vergangenen Geschäftsjahr. Die Ahlers-Gruppe verkauft ihre Marken, zu denen Otto Kern, Eterna, Gin Tonic oder Pierre Cardin gehören, immer häufiger auch über Kooperationen und in eigenen Filialen.

Diese Vertikalisierung, die von Kooperationen mit Händlern bis hin zur Versorgung eigener Standorte reicht, muss die IT bei Ahlers abbilden. „Eingeleitet wurde der Trend durch die Erfolge von Marken wie H&M oder Zara, die ihre Kollektionen in eigenen Läden präsentieren“, erläutert Uwe Dubbert, Geschäftsführer des gruppeninternen IT/TK-Dienstleisters. „Für die Vertikalisierung muss der komplette Informationsfluss von den Verkaufsflächen und zurück transparent sein“, sagt Dubbert. Am Anfang steht die Software für die Produktentwicklung, in die letztlich Daten aus der Verkaufsanwendung für die Flächen und Filialen zurückfließen. So muss etwa das interne Warenwirtschaftssystem zum Teil Retail-Funktionen übernehmen und Schnittstellen zur separaten Retail-Software vorsehen. Über EDIFACT-Meldungen lassen sich dann Verkaufszahlen und Berichte zum Lagerbestand automatisch verarbeiten.

Ginge es nach der Medienpräsenz, wären Funketiketten das große Thema der Konsumgüterindustrie. „Das dauert noch ein paar Jahre“, dämpft Cavar die Erwartungen. Eingesetzt werde die Funktechnik derzeit vor allem bei Packstücken und Paletten, um die Geschäftsprozesse effizienter zu gestalten. Den Zeithorizont für den allgemeinen Einsatz der Funketiketten zieht Dubbert noch etwas weiter. Er erinnert an die zögerliche Einführung der Strichcodes und entsprechender Scanner. So ging bereits 1974 in Troy im US-Bundesstaat Ohio zum ersten Mal ein Päckchen Kaugummi mit Hilfe eines Scanners über den Tresen. Doch auch nach mehr als 30 Jahren hat sich die Technik noch nicht überall durchgesetzt.

Beim Auslagern von Teilen der IT an Dienstleister hält sich die Branche zurück. Zwar griffen die Großen wie Adidas, Gillette oder Procter & Gamble auf externe Unterstützung zurück, so Cavar, „doch die meisten Unternehmen sind mittelständisch geprägt und verhalten sich eher konservativ.“ CIO Dubbert findet Outsourcing schlicht zu teuer: „Bei den Kosten stehen wir glänzend da.“ Einem Budget, das wenig mehr als ein Prozent des Umsatzes ausmacht, können externe Dienstleister kaum helfen, die Kosten noch weiter zu senken.

Standorte für Globalisierung anbinden

Neben den medienwirksamen Themen wie RFID und Outsourcing wird in der IT der Konsumgüterindustrie kräftig konsolidiert. Immer mehr Unternehmen lösen alte Systeme und intern entwickelte Software ab. Daneben spielt auch die Globalisierung eine stärkere Rolle.Viele Unternehmen verlagern ihre Produktion nach Asien oder lassen die Logistik zunehmend in Niedriglohnländern erledigen. Die Ahlers-Gruppe ist da keine Ausnahme: Rund 1700 Mitarbeiter hat das Unternehmen in Polen und etwa 900 in Deutschland. Größere Standorte unterhält die Gruppe außerdem in der Slowakei und Sri Lanka.

Unterschiede zeigen sich in der Konsumgüterindustrie vor allem bei der Auswahl von Software. Überwiegend setzten die Unternehmen, die im Nicht-Textilien-Bereich arbeiten, als Warenwirtschaftssystem SAP ein, so Cavar. Doch auch das ehemalige Navision, jetzt Microsoft, verwenden viele der Unternehmen. Als CRM-Lösung komme häufig die Anwendung des Spezialisten CAS Software AG zum Einsatz.

In der Bekleidungsindustrie stellt sich die Situation anders dar. Hier wird SAP erst noch zum Thema. Das Walldorfer Unternehmen hatte sich zuerst auf die Hersteller von Sportartikeln konzentriert. Die Branche vermisste jedoch Funktionalitäten, darunter die Möglichkeit, die Variantenvielfalt ihrer Produkte, etwa eine Hose in 50 Größen und einer Reihe von Farben, abzubilden. Die Erweiterungen sind nun vorhanden, und so führt Hugo Boss derzeit die Branchenlösung SAP Apparel and Footwear (AFS) ein.

Doch Vorbehalte bleiben.Mit Blick auf die Projektrisiken und unter dem Druck, flexibel und schnell Marktanforderungen umsetzen zu müssen, ziehen viele Unternehmen Spezialangebote vor. Die Ahlers-Gruppe setzt „WP-Dress“, eine Branchenlösung von Walter + Partner, als Warenwirtschaftssystem ein. Für den Retail-Bereich verwendet das Unternehmen außerdem eine spezielle Konsumgüter branche 49
Software von Futura, dazu gesellen sich Lösungen für das Design und für PLM-Programme für die Produktentwicklung und Kollektionsplanung. Um die Sicht auf die Daten zu vereinheitlichen und übergreifende Analysen zu ermöglichen, führt Dubbert jetzt eine BI-Applikation ein. Das Projekt setzt die IT in kleinen Schritten um: Nach und nach kommen Module dazu, bis die Lösung mit den Bereichen Vertrieb, Beschaffung, Bestände, Retail, PDM, Finanzwesen und Personalwesen zum Ende des Jahres steht.